Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 31. Juli 2000
Aktenzeichen: NotZ 6/00

(BGH: Beschluss v. 31.07.2000, Az.: NotZ 6/00)

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluß des Notarverwaltungssenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 19. November 1999 wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Der Antragsgegner hat die dem Antragsteller im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 500.000 DM festgesetzt.

Gründe

I. Der Antragsteller ist seit Anfang der 70er Jahre zum Notar mit Amtssitz in B. B. bestellt. Das Amtsgericht B. B. ist durch Art. 3 des Haushaltsbegleitgesetzes 1999 (GVOBl. 98, 460) zum 1. Oktober 1999 aufgehoben worden; die Gemeinden des Amtsgerichtsbezirks sind auf die Amtsgerichtsbezirke N., B. S. und Ne. aufgeteilt worden. B. B. gehört nunmehr zum Bezirk des Amtsgerichts Ne..

Mit Schreiben vom 23. Juli 1999 hat der Antragsteller bei dem Antragsgegner beantragt, seinen Amtsbereich ab dem 1. Oktober 1999 gemäß § 10a Abs. 1 Satz 2 BNotO so festzulegen, daß er auch die Bezirke des Amtsgerichts B. S. und N., zumindest aber den Bezirk des ehemaligen Amtsgerichts B. B. umfasse. Hilfsweise hat er beantragt, ihm generell (Auswärts-)Beurkundungen in seinem ehemaligen Amtsbereich zu gestatten. Ferner hat er den Antragsgegner darum gebeten, entsprechend diesen Anträgen eine einstweilige Regelung zu treffen. Zur Begründung hat er unter anderem angeführt, daß ihm und seinem Sozius B. durch den Rückgang ihres über Jahrzehnte insbesondere in den jetzt zum Amtsgerichtsbezirk N. gehörenden Bereichen K. und H.-U. aufgebauten Mandantenstamms Umsatzverluste von 500.000 DM bis 800.000 DM drohen würden, falls ihr Amtsbereich auf den Bezirk des Amtsgerichts Ne. beschränkt bliebe. Denn gerade in ländlichen Gebieten werde von dem Notar erwartet, daß er bei berechtigten Anliegen zu den Mandanten komme.

Mit Bescheid vom 4. August 1999 hat der Antragsgegner die Anträge des Antragstellers abgelehnt. Eine Ausnahmeregelung im Sinne des § 10a Abs. 1 Satz 2 BNotO setze voraus, daß sie nach den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege geboten sei. Dafür sei im vorliegenden Fall nichts ersichtlich. Die Bevölkerung in K. und H.-U. sei ausreichend mit notarieller Dienstleistung versorgt. Wirtschaftliche Interesse des Antragstellers könnten keine Berücksichtigung finden. Auch eine generelle Genehmigung von Auswärtsbeurkundungen komme nicht in Betracht.

Auf den dagegen gerichteten Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung hat der Notarverwaltungssenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts den Bescheid des Antragsgegners mit Beschluß vom 19. November 1999 aufgehoben und den Antragsgegner verpflichtet, über den Antrag des Antragstellers vom 23. Juli 1999 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu befinden. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragsgegners.

Die vom Oberlandesgericht im Wege einstweiliger Anordnung getroffene Regelung, daß der Amtsbereich des Notars neben dem Amtsgerichtsbezirk Ne. bis zur erneuten Entscheidung des Antragsgegners auch die Teile des Amtsgerichtsbezirks B. B. umfaßt, die nunmehr zu den Amtsgerichtsbezirken N. und B. S. gehören, hat der Senat im Beschwerdeverfahren durch Beschluß vom 2. Juni 2000 bestätigt.

II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 111 Abs. 4 BNotO i.V. mit § 42 Abs. 4 BRAO), aber nicht begründet.

1. Das Oberlandesgericht hat den Bescheid des Antragsgegners zu Recht aufgehoben, da er rechtswidrig ist und den Antragsteller in seinen Rechten verletzt (§ 111 Abs. 1 Satz 2 BNotO).

a) Der Amtsbereich eines Notars ist grundsätzlich der Bezirk des Amtsgerichts, in dem er seinen Amtssitz hat (§ 10a Abs. 1 Satz 1 BNotO). Insbesondere zur Anpassung an eine Änderung von Gerichtsbezirken kann die Justizverwaltung gemäß § 10a Abs. 1 Satz 2 BNotO nach den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege die Grenzen eines Amtsbereichs allgemein oder im Einzelfall mit der Zuweisung des Amtssitzes abweichend festlegen. Ob im Einzelfall eine abweichende Festlegung des Amtsbereichs vorgenommen wird, stellt eine Ermessensentscheidung der Justizverwaltung dar, die gerichtlich nur beschränkt überprüfbar ist. Das Gericht kann die angefochtene Entscheidung nur darauf überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (§ 111 Abs. 1 Satz 3 BNotO). Ein Ermessensfehler liegt unter anderem dann vor, wenn ein für die Beurteilung wesentlicher Umstand außer acht gelassen worden und demgemäß eine sachgerechte Interessenabwägung unterblieben ist (vgl. Senat, Beschluß vom 29. November 1999 -NotZ 9/99 - NJW 2000, 1342 unter I; BVerwG NJW 1993, 609 f.).

b) Das ist hier der Fall, wie das Oberlandesgericht zutreffend festgestellt hat. Der Antragsgegner hat es rechtsfehlerhaft unterlassen, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Änderung des Amtsbereichs auf die Praxis des Antragstellers zu berücksichtigen und sie in eine Interessenabwägung einzubeziehen. Die Pflicht hierzu ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

aa) Vor Einführung des § 10a BNotO durch das Gesetz zur Änderung des Berufsrechts der Notare und der Rechtsanwälte vom 29. Januar 1991 (BGBl. I S. 150) entsprach es herrschender Auffassung, daß der engere räumliche Amtsbereich eines Notars nur "regelmäßig" den Amtsgerichtsbezirk seines Amtssitzes umfaßte und daß bei einer Änderung der Gerichtsbezirke die engeren räumlichen Amtsbereiche der amtierenden Notare in ihrer bisherigen Gestalt grundsätzlich erhalten blieben, solange die Landesjustizverwaltung keine andere Regelung traf (vgl. die Senatsbeschlüsse in BGHZ 66, 261, 263 und BGHZ 67, 300, 301; Arndt, BNotO 2. Aufl. § 11 Anm. II 4). Deren pflichtgemäßem Ermessen war es vorbehalten, bei einer Änderung der Gerichtsbezirke darüber zu befinden, ob und gegebenenfalls wie die engeren räumlichen Amtsbereiche der betroffenen Notare geändert und der neu geschaffenen Gerichtseinteilung so angepaßt werden sollten, daß die berechtigten Interessen der Rechtspflege ohne unnötige Schädigung einzelner Notare gewahrt blieben (BGHZ 66, 261, 264). Die vorgenannten Senatsentscheidungen betreffen zwar Fälle aus Gebieten mit hauptberuflichem Notariat, stellen aber in der Begründung darauf nicht ab. Die dortigen Erwägungen, eine Änderung des Amtsbereichs könnte die Existenzgrundlage des Notars insbesondere für eine Übergangszeit gefährden und bei einer Änderung der Gerichtsbezirke habe die Landesjustizverwaltung nach ihrem Ermessen darüber zu befinden, ob und wie die Amtsbereiche ohne unnötige Schädigung der beteiligten Notare anzupassen seien, treffen auch für diejenigen Anwaltsnotare zu, die einen wesentlichen Teil ihres Einkommens durch die notarielle Tätigkeit erzielen.

bb) Nach § 10a Abs. 1 Satz 1 BNotO ist der Amtsbereich des Notars nunmehr der Bezirk des Amtsgerichts, in dem er seinen Amtssitz hat. Eine Änderung des Amtsgerichtsbezirks hat danach kraft Gesetzes eine Änderung des Amtsbereichs zur Folge. Im übrigen hat der Gesetzgeber an dem früheren Rechtszustand mit der Einführung des § 10a BNotO aber ersichtlich nichts ändern wollen. Diese Vorschrift ist vielmehr nur eingeführt worden, um eine aus verfassungsrechtlichen Gründen für notwendig erachtete gesetzliche Ermächtigung für die Beschränkung der Urkundstätigkeit der Notare auf den engeren räumlichen Amtsbereich zu schaffen (vgl. Stellungnahme des Bundesrates zu dem Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Bundesnotarordnung, Anlage 2 zu BT-Drucks. 11/6007 S. 16). Die bisher geltende und allgemein praktizierte Regelung sollte auf eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage gestellt werden.

Auch nach Einführung des § 10a BNotO ist der engere räumliche Amtsbereich des Notars also nur grundsätzlich der Bezirk des Amtsgerichts, in dem er seinen Amtssitz hat. Der Amtsbereich des Notars soll von der Landesjustizverwaltung wie bisher allgemein oder im Einzelfall auch abweichend vom Amtsgerichtsbezirk seines Amtssitzes festgelegt werden können (vgl. Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 11/8307 S. 18). Nach dem Wortlaut und dem Zweck der Vorschrift können solche Abweichungen insbesondere zur Anpassung an eine Änderung von Gerichtsbezirken vorgenommen werden.

Bei der Entscheidung, ob und gegebenenfalls wie eine Anpassung vorzunehmen ist, sind wie bisher auch die wirtschaftlichen Interessen des betroffenen Notars im Rahmen der Ermessensabwägung zu berücksichtigen. Es liegt auf der Hand, daß es auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Notariats nachteilige Auswirkungen haben kann, wenn Teile des engeren räumlichen Amtsbereichs ohne weiteres anderen Amtsgerichtsbezirken und damit auch anderen Notaren zugeschlagen werden. Diese Nachteile können zumindest kurzfristig nicht dadurch aufgefangen werden, daß sich der Amtsbereich des betroffenen Notars statt dessen nunmehr (auch) auf andere Gemeinden erstreckt, da er sich dort erst einen neuen Mandantenstamm erarbeiten muß. Diese Interessen der betroffenen Notare muß die Landesjustizverwaltung bei ihrer Ermessensentscheidung über eine -eventuell auch nur vorübergehende -abweichende Festlegung des engeren räumlichen Amtsbereichs eines Notars im Sinne von § 10a Abs. 1 Satz 1 BNotO berücksichtigen. Die Berücksichtigung wirtschaftlicher Interessen entspricht im übrigen auch dem Willen des Gesetzgebers, dem es bei der Einführung dieser Vorschrift unter anderem darum ging, die einzelnen Notarstellen lebensfähig und möglichst gleichbleibend leistungsfähig zu erhalten (Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages, BT-Drucks. 11/8307 S. 18; so auch BVerfG DNotZ 1993, 748, 749 und Arndt, BNotO 2. Aufl. § 11 Anm. II 4). Wenn aber die einzelnen Notarstellen lebensfähig und möglichst gleichbleibend leistungsfähig erhalten werden sollen, müssen im Rahmen der Ermessensabwägung bei der Entscheidung über eine eventuell abweichende Festlegung der Grenzen des Amtsbereichs des Notars neben den Bedürfnissen einer geordneten Rechtspflege auch die wirtschaftlichen Belange des einzelnen Notars berücksichtigt werden (vgl. auch BGHZ 66, 261, 264 und BGHZ 67, 300, 302). Bei der Gewichtung dieser Belange ist auch zu beachten, daß es sich bei der Festlegung der räumlichen Amtsbereiche um eine Regelung der Berufsausübung im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG handelt (BVerfG DNotZ 1988, 648).

cc) Nach Darstellung des Antragstellers droht ihm und seinem Sozius durch den Wegfall der Bereiche K. und H.-U. ein jährlicher Umsatzrückgang von 500.000 DM bis 800.000 DM mit negativen Auswirkungen auf das Büro und den Personalbestand von etwa 30 Mitarbeitern. Dies wäre eine erhebliche Beeinträchtigung seiner wirtschaftlichen Belange, die der Antragsgegner bei seiner erneuten Entscheidung nicht außer Betracht lassen dürfte. Es ist kaum anzunehmen, daß der Antragsteller einen solchen Verlust durch neue Mandate aus den neu hinzugekommenen Bereichen des Amtsgerichtsbezirks Ne. in kurzer Zeit ausgleichen kann. Auch nach Meinung des Vorstands der Schleswig-Holsteinischen Notarkammer sind die Auswirkungen, die die Praxen des Antragstellers und der anderen betroffenen Notare durch die Neuaufteilung des Amtsgerichtsbezirks B. B. erfahren werden, nicht von der Hand zu weisen und durchaus ernst zu nehmen. Dies werde zu einer veränderten Wettbewerbssituation führen und Umstrukturierungsmaßnahmen in den Praxen erforderlich machen, die durchaus auch Arbeitsplatzverluste zur Folge haben könnten.

Die Schutzwürdigkeit der wirtschaftlichen Belange des Antragstellers kann auch nicht, wie der Präsident des Landgerichts Ki. und ihm folgend der Antragsgegner meinen, schon deshalb verneint werden, weil der Notar die Amtsgeschäfte in der Regel in der Geschäftsstelle vorzunehmen habe und die Beteiligten ihn dort aufsuchen könnten. Aus sachlichen Gründen darf der Notar Amtsgeschäfte innerhalb seines Amtsbereichs vielmehr auch außerhalb der Geschäftsstelle wahrnehmen. Eine Amtstätigkeit außerhalb der Geschäftsstelle ist unzulässig, wenn dadurch der Anschein amtswidriger Werbung, der Abhängigkeit oder der Parteilichkeit entsteht oder der Schutzzweck des Beurkundungserfordernisses gefährdet wird (Schippel, BNotO 7. Aufl. § 10 Rdn. 9; Richtlinienempfehlungen der Bundesnotarkammer Nr. IX 2 und 3, abgedruckt bei Schippel, aaO S. 759, 763). Es ist nicht ersichtlich, daß der Antragsteller sich insoweit in der Vergangenheit berufswidrig verhalten und dadurch einen nicht schützenswerten Vorteil erlangt hat oder dies künftig beabsichtigt.

2. Der Antragsgegner hat den Antragsteller demgemäß unter Beachtung der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts und des Senats neu zu bescheiden.

Rinne Streck Seiffert Schierholt Toussaint






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