Oberlandesgericht München:
Beschluss vom 10. April 2013
Aktenzeichen: 7 AktG 1/13
(OLG München: Beschluss v. 10.04.2013, Az.: 7 AktG 1/13)
1. Für die Feststellung des sogenannten "Bagatellquorums" im Freigabeverfahren ist es erforderlich, dass der Aktionär die Aktien im erforderlichen Umfang zum Zeitpunkt der Bekanntmachung der Einladung zur Hauptversammlung tatsächlich hält; § 67 Abs.2 AktG ist hier nicht anwendbar. Bei Namensaktien kommt es daher nicht auf den Eintragungszeitpunkt im Aktienregister an.2. Der Antrag im Freigabeverfahren ist zulässig, wenn spätestens im Zeitpunkt der Entscheidung durch den Senat die streitgegenständliche Anfechtungs-und Nichtigkeitsklage beim Landgericht rechtshängig geworden ist.
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass die Erhebung der beim Landgericht München I unter dem Aktenzeichen 5 HK O 4357/13 rechtshängigen Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage der Antragsgegner gegen die Wirksamkeit des Beschlusses der ordentlichen Hauptversammlung der Antragstellerin vom 23. Januar 2013 über die Zustimmung zum Abspaltungs-und Übernahmevertrag zwischen der S. Aktiengesellschaft und der O. L. AG, München, vom 28. November 2012 der Handelsregistereintragung der auf dem vorstehenden Abspaltungs- und Übernahmevertrag beruhenden Abspaltung nicht entgegenstehen.
2. Die Antragsgegner haben die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der Nebenintervenientin zu tragen.
Gründe
I.
Die Antragstellerin, eine börsennotierte Aktiengesellschaft, begehrt im Freigabeverfahren nach §§ 125 Satz 1, 16 Abs. 3 Satz 3 UmwG das alsbaldige Wirksamwerden des Abspaltungs- und Übernahmevertrags vom 28.11.2012 durch seine Eintragung in das Handelsregister.
Grundlage der Abspaltung ist der zwischen der Antragstellerin und der O. L. AG vom 28. 11. 2012 geschlossene notariell beurkundete "Abspaltungs- und Übernahmevertrag", in dem sich die Antragstellerin zur Übertragung sämtlicher Geschäftsanteile an der O. Beteiligungen GmbH auf die O. L. AG als Gesamtheit gemäß § 123 Abs. 2 Nr. 1 UmwG verpflichtet hat. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage 3 Bezug genommen.
Die Bekanntmachung der Tagesordnung der anberaumten Hauptversammlung vom 23.01.2013 erfolgte am 07.12.2012 im Bundesanzeiger. Zwischen den Parteien ist streitig, ob zu diesem Zeitpunkt die Antragsgegnerin zu 1) 356 Aktien in Besitz hielt, da nach dem Vortrag der Antragstellerin hinsichtlich 350 von insgesamt 356 Aktien die Eintragung ins Aktienregister erst am 08.12.2012 erfolgt sein soll. Die Antragsgegner zu 3) bis 8) halten fünf Aktien, die Antragsgegnerin zu 2) 32 Aktien und der Antragsgegner zu 8) 25 Aktien (vgl. Anlage AG 8/3 zum Schriftsatz des Antragsgegnervertreters zu 8) vom 28.03.2013 = Anlage zu Bl. 97/103 d.A.).
In der ordentlichen Hauptversammlung vom 23.01.2013 wurde unter TOP 8 mit 98,21 % Ja-Stimmen beschlossen wie folgt:
"Dem Abspaltungs- und Übernahmevertrag zwischen der S. Aktiengesellschaft und der O. L. AG, München, vom 28.11.2012 wird zugestimmt."
Auf die Niederschrift über die ordentliche Hauptversammlung vom 23.01.2013 (Anlage 6) wird Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 25.02.2013, bei Gericht eingegangen am selben Tag, erhoben die Antragsgegner zu 1) bis 8) gegen den streitgegenständlichen Beschluss zu TOP 8 Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage beim Landgericht München I.
Das Verfahren wird beim Landgericht München I unter dem Az.: 5 HKO 4357/13 geführt.
Mit dem Freigabeantrag begehrt die Antragstellerin das alsbaldige Wirksamwerden des Abspaltungs- und Übernahmevertrags vom 28. 11. 2012 durch Eintragung in das Handelsregister.
Sie ist der Auffassung, dem Freigabeantrag sei stattzugeben, weil die Antragsgegner das im Freigabeverfahren erforderliche Quorum, wonach seit der Bekanntmachung der Einberufung zur Hauptversammlung ein anteiliger Betrag von mindestens 1.000,-- Euro zu halten ist (§§ 125, 16 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 UmwG) nicht erfüllen. Die Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage vor dem Landgericht sei auch offensichtlich unbegründet, da Teilnahmerechte der Antragsgegner nicht verletzt worden seien. Zudem bestehe ein vorrangiges Vollzugsinteresse der Antragstellerin nach § 16 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 UmwG.
Die Antragstellerin beantragt daher,
gemäß §§ 125 Satz 1, 16 Abs. 3 Satz 1 UmwG festzustellen, dass die Erhebung der beim Landgericht München I unter dem Aktenzeichen 5 HKO 4357/13 rechtshängigen Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage der Antragsgegner gegen die Wirksamkeit des Beschlusses der ordentlichen Hauptversammlung der Antragstellerin vom 23. Januar 2013 über die Zustimmung zum Abspaltungs- und Übernahmevertrag zwischen der S. Aktiengesellschaft und der O. L. AG, München, vom 28. November 2012 der Handelsregistereintragung der auf dem vorstehenden Abspaltungs- und Übernahmevertrag beruhenden Abspaltung nicht entgegenstehen.
Die Antragsgegner beantragen,
den Freigabeantrag der Antragstellerin zurückzuweisen.
Der Freigabeantrag sei bereits unzulässig, weil er hier noch vor Zustellung der beim Landgericht München I anhängigen Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage gerichtlich geltend gemacht worden sei.
Er sei auch unstatthaft, da der Abspaltungs- und Übernahmevertrag zahlreiche Bestimmungen enthalte, von denen die Abspaltung der Beteiligung an der O. Beteiligungen GmbH eine von zahlreichen Bestimmungen sei. Der Hauptversammlungsbeschluss beziehe sich nicht isoliert auf einen Abspaltungsbericht, sondern auf zusammengezogene Beschlussfassungen, was generell nicht freigabefähig sei.
Hinsichtlich des erforderlichen Quorums im Freigabeverfahren bestreitet die Antragsgegnerin zu 1) die Eintragung ins Aktienregister erst am 08.12.2012. Sie gibt an, im Übrigen sei nicht eine offensichtlich unrichtige Eintragung im Aktienregister maßgeblich, sondern der tatsächliche Depotbestand.
Die Antragsgegner halten ihre Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage vor dem Landgericht auch aus den in ihrer Klage vor dem Landgericht aufgeführten Gründen für offensichtlich begründet, da Teilnahme- und Informationsrechte verletzt worden seien. Ein vorrangiges Vollzugsinteresse der Antragstellerin werde ebenfalls bestritten.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien, die Klageschrift in der beigezogenen Akte des Landgerichts München I 5 HKO 4357/13) und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 10. 04. 2013 Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Erlass eines Beschlusses nach §§ 125, 16 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 und Nr. 2 UmwG zur Freigabe der Eintragung des in der Hauptversammlung vom 23. 01.2013 gefassten Beschlusses zu TOP 8 ist zulässig und begründet.
1. Der Antrag ist zulässig, §§ 125, 16 Abs. 3 UmwG. Das Oberlandesgericht ist gemäß § 16 Abs. 3 Satz 7 UmwG zur Entscheidung über den Antrag auf Freigabe zuständig.
Die für das Freigabeverfahren erforderliche Erhebung der Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage der Antragsgegner vor dem Landgericht München I liegt vor. Die Klage im Verfahren 5 HKO 4357/13 wurde ausweislich der beigezogenen Akte am 08. 04. 2013 der Antragstellerin (dort Beklagte) zugestellt. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats war somit die Klage der Antragsgegner rechtshängig.
Soweit die Antragsgegnerin zu 1) einwendet, der Freigabeantrag sei nicht statthaft, weil sich der zur Freigabe anstehende Hauptversammlungsbeschluss nicht isoliert auf die Abspaltung beziehe und zusammengezogene Beschlussfassungen generell nicht freigabefähig seien, greift dies hier nicht.
Im Hinblick auf die Komplexität des streitgegenständlichen Abspaltungs- und Übernahmevertrags liegt es schon aufgrund beurkundungsrechtlicher Vorgaben auf der Hand, dass in unmittelbarem Zusammenhang hiermit stehende Regularien getroffen werden. Soweit daher sachbezogene, nicht wesensfremde Regulierungen enthalten sind, ist dies nicht zu beanstanden.
Soweit die Antragsgegnerin zu 1) in der mündlichen Verhandlung ergänzend vortrug, es hätte ein isolierter Beschluss über die Maßnahme der Abspaltung und ein weiterer Beschluss über die sonstigen Regularien hierzu ergehen müssen, ist dies fernliegend und nicht praktikabel. Ein derart isolierter Beschluss wäre ein lediglich formaler, inhaltsloser Beschluss, d.h. ohne nähere inhaltliche Erläuterungen, zu welchen Bedingungen abgespalten wird. Ein Abspaltungs- und Übernahmebeschluss bedarf aber grundsätzlich näherer inhaltlicher Ausgestaltung. Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn im Zusammenhang mit der Abspaltung nicht wesensfremde Sachverhalte geregelt werden. Es wäre anders zu beurteilen, wenn sich Anhaltspunkte dafür fänden, im Zusammenhang mit dem Abspaltungs- und Übernahmevertrag sollen weitere, nicht spaltungsbezogene Gegenstände mit Hilfe des Freigabeverfahrens zur Wirksamkeit vor Rechtskraft des Klageverfahrens gebracht werden. Dies wäre dann unter dem Gesichtspunkt des § 242 BGB zu beanstanden und unstatthaft.
2. Der Freigabeantrag ist auch begründet.
a) Der Freigabeantrag hat bezüglich der Antragsgegner zu 2) bis 8) bereits deshalb Erfolg, weil die Antragsgegner nicht binnen einer Woche nach Zustellung des Antrags urkundlich nachgewiesen haben, dass sie bei Bekanntmachung der Einberufung der Hauptversammlung jeweils Aktien im anteiligen Betrag von mindestens 1.000,-- EUR hielten.
Die Darlegungs- und Beweislast hierfür trifft die Aktionäre. Diesen Nachweis haben sie nicht erbracht. Es steht nach dem unbestrittenen Vortrag der Antragstellerin fest, dass für eine Beteiligung am Grundkapital in Höhe von 1.000,-- EUR bei der Antragstellerin, auf deren Stückaktien ein anteiliger Betrag am Grundkapital von 3,-- EUR entfällt, ein Aktienbesitz von 334 Aktien erforderlich ist. Die Antragsgegner zu 3) bis 7) sind aber lediglich mit jeweils 5 Aktien an der Antragstellerin beteiligt, der Antragsgegner zu 2) lediglich mit 32 Aktien und der Antragsgegner zu 8) lediglich mit 25 Aktien. Damit erfüllen die Antragsgegner zu 2) bis 8) nicht das erforderliche Quorum.
Nur die Antragsgegnerin zu 1) hat diesen urkundlichen Nachweis fristgerecht erbracht (vgl. Anlage zum Schriftsatz vom 27.03.2013 = Anlage zu Bl. 95 d. A.). Danach hat sie bereits vor dem 07.12.2012 über 350 Aktien gehalten und hält sie bis zum heutigen Tage ununterbrochen im Depot. Es kann letztlich dahingestellt bleiben, ob hinsichtlich von 350 Aktien die Eintragung in das Aktienregister erst am 08.12.2012 erfolgt ist. Die Antragsgegnerin zu 1) hat jedenfalls urkundlich nachgewiesen, bereits vor dem 07.12.2012 die Aktien im erforderlichen Umfang gehalten zu haben.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin, wonach die Vorschrift des § 67 Abs. 2 AktG anwendbar sei, d.h. im Verhältnis zur Gesellschaft nur als Aktionär gelte, wer als solcher im Aktienregister eingetragen ist, ist dies jedenfalls im Freigabeverfahren für die Feststellung des sogenannten Bagatellquorums nicht anwendbar. Gegen die Anwendung von § 67 Abs. 2 AktG spricht bereits der Wortlaut von § 16 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 UmwG. Danach ist Voraussetzung, dass der Kläger einen anteiligen Betrag von mindestens 1.000,-- EUR "hält", d.h. es ist das tatsächliche Innehalten der Aktien zu einem bestimmten Stichtag erforderlich. Auch nach Sinn und Zweck der Vorschrift ergibt sich nichts andres. Die Vorschrift soll gerade verhindern, dass im Nachgang zur Einladung zur Hauptversammlung Aktien gekauft werden, um sich hierdurch die Klagebefugnis für die angestrebte Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage nach § 246 AktG zu beschaffen. Die zeitlich nachfolgende Eintragung in das Aktienregister ist daher jedenfalls für das Freigabeverfahren als bloße Verwaltungsmaßnahme anzusehen und ohne weitere Bedeutung.
b) Die Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage der Antragsgegnerin zu 1) erweist sich in der Sache als offensichtlich unbegründet, § 16 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 UmwG.
Die Frage, wann von einer offensichtlichen Unbegründetheit ausgegangen wird, wird nicht einheitlich beantwortet. Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, hat auch im Freigabeverfahren eine vollständige rechtliche Würdigung zu erfolgen. Nur wenn das Gericht bei umfassender rechtlicher Prüfung des gesamten Sachverhalts und der glaubhaft gemachten Tatsachen eine andere Beurteilung für nicht oder kaum vertretbar hält, ist von einer offensichtlichen Unbegründetheit auszugehen. Die Offensichtlichkeit bezieht sich folglich nicht auf den Prüfungsaufwand, sondern auf sein Ergebnis.
Unter Zugrundelegung dieses Prüfungsmaßstabs erweist sich die von der Antragsgegnerin zu 1) erhobene Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage als zulässig, jedoch nicht begründet. Die von ihr vorgebrachten Mängel greifen nicht durch und sind nicht geeignet, der Klage zum Erfolg zu verhelfen.
Im Einzelnen ist zu den erhobenen Anfechtungsgründen Folgendes auszuführen:
aa) Ein Verstoß gegen das Teilnahme- und Informationsrecht der Antragsgegnerin zu 1) als Aktionärin nach § 131 AktG mit der Folge, dass der streitgegenständliche Hauptversammlungsbeschluss nach § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar ist, liegt nicht vor.
(1) Die Antragsgegnerin zu 1) trägt in ihrer Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage vor, der Finanzvorstand der Antragstellerin sei bei seinen Erläuterungen zu Tagesordnungspunkt 8 im Versammlungssaal nicht zu verstehen gewesen, er habe ganze (Halb-)Sätze verschluckt und sei immer wieder von Lachanfällen geschüttelt worden. Zudem sei die Aussteuerung der Tontechnik mangelhaft gewesen. Auch auf den Toiletten sei wegen der dröhnenden Heißluft-Händetrockner von der akustischen, ohnehin schon leisen, Übertragung der Versammlung kein Wort mehr zu verstehen gewesen. Auch im (Raucher-)Außenbereich sei nur ein leises unverständliches Wispern vernehmbar gewesen.
Selbst wenn man den - insoweit bestrittenen - Vortrag der Antragsgegnerin zu 1) zugrunde legt, kann dies die Anfechtbarkeit oder Nichtigkeit des Beschlusses nicht begründen.
Zunächst ist festzustellen, dass mögliche technische Defekte bei der Beschallung der Naßzellen des Ortes des Hauptversammlung die Rechtmäßigkeit des Beschlusses grundsätzlich nicht berühren. Der Senat schließt sich hier der Auffassung des Oberlandesgerichts Frankfurt (vgl. OLG Frankfurt, 12 W 185/05, Rz. 79) an.
Ursache der Anfechtbarkeit im Fall des Vorliegens eines Verfahrensverstoßes ist der Grundgedanke, dass dem verfahrensfehlerhaft zustandegekommenen Beschluss ein Legitimationsdefizit anhaftet, das die Anfechtbarkeit begründet. Der Gesetzgeber hat daher die in der neueren Lehre und Rechtsprechung vertretene Relevanztheorie in § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG für den Fall von Informationspflichtverletzungen "gegriffen und verdichtet" (vgl. Bundestagsdrucksache 15/5092, 26). Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG liegt eine Anfechtbarkeit nur vor, wenn ein objektiv urteilender Aktionär die Erteilung der fraglichen Information - unabhängig von ihrem Inhalt - als wesentliche Voraussetzung für die sachgerechte Wahrnehmung der Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechte angesehen hätte. Damit sind sogar die Anforderungen für eine Anfechtbarkeit im Vergleich zur bisherigen Rechtsprechung erhöht worden, indem der Gesetzgeber im Vergleich zur Rechtsprechung zusätzlich das Kriterium der Wesentlichkeit eingeführt hat (vgl. Würthwein in Spindler/Stilz, Aktiengesetz, 2. Aufl., § 243 Rz. 246; Göz in Bürgers/Körber, Aktiengesetz, 2. Aufl., § 243 Rz. 8, 21).
Diese geforderte relevante Beeinträchtigung des Mitgliedschafts- und Teilnahmerechts ist hier nicht feststellbar.
Hier ist bereits auffallend, dass die Antragsgegnerin zu 1) in der Hauptversammlung von dem ihr als Aktionärin zustehenden Frage- und Informationsrecht zum streitgegenständlichen TOP 8 in keiner Weise Gebrauch gemacht. Sie hat sich nicht (ebensowenig die Antragsgegner zu 2) bis 8)) in die Rednerliste eintragen lassen und zu diesem Punkt auch tatsächlich keinerlei Fragen gestellt. Auch auf die abschließende Feststellung des Vorsitzenden, er gehe davon aus, dass alle Aktionäre und Aktionärsvertreter ausreichend Zeit gehabt haben, ihre Anträge und Fragen zu stellen und dass alle Fragen ausreichend beantwortet seien, hat die Antragsgegnerin zu 1) (ebenso wie die Antragsgegner zu 2) bis 8)) keinen Widerspruch erhoben zur Frage des Vorsitzenden, ob Fragen noch nicht ausreichend beantwortet seien (vgl. Niederschrift über die ordentliche Hauptversammlung, Anlage 6, dort Seite 15).
Im Hinblick auf die Komplexität des streitgegenständlichen Abspaltungs- und Übernahmevertrags wäre zu erwarten gewesen, dass die Antragsgegnerin zu 1), wenn die behauptete Akustik derart mangelhaft gewesen sein soll, von ihrem Fragerecht Gebrauch gemacht hätte, d.h. noch für sie offene Fragen zu verschiedenen Punkten gestellt hätte, die von ihr unverstanden bzw. für sie unbeantwortet geblieben sind. Spätestens auf die oben beschriebene Frage des Vorsitzenden nach noch offenen Fragen, hätte es sich daher für die Antragsgegnerin zu 1) geradezu aufdrängen müssen, bei weiterem Aufklärungsbedarf entsprechende Fragen zu stellen. All dies unterblieb. Die Antragsgegnerin zu 1) (ebenso wie die Antragsgegner zu 2) bis 8)) beschränkte sich vielmehr darauf, am Ende der Sitzung ihren Widerspruch zu Protokoll zu erklären (vgl. Seite 58 des Protokolls), weitere aus ihrer Sicht nicht oder nicht vollständig beantwortete Fragen wurden aber auch nicht zu Protokoll des Notars erklärt. Damit brachte die Antragsgegnerin zu 1) offen zum Ausdruck, dass die von ihr behauptete mangelhafte Akustik offenbar nicht von solcher Relevanz gewesen sein kann, dass sie ihre Teilnahme und Informationsrechte nicht sachgerecht hätte ausüben können.
Soweit sich die Antragsgegnerin zu 1) auf die Entscheidung des Landgerichts München I vom 01.04.2010 (5 HKO 12554/09) beruft, betrifft dies eine völlig andere Fallgestaltung, da im dort entschiedenen Fall im gesamten, zum Präsenzbereich erklärten Foyerbereich die Übertragung der Hauptversammlung mittels Lautsprecher unterblieben ist. Eine Vergleichbarkeit scheidet daher aus.
(2) Eine Verletzung des Informationsrechts ist auch nicht feststellbar, soweit die Antragsgegnerin zu 1) behauptet, der Vorstand habe im Rahmen der Hauptversammlung nicht ausreichend über die Hintergründe, Sinn, Ausgestaltung und Auswirkungen der Maßnahme informiert. Es sei unterlassen worden, vergleichend darzulegen, welche Vermögenszuwächse der Antragstellerin zugekommen wären, hätte man die O. -Gruppe durch eine andere Strukturmaßnahme an die Börse gebracht. Die Antragstellerin habe es auch unterlassen, mitzuteilen, zu welchem Verkaufspreis man die O. -Gruppe hätte verkaufen können.
Aber selbst ein Verstoß gegen die Erläuterungspflicht nach § 176 Abs. 1 S. 2 AktG berechtigt nach herrschender Auffassung nicht zur Anfechtung, weil es sich insoweit lediglich um eine Sollvorschrift handelt (vgl. Euler in Spindler/Stilz a.a.O. § 176 Rz. 19, Hennrichs/Pöschke in MünchKomm zum Aktiengesetz, 3. Aufl., § 176 Rz. 23 f, Hüffer, AktG, 10. Aufl. § 176, Rz.6).
Die Informationsmöglichkeiten des Aktionärs werden dadurch nicht unbillig verkürzt. Etwas anderes würde nach Auffassung des Senats dann gelten, wenn sich die Erläuterung auf bloße Floskeln beschränken würde ohne nähere inhaltliche Informationen. Dies wird aber hier nicht vorgetragen.
Es wäre der Antragsgegnerin zu 1) daher hier jederzeit möglich gewesen, entsprechende Fragen zu dem von ihr behaupteten lückenhaften Spaltungsbericht, der immerhin umfangreich war (vgl. Anlage 4), zu stellen.
Entsprechende Fragestellungen unterblieben aber hier vollständig. Ausweislich des Protokolls wurde der Spaltungsbericht in verschiedener Weise zugänglich gemacht, u.a. über das Internet. Soweit die Antragsgegnerin zu 1) behauptet, ihn trotz Aufforderung nicht erhalten zu haben, hätte es daher näheren Sachvortrags bedurft, inwieweit er ihr sonst nicht zugänglich war. Zudem erfolgte dieser Vortrag, den Spaltungsbericht nicht erhalten zu haben, erstmals im Freigabeverfahren. Mit dieser Rüge wäre die Antragsgegnerin zu 1) aber in der Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage ausgeschlossen, da sie diese Rüge in ihrer Anfechtungs-und Nichtigkeitsklage nicht fristgerecht erhoben hat; Angaben hierzu fehlen bislang.
Anfechtungsgründe sind aber auch im Freigabeverfahren nur zu berücksichtigen, wenn sie mit der Klage innerhalb eines Monats nach der Beschlussfassung geltend gemacht werden (vgl. z.B. BGH II ZR 206/08, Rz. 12).
Zudem hat die Antragsgegnerin zu 1) in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, es sei auch nicht so wichtig gewesen, dass sie den Spaltungsbericht nicht bekommen habe.
(3) Die Antragsgegnerin zu 1) rügt weiter, der Raucher- Außenbereich sei ungenügend abgesichert gewesen, einige Personen hätten den Präsenzbereich durch den offenen Bauzaun verlassen, teilweise seien diese Personen auf demselben Weg in den Präsenzbereich zurückgekehrt.
Soweit der Antragsgegnerin zu 1) sich hierdurch gegen die Unrichtigkeit des Teilnahmeverzeichnisses wendet, begründet dies keine Anfechtbarkeit.
Selbst bei Unterstellung des Vortrags der Antragsgegnerin zu 1) hätte dies keinen Einfluss auf die Abstimmung gehabt, da die Abstimmung im Wege des sogenannten Additionsverfahren durchgeführt worden ist (vgl. Niederschrift über die ordentliche Hauptversammlung, Anlage 6, dort Seite 17).
Dies bedeutet, dass, anders als im Subtraktionsverfahren, nur diejenigen "Ja- und Nein-Stimmen" bei der Abstimmung gewertet werden, zu denen Stimmkarten abgegeben worden sind, während nicht abgegebene Stimmkarten als Stimmenthaltung gewertet werden. Selbst wenn einzelne Aktionäre die Hauptversammlung verlassen hätten, ohne dass dies im Teilnehmerverzeichnis vermerkt worden wäre, hätte dies keinen Einfluss auf das Abstimmungsergebnis gehabt.
Dem Freigabeantrag war daher in vollem Umfang stattzugeben.
Die Antragsgegner zu 2) bis 8) erfüllen bereits das erforderliche sogenannte "Bagatellquorum " nicht. Die Nichtigkeits- und Anfechtungsklage der Antragsgegnerin zu 1) ist offensichtlich unbegründet.
Ob der Antragstellerin zudem im Rahmen der Interessenabwägung ein vorrangiges Bestands- und Vollzugsinteresse zusteht (§ 16 Abs. 3 S.3 Nr.3 UmwG), bedurfte daher keiner Prüfung mehr.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 91 Abs. 1, 101 ZPO. Als Unterlegene haben die Antragsgegner die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Nebenintervention zu tragen.
OLG München:
Beschluss v. 10.04.2013
Az: 7 AktG 1/13
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