Bundespatentgericht:
Beschluss vom 26. März 2007
Aktenzeichen: 19 W (pat) 326/04

(BPatG: Beschluss v. 26.03.2007, Az.: 19 W (pat) 326/04)

Tenor

Das Patent 102 23 026 wird mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrecht erhalten:

Patentansprüche 1 bis 10 sowie geänderte Beschreibung, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 26. März 2007, Zeichnungen gemäß Patentschrift.

Gründe

I Für die Anmeldung mit dem Anmeldetag 22. Mai 2002 hat das Deutsche Patent- und Markenamt ein Patent erteilt und die Erteilung am 12. Februar 2004 veröffentlicht. Das Patent hat die Bezeichnung "Deckelsteller".

Gegen das Patent hat die Fa. A... GmbH & Co. mit Schrift- satz vom 4. Mai 2004, eingegangen am 5. Mai 2004, Einspruch erhoben. Zur Begründung hat sie auf § 1 bis 5 PatG verwiesen und vorgetragen, der Gegenstand des Patents beruhe unter Berücksichtigung eines im Einzelnen angegebenen Standes der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Mit Schriftsatz vom 23. September 2005 hat die Einsprechende den Einspruch zurückgenommen.

Der geltende, in der mündlichen Verhandlung übergebene (mit einer eingefügten Gliederung in Merkmalsgruppen versehene) Patentanspruch 1 lautet:

"Deckelsteller, mit dem ein Deckel eines Schranks parallel verstellt werden kann oder über einen Schrankkorpus hinweggeklappt werden kann, umfassenda) einen Stellarm (10, 110), a1) der um eine erste Stellachse (13, 113) zwischen einer Offenstellung und einer Schließstellung schwenkbar an einer Seitenwand (3, 103) eines Schrankkorpus (1, 101) befestigbar ist, a2) der um eine zweite Stellachse (16, 116) schwenkbar an einem Deckel (8, 108) befestigbar ist unda3) der eine Stellkontur (18, 118) in Form einer Kurve um die erste Stellachse (13, 113) aufweist, b) einen Steuerarm (11,111), b1) der um eine erste Steuerachse (14, 114) zwischen einer Offenstellung und einer Schließstellung schwenkbar an der Seitenwand (3, 103) des Schrankkorpus (1, 101) befestigbar ist, wobei die erste Steuerachse (14, 114) parallel beabstandet zu der ersten Stellachse (13, 113) angeordnet ist, undb2) der um eine zweite Steuerachse (17, 117) schwenkbar an dem Deckel (8, 108) befestigbar ist, wobei die zweite Steuerachse (17, 117) parallel beabstandet zu der zweiten Stellachse (16, 116) angeordnet ist, sowiec) ein Stellschieber (19, 119), c1) der linear verschiebbar geführt ist und in Anlage zur Stellkontur (18, 118) beaufschlagt ist undd) der den Stellarm (10, 110) zumindest über einen ersten Teil seines Schwenkweges zur Einnahme der Offenstellung mit einer Kraft beaufschlagt, die ein Drehmoment in Richtung zu einer oberen Position, die der Offenstellung des Deckels entspricht, erzeugt, e) wobei die Kraft in jeder Stellung so austariert ist, dass der Deckel (8, 108) in jeder beliebigen Stellung gehalten ist und nicht von selbst zur Offenstellung bewegt wird, f) indem der radiale Abstand der Stellkontur (18, 118) zur ersten Stellachse (13, 113) im Kontaktbereich zwischen dem Stellschieber (19, 119) und der Stellkontur (18, 118) zumindest über den ersten Teil des Schwenkweges ausgehend von einer Zwischenstellung des Stellarms (10, 110), die zwischen der Offenstellung und der Schließstellung angeordnet ist, zur Offenstellung abnimmt."

Es soll die Aufgabe gelöst werden, einen Deckelsteller bereit zu stellen, bei dem ein Deckel parallel verstellt oder über den Korpus eines Schranks hinweggeschwenkt werden kann und bei dem der Deckel in jeder beliebigen Stellung gehalten ist (Abs. 0005 der geltenden Beschreibung).

Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Patent mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrecht zu erhalten:

Patentansprüche 1 bis 10 sowie geänderte Beschreibung, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 26. März 2007, Zeichnungen gemäß Patentschrift.

Die Patentinhaberin ist der Meinung, der Anspruch 1 bringe den wesentlichen Unterschied zum entgegengehaltenen Stand der Technik deutlich zum Ausdruck und sein Gegenstand sei auch nicht nahegelegt.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II Gemäß § 147 Abs. 3 PatG in der Fassung vom 9. Dezember 2004 liegt die Entscheidungsbefugnis über den zulässigen und vor der Aufhebung des § 147 Abs. 3 PatG noch anhängigen Einspruch bei dem hierfür zuständigen 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts.

Dieser hatte - wie in der Entscheidung in der Einspruchssache 19 W (pat) 701/02 (m. w. N.; vgl. BPatGE 46,134) ausführlich dargelegt ist - aufgrund öffentlicher mündlicher Verhandlung zu entscheiden.

Das Verfahren wird nach § 61 (1) 2 PatG von Amts wegen ohne die Einsprechende fortgesetzt, da diese den Einspruch zurückgenommen hat.

Gegenstand des Verfahrens ist das erteilte Patent.

Der Einspruch ist zulässig und hat insoweit Erfolg, als das Patent mit den in der mündlichen Verhandlung überreichten Ansprüchen 1 bis 10 beschränkt aufrechtzuerhalten war.

1. Fachmann Der zuständige Fachmann ist ein Techniker der Fachrichtung Maschinenbau mit Berufserfahrung in der Konstruktion von Deckel- und Klappenstellern.

2. Offenbarung der geltenden Ansprüche Die Ansprüche 1 bis 10 sind ursprünglich als zur Erfindung gehörend offenbart.

Der erteilte Anspruch 1, der sich aus den ursprünglichen Ansprüchen 1 und 2 zusammensetzt, wurde ergänzt durch Merkmale aus Abs. 0001, 0007 und 0034 der dort mit den ursprünglichen Unterlagen übereinstimmenden Patentschrift. Die gegenüber den erteilten Ansprüchen unveränderten Ansprüche 2 bis 10 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 3 bis 11.

3. Neuheit Die Vorrichtung gemäß Anspruch 1 ist neu.

Als nächstkommender Stand der Technik wird vom Senat die DE 27 57 230 A1 angesehen. Sie zeigt einen dort als Scharnier bezeichneten, für eine Dunstabzugshaube verwendbaren Deckelsteller mit einem Viergelenk-Hebelgestänge für eine kombinierte Dreh-Hubbewegung des Deckels. Einer der Hebel trägt eine Kurvenscheibe 33 bzw. 34, die Rastmulden 41 aufweist, aber auch glatt ausgeführt sein kann (S. 11, Abs. 2). Durch Anpassung der Kurvenscheiben-Radien wird die erzeugte Reib- oder Rastkraft an die mit den Hebelverhältnissen sich ändernde Gewichtskraft angepasst (S. 12, Abs. 3).

In Übereinstimmung mit dem Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit bekannt ein:

"Deckelsteller, umfassenda) einen Stellarm 31,32, a1) der um eine erste Stellachse 26 zwischen einer Offenstellung und einer Schließstellung schwenkbar an einer Seitenwand 15 eines Schrankkorpus (Dunstabzugshaube) 14 befestigbar ist, a2) der um eine zweite Stellachse 23 schwenkbar an einem Deckel 12 befestigbar ist unda3) der eine Stellkontur 33,34 in Form einer Kurve um die erste Stellachse 26 aufweist, b) einen Steuerarm 28,29, b1) der um eine erste Steuerachse 27 zwischen einer Offenstellung und einer Schließstellung schwenkbar an der Seitenwand 15 des Schrankkorpus 14 befestigbar ist, wobei die erste Steuerachse 27 parallel beabstandet zu der ersten Stellachse 26 angeordnet ist, undb2) der um eine zweite Steuerachse 24 schwenkbar an dem Deckel 12 befestigbar ist, wobei die zweite Steuerachse 24 parallel beabstandet zu der zweiten Stellachse 23 angeordnet ist, sowiec) ein Stellschieber (Halteelement, Nocken 36, Nockenenden 43), c1) der linear verschiebbar geführt ist und in Anlage zur Stellkontur beaufschlagt ist (S. 10, Abs. 2) undd)teilw der den Stellarm (über den ganzen, und damit) zumindest über einen ersten Teil seines Schwenkweges zur Einnahme der Offenstellung mit einer Kraft beaufschlagt, e)teilw wobei die Kraft in jeder Stellung so bemessen ist, dass der Deckel (8, 108) in jeder beliebigen Stellung gehalten ist, Ein Viergelenk-Hebelgestänge ist zwar grundsätzlich ohne weiteres in der Lage, den Deckel parallel zu verstellen oder über den Schrankkorpus hinwegzuklappen. Die offenbarte Auslegung erlaubt aber nur ein Abklappen nach vorne/unten, so dass sich der Gegenstand des Anspruchs 1 schon dadurch vom Stand der Technik unterscheidet.

Im Unterschied zu Merkmal d) erzeugt der bekannte Stellschieber lediglich ein Reib- oder Rastmoment, das undefiniert je nach Bewegungsrichtung in oder gegen die Richtung zu der oberen Position gerichtet ist, und das auch im Unterschied zu Merkmal e) nicht austariert ist, sondern nur größer als das entsprechende Gewichtsmoment sein muss.

Im Unterschied zu Merkmal f) nimmt bei dem bekannten Deckelsteller der radiale Abstand der Stellkontur zur Offenstellung zu und nicht ab.

Die EP 1 148 200 A2 zeigt einen Deckelsteller mit einer kniehebelartigen Anordnung, wobei zwei der drei Gelenke mit Stellkonturen versehen sind. Von besonderem Interesse ist hier die Stellkontur 20 der Steuerscheibe 39, deren Radius im Bereich 46 bis zu einer Zwischenstellung 47 zunimmt ("entfernender Kurvenbereich") und dann in dem Bereich 48 konzentrisch verläuft (Abs. 0025). In letzterem Bereich wird dann die Steuerscheibe 38 wirksam (Abs. 0031). Damit lässt sich erreichen, dass die Klappe über einen großen Winkelbereich - also auch in dem Bereich 46 - stehen bleibt (Abs. 0008), und zwar offensichtlich nicht auf Grund der dort kleinen Rollenreibung, sondern durch Austarieren von Feder- und Gewichtskraft.

Daraus ist also in Übereinstimung mit dem Anspruch 1 bekannt ein:

Deckelsteller für einen Schrank (Abs. 0002) umfassenda) einen Stellarm 8, a1) der um eine erste Stellachse 14 zwischen einer Offenstellung und einer Schließstellung schwenkbar (mittelbar über Steuerarm 9) an einer Seitenwand 2 eines Schrankkorpus 1 befestigbar ist (Anspruch 1), a2) der um eine zweite Stellachse 10 schwenkbar an einem Deckel 6 befestigbar ist unda3) der eine Stellkontur in Form einer Kurve 20 um die erste Stellachse 14 aufweist, b) einen Steuerarm 9, b1) der um eine erste Steuerachse 12 zwischen einer Offenstellung und einer Schließstellung schwenkbar an der Seitenwand 2 des Schrankkorpus 1 befestigbar ist, wobei die erste Steuerachse 12 parallel beabstandet zu der ersten Stellachse 14 angeordnet ist, undb2teilw) der um die erste Stellachse 14 schwenkbar (mittelbar über Stellarm 8) an dem Deckel 6 befestigbar ist, wobei die erste Stellachse 14 parallel beabstandet zu der zweiten Stellachse 10 angeordnet ist, sowiec) ein Stellschieber 18, c1) der linear verschiebbar geführt ist und in Anlage zur Stellkontur 20 beaufschlagt ist (Abs. 0015 bis 0018) undd) der den Stellarm 8 zumindest über einen ersten Teil 46 seines Schwenkweges zur Einnahme der Offenstellung mit einer Kraft beaufschlagt, die ein Drehmoment in Richtung zu einer oberen Position, die der Offenstellung des Deckels entspricht, erzeugt, e) wobei die Kraft in jeder Stellung so austariert ist (Abs. 0033: Klappengewicht wird kompensiert), dass der Deckel in jeder beliebigen Stellung gehalten ist und nicht von selbst zur Offenstellung bewegt wird (Abs. 0008), f) indem der radiale Abstand der Stellkontur 20 zur ersten Stellachse 14 im Kontaktbereich zwischen dem Stellschieber und der Stellkontur zumindest über den ersten Teil 46 des Schwenkweges ausgehend von einer Zwischenstellung 47 des Stellarms, die zwischen der Offenstellung und der Schließstellung angeordnet ist, zur Offenstellung abnimmt (Abs. 0025)."

Im Unterschied zum Gegenstand des Anspruchs 1 ist der bekannte Steller mit drei Gelenken weder dazu vorgesehen, noch dazu in der Lage, den Deckel 6 parallel zu verstellen oder über den Schrankkorpus hinwegzuklappen, wie das für Viergelenk-Hebelgestänge typisch ist. Im weiteren Unterschied zum Gegenstand des Anspruchs 1 fehlt dort entweder die erste Stellachse nach Merkmal a1) oder die zweite Steuerachse nach Merkmal b2).

Die aus der DE 28 29 727 A1 beziehungsweise DE 94 00 568 U1 bekannten Deckelsteller weisen jeweils keinen an einer Stellkontur anliegenden Stellschieber auf.

Die weiteren noch im Verfahren befindlichen Druckschriften wurden in der mündlichen Verhandlung weder vom Senat noch von der Patentinhaberin aufgegriffen. Sie bringen auch keine neuen Gesichtspunkte, so dass auf sie nicht eingegangen werden muss.

4. Erfinderische Tätigkeit Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Ausgehend von der Anordnung nach der DE 27 57 230 A1 stellt sich die dem Streitpatent zugrundeliegenden Aufgabe in der Praxis von selbst, denn es ist eine gängige Anforderung an solche Steller, dass ein Deckel parallel verstellt oder über den Korpus eines Schranks hinweggeschwenkt werden kann und der Deckel in jeder beliebigen Stellung gehalten ist (siehe Abs. 0005). Diese ist aber schon mit dem Steller nach der DE 27 57 230 A1 ohne weiteres erfüllbar, denn der Fachmann kennt das dort verwendete Viergelenk-Hebelgestänge als typisch für solche Bewegungen, und das dort verwendete Reib- oder Rast-Halteelement ist auch dazu in der Lage, den Deckel in jeder beliebigen Stellung zu halten (S. 12, Abs. 3).

Es mag auch sein, dass dem Fachmann die hierfür notwendige Betätigungskraft zur Überwindung der Reibung zu groß wird, und er nach Wegen sucht, sie zu verkleinern (Patentschrift Abs. 0003). Lösungen dafür findet er beispielsweise in der DE 28 29 727 A1 oder der DE 94 00 568 U1, die ohne Stellkontur arbeiten.

Die EP 1 148 200 A2 zeigt zwar einen durch die Druckrollen relativ reibungsarm gehaltenen Steller, der eine bereichsweise geringe Betätigungskraft erwarten lässt und auch in Zwischenstellungen stehen bleiben kann. Die Zwischenstellungen sind allerdings nur beiläufig (Abs. 0008), die geringe Betätigungskraft überhaupt nicht erwähnt. Es geht dort vielmehr um die Aufteilung des - bei Kniehebelanordnungen deutlich von Viergelenkanordnungen abweichenden - Kraftverlaufs auf die zwei an den Enden des Arms 9 angebrachten Steuereinrichtungen, deren Druckfedern gemeinsam in dem Arm untergebracht sind (Abs. 0004, 0005). Die Übereinstimmungen des Kurvenbereichs 46 mit der beanspruchten Kontur erschließen sich erst in der Rückschau.

Der Fachmann hatte somit keinen Anlass, zur Verminderung der Betätigungskraft die EP 1 148 200 A2 heranzuziehen.

Der Steller nach der EP 1 148 200 A2 eignet sich auch nicht als Ausgangspunkt zur Entwicklung eines Deckelstellers, mit dem ein Deckel eines Schranks parallel verstellt werden kann oder über einen Schrankkorpus hinweggeklappt werden kann. Denn der Fachmann wird sich hierzu bei den dafür geeigneten Viergelenk-Stellern umsehen und einen solchen weiterentwickeln statt den Steller nach der EP 1 148 200 A2.

Um zu dem Steller nach Anspruch 1 zu kommen, bedurfte es somit erfinderischer Überlegungen.

5. Mit dem Anspruch 1 haben auch die Ansprüche 2 bis 10 Bestand.






BPatG:
Beschluss v. 26.03.2007
Az: 19 W (pat) 326/04


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