Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 18. März 1993
Aktenzeichen: 5 U 156/92

(OLG Köln: Urteil v. 18.03.1993, Az.: 5 U 156/92)

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 11.06.1992 verkündete Urteil der 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln - 83 O 122/90 - wird zurückgewiesen. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf eine Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 13.000,00 DM abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Beklagte darf eine Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 2.500,00 DM abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Den Parteien wird gestattet, Sicherheit auch in Form einer selbstschuldnerischen Bürgschaft einer deutschen Großbank, öffentlichen Sparkasse oder Genossenschaftsbank zu erbringen.

Gründe

Die Klägerin ist Gesellschafterin der

Beklagten und mit 9 % an deren Stammkapital beteiligt. Sie gehört

zur Gesellschaftergruppe "E. W.". Dieses Familienkonsortium verfügt

zusammen mit den in der Gesellschaftergruppe "M. F."

zusammengeschlossenen Gesellschaftern über insgesamt 49,238 % der

Stimmanteile, während der Gesellschafterstamm "W. W. sen.", dem

auch die Geschäftsführer der Beklagten angehören, 50,762 % an

Stimmanteilen besitzen. Zwischen den Minderheitsgesellschaftern der

Gruppen "E. W." und "M. F." einerseits und den Gesellschaftern

der Gruppe "W. W. sen." andererseits hat sich ein Zerwürfnis

entwickelt, das zu mehreren gerichtlichen Auseinandersetzungen

zwischen Gesellschaftern der Minderheitsgruppen und der Beklagten

bzw. deren Geschaftsführern geführt hat.

Im vorliegenden Rechtsstreit greift die

Klägerin mit der am 09.11.1990 eingereichten Klage den

Jahresabschluß 1989 an, der von der Treuhand KG H. und R.

...gesellschaft geprüft und dem unter dem 18.07.1990 der

uneingeschränkte Bestätigungsvermerk erteilt worden ist. Der

Jahresabschluß beinhaltet einen Jahresüberschuß von 325.875,08 DM

und schließt - einschließlich Gewinnvortrag aus dem Vorjahr - mit

einem Bilanzgewinn von 326.358,83 DM ab. Der Jahresabschluß 1989

ist von der Gesellschafterversammlung am 09.10.1990 mit 50,7 %

gegen 49,3 % der Stimmen festgestellt worden. Mit derselben

Mehrheit ist beschlossen worden, den Bilanzgewinn von 326.358,83

DM in Höhe von 70 % auszuschütten und in Höhe von 30 % den

Gewinnrücklagen zuzuführen.

Die Beklagte hat Tochtergesellschaften

sowohl in der Rechtsform der Personengesellschaft als auch in der

Rechtsform der Kapitalgesellschaft. Die Beteiligungserträge aus

1989 der Tochtergesellschaften in der Rechtsform der

Personengesellschaft sind im Jahresabschluß 1989 der Beklagten

aktiviert worden. Die Erträge von Tochtergesellschaften in der

Rechtsform einer Kapitalgesellschaft sind dagegen phasenverschoben

vereinnahmt worden; im Ergebnis 1989 sind die Beteiligungserträge

des Jahres 1988 enthalten.

Die Klägerin hat diese Art der

Bilanzierung von Gewinnen der Tochtergesellschaften in der

Rechtsform der Kapitalgesellschaft erstmals mit Schriftsatz vom

19.08.1991 beanstandet und die Auffassung vertreten, die Beklagte

sei in Fällen von Mehrheitsbeteiligungen verpflichtet, die Gewinne

phasengleich zu vereinnahmen, sofern der Jahresabschluß der

Tochtergesellschaft vor Beendigung der Prüfung des

Jahresabschlusses der Beklagten festgestellt sei und über die

Verwendung des Gewinns bei der Tochtergesellschaft bereits ein

Beschluß der Gesellschafterversammlung vorliege. Diese

Verpflichtung bestehe schon kraft Gesetzes, jedenfalls aber

aufgrund von § 12 Abs. 3 der Satzung der Beklagten, der wie folgt

lautet:

"Wird in einem

Körperschaftssteuerbescheid des Finanzamtes der festgestellte

Jahresabschluß in abgeänderter Form zugrunde gelegt, so gilt der

Jahresabschluß in der abgeänderten Form mit der Rechtskraft des

Bescheides als von der Gesellschafterversammlung

festgestellt."

Zudem folge die Verpflichtung zur

phasengleichen Vereinnahmung der Töchtergewinne aus dem für die

Beklagte nach wie vor geltenden Vollausschüttungsgebot gem. § 29

GmbHG a.F..

Die Klägerin hat die Richtigkeit des

Jahresabschlusses 1989 erstinstanzlich darüberhinaus mit einer

Reihe weiterer Beanstandungen angegriffen, von denen im zweiten

Rechtszug nur noch folgender Komplex im Streit ist: Die Klägerin

hat vorgetragen, unter der Position "Rechts- und Beratungskosten"

sei eine Ausgabe in Höhe von 14.250,00 DM verbucht worden, für die

eine betriebliche Veranlassung nicht ersichtlich sei. Es handele

sich um die Rechnung einer "V. C." vom 18.12.1989 über die

Erstellung von statischen Berechnungen und Bewehrungsplänen. Eine

Auskunft beim zuständigen Gewerbeaufsichtsamt habe ergeben, daß

die Firma C. mit Textilien und Maschinen aller Art handele sowie

Büromaterial und Büromaschinen vertreibe.

Die Klägerin hat beantragt,

1.

festzustellen, daß die Beschlüsse der

Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 09.10.1990, mit denen

a)

der Jahresabschluß 1989 der Beklagten,

der einen Jahresüberschuß von 325.875,08 DM ausweist, festgestellt

worden ist und

b)

nach denen der Bilanzgewinn 1989 von

326.358,83 DM in Höhe von 70 % auszuschütten und in Höhe von 30 %

den Gewinnrücklagen zuzuführen ist,

nichtig sind;

2.

hilfsweise, die Beschlüsse der

Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 09.10.1990, mit

denen

a)

der Jahresabschluß 1989 der Beklagten,

der einen Jahresüberschuß von 325.875,08 DM ausweist, festgestellt

worden ist und

b)

nach denen der Bilanzgewinn 1989 von

326.358,83 DM in Höhe von 70 % auszuschütten und in Höhe von 30 %

den Gewinnrücklagen zuzuführen ist,

für nichtig zu erklären;

3.

die Beschlüsse der

Gesellschafterversammlung vom 09.10.1990, durch die den

Geschäftsführern G. W. und W. W. Entlastung erteilt worden ist,

für nichtig zu erklären.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat zur Frage des Zeitpunktes der

Vereinnahmung von Töchtergewinnen die Ansicht vertreten, es

bestehe im Rahmen der Erstellung der Handelsbilanz ein Wahlrecht,

die Gewinne zeitkongruent oder phasenverschoben zu aktivieren.

Demgemäß sei sie mit Einführung des Bilanzrichtliniengesetzes, also

seit dem Jahresabschluß 1987, dazu übergegangen, die

Beteiligungserträge phasenverschoben zu vereinnahmen. Zu einer

zeitgleichen Aktivierung der Töchtergewinne verpflichte auch nicht

das Vollausschüttungsgebot, so es überhaupt bestehe, da der

Zeitpunkt der Vereinnahmung der Gewinne die Frage ihrer Verwendung

nicht berühre. Was § 12 Abs. 3 der Satzung betreffe, sei diese

Bestimmung nach dem Inkrafttreten des Bilanzrichtliniengesetzes als

nichtig anzusehen, da die Ànderung eines Jahresabschlusses nunmehr

zwingend die Durchführung einer Nachtragsprüfung erfordere und

nicht mehr rechtswirksam allein durch einen (fingierten) Beschluß

der Gesellschafterversammlung herbeigeführt werden könne.

Zum Komplex "C." hat die Beklagte

behauptet, diese Firma habe im Auftrag ihrer 100%igen

Tochtergesellschaft T. GmbH durch den Architekten A. eine im

Zusammenhang mit dem Bauvorhaben "K." in H. erforderliche Statik

für eine Betongleitwand erstellen lassen. Da die Firma T. gegen

sie, die Beklagte, eine Gegenforderung gehabt habe, sei die

Rechnung "C." unter zutreffender Verrechnung beider Forderungen

von ihr beglichen worden.

Das Landgericht hat nach Durchführung

einer Beweisaufnahme, unter anderem auch zum Komplex "C.", durch

das angefochtene Urteil, auf dessen Einzelheiten in vollem Umfang

Bezug genommen wird, der Klage bezüglich des Antrags zu Ziffer 2. b

(Anfechtung des Gewinnverwendungsbeschlusses) stattgegeben und sie

im übrigen abgewiesen. Zu den beiden noch im Streit befindlichen

Beanstandungen der Klägerin hat es zur Begründung ausgeführt: Die

phasenverschobene Vereinnahmung der Gewinne der in der Rechtsform

der GmbH betriebenen Tochtergesellschaften sei zulässig gewesen;

eine Verpflichtung zur zeitgleichen Aktivierung bestehe nicht;

weder folge sie aus dem Vollauschüttungsgebot, das von der Frage

der Aktivierungspflicht zu trennen sei, noch aus § 12 Abs. 3 der

Satzung. Was die Verbuchung der Rechnung "C." angehe, liege zwar

ein Fehler insoweit vor, als die Aktivierung einer entsprechenden

Erstattungsforderung der Beklagten gegen die Firma T. unterlassen

worden sei und es auch keine betriebliche Veranlassung für die

Begleichung der Rechnung gegeben habe; die aus dem Fehler

resultierende Unterbewertung sei jedoch betragsmäßig derart

unbedeutend, daß sie weder di Nichtigkeit des den Jahresabschluß

feststellenden Gesellschafterbeschlusses bewirke noch Anlaß gebe,

diesen für nichtig zu erklären.

Gegen das ihren Prozeßbevollmächtigten

am 25.06.1992 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16.07.1992

Berufung eingelegt, die sie am 09.10.1992 begründet hat.

Sie wiederholt und vertieft zur Frage

der Vereinnahmung der Gewinne der Tochtergesellschaften und zum

Komplex "C." ihr erstinstanzliches Vorbringen und trägt ergänzend

vor: Es entspreche einhelliger Auffassung, daß jedenfalls in

Fällen, in denen bei den Tochtergesellschaften bereits

Gewinnverwendungsbeschlüsse und nicht lediglich

Gewinnverwendungsvorschläge vorlägen, eine gesetzliche

Verpflichtung bestehe, die Gewinne zeitgleich zu aktivieren, um

dem Grundsatz der Bilanzwahrheit gemäß § 264 Abs. 2 HGB zu

entsprechen.

Eine Aktivierungspflicht ergebe sich

auch aus § 12 Abs. 3 der Satzung. Diese Bestimmung sei nicht etwa

unwirksam, weil § 316 Abs. 3 HGB bei Ànderungen des

Jahresabschlusses eine Nachtragsprüfung vorschreibe. Eine solche

Prüfung sei zum einen ohne weiteres in § 12 Abs. 3 der Satzung

"einzubauen", in dem man die Bestimmung entsprechend

gesetzskonform interpretiere; zum anderen finde § 316 Abs. 3 HGB

von seinem Sinn und Zweck her auf Ànderungen des Jahresabschlusses

durch staatliche Behörden, wie etwa die Finanzverwaltung, keine

Anwendung.

Letztlich folge eine

Aktivierungspflicht aber auch aus dem Willkürverbot. Angesichts des

für die Beklagte geltenden Vollauschüttungsgebotes sei eine nicht

zeitkongruente Aktivierung der Gewinne der Tochtergesellschaften

als willkürlich zu betrachten.

Zur Entscheidung des Landgerichts im

Hinblick auf die fehlerhafte Verbuchung der Rechnung "C." vertritt

die Klägerin die Auffassung, daß auch Verstöße von nur geringem

Gewicht eine Anfechtung des Jahresabschlusses einer GmbH

rechtfertigten. Eine Beschränkung des Anfechtungsrechts, wie sie in

§ 257 Abs. 1 Satz 2 AktG für die Aktiengesellschaft bestehe, gebe

es für die GmbH nicht.

Die Klägerin beantragt, unter

Abänderung des

landgerichtlichen Urteils

1.

festzustellen, daß der Beschluß der

Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 09.10.1990, mit dem

der Jahresabschluß 1989 der Beklagten, der einen Jahresüberschuß

von 325.875,08 DM ausweist, festgestellt worden ist, nichtig

ist;

2.

hilfsweise, den Beschluß der

Gesellschafterversammlung der Beklagen vom 09.10.1990, mit dem der

Jahresabschluß 1989 der Beklagten, der einen Jahres-überschuß von

325.875,08 DM ausweist, festgestellt worden ist, für nichtig zu

erklären;

3.

die Beschlüsse der

Gesellschafterversammlung vom 09.10.1990, durch die den

Geschäftsführern G. W. und W. W. Entlastung erteilt worden ist,

für nichtig zu erklären;

4.

äußerst hilfsweise, im Falle des

vollständigen oder teilweisen Unterliegens der Klägerin

nachzulassen, Sicherheit auch durch die selbstschuldnerische

Bürgschaft einer deutschen Großbank oder öffentlichen Sparkasse zu

erbringen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und ihr zu

gestatten, Sicherheit auch durch selbstschuldnerische Bürgschaft

einer deutschen Großbank, Genossenschaftsbank oder öffentlichen

Sparkasse leisten zu können.

Auch sie wiederholt und vertieft ihr

erstinstanzliches Vorbringen und trägt weiter vor: Mit dem

Vorwurf der nichtzeitkongruenten Bilanzierung der Gewinne der

Tochterunternehmen sei die Klägerin schon deshalb ausgeschlossen,

weil sie insoweit die Anfechtungsfrist versäumt habe; die

phasenverschobene Vereinnahmung der Beteiligungserträge bei

Tochtergesellschaften sei schon lange vor der erstmals mit

Schriftsatz vom 19.08.1991 erhobenen Beanstandung bekannt gewesen.

Die Berücksichtigung der Erträge der Tochtergesellschaften in der

Rechtsform der Kapitalgesellschaft erst in der Bilanz des Jahres,

in dem die Jahresabschlüsse der Tochtergesellschaften festgestellt

worden sind, sei auch der Sache nach deshalb richtig, weil sie, die

Beklagte, schon seit 1987 so verfahren sei und der Grundsatz der

Bilanzkontinuität es gebiete, für das Jahr 1989 ebenso zu

verfahren.

Wegen weiterer Einzelheiten des

Vortrags der Parteien wird auf ihre Schriftsätze nebst Anlagen

Bezug genommen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d

Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie

Berufung hat in der Sache selbst keinen Erfolg.

Das Landgericht hat zurecht eine

Pflicht zur zeitkongruenten Aktivierung der Gewinne der

Tochtergesellschaften in der Rechtsform der Kapitalgesellschaft

verneint und auch die fehlerhafte Verbuchung der Bezahlung der

Rechnung der Firma "C." zutreffend nicht zum Anlaß genommen, den

Klageanträgen zu Ziff. 1 a, 2 a und 3 (= Berufungsanträge zu Ziff.

1 bis 3) stattzugeben.

I.

Zur Begründung des Nichtbestehens einer

Pflicht zur zeitkongruenten Aktivierung der Tochtergewinne nimmt

der Senat zunächst auf die diesbezüglichen Ausführungen des

Landgerichts im angefochtenen Urteil Bezug (§ 543 Abs. 1 ZPO).

Die mit der Berufung hiergegen

vorgebrachten Einwände geben dem Senat keinen Anlaß, das Urteil

abzuändern.

1.

Das Vorbringen der Klägerin zur Frage

der phasengleichen Aktivierung der Töchtergewinne ist allerdings

entgegen der Auffassung der Beklagten nicht schon deshalb

unbeachtlich, weil es der Klägerin wegen Ablaufs der

Anfechtungsfrist verwehrt wäre, die betreffenden Beschlüsse der

Gesellschafterversammlung aus Gründen eines Fehlers bei der

Aktivierung der Gewinne der Tochterunternehmen anzufechten. Nach

höchstrichterlicher Rechtsprechung, der der Senat folgt, gilt für

die Anfechtung von Beschlüssen der Gesellschafterversammlung einer

GmbH nicht die Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG, sondern eine nach

den Umständen des Einzelfalles zu bestimmende angemessene Frist, da

das Bedürfnis an Rechtssicherheit bei einer GmbH wesentlich

geringer ist als im Aktienrecht (vgl. BGH NJW 1990, 2625). Im

Streitfall geht es im übrigen nicht um eine verspätete Erhebung der

Anfechtungsklage an sich, sondern nur um die Frage der Zulässigkeit

des Nachschiebens von Anfechtungsgründen nach Klageerhebung. Da

die Anfechtungsfrist der Rechtssicherheit wegen einzuhalten ist

und der Bestand von Beschlüssen der Gesellschafterversammlung bis

zum rechtskräftigen Abschluß des Prozesses in Frage steht, kann das

Nachschieben eines Anfechtungsgrundes innerhalb des vorliegenden

Prozesses so lange nicht unzulässig sein, wie es hierdurch nicht

zur Verzögerung des Rechtsstreits kommt, was vorliegend nicht der

Fall ist (so auch Scholz, GmbHG, 6. Auflage, § 45 Randnummer 86,

der nur bei "formalisierten" Anfechtungsfristen eine Präklusion

nachgeschobener Anfechtungsgründe vertritt, die es aber bei der

GmbH im Gegensatz zum Aktienrecht gerade nicht gibt).

Geht man im Streitfall

zutreffenderweise von einer angemessenen Frist aus, ist eine

Versäumung dieser Frist durch die Klägerin nicht ersichtlich. Die

angemessene Frist kann, anders als die formalisierte Monatsfrist

des § 246 Abs. 1 AktG, erst mit Kenntnis des Anfechtungsgrundes zu

laufen beginnen. Wann genau die Klägerin von den Zeitpunkten der

Gewinnverwendungsbeschlüsse bei den Tochterunternehmen erstmals

Kenntnis erlangt hat, trägt die Beklagte nicht vor; auf die

Kenntnis dieser Zeitpunkte kommt es aber an, nicht etwa, wie die

Beklagte meint, auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung davon, daß

in der Bilanz der Beklagten Töchtergewinne aus 1989 noch nicht

erfaßt sind. Denn eine zeitkongruente Aktivierung ist überhaupt

nur zulässig, wenn die Gewinnverwendungsbeschlüsse bei den

Tochterunternehmen zeitlich vor dem Abschluß der Prüfung des

Jahresabschlusses der Muttergesellschaft liegen (BGHZ 65, 230 ff.).

Aus der Angabe der Klägerin selbst, sie habe im Juli 1991 von den

entsprechenden Beschlüssen der Tochtergesellschaften erfahren,

ergibt sich noch nicht eine Versäumung der Anfechtungsfrist; der

Schriftsatz vom 19.08.1991, mit dem die Klägerin erstmals die

unterbliebene Aktivierung der Gewinne aus 1989 beanstandet, ist am

20.08.1991 bei Gericht eingegangen und damit angesichts einer der

Klägerin zuzubilligenden angemessenen Prüfungs- und

Óberlegungsfrist rechtzeitig.

2.

Das Vorbringen der Klägerin führt aber

in der Sache selbst nicht zum Erfolg. Eine Rechtspflicht zur

phasengleichen Aktivierung von Beteiligungserträgen bei

Tochtergesellschaften in der Rechtsform einer GmbH (nur um solche

Gesellschaften handelt es sich vorliegend) besteht hinsichtlich der

hier in Rede stehenden Handelsbilanz auch dann nicht, wenn bereits

vor Beendigung der Prüfung des Jahresabschlusses der

Muttergesellschaft entsprechende Gewinnverwendungsbeschlüsse

seitens der Tochtergesellschaften vorliegen. Eine solche

Verpflichtung läßt sich weder aus dem Gesetz noch für den

vorliegenden Fall aus der Satzung der Beklagten oder dem

Willkürverbot herleiten.

a)

Eine ausdrückliche gesetzliche

Bestimmung über eine zeitkongruente Aktivierung von

Töchtergewinnen, die zwar in dem Jahr, für das die Bilanz der

Muttergesellschaft erstellt wird, erwirtschaftet worden sind, die

aber, wie es bei Kapitalgesellschaften der Fall ist, erst aufgrund

eines entsprechenden Gewinnverwendungsbeschlusses der

Tochtergesellschaft im darauffolgenden Wirtschaftsjahr bei der

Muttergesellschaft anfallen, fehlt. Es ist daher auf die in

Rechtsprechung und Schrifttum entwikkelten Grundsätze

ordnungsmäßiger Buchführung und Bilanzierung abzustellen. Insoweit

ist zunächst vom sogenannten Realisationsprinzip auszugehen,

wonach Beteiligungserträge grundsätzlich nur dann vereinnahmt bzw.

bilanziert werden dürfen, wenn sie spätestens bis zum

Bilanzstichtag der beteiligten Gesellschaft (hier der Beklagten)

als "realisiert" anzusehen sind, was im allgemeinen erst der Fall

ist, wenn der Gewinnverwendungsbeschluß bei der

Beteiligungsgesellschaft (hier der Tochtergesellschaft) gefaßt

worden ist; erst in diesem Zeitpunkt entsteht eine Forderung der

beteiligten Gesellschaft und damit ein bilanzfähiger selbständiger

Vermögenswert (vgl. nochmals BGHZ 65, 230 ff., 233/234;

Schulze-Osterloh, Besprechung der vorgenannten Entscheidung, ZGR

1977, 104 ff., 106 f.; Knobbe-Keuk, Bilanz- und

Unternehmenssteuerrecht, 7. Auflage, § 5 VI 2. a) = Seite 201;

Volkeri/Schneider, Betriebsberater 1979, 964 ff.). Dem

Realisationsprinzip entsprechend hat also die beteiligte

Gesellschaft ihren Anspruch auf den Gewinn der

Beteiligungsgesellschaft regelmäßig zeitversetzt erst in der

Bilanz desjenigen Geschäftsjahres zu aktivieren, das dem

Geschäftsjahr der Beteiligungsgesellschaft nachfolgt, sofern es

sich bei dieser um eine Kapitalgesellschaft handelt (so vom

Grundsatz her auch BFH BStBl. 1989, Teil II, Seite 714 ff., 717).

Etwas anderes kann nur in Ausnahmefällen gelten. Unter diesem

Gesichtspunkt erscheint die Annahme einer zeitkongruenten

Aktivierungspflicht in Fällen, in denen bei den

Tochtergesellschaften schon vor Beendigung der Prüfung des

Jahresabschlusses der Muttergesellschaft

Gewinnverwendungsbeschlüsse vorliegen, schon deshalb bedenklich,

weil sie das Regel- Ausnahmeverhältnis umkehrt. Insofern kann nach

Meinung des Senats die bereits zitierte Entscheidung des BGH vom

03.11.1975 (BGHZ 65, 230 ff.), die für das Gebiet des Aktienrechts

ergangen und, soweit ersichtlich, bislang vereinzelt geblieben ist,

nur eingeschränkt dahin interpretiert werden, daß es bei

wirtschaftlicher Betrachtung grundsätzlich als zulässig anzusehen

ist, unter den genannten besonderen Umständen eine zeitkongruente

Aktivierung der Beteiligungserträge vorzunehmen (auf den

Ausnahmecharakter der BGH-Entscheidung weisen zutreffend auch

Knobbe-Keuk, a. a. O., und Volkeri/Schneider, a. a. O. Seite 967,

nachdrücklich hin). Maßgebend bleiben aber auch bei der Ausübung

des Aktivierungswahlrechtes stets die überkommenen Grundsätze

ordnungsmäßiger Bilanzierung, insbesondere die Grundsätze der

Bilanzklarheit (worauf auch der BGH in der genannten Entscheidung

ausdrücklich hinweist; a. a. O. Seite 237) und der

Bilanzkontinuität. Im Streitfall erscheint letzterer Grundsatz von

besonderer Bedeutung. Gemäß dem von der Klägerin nicht

substantiiert bestrittenen Vortrag der Beklagten hat diese seit

dem Geschäftsjahr 1987 die Töchtergewinne erst im darauffolgenden

Jahr aktiviert. Aus der Sicht von Gesellschaftern, wie hier der

Klägerin, werden nun aber "Brüche" bei der Bilanzierung von

Töchtergewinnen weit eher zu Verwirrung und Irrtümern führen als

die fehlende zeitkongruente Aktivierung, die in gleicher Weise

schon in den Jahren vorher gegeben war. Gerade eine plötzliche

Ànderung der Bilanzierungsgepflogenheiten kann bei Gesellschaftern

in besonderem Maße die von der Klä-gerin betonte Aussagefähigkeit

einer Bilanz beeinträchtigen und zu einer Verzerrung des

Bilanzbildes führen. Jedenfalls in solchen Fällen kann eine

Aktivierungspflicht keinesfalls bejaht werden (gegen eine

Aktivierungspflicht auch Hachenburg GmbHG, 7. Auflage, Randnummer

84 zu § 42; Knobbe-Keuk, a. a. O.; Volkeri/Schneider, a. a. O.,

Seite 969; a. A. Schulze-Osterloh, a. a. O. Seite 115; derselbe in

Baumbach/Hueck, GmbHG, 15. Auflage, Randnummer 141 zu § 42,

allerdings mit Beschränkung auf den Regelfall: "Dividendenansprüche

gegen Tochtergesellschaften sind "idR" zu aktivieren, wenn

Ergebnisverwendungsbeschluß gefaßt ist").

b)

Eine Aktivierungspflicht folgt im

Streitfall auch nicht aus § 12 Abs. 3 der Satzung der

Beklagten.

Es kann letztlich dahinstehen, ob diese

Bestimmung nach Einführung der Nachprüfungspflicht gem. § 316 Abs.

3 HGB überhaupt noch Bestand hat oder nicht (klarstellend sei zum

Vorbringen der Klägerin im Schriftsatz vom 15.02.1993, Seite 2 zu

Ziff. 1 a = Blatt 946 bemerkt, daß der Senat in der mündlichen

Verhandlung weder zur Frage der Wirksamkeit noch zum Inhalt der

Bestimmung eine definitive Aussage gemacht hat). Die Klägerin hat

schon die tatsächlichen Voraussetzungen der Satzungsbestimmung

nicht schlüssig dargetan. Sie behauptet ausdrücklich, daß die

Beklagte auch für das Wirtschaftsjahr 1989 ihrer

Körperschaftssteuererklärung eine besondere Steuerbilanz,

jedenfalls eine für steuerliche Zwecke überarbeitete Handelsbilanz

zugrunde gelegt und beigefügt habe und demgemäß das Finanzamt die

entsprechende steuerrechtliche Behandlung durch die Beklagte nicht

beanstandet habe (vgl. Seite 2 bis 5 des nachgelassenen

Schriftsatzes vom 15.02.1993; vgl. ferner schon Seite 21 der

Berufungsbegründung und Seite 3 des Schriftsatzes vom 22.01.1993).

Damit liegt aber nach Auffassung des Senats kein Sachverhalt vor,

der unter die Bestimmung des § 12 Abs. 3 der Satzung fällt. Mit

dieser gesellschaftsvertraglichen Regelung wird erkennbar der

Zweck verfolgt, Ansätze und Buchungen im Jahresabschluß der

Beklagten, die von Seiten des Finanzamts in steuerrechtlicher

Hinsicht beanstandet worden sind, einer Berichtigung zuzuführen.

Dagegen würde es über den Sinn und Zweck der Bestimmung

hinausgehen, sie auch in Fällen anzuwenden, in denen lediglich eine

- steuerrechtlich unbeachtliche - Divergenz zwischen Handelsbilanz

und "Steuerbilanz" vorliegt, wenn letztere dem

Körperschaftssteuerbescheid unbeanstandet zugrunde gelegt wurde.

Dies würde darauf hinauslaufen, handelsrechtlich bestehende

Bilanzierungswahlrechte, von denen in steuerrechtlich

irrelevanter Weise Gebrauch gemacht worden ist, zu beschneiden,

nur um eine steuerrechtlich nicht erforderliche Harmonisierung

zwischen Handelsbilanz und Körperschaftssteuerbescheid zu

erreichen. Auch die steuerrechtliche Rechtsprechung und Literatur

hat gerade im Hinblick auf das hier in Rede stehende

Aktivierungswahlrecht bei Töchtergewinnen betont, daß es aus der

Sicht des Steuerrechts nicht darauf ankommt und die steuerrechtlich

vertretene Auffassung über eine Aktivierungspflicht nicht davon

abhängt, ob auch in handelsrechtlicher Beziehung eine

Aktivierungspflicht besteht bzw. vertreten wird (vgl. nochmals BFH

BStBl. 1989, Teil II, Seite 718; Schmidt, EStG, 11. Auflage,

Anmerkung 31 zu § 5 "Dividendenansprüche"; vgl. zur Rechtsprechung

des BFH im übrigen auch die Kritik von Scholz, GmbHG, 8. Auflage,

Randnummer 98 im Anhang zu § 42 a). Sofern also dem

Körperschaftssteuerbescheid eine in steuerrechtlicher Hinsicht

zutreffende "Steuerbilanz" zugrunde gelegt wird und nicht der nach

handelsrechtlichen Grundsätzen "festgestellte Jahresabschluß in

abgeänderter Form", wie es in § 12 Abs. 3 der Satzung heißt, findet

diese Bestimmung von vornherein keine Anwendung. Sie bedeutet,

worauf die Beklagte zurecht hingewiesen hat (Seite 18 der

Berufungserwiderung = Bl. 886), nicht, daß die handelsrechtliche

Bilanzierung steuerrechtlichen Bilanzierungsgrundsätzen folgen

muß.

c)

Auch der Vorwurf der Willkür ist nicht

begründet. Da es sich bei der Handhabung der Vereinnahmung der

Töchtergewinne im Jahre 1989 um die Fortsetzung einer schon in den

beiden vorangegangenen Jahren ge-übten Verhaltensweise gehandelt

hat, kann von Willkür keine Rede sein. Auch das

Vollausschüttungsgebot zwingt nicht zu einer quasi rückwirkenden

Aktivierung der Töchtergewinne. Dieses verpflichtet nur dazu, die

Töchtergewinne, wenn sie einmal vereinnahmt sind, auch voll

auszuschütten. Es enthält aber keine Regelung darüber, in welchem

Jahr die Gewinne zu aktivieren und damit zu vereinnahmen sind.

II.

Was den Komplex "C." betrifft, hat das

Landgericht, wie erwähnt, zurecht diesen Vorgang nicht zum Anlaß

genommen, die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung über die

Feststellung des Jahresabschlusses 1989 und die Entlastung der

Geschäftsführer für nichtig zu erklären oder gar ohne weiteres für

nichtig anzusehen.

Allerdings hat die vor dem Landgericht

durchgeführte Beweisaufnahme auch nach Ansicht des Senats

zweifelsfrei ergeben, daß die Ausweisung des an die Firma "C."

mittels Verrechnungscheck bezahlten Betrages von 14.250,00 DM netto

unter der Position "Rechts- und Beratungskosten" objektiv falsch

war, weil für ein solches Passivum keine betriebliche Veranlassung

bestand, da die Tochterfirma T. Schuldnerin dieses Betrages war.

Desgleichen steht fest, daß die Beklagte jedenfalls eine

entsprechende Ausgleichs- oder Erstattungsforderung gegen die

Firma T. hätte aktivieren müssen, auch wenn nach der Aussage des

Zeugen B. die T. eine etwa gleichhohe Gegenforderung gegen die

Beklagte gehabt haben sollte. Durch eine entsprechende Umbuchung

(=Ausgleichung) entfiel angesichts des Verrechnungsverbots gem. §

246 Abs. 2 HGB nicht eine Bilanzierungspflicht hinsichtlich der

beiderseitigen Vorgänge.

Daraus folgt aber nicht zwingend, daß

allein wegen dieses Buchungsfehlers der Klage stattgegeben werden

müsste. Auch nach Meinung des Senats ist es nicht gerechtfertigt,

den Bestand eines Jahresabschlusses und die Entlastung der

gesetzlichen Vertreter einer Kapitalgesellschaft allein von einem

Fehler bei der Verbuchung eines relativ unbedeutenden

Einzelpostens abhängig zu machen. Zwar ist der Berufungsbegründung

zuzugeben, daß in Literatur und Rechtsprechung der Gesichtspunkt

der Schwere und wirtschaftlichen Bedeutung des Bilanzierungsfehlers

bei der Frage diskutiert wird, ob Jahresabschlüsse nichtig oder nur

anfechtbar sind (vgl. BGHZ 83, 341 ff., 347; Baumbach/Hueck, a. a.

O., Randnummer 33 zu § 42 a; Zöllner in Kölner Kommentar zum

Aktiengesetz, 1. Auflage, Randnummer 25 zu § 256; Beck`scher

Bilanzkommentar, 1986, Randnummer 58 zu § 264; auch Hachenburg, a.

a. O., Anhang zu § 47 Randnummer 91, bezieht sich wohl auf diese

Unterscheidung). Nach Auffassung des Senats gilt der Gedanke der

Verhältnismäßigkeit aber auch im Rahmen der Anfechtung und kann vom

Anfechtungsgegner im Wege des Einwands des Rechtsmißbrauches

geltend gemacht werden. Ein Rechtsmißbrauch in diesem Sinne liegt

vor, wenn der Anfechtungsgrund selbst relativ unbedeutend erscheint

und dieser der einzige Grund wäre, den Jahresabschluß für nichtig

zu erklären. Ein solcher Fall ist hier gegeben. Die falsche

Verbuchung der Rechnung "C." ist für sich genommen relativ

unbedeutend; der Betrag macht etwa 4,4 % des Bilanzgewinns aus, an

dem die Klägerin mit 9 % beteiligt ist. Würde allein der Fehler

bezüglich der Verbuchung der Rechnung "C." zur Nichtigkeit des

Jahresabschlusses führen, müßte der Jahresabschluß neu erstellt,

festgestellt und geprüft werden. Dies würde zu Kosten führen, die

den Nutzen eines neuen Jahresabschlusses bei weitem übersteigen

würden.

III.

Nach alledem verhelfen auch die im

zweiten Rechtszug noch im Streit befindlichen Beanstandungen der

Klägerin bzgl. des Jahresabschlusses der Beklagten für das Jahr

1989 der Klage nicht zum Erfolg, so daß die Berufung mit der

Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen war.

Die Entscheidung über die vorläufige

Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Streitwert für das Berufungsverfahren

und Wert der Beschwer für die Klägerin: 100.000,00 DM






OLG Köln:
Urteil v. 18.03.1993
Az: 5 U 156/92


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/ad00840349f9/OLG-Koeln_Urteil_vom_18-Maerz-1993_Az_5-U-156-92




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