Bundesgerichtshof:
Urteil vom 11. April 2002
Aktenzeichen: I ZR 225/99

(BGH: Urteil v. 11.04.2002, Az.: I ZR 225/99)

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenatsdes Kammergerichts vom 6. Juli 1999 aufgehoben. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der Kammer für Handelssachen 102 des Landgerichts Berlin vom 6. Januar 1998 abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin. Von Rechts wegen

Tatbestand

Die Beklagte betreibt in B. den privaten Radiosender 9..

Ende Januar/Anfang Februar 1997 warb die Beklagte durch eine Postkartenaktion und durch eine Werbeanzeige für ein Gewinnspiel, das sie in ihrem Rundfunkprogramm veranstaltete. Sie versprach demjenigen Zuhörer ihrer Radiosendung einen Gewinn von 1.000 DM, der sich als zehnter Anrufer bei ihr meldete, nachdem ein zuvor bekanntgegebenes Musikstück im Rundfunkprogramm gesendet worden war. Wurden zwei vorher bestimmte Musikstücke gespielt, lobte die Beklagte an den zehnten Anrufer einen Gewinn von 100.000 DM aus. Dieser Betrag erhöhte sich auf 200.000 DM, wenn der Anrufer Mitglied im "9.-Gewinnclub" der Beklagten war. Um diese Mitgliedschaft zu erwerben, mußten die Zuhörer ihre Adresse der Beklagten bekanntgeben.

Die Klägerin, die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, hat geltend gemacht, die Hörer würden von der Beklagten in übertriebener Weise angelockt. Sie verspreche als spektakulär empfundene Gewinne und verbinde dies mit dem Zwang, ihre Rundfunksendungen über längere Zeit zu empfangen.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwekken des Wettbewerbs die Teilnahme an einem Gewinnspiel davon abhängig zu machen, daß das Publikum nach dem Erklingen von ein und/oder zwei Musikstücken, die in zeitlich für das Publikum nicht vorauszusehenden Abständen gespielt werden, bei der Beklagten anrufen muß, um einen ausgelobten Gewinn in Höhe von bis zu 200.000 DM zu erlangen.

Außerdem hat die Klägerin die Kosten eines Abmahn- und eines Abschlußschreibens verlangt.

Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Sie hat ausgeführt, die Verbindung des Gewinnspiels mit der Notwendigkeit, ihr Radioprogramm zu hören, sei üblich und wettbewerbsrechtlich zulässig.

Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben (KG ZUM-RD 2000, 23 = AfP 2000, 281).

Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Gründe

I. Das Berufungsgericht hat die Zulässigkeit der Klage bejaht und das Gewinnspiel der Beklagten als wettbewerbswidrig i.S. des § 1 UWG angesehen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Der Unterlassungsantrag sei bestimmt i.S. des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Gegenstand des Unterlassungsbegehrens der Klägerin sei die konkrete Verletzungsform verbunden mit einer gewissen Verallgemeinerung.

Der Unterlassungsanspruch ergebe sich aus § 1 UWG. Gewinnspiele seien auch im Fall einer Gratisverlosung grundsätzlich zulässig. Erst das Hinzutreten besonderer Umstände begründe die Unlauterkeit der Veranstaltung. Die Unlauterkeit folge bei dem Gewinnspiel der Beklagten aus einem übertriebenen Anlocken der Rundfunkhörer durch die Verbindung der als spektakulär empfundenen Gewinne bis zu 200.000 DM mit der Notwendigkeit, eine bestimmte Musiksendung der Beklagten über längere Zeit zu verfolgen, um an dem Gewinnspiel teilzunehmen. Dadurch veranlasse die Beklagte die Hörer, über längere Zeit ihr Produkt, die Radiosendung, zu beziehen, ohne daß sie die Hörer durch ein den Merkmalen des Leistungswettbewerbs entsprechendes Programm überzeugt haben müsse. Ohne Bedeutung sei, daß den Hörern keine wirtschaftliche Entschließung abverlangt werde. Aus der Sicht der Wettbewerber handele es sich bei dem Empfang der Radiosendung der Beklagten um ein dem Kauf einer Ware vergleichbares Verhalten, das zu einer Steigerung der Hörerquote und damit zu höheren Werbeeinnahmen zugunsten eines Konkurrenten und zu Lasten der anderen führe.

Der Zahlungsanspruch folge aus §§ 683, 677, 670, 284, 288 BGB.

II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg. Sie führen zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Abweisung der Klage.

1. Das Berufungsgericht hat allerdings mit Recht angenommen, daß der Unterlassungsantrag hinreichend bestimmt ist. Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO darf ein Unterlassungsantrag -und nach § 313 Abs. 1 Nr. 4 ZPO eine darauf beruhende Verurteilung -nicht derart undeutlich gefaßt sein, daß der Streitg egenstand und der Umfang der Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis des Gerichts nicht mehr klar umrissen sind, sich der Beklagte deshalb nicht erschöpfend verteidigen kann und im Ergebnis dem Vollstreckungsgericht die Entscheidung darüber überlassen bleibt, was dem Beklagten verboten ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 9.11.2000 -I ZR 167/98, GRUR 2001, 529, 531 = WRP 2001, 531 -Herz-Kreislauf-Studie; Urt. v. 12.7.2001 -I ZR 40/99, GRUR 2002, 86, 88 = WRP 2001, 1294 -Laubhefter; Urt. v. 12.7.2001 -I ZR 261/98, GRUR 2002, 77, 78 = WRP 2002, 85 -Rechenzentrum).

Durchgreifende Bedenken gegen die Bestimmtheit des Klageantrags bestehen danach nicht. Die charakteristischen Merkmale des Gewinnspiels, gegen das sich die Klägerin wendet, sind in dem Unterlassungsantrag konkret beschrieben. Dies gilt auch für die Höhe der von dem Antrag erfaßten Gewinne, die mit "bis zu 200.000,--DM" eindeutig bestimmt sind. Dagegen stellt sich im Rahmen der Beurteilung der Bestimmtheit des Klageantrags nicht die von der Revision aufgeworfene Frage nach der Konkretisierung der Gewinnhöhe, die bei dem von der Beklagten ausgestrahlten Gewinnspiel wettbewerbsrechtlich unbedenklich ist. Denn es ist keine Frage der Bestimmtheit des Klageantrags und damit der Zulässigkeit der Klage, sondern ihrer Begründetheit, wenn der Klageantrag durch eine zu weitgehende Verallgemeinerung wettbewerbsrechtlich unbedenkliche Verhaltensweisen einbezieht (vgl. BGH, Urt. v. 15.9.1999 -I ZR 131/97, GRUR 2000, 436, 437 = WRP 2000, 383 -Ehemalige Herstellerpreisempfehlung; Urt. v. 16.11.2000 -I ZR 186/98, GRUR 2001, 446, 447 = WRP 2001, 392 -1-Pfennig-Farbbild, jeweils m.w.N.; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 8. Aufl., § 51 Rdn. 13; Pastor/ Ahrens/Jestaedt, Der Wettbewerbsprozeß, 4. Aufl., Kap. 27 Rdn. 19).

2. Die Beklagte verstößt entgegen der Beurteilung des Berufungsgerichts mit dem angegriffenen Gewinnspiel jedoch nicht gegen § 1 UWG.

Allerdings kommt, anders als die Revision meint, in dem Unterlassungsantrag das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck. Dieses liegt bei dem von der Beklagten betriebenen Gewinnspiel in der angeführten Gewinnsumme mit einem Höchstgewinn von 200.000,--DM verbunden mit der Notwendigkeit für den Hörer, dem Radioprogramm für einen nicht vorauszusehenden Zeitraum folgen zu müssen, um an dem Gewinnspiel teilzunehmen, was nach Ansicht der Klägerin wegen der damit verbundenen Anlockwirkung die wettbewerbsrechtliche Unlauterkeit begründen soll. Dagegen brauchte die Klägerin keine Grenze der Gewinnhöhe anzugeben, bis zu der die Durchführung eines entsprechenden Gewinnspiels als wettbewerbsrechtlich unbedenklich anzusehen wäre.

Der Klägerin steht der Unterlassungsanspruch nach § 1 UWG jedoch nicht zu. In der Senatsrechtsprechung ist anerkannt, daß zu Zwecken des Wettbewerbs veranstaltete Gewinnverlosungen grundsätzlich nicht gegen § 1 UWG verstoßen und im allgemeinen zulässig sind (BGH, Urt. v. 5.2.1998 -I ZR 151/95, GRUR 1998, 735, 736 = WRP 1998, 724 -Rubbelaktion; Urt. v. 17.2.2000 -I ZR 239/97, GRUR 2000, 820, 821 = WRP 2000, 724 -Space Fidelity Peep-Show; vgl. hierzu auch: Großkomm.UWG/Schünemann, § 1 Rdn. C 154; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., § 1 Rdn. 167; Köhler/ Piper, UWG, 2. Aufl., § 1 Rdn. 232). Nur wenn besondere Umstände vorliegen, die den Vorwurf der Sittenwidrigkeit begründen, können sie als wettbewerbswidrig gemäß § 1 UWG untersagt werden. Besondere Umstände, die die Annahme der Sittenwidrigkeit rechtfertigen, können in der Kopplung des Warenabsatzes mit der Teilnahme an dem Gewinnspiel, in einem psychischen Kaufzwang, in einer Irreführung des Publikums über die Gewinnchancen oder in einem übertriebenen Anlocken bestehen (vgl. BGH, Urt. v. 29.6.1989 -I ZR 180/87, GRUR 1989, 757 = WRP 1989, 799 -McBacon; Urt. v. 9.11.1995 -I ZR 212/93, GRUR 1996, 290, 291 = WRP 1996, 199 -Wegfall der Wiederholungsgefahr; BGH GRUR 2000, 820, 821 -Space Fidelity Peep-Show).

Das Berufungsgericht hat die den Vorwurf der Unlauterkeit begründenden Umstände in einem übertriebenen Anlocken der Rundfunkhörer gesehen. Diese Anlockwirkung hat es aus der Verbindung der als spektakulär empfundenen Gewinne mit der Notwendigkeit abgeleitet, die Rundfunksendung der Beklagten über längere Zeit zu verfolgen, um an dem Gewinnspiel teilzunehmen. Hierdurch wird nach Auffassung des Berufungsgerichts die Wahl des Radiosenders durch die Hörer spürbar beeinflußt, was aus Sicht der Wettbewerber ein mit dem Kauf einer Ware vergleichbares Verhalten sei. Dem kann nicht zugestimmt werden.

Wegen der grundsätzlichen wettbewerbsrechtlichen Zulässigkeit der Werbung mit einem Gewinnspiel reicht die hiermit einhergehende Anlockwirkung regelmäßig nicht aus, um die Voraussetzungen des § 1 UWG zu begründen. Erst wenn der Anlockeffekt so stark ist, daß das Publikum von einer sachgerechten Prüfung des Waren- oder Dienstleistungsangebots abgelenkt und seine Entschließung nicht mehr von sachlichen Überlegungen, sondern maßgeblich von der Erwägung bestimmt wird, den in Aussicht gestellten Gewinn zu erlangen, kann die Werbung mit einem Gewinnspiel unter dem Gesichtspunkt des übertriebenen Anlockens sittenwidrig sein (BGH GRUR 1998, 735, 736 -Rubbelaktion; GRUR 2000, 820, 821 -Space Fidelity Peep-Show).

Das angegriffene Gewinnspiel ist Teil des Unterhaltungsprogramms der Beklagten. In die Beurteilung, ob das Wettbewerbsverhalten der Beklagten sittenwidrig ist, ist daher auch einzubeziehen, daß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG die Rundfunkfreiheit gewährleistet, die der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung dient. Die sich aus allgemeinen Gesetzen ergebenden Grenzen des Grundrechts der Freiheit der Berichterstattung durch Presse und Rundfunk müssen im Licht dieses Grundrechts gesehen werden. Die allgemeinen Gesetze sind daher aus der Erkenntnis der Bedeutung dieses Grundrechts auszulegen und so in ihrer dieses Grundrecht beschränkenden Wirkung selbst wieder einzuschränken (vgl. BVerfGE 71, 206, 214).

Zu Recht macht die Revision geltend, das Berufungsgericht habe bei seiner Beurteilung nicht hinreichend beachtet, daß das Gewinnspiel der Beklagten nicht von der abzusetzenden Ware oder Dienstleistung verschieden, sondern Bestandteil des Unterhaltungsprogramms der Beklagten ist. Gehört das Gewinnspiel aber zum Inhalt des Hörfunkprogramms und ist es als Programmbestandteil Teil der Leistung der Beklagten, so geht es nicht um die Ablenkung vom Leistungsangebot der Beklagten durch ein daneben veranstaltetes Gewinnspiel. Das Gewinnspiel bestimmt die Attraktivität des Programms der Beklagten mit und ist daher Bestandteil des Leistungswettbewerbs selbst. Zwar können auch in einem solchen Fall Umstände vorliegen, die die Unlauterkeit begründen, wie sie etwa bei einer Irreführung über die Gewinnchancen, in einer verschleierten Kopplung mit dem Warenabsatz oder in der Behinderung kleinerer Mitbewerber liegen (vgl. BGH GRUR 2000, 820, 821 -Space Fidelity Peep-Show). Derartige Umstände hat das Berufungsgericht jedoch nicht festgestellt, und sie sind von den Parteien auch nicht geltend gemacht worden.

Ein Verstoß gegen die guten Sitten im Wettbewerb kann entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht damit begründet werden, daß die Hörer unter Umständen die Musiksendung der Beklagten über längere Zeit verfolgen müssen, um an dem Gewinnspiel teilzunehmen. Wirtschaftliche Belange der Hörer werden dadurch nicht berührt. Die allgemeine Entschließungsfreiheit der Zuhörer, sich für die Sendung der Beklagten oder Programme eines anderen Senders zu entscheiden, fällt nicht in den Schutzbereich des § 1 UWG, sondern nur die unlautere Beeinträchtigung der Willensentscheidung. Auf eine mit einer (auch längeren) Inanspruchnahme des Leistungsangebots der Beklagten möglicherweise einhergehende Verringerung der Hörerzahl bei anderen Sendern kommt es dagegen unter dem Gesichtspunkt des übertriebenen Anlockens nicht entscheidend an. Eine mit dem Gewinnspiel der Beklagten einhergehende Verringerung der Zuhörerschaft anderer Rundfunksender kann allein eine wettbewerbsrechtliche Unlauterkeit nicht begründen.

Verstößt mithin das Verhalten der Beklagten nicht gegen § 1 UWG, kann die Klägerin auch die Kosten der Abmahnung und des Abschlußschreibens nicht ersetzt verlangen.

III. Danach war das angefochtene Urteil aufzuheben, auf die Berufung der Beklagten das landgerichtliche Urteil abzuändern und die Klage mit der Kostenfolge des § 91 Abs. 1 ZPO abzuweisen.






BGH:
Urteil v. 11.04.2002
Az: I ZR 225/99


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