Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 25. Januar 2005
Aktenzeichen: X ZB 21/01

(BGH: Beschluss v. 25.01.2005, Az.: X ZB 21/01)

Tenor

1.

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß des 15. Senats (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentsgerichts vom 19. März 2001 wird auf Kosten der Rechtsbeschwerdeführerin zurückgewiesen.

2.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 25.000,--€ festgesetzt.

Gründe

I. Die Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin war Inhaberin des am 31. März 1981 angemeldeten und zwischenzeitlich durch Zeitablauf erloschenen deutschen Patents 31 12 861 (Grundpatent). Die Patentansprüche 1 und 2 des Grundpatents haben folgenden Wortlaut:

"1. Ergolinderivate der allgemeinen Formel R5 I

ÑNH ÑR6 HÑNH worin R 4 eine Kohlenwasserstoffgruppe mit 1 bis 4 C-Atomen ist; und R5 und R6 unabhängig voneinander jeweils Alkyl mit 1 bis 4 C-Atomen, Cyclohexyl oder (CH2)nN(CH3)2-Gruppe darstellen, wobei n 1, 2, 3 oder 4 bedeutet, mit der Maßgabe, daß R5 und R6 nicht gleichzeitig (CH2)nN(CH3)2-Gruppe bedeuten, und deren pharmazeutisch annehmbare Additionssalze mit organischen oder anorganischen Säuren.

2. Eine Verbindung nach Anspruch 1, nämlich 1,3-Diisopropyl-3-(6'-npropylergolin-8'ßcarbonyl)-harnstoff, 1-Ethyl-3-(3'-dimethylaminopropyl)-3-(6'-methylergolin-8'ßcarbonyl)-harnstoff, 1,3-Dicyclohexyl-3-(6'-allylergolin-8'ßcarbonyl)-harnstoff, 1-Ethyl-3-(3'-dimethylaminopropyl)-3-(6'-allylergolin-8'ßcarbonyl)harnstoff, 1-(3'-Dimethylaminopropyl)-3-ethyl-3-(6'-allylergolin-8'ßcarbonyl)harnstoff, 1-Ethyl-3-(3'-dimethylaminopropyl)-3-(6'-npropylergolin-8'ßcarbonyl)-harnstoff."

In Unteranspruch 2 des Grundpatents war eine unter dem internationalen Freinamen "Cabergolin" bekannte Verbindung beansprucht.

Mit Datum vom 15. Juni 1994 ist in der Bundesrepublik Deutschland das Arzneimittel "D. " zugelassen worden. Dabei handelt es sich um die erste Genehmigung des geschützten Erzeugnisses als Arzneimittel im Inland. In der Zulassung wird "Cabergolin" als wirksamer Bestandteil des Arzneimittels genannt; dieser Wirkstoff war innerhalb der Europäischen Gemeinschaften erstmals am 21. Oktober 1992 in den Niederlanden als Humanarzneimittel zugelassen worden. Bereits am 7. Januar 1987 war in Italien die Zulassung des Tierarzneimittels "G. " erfolgt, das ebenfalls den Wirkstoff "Cabergolin" enthält.

Am 13. Dezember 1994 hat die Rechtsvorgängerin der Anmelderin einen Antrag auf Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats gestellt, das in erster Linie für den Wirkstoff "Cabergolin" in Form der freien Base oder eines pharmazeutisch annehmbaren Säureadditionssalzes hiervon erteilt werden soll, hilfsweise für den Wirkstoff des Arzneimittels "D. " in allen dem Schutz des Grundpatents unterfallenden Formen.

Das Deutsche Patentund Markenamt hat die Anmeldung zurückgewiesen.

Im nachfolgenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundespatentgericht hat die Rechtsvorgängerin der Anmelderin in erster Linie die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats für das Erzeugnis "Cabergolin" in Form einer freien Base oder eines pharmazeutisch annehmbaren Säureadditionssalzes hiervon beantragt. Hilfsweise hat sie beantragt, ein Schutzzertifikat für den Wirkstoff des Arzneimittels "D. " in allen dem Schutz des Grundpatents unterfallenden Formen zu erteilen.

Die Beschwerde hat das Bundespatentgericht zurückgewiesen (BPatGE 44, 69). Begründet wurde die Zurückweisung mit Art. 19 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 des Rates vom 18. Juni 1992 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel (ABl L 182, S. 1, nachfolgend ArzneimittelschutzzertifikatsVO), wonach Schutzzertifikate nur für Arzneimittel erteilt werden können, deren erste Genehmigung für das Inverkehrbringen nach dem als Stichtag für die Bundesrepublik Deutschland genannten 1. Januar 1988 liegen. Nach Ansicht des Bundespatentgerichts ist diese Voraussetzung durch die Genehmigung des Tierarzneimittels "G. " in Italien zum 7. Januar 1987 nicht erfüllt. Gegen diese Entscheidung wurde die vom Bundespatentgericht zugelassene Rechtsbeschwerde eingelegt.

Die Rechtsbeschwerdeführerin ist der Ansicht, diese Stichtagsregelung greife hier nicht, weil Art. 2, 3 Buchst. b, 8 Abs. 1 Buchst. b und 14 Buchst. d der ArzneimittelschutzzertifikatsVO explizit zwischen Humanund Tierarzneimitteln unterschieden. Daraus folge, daß es für den Stichtag auf den Zeitpunkt der ersten Zulassung als Humanarzneimittel, eventuell in dem Staat, in dem die Erteilung des Zertifikats beantragt wird, ankomme. Darüber bestünden Bedenken hinsichtlich der Gültigkeit der ArzneimittelschutzzertifikatsVO, weil sie für verschiedene Mitgliedsstaaten unterschiedliche Stichtage vorsehe. Die Rechtsbeschwerdeführerin greift die Entscheidung des Bundespatentgerichts deshalb an.

Auf Vorlage des Senats (Beschl. v. 17.12.2002 -X ZB 21/01, GRUR 2003, 599 -Cabergolin) hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften durch Vorabentscheidung vom 19. Oktober 2004 (Rs. C-31/03, Mitt. 2004, 544) wie folgt entschieden:

"Der Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats in einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft auf der Grundlage eines in diesem Mitgliedstaat zugelassenen Humanarzneimittels steht es entgegen, daß vor dem nach Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 des Rates vom 18. Juni 1992 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel maßgeblichen Stichtag in einem anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft eine Genehmigung für das Inverkehrbringen desselben Erzeugnisses als Tierarzneimittel erteilt worden ist."

II. Die zugelassene Rechtsbeschwerde ist statthaft und zulässig.

III. In der Sache bleibt der Rechtsbeschwerde der Erfolg versagt.

1.

Das Bundespatentgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß der europäische Gesetzgeber zwar zwischen der Zulassung von Humanund Tierarzneimitteln unterscheidet, dies im Rahmen von Art. 19 Abs. 1 ArzneimittelschutzzertifikatsVO aber unerheblich ist.

2.

Grundlage für die Beurteilung eines Erteilungsverlangens sind hier Art. 3 und Art. 19 ArzneimittelschutzzertifikatsVO. Danach ist ein Zertifikat zu erteilen, wenn in dem Mitgliedsstaat, in dem die Anmeldung eingereicht wird, das betreffende Erzeugnis durch ein Grundpatent geschützt ist, für das Erzeugnis als Arzneimittel eine gültige Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt wurde, nicht bereits ein Zertifikat erteilt wurde und die gültige Genehmigung die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses Erzeugnisses als Arzneimittel darstellt. Darüber hinaus bestimmt Art. 19 Abs. 1 ArzneimittelschutzzertifikatsVO bezüglich der u.a. in Deutschland zu erteilenden Zertifikate, daß diese erste Genehmigung für das Inverkehrbringen -abweichend von der allgemeinen Regelung -nach dem 1. Januar 1988 erteilt worden sein muß.

a) Beantragt wurde die Zulassung in erster Linie für den Wirkstoff "Cabergolin" in Form der freien Base oder eines pharmazeutisch annehmbaren Säureadditionssalzes hiervon, hilfsweise für den Wirkstoff des Arzneimittels "D. " in allen, dem Grundpatent unterfallenden Formen.

b) Die erste Zulassung des zu schützenden Erzeugnisses als Arzneimittel im Inland ist in Form des Humanarzneimittels "D. " unter Nennung des wirksamen Bestandteils "Cabergolin" am 15. Juni 1994, die erste Zulassung dieses Wirkstoffs für ein Humanarzneimittel am 21. Oktober 1992 in den Niederlanden, also nach dem in Art. 19 Abs. 1 ArzneimittelschutzzertifikatsVO genannten Stichtag, erfolgt.

c) Dennoch bleibt dem Antrag der Erfolg versagt, weil das in Italien am 7. Januar 1987 zugelassene Tierarzneimittel "G. " auf dem Wirkstoff "Cabergolin", beruht und damit diese italienische Zulassung die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen des Erzeugnisses des Grundpatents gemäß Art. 19 Abs. 1 ArzneimittelschutzzertifikatsVO darstellt.

Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu der Vorlagefrage des Senats in diesem Verfahren ist das entscheidende Kriterium für die Erteilung eines Zertifikates nicht in der Zweckbestimmung eines Arzneimittels zu sehen und das Ziel des gewährten Schutzes liegt in jeder Verwendung des Erzeugnisses als Arzneimittel, gleichgültig, ob es um die Behandlung menschlicher oder tierischer Krankheiten geht (EuGH, Rs. C-31/03, Tz. 20). Denn auch wenn in Art. 2, 3 Buchst. b, 8 Abs. 1 Buchst. b und Art. 14 Buchst. d der ArzneimittelschutzzertifikatsVO auf die, die unterschiedlichen Zulassungsverfahren von Humanbeziehungsweise Tierarzneimitteln regelnden Richtlinien 65/65/EWG (ABl Nr. 22 vom 9. Dezember 1965, S. 369/65) und 81/851/EWG (ABl L 317 vom 6. November 1981, S. 1) Bezug genommen wird, folgt daraus nicht, daß die ArzneimittelschutzzertifikatsVO hinsichtlich der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen zwischen Humanund Tierarzneimitteln differenzierte (EuGH aaO, Tz. 18). Vielmehr wird in Art. 1 Buchst. b der ArzneimittelschutzzertifikatsVO der Begriff des Erzeugnisses im Sinne der Verordnung als Wirkstoff oder Wirkstoffzusammensetzung eines Arzneimittels definiert; nach Art. 3 der ArzneimittelschutzzertifikatsVO hängt die Erteilung des Zertifikats neben anderem davon ab, daß für das Arzneimittel eine Genehmigung entweder nach der Richtlinie 65/65/EWG oder der Richtlinie 81/851/EWG erteilt wurde. Schließlich erstreckt sich nach Art. 4 der ArzneimittelschutzzertifikatsVO der durch das Zertifikat vermittelte Schutz allein auf das Erzeugnis und dessen vor Ablauf des Zertifikats genehmigte Verwendungen.

3. Die Versagung eines ergänzenden Schutzzertifikates steht auch sonst in Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht. Bereits im Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 11. Dezember 2003 (GRUR 2004, 225, 229) wurde unter der Tz. 73 entschieden, daß die in Art. 19 Abs. 1 ArzneimittelschutzzertifikatsVO genannte erste Genehmigung für das Inverkehrbringen nicht mit der Genehmigung im Sinne des Art. 3 Buchst. b der ArzneimittelschutzzertifikatsVO identisch sein muß, sondern vielmehr eine zusätzliche Voraussetzung für den Fall darstellt, daß die nach Art. 3 Buchst. b erforderliche Genehmigung nicht zugleich die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Europäischen Gemeinschaft bildet. Auch wurde dort ausgesprochen, daß der Begriff "erste Genehmigung für das Inverkehrbringen" nicht nach dem Kontext mit der jeweiligen Vorschrift der ArzneimittelschutzzertifikatsVO, sondern innerhalb dieser einheitlich auszulegen ist (EuGH, aaO, Tz. 72). Demzufolge muß die erste Genehmigung im Sinne von Art. 19 Abs. 1 ArzneimittelschutzzertifikatsVO nicht aus dem Mitgliedsstaat herrühren, in dem das ergänzende Schutzzertifikat beantragt wird.

Auch aus der Festlegung unterschiedlicher Stichtage für unterschiedliche Mitgliedsstaaten in Art. 19 Abs. 1 ArzneimittelschutzzertifikatsVO ergibt sich nichts anderes, denn nach der zuletzt genannten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (Rs. C-127/00, GRUR 2004, 225, 227 f., Tz. 31-47), sind in dieser Differenzierung keine Gesichtspunkte erkennbar, die einen Verstoß der unterschiedlichen Stichtagsregelungen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz ergeben. Vielmehr ist diese Abweichung durch unterschiedliche Ausgangssituationen in den Mitgliedsstaaten sowie unterschiedliche Interessen im Rahmen der Sozialpolitik bedingt und daher gerechtfertigt (EuGH, aaO, Tz. 37-40).

IV. Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht als erforderlich erachtet.

Melullis Keukenschrijver Mühlens Asendorf Kirchhoff






BGH:
Beschluss v. 25.01.2005
Az: X ZB 21/01


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