Bundespatentgericht:
Beschluss vom 12. Juli 2005
Aktenzeichen: 24 W (pat) 74/04
(BPatG: Beschluss v. 12.07.2005, Az.: 24 W (pat) 74/04)
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Widersprechenden wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 3 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 19. Februar 2004 aufgehoben, soweit der Widerspruch aus der Marke 399 50 248 zurückgewiesen worden ist.
2. Die Löschung der Marke 301 10 668 wegen des Widerspruchs aus der Marke 399 50 248 wird angeordnet.
Gründe
I.
Die Wortmarke Mystiaist für die Waren
"Parfümeriewaren, Mittel zur Körper- und Schönheitspflege"
unter der Nummer 301 10 668 im Markenregister eingetragen worden.
Dagegen hat die Inhaberin der prioritätsälteren Wortmarke 399 50 248 MYSTERY, die für die Waren
"Wasch- und Bleichmittel; Putz-, Polier-, Fettentfernungs- und Schleifmittel; Seifen; Parfümerien, ätherische Öle, Mittel zur Körper- und Schönheitspflege, Haarwässer; Zahnputzmittel"
im Markenregister eingetragen ist, Widerspruch erhoben.
Die Markenstelle für Klasse 3 des Deutschen Patent- und Markenamts, besetzt mit einer Beamtin des gehobenen Dienstes, hat den Widerspruch mit Beschluss vom 19. Februar 2004 zurückgewiesen. Obwohl die Marken sich auf identischen Waren begegnen könnten, die sich an ein breites Publikum richteten, was Verwechslungen begünstige, sei eine Verwechslungsgefahr nicht gegeben. Die jüngere Marke stimme zwar mit der normal kennzeichnungskräftigen Widerspruchsmarke in den ersten vier Lauten/Buchstaben überein. Im Sprech- und Betonungsrhythmus, in der Vokalfolge sowie im Konsonantengerüst bestünden jedoch wenig Gemeinsamkeiten, was insbesondere bei einer Aussprache der Widerspruchsmarke nach deutschen Sprachregeln gelte. Aber auch bei der Aussprache der Widerspruchsmarke als englisches Wort gebe es prägnante klangliche Abweichungen im Gesamteindruck. Eine schriftbildliche oder begriffliche Verwechslungsgefahr sei ebenfalls nicht ersichtlich. Für eine Gefahr, dass die Marken gedanklich miteinander in Verbindung gebracht werden könnten, gebe es keine Anhaltspunkte, weil der Verkehr dem gemeinsamen Wortteil "MYST-" keinen Hinweis auf den Geschäftsbetrieb der Widersprechenden entnehme.
Hiergegen wendet sich die Beschwerde der Widersprechenden, die vorträgt, es sei von identischen bzw. sehr ähnlichen Waren auszugehen und eine normale Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke zu unterstellen. Die bloße Eintragung ähnlicher oder übereinstimmender Drittzeichen sei grundsätzlich nicht geeignet, die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke zu schwächen, weil die Verkehrsanschauung nur durch benutzte Kennzeichnungen beeinflusst werde. Somit müsse die angegriffene Marke einen großen Abstand von der Widerspruchsmarke einhalten, der hier nicht gewahrt sei. Die sich gegenüberstehenden Zeichen bestünden jeweils aus drei Silben und würden entweder wie "Misteri" bzw. "Mistia" oder aber "Mystery" bzw. "Mystia" ausgesprochen, so dass die Lautfolgen im ersten Wortdrittel praktisch übereinstimmten. Die Abweichungen beschränkten sich auf das Wortende, das vom Durchschnittsverbraucher wenig beachtet werde, insbesondere, wenn es wie hier unbetont bleibe. Hinzu komme, dass beide Zeichen am Wortende hell klingende Vokale aufwiesen und sich beide erkennbar an den Begriff "Mysterium, Geheimnis" anlehnten. Aus diesen Gründen seien Verwechslungen dem klanglichen Gesamteindruck nach aus der unsicheren Erinnerung heraus nicht zu vermeiden.
Die Widersprechende beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Löschung der angegriffenen Marke wegen des Widerspruchs aus der Marke 399 50 248 anzuordnen.
Der Inhaber der angegriffenen Marke beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Er ist der Meinung, einer Verwechslungsgefahr stehe im vorliegenden Fall entgegen, dass die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke aufgrund der Drittzeichenlage geschwächt sei. Bereits die Existenz eingetragener identischer oder vergleichbarer Drittmarken sei ein Indiz für einen von Haus aus bestehenden Originalitätsmangel, denn sie belege, dass die betreffenden Begriffe häufig und deshalb wenig kennzeichnungskräftig seien. Außerdem besitze die Widerspruchsmarke einen leicht verständlichen Begriffsinhalt, während es sich bei der angegriffenen Marke um ein Fantasiewort handele, was das Auseinanderhalten der Zeichenwörter begünstige. Verwechslungen zwischen den kurzen, prägnanten Markenwörtern seien angesichts der unterschiedlichen Vokalfolge und des abweichenden Sprech- und Betonungsrhythmus nicht zu erwarten.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Widersprechenden ist gem. § 165 Abs 4 MarkenG zulässig und hat in der Sache auch Erfolg. Anders als die Markenstelle ist der Senat der Auffassung, dass zwischen der prioritätsjüngeren Marke und der Widerspruchsmarke 399 50 248 Verwechslungsgefahr gemäß § 42 Abs 2 Nr 1, § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG besteht.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu Art. 4 Abs 1 Buchst. b der Markenrechtsrichtlinie, die für die Auslegung der in Umsetzung dieser Richtlinienbestimmung erlassenen Vorschrift des § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG von maßgeblicher Bedeutung ist, ist die Frage der Verwechslungsgefahr unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen. Zu den dabei maßgebenden Umständen gehören insbesondere die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sowie der Grad der Ähnlichkeit der Marken und der damit gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen. Bei der umfassenden Beurteilung ist hinsichtlich der Ähnlichkeit der Marken auf den Gesamteindruck abzustellen, den diese jeweils hervorrufen. Hierbei kommt es entscheidend darauf an, wie die Marke auf den Durchschnittsverbraucher der jeweils in Frage stehenden Waren und Dienstleistungen wirkt (vgl EuGH GRUR 1998, 387, 389 f "Sabèl/Puma"; GRUR Int 1999, 734, 736 "Lloyd"; BGH GRUR 2004, 783, 784 "NEURO-VIBOLEX/NEURO-FIBRALEX"; GRUR 2004, 235, 234 "Davidoff II"). Die Bewertung der Verwechslungsgefahr impliziert auch eine gewisse Wechselbeziehung zwischen den in Betracht kommenden Faktoren, insbesondere der Ähnlichkeit der Marken und der damit gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen. So kann ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken ausgeglichen werden und umgekehrt (EuGH GRUR Int. 1998, 875, 876 f "Canon"; GRUR Int 2000, 899, 901 "Marca/Adidas"; BGH GRUR 2003, 332, 334 "Abschlussstück").
Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend die Gefahr von Verwechslungen der angegriffenen Marke mit der Widerspruchsmarke 399 50 248 gegeben.
Die gegenseitigen Waren sind nahezu identisch. "Mittel zur Körper- und Schönheitspflege" sind in beiden Warenverzeichnissen enthalten. Die Begriffe "Parfümeriewaren" der angegriffenen Marke und "Parfümerien" der Widerspruchsmarke überschneiden sich weitestgehend (vgl dazu BPatG 24 W (pat) 128/94 "Cambiante/AMBIANCE"; BPatG 24 W (pat) 259/94 "AUDIENCE/AMBIANCE", Zusammenfassung veröffentlicht auf PROMA PAVIS CD-ROM). Außerdem handelt sich beiderseits um Produkte, die zum allgemeinen Lebensbedarf gehören, nicht sehr hochwertig sein müssen und sich an breiteste Verkehrskreise richten. Diese Umstände begünstigen Verwechslungen.
Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ist durchschnittlich. Entgegen der Meinung des Inhabers der angegriffenen Marke gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Schutzunfähigkeit bzw. eine entscheidungserhebliche Kennzeichnungsschwäche. Das englische Wort "MYSTERY" bedeutet "Geheimnis" und stellt folglich für die Waren des Warenverzeichnisses der Widerspruchsmarke keine beschreibende Angabe dar, sondern erzeugt allenfalls - wie bei Marken auf dem betreffenden Warensektor häufig - ganz vage Assoziationen bezüglich einer Duftnote (vgl auch BPatG 24 W (pat) 203/01 bzw. 213/01 "Exposed by Mysteria/ MYSTERE DE ROCHAS" bzw. "Mysteria/Le Mystere").
Der Einwand, die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sei durch Drittmarken geschwächt, greift ebenfalls nicht durch. Zwar vermögen auch eingetragene Drittmarken, über deren Benutzung - wie im vorliegenden Fall - nichts bekannt ist, unter besonderen Umständen als Indiz für eine dahingehende (ursprüngliche) Kennzeichnungsschwäche herangezogen zu werden. Für eine solche Annahme verlangt die ständige Rechtsprechung aber eine große Zahl im engsten Ähnlichkeitsbereich der Widerspruchsmarke liegender Drittmarken, die im vorliegenden Fall mit den vom Inhaber der angegriffenen Marke genannten 49 Marken nicht erreicht ist (vgl dazu Ströbele/Hacker, Markengesetz, 7. Aufl., § 9 Rn 316, 318). In diesem Zusammenhang muss berücksichtigt werden, dass in den letzen Jahren die Zahl der Markenanmeldungen und -eintragungen unverhältnismäßig stark angestiegen sind (vgl hierzu BPatG GRUR 2002, 438, 439 f "WISCHMAX/Max"). Angesichts dieser großen Anzahl eingetragener Marken spricht immer weniger eine Vermutung dafür, dass registrierte Marken auch tatsächlich benutzt werden. Insoweit vermag die Registerlage kaum mehr ein zuverlässiges Bild über den Bestand von wirtschaftlich tatsächlich eingesetzten Kennzeichnungen zu vermitteln. Somit reduziert sich zwangsläufig auch die Indizwirkung solcher Eintragungen für die Beurteilung der Kennzeichnungskraft einer Marke im Einzelfall (vgl BPatG GRUR 2002, 438, 439 f "WISCHMAX/Max"; Ströbele/Hacker, aaO, § 9 Rn 318).
Insgesamt ist daher ein großer Abstand der jüngeren Marke von der Widerspruchsmarke erforderlich, der hier nicht gewahrt ist.
Zwar sind die Vokalfolge und das Gesamtklangbild der Zeichenwörter unterschiedlich. Insbesondere wirkt sich klanglich aus, dass das Wort "Mystia" ein weiches, melodiöses Gesamtklangbild aufweist, während "MYSTERY" wesentlich heller und stakkatoartig klingt. Schriftbildlich fallen Abweichungen in der Wortkontur auf.
Nach Ansicht des Senats besteht jedoch eine komplexe Verwechslungsgefahr. Wenn die Marken klangliche, schriftbildliche und begriffliche Gemeinsamkeiten aufweisen, die zwar jeweils für sich gesehen zur Bejahung der Markenähnlichkeit nicht ausreichen mögen, so kann doch aufgrund des Zusammenwirkens dieser Gemeinsamkeiten eine markenrechtlich relevante Verwechslungsgefahr nicht ausgeschlossen werden (vgl Ströbele/Hacker, aaO, § 9 Rn 231; BPatG GRUR 1994, 291 "Calimbo/CALYPSO"; BPatGE 6, 131 "Plastipac/PAGELASTIC"; BPatGE 22, 227, 229 f "Frukina/ FRUTERA"; BPatG Mitt 1975, 115 "Miramil/Milram").
Zunächst ist zu berücksichtigen, dass die klanglichen und schriftbildlichen Übereinstimmungen der Marken vor allem die Wortanfänge betreffen, die für den Gesamteindruck von besonders großer Bedeutung sind (vgl. Ströbele/Hacker, aaO, § 9 Rn 184). Vom Klang her weisen die Zeichen durch die identische erste Worthälfte "MYST-" sowie durch die hellen, sehr ähnlich ausgesprochenen Vokale "Y" bzw. "i" am Wortende Gemeinsamkeiten auf. Auch die Anzahl der Sprechsilben unterscheidet sich nicht markant, insbesondere wenn die Vokale "i" und "a" der jüngeren Marke deutlich artikuliert werden. Das Schriftbild stimmt ebenfalls im ersten Teil der sich gegenüberstehenden Marken überein.
Weiterhin besteht vom Begriff her eine deutliche Annäherung zwischen den Marken. Die Widerspruchsmarke "MYSTERY" (= engl. "Geheimnis, Mysterium") stellt ein Wort dar, das zum Grundwortschatz der englischen Sprache gehört, stark an die entsprechenden deutschen Begriffe "Mysterium" und "mysteriös" anklingt und außerdem als Bezeichnung für eine Gattung von Filmen bzw. Romanen mit geheimnisvoller, schauriger Darstellung von mysteriösen, meist nicht mit natürlichen Phänomenen erklärbaren Verbrechen (vgl Duden - Deutsches Universalwörterbuch. 5. Aufl. Mannheim 2003; Duden - Das Fremdwörterbuch, 8. Aufl. Mannheim 2005 unter den jeweiligen Stichwörtern) in die deutsche Sprache eingegangen ist. An diese Begriffe ist auch die jüngere Marke "Mystia" deutlich erkennbar angelehnt. Sie weckt beim angesprochenen Durchschnittsverbraucher daher starke Assoziationen mit "Geheimnis", "Mysterium", "Rätsel", bzw den hiervon abgeleiteten Adjektiven (vgl dazu auch Eidgenössische Rekurskommission für geistiges Eigentum in sic! 2005, 478 "Mystere/Mystery"). Somit sind beide Marken demselben Begriffsspektrum und Anmutungsraum zuzuordnen.
Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang weiterhin, dass der Verkehr regelmäßig die beiden Marken nicht gleichzeitig nebeneinander wahrnimmt und sie deshalb nicht miteinander vergleichen kann, sondern seine Auffassung nur aufgrund einer meist undeutlichen Erinnerung an eine der verschiedenen Marken gewinnt (vgl Ströbele/Hacker, aaO, § 9 Rn 162). Unter diesen Umständen kann ein Abnehmer aus der unsicheren Erinnerung heraus die Widerspruchsmarke "MYSTERY" aufgrund der durch die og Annäherungen in Klang und Begriffsassoziationen entstehenden, sich komplex ergebenden Gesamtwirkung in der jüngeren Marke "Mystia" wiederzuerkennen glauben und insoweit Verwechslungen unterliegen.
Für eine Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen (§ 71 Abs 1 MarkenG) bestand kein Anlass.
Dr. Ströbele Richter Prof. Dr. Hacker ist wegen Urlaubs an der Unterzeichnung gehindert.
Dr. Ströbele Guth Bb
BPatG:
Beschluss v. 12.07.2005
Az: 24 W (pat) 74/04
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/ab552c8829cf/BPatG_Beschluss_vom_12-Juli-2005_Az_24-W-pat-74-04