Finanzgericht Baden-Württemberg:
Beschluss vom 15. Dezember 2011
Aktenzeichen: 2 KO 2625/09

(FG Baden-Württemberg: Beschluss v. 15.12.2011, Az.: 2 KO 2625/09)

Tenor

Der Beschluss vom 30. August 2011 wird im Wege der Berichtigung bzw. Ergänzung aufgehoben und wie folgt neu gefasst.

1. Unter Änderung des Beschlusses der Urkundsbeamtin des Senats vom 22. Mai 2009 wird für das Verfahren 2 K 92/04 ein weiterer der Erinnerungsführerin vom Erinnerungsgegner zu erstattender Betrag in Höhe von 768,74 Euro festgesetzt.

Der Erstattungsbetrag ist vom 6. August 2008 an mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz im Sinne des § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu verzinsen.

2. Der Erinnerungsgegner trägt die Kosten des Erinnerungsverfahrens.

Tatbestand

I. Die Beteiligten streiten im Verfahren der Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss über das Entstehen einer Beweisgebühr.

Die Klägerin erhob am 23. Januar 2002, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, Klage.

Der Berichterstatter führte am 4. Dezember 2007 mit den Beteiligten einen Erörterungstermin durch. Hierbei brachten die Klägerin und ihr Prozessbevollmächtigter Herrn Steuerberater X mit, der während des Termins informatorisch zum Sachverhalt befragt wurde.

Mit Gerichtsbescheid vom 15. Mai 2008 gab der Berichterstatter der Klage statt. Hierbei würdigte er in den nicht tragenden Gründen des Urteils die Angaben des informatorisch befragten Steuerberaters.

Der Prozessbevollmächtigte machte eine Verhandlungsgebühr geltend.

Ausweislich eines Aktenvermerks vom 4. Dezember 2008 teilte der Berichterstatter der Kostenbeamtin mit, dass keine (förmliche) Beweisaufnahme durchgeführt worden sei. Der Steuerberater sei nicht zum Erörterungstermin als Zeuge geladen worden und sei lediglich informatorisch angehört worden.

Die Urkundsbeamtin lehnte die Festsetzung einer Beweisgebühr mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 15. Mai 2008 (gemeint 2009), dem Prozessbevollmächtigten zugestellt am 9. Juni 2009, ab. Zur Begründung führte sie aus, dass eine Beweisgebühr ohne Beweisaufnahme nur dann entstehen könne, wenn tatsächlich eine Beweisaufnahme stattgefunden habe. Hierzu reiche eine Maßnahme der Sachaufklärung nicht aus.

Hiergegen richtet sich die am 10. Juni 2009 erhobene Erinnerung.

Hierbei behauptete der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, der Berichterstatter habe sich gegenüber der Kostenbeamtin dahingehend geäußert, dass keine Beweisaufnahme im Rechtssinne vorgelegen habe. Aus Sicht der Klägerin könne sich hieraus eine Besorgnis der Befangenheit für das Erinnerungsverfahren ergeben, insbesondere vor dem Hintergrund der Unanfechtbarkeit der Entscheidung über die Erinnerung. In der Sache wiederholte und vertiefte er sein Vorbringen im Kostenfestsetzungsverfahren.

Der Erinnerungsgegner hat sich nicht zur Erinnerung geäußert.

Dem Gericht lagen die Akten des Klageverfahrens

Gründe

II. Die Erinnerung ist begründet.

Aus der Sicht eines objektiven und Verständigen Dritten liegen keine Anhaltspunkte vor, die eine Besorgnis der Befangenheit des Berichterstatters begründet könnten. Dieser hat auf Anfrage der Kostenbeamtin dargelegt, dass der Steuerberater lediglich informativ und nicht förmlich als Zeuge vernommen worden ist. Die Richtigkeit dieser Auskunft ergibt sich aus der Niederschrift über den Erörterungstermin vom 4. Dezember 2007. Dort wurde der Steuerberater weder als Zeuge bezeichnet, noch wurde er vor seiner Befragung belehrt. Im Übrigen trägt auch die Erinnerungsführerin selbst vor, dass der Steuerberater lediglich informatorisch befragt worden ist.

Eine rechtliche Würdigung, dass eine Beweisgebühr nicht angefallen sei, enthielt die Stellungnahme entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht. Hierzu hatte der Berichterstatter damals auch keine Veranlassung, da die Kostenbeamtin aufgrund eigener Zuständigkeit und nicht auf Weisung des Richters im Kostenfestsetzungsverfahren zu entscheiden hat.

Gemäß § 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO erhält der Prozessbevollmächtigte eine volle Gebühr für die Vertretung im Beweisaufnahmeverfahren oder bei der Anhörung oder Vernehmung einer Partei nach § 613 der Zivilprozessordnung (ZPO). Der Anwendung dieser Bestimmung steht nicht entgegen, dass am 01. Juli 2004 das Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz) - RVG - an die Stelle der BRAGO getreten ist. Denn nach § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG richtet sich die Vergütung des Prozessbevollmächtigten weiterhin nach der BRAGO, wenn er - wie hier im Klageverfahren 2 K 92/04 - vor dem 01. Juli 2004 mandatiert wurde. Diese sog. Beweisgebühr gilt die Vertretung im Beweisaufnahmeverfahren, d. h. den Mehraufwand des Prozessbevollmächtigten (Zeit, Verantwortung, Tätigkeit), der durch die Beweisaufnahme entsteht, ab.

Eine Beweisaufnahme hat den Sinn, eine bestehende Ungewissheit des Gerichts über den Wahrheitsgehalt des Parteivorbringens zu beseitigen oder sonstige ihm zweifelhaft erscheinende Umstände erweislich zu machen. Deshalb müssen, damit eine Beweisaufnahme erforderlich wird, entweder Parteibehauptungen streitig sein oder - bei dem Amtsermittlungsgrundsatz im finanzgerichtlichen Verfahren - unbestrittene Darlegungen nach der Auffassung des Gerichts einer Nachprüfung von Amts wegen bedürfen (BFH-Beschluss vom 17. August 1976 VII B 7/75, BStBl II 1976, 687). Eine Beweisaufnahme liegt dann vor, wenn das Gericht in der Absicht, entscheidungserhebliche und beweisbedürftige Tatsachen zu klären, die Beweismittel einsetzt, die in § 81 Abs. 1 FGO angegeben sind (Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 81 FGO Rz. 2). In diesem Fall kommt es nicht mehr darauf an, ob das Gericht einen förmlichen Beweisbeschluss erlassen hat, statt des Spruchkörpers der Vorsitzende oder der Berichterstatter tätig wurde, das Gericht sich der Beweisaufnahme gar nicht bewusst war oder der mit keiner Beweisaufnahme beauftragte Berichterstatter eigenmächtig gehandelt hat (z. B. Beschlüsse des Finanzgerichts - FG - Baden-Württemberg vom 17. März 1992 9 Ko 6/91, EFG 1992, 485, und des FG Bremen vom 13. Januar 2000 2 99 302 Ko 2, EFG 2000, 289; beide m.w.N.). Dabei muss allerdings der objektive Wille des Gerichts, Beweis erheben zu wollen, nach außen erkennbar werden (BFH- Beschluss vom 8. November 1972 VII B 41/71, BStBl II 1973, 229; Beschluss des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 10. Juni 2005 3 KO 24/05, EFG 2006, 928). Nicht ausreichend sind Anordnungen nach § 79 FGO i.V. mit § 273 ZPO, die eine weitere Sachaufklärung bezwecken oder eine Beweisaufnahme vorbereiten (Tipke/Kruse, a.a.O., § 139 FGO Rz. 92 m. w. N.; Eckert, StbGebV, 3. Aufl. 2001, § 31 BRAGO unter 4.7).

Im Streitfall hat danach trotz der nur informatorischen Befragung des Steuerberaters materiell eine Beweisaufnahme stattgefunden. Denn die Befragung diente der Aufklärung der streitigen Frage, aus welchem Grund die Klägerin die Zuwendungen erhalten hatte. Die Maßnahme diente damit entgegen der Auffassung der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle nicht lediglich der Sammlung zusätzlicher Erkenntnisse zur Erweiterung des Informationsstands für die Entscheidungsfindung (als Vorstufe einer möglichen Beweiserhebung), sondern vielmehr der Feststellung konkreter Tatsachen, die aus der Sicht des Berichterstatters der Aufklärung bedurften, weil sie für die zu treffende Entscheidung von Bedeutung waren. Zutreffend weist die Erinnerungsführerin darauf hin, dass die Angaben auf Seite 11 des Urteils auch gewürdigt und verwertet wurden.

Die hiernach anzusetzende Beweisgebühr beträgt ausgehend von dem von der Urkundsbeamtin ermittelten Streitwert unstreitig 768,74 Euro.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 66 Abs. 8 des Gerichtskostengesetzes, § 128 Abs. 5 BRAGO).

Die Entscheidung durch den Berichterstatter beruht auf § 79a Abs. 1 Nr. 5 FGO (vgl. Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 79 a FGO Rz. 10 f. m. w. N., auch zur Gegenansicht).

III.

Die Berichtigung des Beschlusses vom 30. August 2011 beruht auf §§ 107 Abs. 1, 109 Abs. 1 FGO, die für Beschlüsse sinngemäß anzuwenden sind.

Im Beschluss war der Antrag übersehen worden, dass die Erinnerungsführerin die Erstattung einer Beweisgebühr in Höhe von 646,00 Euro zuzüglich 122,74 Euro Mehrwertsteuer beantragt hatte. Deshalb war der Beschluss vom 30. August 2011 entsprechend zu ergänzen.

Außerdem wurden redaktionelle Fehler, die allesamt offenbare Unrichtigkeiten im Sinne von § 107 Abs. 1 FGO darstellen, berichtigt (vgl. Schreiben vom 14. September 2011).






FG Baden-Württemberg:
Beschluss v. 15.12.2011
Az: 2 KO 2625/09


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/ab6aef4d5fbf/FG-Baden-Wuerttemberg_Beschluss_vom_15-Dezember-2011_Az_2-KO-2625-09




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share