Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 29. Juli 2009
Aktenzeichen: I-8 U 7/09

(OLG Hamm: Urteil v. 29.07.2009, Az.: I-8 U 7/09)

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 21. November 2008 verkündete Urteil des Landgerichts Hagen wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

A.

Die Klägerin ficht die Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 20. Dezember 2006 zu Top 1 an, mit der die Feststellung des Jahresabschlusses 2005 sowie die vorgeschlagene Gewinnverwendung abgelehnt wurde. Darüber hinaus strebt sie die Feststellung an, die Beschlüsse seien mit dem näher genannten Inhalt gefasst worden.

Die Klägerin ist zu 49 % an der Beklagten beteiligt, Mehrheitsgesellschafter ist der N. Gesellschaftszweck der Beklagten ist die Müllentsorgung im Gebiet des Märkischen Kreises, wozu sie von der F mbH beauftragt worden ist, die ihrerseits die entsprechenden Aufgaben des Kreises wahrnimmt. Ursprünglich war der N Alleingesellschafter der Beklagten. Im Rahmen einer Teilprivatisierung im Jahre 2002 übernahm die zu diesem Zweck von zwei privaten Abfallentsorgungsunternehmen gegründete Klägerin einen Anteil an der Beklagten. Sie verpflichtete sich mit einem Konsortialvertrag vom 04. Februar 2002 u. a., dafür Sorge zu tragen, dass die Beklagte ungeachtet des operativen Ergebnisses jährlich einen Gewinn von 255.645,94 € ausweist. Weiterer Bestandteil der Teilprivatisierung war, dass die Beklagte die mobilen Anlagen des ihr gehörenden Müllheizkraftwerks (MHKW) mit Vertrag vom 23. Juli 2003 an eine P mbH & Co.KG (künftig: P KG) veräußerte und mit Mietvertrag vom selben Tag zurückmietete. Der Vertrag ist erstmals im Jahre 2021 kündbar. Gesellschafter der P KG sind u. a. die Gesellschafter der Klägerin (M GmbH & Co. KG, E GmbH), die sich einerseits zur Übernahme der Instandsetzungs- und Reparaturaufwendungen verpflichteten und denen andererseits der Gewinn der P KG zufließen soll.

Zwischen der Klägerin bzw. ihren Gesellschaftern einerseits und dem N andererseits ist ein Streit entstanden, der dazu geführt hat, dass der N als Mehrheitsgesellschafter der Beklagten die Feststellung des Jahresabschlusses 2005 verweigerte. Dies geschieht vor folgendem Hintergrund:

Ursprünglich war von den Gesellschaftern der Klägerin zu Beginn ihres Engagements konzipiert gewesen, das MHKW in der P KG über einen Zeitraum von 20 Jahren abzuschreiben. Als Bedenken aufkamen, ob dies aufgrund des Leasingerlasses des Bundesfinanzministeriums von der Finanzverwaltung akzeptiert würde oder ob in dem Fall das MHKW wirtschaftlich dem Vermögen der Beklagten zugerechnet würde, was vermieden werden sollte, kamen der N, die Klägerin und deren Gesellschafter im September 2003 in einer sog. Zusatzvereinbarung Nr. 4 überein, den Abschreibungszeitraum für das MHKW auf 25 Jahre festzulegen. Gleichzeitig regelten die Beteiligten in Ziffer 2) dieser Zusatzvereinbarung, dass für Großreparaturen jährlich eine zweckgebundene Rückstellung von 1,25 Millionen Euro vorzunehmen sei. Der N wollte mit dieser Regelung erreichen, dass mit der Änderung der Abschreibungsdauer keine zusätzlichen Gewinne entstehen, die allein den privaten Gesellschaftern zugeflossen wären. In der Folgezeit traten Zweifel auf, ob diese Regelung handels- und steuerrechtlich zulässig und geeignet ist, den verfolgten Zweck zu erfüllen. Die Vertragsparteien verhandelten über modifizierte Regelungen, ohne sich zu einigen.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Mehrheitsgesellschafter sei aufgrund der gesellschafterlichen Treuepflicht verpflichtet gewesen, den geprüften Jahresabschluss für das Jahr 2005 festzustellen. Dieser sei rechtmäßig aufgestellt und enthalte keine Unrichtigkeiten. Der ablehnende Beschluss verstoße deshalb gegen das Gesetz und sei auf die Anfechtungsklage hin für nichtig zu erklären. Die Beschlussfassung sei festzustellen. Soweit die Beklagte bzw. der N als Mehrheitsgesellschafter die Zustimmung von einer Einigung über die Konsequenzen der Abschreibungsdauer abhängig mache, sei dies kein tragfähiger Grund.

Die Beklagte hat gemeint, nicht ihre Mehrheitsgesellschafterin, sondern die Klägerin verhalte sich treuwidrig. Aus dem Gesamtzusammenhang der Verträge folge ein Anspruch auf eine Gestaltung, die verhindere, dass die Vorteile aus der Verlängerung der Abschreibungsdauer allein den privaten Gesellschaftern zugute kämen. Denkbar sei die rückwirkende Senkung des Mietzinses. Unabhängig davon sei die gesamte Zusatzvereinbarung Nr. 4 nichtig mit der Folge, dass das MHKW zum wirtschaftlichen Vermögen der Beklagten gehöre und deshalb in den Bilanzen aktiviert werden müsse.

Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben, indem es die Beschlussfassung über die Ablehnung der Feststellung des Jahresabschlusses einschließlich der Überschussverwendung für nichtig erklärt und darüber hinaus festgestellt hat, dass der Jahresabschluss festgestellt worden sei und der ausgewiesene Jahresüberschuss mit dem Verlustvortrag verrechnet und der verbleibende Verlust auf neue Rechnung vorgetragen werde. Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, der Mehrheitsgesellschafter der Beklagten sei aufgrund seiner Treuepflicht verpflichtet, den Jahresabschluss festzustellen und die Gewinnverwendung zu beschließen. Streitigkeiten über Gestaltungen in dritten Gesellschaften rechtfertigten kein Zurückbehaltungsrecht. Durchgreifende Einwendungen gegen die Richtigkeit des Jahresabschlusses habe die Beklagte nicht vorgebracht. Wegen der Einzelheiten der Begründung des landgerichtlichen Urteils einschließlich der Darstellung des erstinstanzlichen Vorbringens sowie der Anträge der Parteien wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des genannten Urteils Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie stützt sich nunmehr in erster Linie auf einen Mangel des Jahresabschlusses, der ihrer Auffassung nach darin liegt, dass das MHKW nicht als Vermögensgegenstand der Beklagten aktiviert worden sei. Aufgrund der einschlägigen steuer- und handelsrechtlichen Regelungen müsse das Kraftwerk wirtschaftlich als Vermögen der Beklagten betrachtet werden, da die Restnutzungsdauer nur 20 Jahre betrage und mit der Mindestdauer des Mietvertrages korrespondiere. Die Vereinbarung einer längeren Abschreibungsdauer, die eine andere bilanzielle Handhabung gerechtfertigt hätte, sei nichtig, denn die damit zusammenhängende Regelung über die Kompensation in Ziffer 2) der Zusatzvereinbarung Nr. 4 sei bilanzrechtswidrig und damit nichtig, was zur Gesamtnichtigkeit der Vereinbarung führe.

Die Beklagte beantragt,

abändernd die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie verteidigt das Urteil mit näheren Ausführungen. Insbesondere stellt sie die Rechtswidrigkeit der vereinbarten Bilanzierungsmaßnahme in Abrede und bestreitet auch, dass die für die Abschreibung maßgebliche Nutzungsdauer des MHKW nur 20 Jahre betrage.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze Bezug genommen.

B.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat den Klageanträgen zu Recht stattgegeben.

I. Klageantrag zu 1.1

Die auf Anfechtung der Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 20. Dezember 2006 zu TOP 1 betreffend die unterbliebene Feststellung des Jahresabschlusses 2005 gerichtete Klage ist zulässig und in der Sache auch begründet.

1.

Die Anfechtungsklage ist statthaft. Voraussetzung dafür ist, dass entweder ein Beschluss der Gesellschafterversammlung vom Versammlungsleiter festgestellt wurde oder zumindest Einigkeit zwischen den Gesellschaftern darüber besteht, dass ein Beschluss, welchen Inhalts auch immer, gefasst wurde (Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbH-Gesetz, 18. Aufl., Anh. § 47 Rdnr. 118). Anfechtbar ist danach auch die Feststellung, dass der zur Abstimmung gestellte Beschlussantrag nicht angenommen wurde, weil auch die formal einwandfrei zustande gekommene Ablehnung eines Beschlussantrags mit Mehrheit oder infolge Stimmengleichheit ein Beschluss ist, der aus sachlichen Gründen nichtig oder anfechtbar sein kann (BGH, Urteil vom 26.10.1983, II ZR 87/83, BGHZ 88, 320, Juris-Rdn. 24). Der fristgebundenen Erhebung der Anfechtungsklage bedarf es jedoch dann nicht, wenn das Ergebnis einer Beschlussfassung nicht festgestellt worden ist und unterschiedliche Ansichten über den wahren Beschlussinhalt bestehen, da in diesem Fall unklar wäre, wogegen sich die Anfechtung zu richten hätte (BGH, Urteil vom 13.11.1995, II ZR 288/94, NJW 1996, 259 Juris-Rdn. 10).

Im Streitfall lässt sich zwar der vorgelegten Mitschrift der ersten Sitzung der Gesellschafterversammlung der Beklagten im Geschäftsjahr 2006 (Anlage K 4) nicht mit Sicherheit entnehmen, ob der Versammlungsleiter das den Antrag ablehnende Beschlussergebnis zum Tagesordnungspunkt 1 förmlich festgestellt hat. Im Verhandlungstermin vor dem Senat haben jedoch die Vertreter beider Parteien zum Ausdruck gebracht, sie gingen von einer förmlichen Feststellung durch den Versammlungsleiter aus oder hätten ein solchen Geschehen in Erinnerung. Dies rechtfertigt die Annahme, dass die an der Gesellschafterversammlung Beteiligten die Erklärungen des Versammlungsleiters nicht als ledigliche Wiedergabe des Abstimmungsergebnisses verstanden haben, sondern darüber hinaus als Feststellung der Konsequenzen dieses Abstimmungsergebnisses. Damit liegt eine Beschlussfeststellung vor mit der Folge, dass dieser Beschluss in zulässiger Weise mit der Anfechtungsklage angegriffen werden kann.

Die Anfechtungsfrist von einem Monat entsprechend dem Leitbild des § 246 Abs. 1 AktG ist mit der am Montag, dem 22. Januar 2007, bei dem Landgericht Hagen eingegangenen und "demnächst" am 15. Februar 2007 zugestellten Klage gewahrt.

2.

Der vom Versammlungsleiter festgestellte Beschluss, wonach die Feststellung des Jahresabschlusses 2005 abgelehnt wurde, ist vom Landgericht zutreffend für nichtig erklärt worden, da dieser Beschluss entsprechend § 243 Abs. 1 Aktiengesetz an­fechtbar ist. Die von dem Mehrheitsgesellschafter, dem N, abgegebenen Stimmen hätten bei der Feststellung des Beschlussergebnisses nicht mitgezählt werden dürfen, da das Stimmverhalten des Mehrheitsgesellschafters treuwidrig war, so dass mit den Ja-Stimmen der Klägerin der Beschlussantrag die erforderliche Mehrheit erreicht hat.

a)

In Rechtsprechung und Literatur ist zwar umstritten, ob ein Gesellschafter aufgrund seiner Treuepflicht verpflichtet sein kann, einem Beschlussgegenstand zuzustimmen, also etwa für die Feststellung eines Jahresabschlusses zu votieren (vgl. Baumbach/Hueck/Zöllner, § 46 Rdnr. 13; Baumbach/Hueck/Schulze-Osterloh, § 42 a Rdnr. 21). Der Senat kann offen lassen, ob die gesellschafterliche Treuepflicht eines Gesellschafters u. U. nur eine einzige Möglichkeit der Stimmabgabe gebietet. Es bedarf deshalb auch keiner Entscheidung darüber, ob der Mehrheitsgesellschafter der Beklagten, der N, in der Gesellschafterversammlung vom 20. Dezember 2006 verpflichtet war, der Feststellung des Jahresabschlusses 2005 positiv zuzustimmen. Der Treuepflicht widerspricht es indes, einen formell und inhaltlich nicht zu beanstandenden Jahresabschluss, der nach dem Gesetz, den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung und den Regeln des Gesellschaftsvertrages aufgestellt worden ist, grundlos abzulehnen. Ein solches treuwidriges Stimmverhalten führt dazu, die entsprechenden Stimmen bei der Beschlussfassung nicht mitzuzählen, was letztlich im Wege der Anfechtungsklage zur Überprüfung gestellt werden kann.

b)

Der Jahresabschluss der Beklagten für das Jahr 2005 ist ordnungsgemäß nach den Regeln des Bilanzrechts und den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung aufgestellt worden; die Einwendungen der Beklagten erweisen sich als unberechtigt.

aa)

Der Jahresabschluss ist geprüft und von den Wirtschaftsprüfern testiert worden. Ob auch der Aufsichtsrat entsprechend § 10 Abs. 6 der Satzung der Beklagten den Jahresabschluss geprüft und darüber der Gesellschafterversammlung berichtet hat, ist dem Parteivorbringen zwar nicht zu entnehmen. Da ein eventuell verfahrensfehlerhaftes Verhalten des Aufsichtsrats allenfalls auf Rüge zur Anfechtung berechtigen würde, eine solche Rüge jedoch nicht vorliegt, ist der Gesichtspunkt auch bei der hier vorzunehmenden Würdigung unerheblich.

bb)

Die Beklagte bzw. ihr Mehrheitsgesellschafter hat das ablehnende Stimmverhalten ursprünglich damit begründet, dass die Klägerin ihrerseits sich insoweit treuwidrig verhalte, als sie nicht einer neuen Vereinbarung zur Zusatzvereinbarung Nr. 4 im Rahmen der P KG zustimme. Ob dieser Vorwurf zutrifft, ist hier jedoch nicht zu entscheiden. Der Senat teilt insoweit die Auffassung des Landgerichts, dass selbst - unterstellt - treuwidriges Verhalten eines Mitgesellschafters in anderen Fragen und zudem in einer anderen Gesellschaft keinen Grund darstellt, die Feststellung eines an sich nicht zu beanstandenden Jahresabschlusses zu verweigern. Die Aufstellung und Feststellung des Jahresabschlusses innerhalb bestimmter Fristen ist eine auch im allgemeinen Interesse liegende Pflicht der Gesellschaft und kann nicht wegen anderweitiger Streitigkeiten der Gesellschafter auf anderem Gebiet und in anderen Gesellschaften hinausgeschoben oder verweigert werden.

cc)

Zu Unrecht wendet die Beklagte auch ein, der Jahresabschluss sei deshalb unzutreffend und zu Recht nicht festgestellt worden, weil die Bilanz 2005 nicht einen An­spruch der Beklagten gegen die P KG auf Erstattung der Beträge enthalte, um die sich bei dieser die Höhe der Abschreibung für die erworbenen Aggregate des MHKW durch die Verlängerung des Abschreibungszeitraums verringert habe. Voraussetzung für die von der Beklagten vermisste Aktivierung ist ein bereits derzeit bestehender Anspruch auf Zahlung in bestimmter Höhe. Davon kann aber selbst unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beklagten keine Rede sein. Selbst wenn die P KG oder deren Kommanditisten evtl. Vorteile, die sie durch eine Verlängerung der Abschreibungsdauer von 20 auf 25 Jahre erlangen sollten, nicht oder nicht vollständig allein behalten durften, folgt daraus noch kein Zahlungsanspruch der Beklagten. Allenfalls kann die Beklagte oder der N die Mitwirkung an entsprechenden Vereinbarungen und Gestaltungen begehren, deren Inhalt allerdings nicht zwingend zu einem Zahlungsanspruch der Beklagten führen muss. So hatte die Beklagte selbst im Vorfeld noch die Auffassung vertreten, es kämen diverse Regelungsmöglichkeiten in Betracht, etwa eine Reduzierung der Miete oder die Verringerung des an die P KG zu zahlenden Entgelts. Unter diesen Umständen sind weder heute noch erst recht rückwirkend für das Jahr 2005 Ansprüche der Beklagten begründet, die in die Bilanz hätten eingestellt werden müssen.

dd)

Der Jahresabschluss der Beklagten ist auch nicht deshalb unrichtig, weil die Beklagte, wie sie meint, wirtschaftliche Eigentümerin der gemieteten Anlage sei und deshalb den Vermögenswert zu aktivieren habe. Zwar bestimmt sich die Vermögenszugehörigkeit im Bilanzrecht nicht allein nach dem Sachenrecht, sondern nach der wirtschaftlichen Inhaberschaft (Baumbach/Hopt/Merkt, HGB, 33. Aufl. § 246 Rdn. 11). Zuzurechnen ist der Vermögensgegenstand demjenigen, der die tatsächliche Herrschaft über ihn so ausübt, dass er den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung wirtschaftlich ausschließt (Baumbach/Hopt/Merkt, a.a.O.). Im Fall von Leasingverträgen wird überwiegend angenommen, dass der Leasingnehmer wirtschaftlicher Inhaber u.a. dann ist, wenn er die Leasingsache über die nahezu ganze betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer nutzen kann (Baumbach/ Hopt/Merkt, a.a.O. Rdn. 20). Diese Auffassung folgt dem sog. Leasingerlass des Bundesfinanzministeriums, wonach eine Zurechnung beim Leasingnehmer anzunehmen ist, wenn die Grundmietzeit bis zum Ablauf von mehr als 90 % der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer reicht, die sich nach dem in den amtlichen AfA-Tabellen angegebenen Zeitraum richtet (BMF, BStBL. 1971 I, 264, 265). Diese Anlehnung an die in den AfA-Tabellen zum Ausdruck gebrachte betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer wird für die handelsrechtliche Bilanzierungspraxis jedoch nicht einhellig gebilligt. Zum Teil wird die insoweit strengere Auffassung vertreten, eine Aktivierung des geleasten Gegenstands beim Leasingnehmer komme nur dann in Betracht, wenn nach dem Ablauf der Grundmietzeit dieser Gegenstand praktisch wertlos und ihm nur noch ein Schrottwert beizumessen ist (Baumbach/Hueck/Schulze-Osterloh, § 42 Rdn. 95 m.w.N.).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze und der Besonderheiten der hier zu würdigenden Umstände hält der Senat eine Aktivierung der mobilen Aggregate des MHKW als Vermögensgegenstand der Beklagten nicht für angezeigt. Die Bilanz, in der eine solche Aktivierung nicht vorgenommen worden ist, weist deshalb keinen Mangel auf.

Ausgangspunkt ist für den Senat die Feststellung, dass die Anlagegegenstände in die Jahresabschlüsse für die Jahre 2003 und 2004 der Beklagten ebenfalls nicht aufgenommen worden sind. Nach dem in § 252 Abs. 1 Nr. 6 HGB zum Ausdruck gebrachten Grundsatz der materiellen Bilanzkontinuität wäre von dieser Handhabung nur dann abzuweichen, wenn die unterlassene Bilanzierung fehlerhaft war. Soweit der Beklagten in dieser Frage Ermessensspielräume zustanden, konnte sie diese in der geschehenen Weise ausnutzen.

Der Senat geht nicht davon aus, dass die bereits in den einvernehmlich festgestellten Jahresabschlüssen für die Jahre 2003 und 2004 vorgenommene Bilanzierung hinsichtlich der mobilen Anlagen des MHKW fehlerhaft war. Dies beruht auf folgenden Überlegungen:

Die in dem zitierten Leasingerlass des Bundesfinanzministeriums enthaltene Regelung wird den Besonderheiten der hier in Rede stehenden Anlage nicht gerecht, so dass eine Aktivierungspflicht bei der Beklagten nicht schon dann zwingend vorzunehmen ist, wenn die Grundmietzeit von 19 Jahren mehr als 90 % der Abschreibungsdauer umfasst, wie sie sich aus den amtlichen Tabellen ergibt. Vorliegend geht es nämlich nicht um eine Anlage, die in einem einmal gegebenen Zustand über Jahre hinweg genutzt wird und dabei kontinuierlich an Wert verliert. Vielmehr handelt es sich um eine Reihe unterschiedlicher Anlageelemente, die einer unterschiedlichen Belastung unterliegen und deshalb auch eine unterschiedliche Nutzungsdauer haben. Im Verhandlungstermin vor dem Senat ist zudem deutlich geworden, dass die wesentlichen Bauteile des MHKW seit der Inbetriebnahme zum Teil mehrfach ausgewechselt und grundlegend erneuert worden sind. Einer pauschalierten und verallgemeinernden Betrachtung, wie sie etwa dem Leasingerlass aus nachvollziehbaren Motiven zugrunde liegt, ist die hier zu beurteilende Anlage deshalb nicht zugänglich.

Für den Senat stellt sich deshalb die Frage, ob die Anlage nach Beendigung der Grundmietzeit im Jahre 2021 weitgehend wertlos sein wird; die Frage einer zulässigen Abschreibung bis dahin spielt hierbei nur eine untergeordnete Rolle. Der Senat sieht sich auf der Grundlage des unstreitigen Parteivorbringens auch ohne Inan­spruchnahme sachverständiger Hilfe in der Lage, die aufgeworfene Frage dahin zu beantworten, dass nicht von einer weitgehenden Wertlosigkeit der Anlage zum Zeitpunkt des Ablaufs der Grundmietdauer auszugehen sein wird. Der Senat kann hierbei dahingestellt lassen, ob grundsätzlich Anlagen der in Rede stehenden Art eine übliche Nutzungsdauer von 20, 25 oder mehr Jahren haben. Die Besonderheit der hier zu beurteilenden Fallgestaltung liegt darin, dass die P KG in § 5 des Mietvertrages vom 23. Juli 2003 eine sehr umfassende Instandhaltungspflicht übernommen hat, die im Innenverhältnis von ihren Kommanditisten, den Gesellschaftern der Klägerin, wahrgenommen wird. Zu dieser Instandhaltungsverpflichtung zählt u.a. auch der periodische Austausch von Teilen und Aggregaten sowie Ein- und Umbauten oder die Installation von Zusatzaggregaten, soweit dies vom Hersteller empfohlen wird. Durch diese laufenden Instandsetzungs- und Austauschmaßnahmen erhöht sich die Nutzungsdauer der gesamten Anlage erheblich, wie auch die X AG in ihrer Stellungnahme vom 4. September 2008, die die Klägerin vorgelegt hat, auf Seite 4 zum Ausdruck gebracht hat. Da die Anlage bis zum letzten Tag der Grundmietdauer in vollem Umfang den Anforderungen des vertragsgemäßen Betriebes genügen muss, also den dann geltenden technischen und gesetzlichen Standards entsprechen muss, kann ausgeschlossen werden, dass dieselbe Anlage kurze Zeit später gänzlich wertlos sein wird.

Dass die von der Beklagten behauptete Nutzungsdauer von 20 Jahren auch nach ihrer eigenen Argumentation nicht zwingend angenommen werden kann, folgt bereits daraus, dass die Anlage zu Beginn des Mietverhältnisses im Jahre 2003 hinsichtlich der maßgeblichen Aggregate nicht neuwertig war, sondern diese schon mehrere Jahre alt waren. Dies hat der Geschäftsführer der Beklagten im Senatstermin unbe­stritten dargelegt. Wäre eine nur 20-jährige Nutzungsdauer zugrunde zu legen, könnte die Beklagte selbst nicht einen Zeitraum von noch 20 Jahren, beginnend im Jahre 2003, ihren Überlegungen zugrunde legen. Auch dies zeigt, dass die Frage, ob die Anlagegegenstände bei der Beklagten zu aktivieren sind, nicht anhand von pauschalierten Abschreibungszeiträumen beantwortet werden kann.

Dieser Gedanke findet sich auch in der gutachtlichen Stellungnahme der S AG vom 30. Juli 2002 (Bl. 211 ff GA), wo unter Randnummer 32 ein Anhaltewert von 20 % für Vermögensgegenstände berücksichtigt wird, die das Ende der geschätzten Nutzungsdauer nahezu erreicht oder gar überschritten haben.

Nach alledem erweisen sich die Einwendungen der Beklagten gegen die Richtigkeit des Jahresabschlusses 2005 als unberechtigt, so dass das ablehnende Stimmverhalten des Mehrheitsgesellschafters einen Verstoß gegen die ihm obliegende Treuepflicht darstellte. Mit den dann nur noch zu berücksichtigenden Stimmen der Klägerin ist es tatsächlich zur Feststellung des Jahresabschlusses gekommen, so dass der vom Versammlungsleiter festgestellte ablehnende Beschluss für nichtig zu erklären war.

II. Klageantrag zu 1.2

Auch die Beschlussfassung, mit der die Festlegung der Verwendung des Jahresüberschusses des Jahres 2005 abgelehnt worden ist, ist auf die Anfechtung der Klägerin zu Recht für nichtig erklärt worden.

1.

Auch wenn der Beschlussgegenstand mit dem oben zu Ziffer I. erörterten einheitlich in der Gesellschafterversammlung vom 20. Dezember 2006 abgehandelt wurde, enthält er doch einen abtrennbaren Inhalt, so dass er gesondert zu würdigen ist.

2.

Auch dieser Beschluss ist anfechtbar, weil der Mehrheitsgesellschafter durch die Ablehnung der beantragten Beschlussfassung über die vorgeschlagene Gewinnverwendung (Verrechnung mit Verlustvortrag, Vortrag des verbleibenden Bilanzverlusts auf neue Rechnung) gegen seine Treuepflicht verstoßen hat.

Zwar entscheidet grundsätzlich die Gesellschafterversammlung nach § 14 des Gesellschaftsvertrages über die Ergebnisverwendung nach freiem Ermessen. Dieses Ermessen kann allerdings reduziert sein, wenn etwa die Ausschüttung von Gewinnen dem Interesse der Gesellschaft widerspricht. Die Klägerin hat dies behauptet und dargelegt, dass angesichts der erheblichen Verlustvorträge von fast 2,5 Mio. Euro für eine andere Beschlussfassung hinsichtlich des Jahresüberschusses kein Raum gewesen sei. Dem tritt die Beklagte inhaltlich nicht entgegen. Eine gesonderte Begründung für ihr Abstimmungsverhalten betreffend die Gewinnverwendung gibt sie - abgesehen von den zuvor erörterten Angriffen gegen den Jahresabschluss insgesamt - nicht. Da der Jahresabschluss aber, wie aufgezeigt, nicht zu beanstanden ist, unter diesen Umständen Gründe für eine anderweitige Ergebnisverwendung nicht vorliegen und von der Beklagten auch nach Erörterung im Senatstermin nicht geltend gemacht werden, erweist sich die gleichwohl vorgenommene Ablehnung des vorgeschlagenen Beschlusses als treuwidrig. Auch insoweit waren die von dem Mehrheitsgesellschafter abgegebenen Stimmen nicht geeignet, die positive Beschlussfassung zu verhindern.

III. Klageantrag zu 2.

Das Landgericht hat auch die von der Klägerin angestrebte Feststellung, dass der Jahresabschluss der Beklagten festgestellt und der Jahresüberschuss mit dem Verlustvortrag verrechnet wird, zu Recht vorgenommen.

1.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann in dem Fall, dass in der Gesellschafterversammlung ein Antrag abgelehnt wird, weil ein Mitgesellschafter rechtsmissbräuchlich dagegen stimmt, die gegen den ablehnenden Beschluss erhobene Anfechtungsklage mit der Klage auf Feststellung verbunden werden, der Antrag sei angenommen worden (BGH Urteil vom 26.10.1983, II ZR 87/83). Allein die kassatorische Wirkung der Anfechtungsklage dient den Interessen der Klägerin an der Klärung der tatsächlichen Rechtslage nicht in ausreichendem Maße, da die positive Feststellung des Jahresabschlusses sowie die Regelung der Gewinnverwendung nicht mit Rechtskraft festgestellt worden wäre. Der Bundesgerichtshof hat in der genannten Entscheidung die Zulässigkeit einer positiven Beschlussfeststellungsklage auch unter dem Aspekt erörtert, dass dem betroffenen Gesellschafter Gelegenheit gegeben werden müsse, Einwendungen gegen die Beurteilung seiner Stimmen als unwirksam erheben zu können (BGH, a.a.O. Juris-Rdn. 31). Diese unter den Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs fallenden Bedenken waren in jenem Fall nicht durchschlagend, weil der betroffene Gesellschafter als Nebenintervenient dem Rechtsstreit beigetreten war.

Im Streitfall steht der Zulässigkeit des Feststellungsantrags nicht entgegen, dass der N als Mitgesellschafter nicht dem Rechtsstreit etwa auf Seiten der Beklagten beigetreten ist. Seine Rechte sind in hinreichender Weise dadurch gewahrt, dass er über den anhängigen Rechtsstreit informiert war, was das Landgericht festgestellt hat, und deshalb in der Lage war, seine Interessen in ausreichender Weise wahrzunehmen. Da er offensichtlich seine Sicht der Dinge im Rahmen der Prozessführung der Beklagten in den vorliegenden Rechtsstreit hat einführen können, bedurfte es einer förmlichen Nebenintervention offensichtlich nicht. Jedenfalls kann die Zulässigkeit der Rechtsverfolgung durch den Kläger nicht davon abhängen, auf welche Weise der Mitgesellschafter die ihm zu Gebote stehenden Rechte wahrnimmt.

2.

Die auf Feststellung gerichteten Klageanträge sind auch in der Sache begründet. Da die Stimmabgabe des N als Mehrheitsgesellschafter, wie zu Ziffer I. und II. ausgeführt, der Treuepflicht widersprach, waren die Stimmen nichtig und nicht mitzuzählen mit der Folge, dass der Beschluss entsprechend dem Vorschlag mit den Stimmen der Klägerin gefasst worden ist. Dies ist vom Landgericht zutreffend festgestellt worden. Zur inhaltlichen Begründung des Verstoßes gegen die Treuepflicht wird auf die vorstehenden Ausführungen zu Ziffern I. und II. Bezug genommen.

IV.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 11 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorlagen. Der Senat hat einen Einzelfall zu würdigen gehabt, was auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geschehen ist.






OLG Hamm:
Urteil v. 29.07.2009
Az: I-8 U 7/09


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