Oberlandesgericht Karlsruhe:
Beschluss vom 12. August 2015
Aktenzeichen: 12 W 10/15
(OLG Karlsruhe: Beschluss v. 12.08.2015, Az.: 12 W 10/15)
§ 33 Absatz 1 RVG ist auf außergerichtliche Vergleiche nicht anzuwenden.
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Klägervertreter gegen den Beschluss des Landgerichts Mannheim vom 28.04.2015 - 6 O 325/11 - wird zurückgewiesen.
2. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Der Kläger begehrte mit seiner Klage die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, aus dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrag regelmäßig vierteljährliche Auszahlungen in Höhe von zunächst 2.930 EUR ab 20.09.2016 In Höhe von 3.376 EUR zu leisten. Hilfsweise beantragte der Kläger die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten für alle Schäden, die aus der Zeichnung des €Europlans€ erwachsen seien. Der Rechtsstreit wurde - nachdem sich die Parteien außergerichtlich geeinigt haben - durch Klagerücknahme beendet (AS 358). Das Landgericht setzte den Streitwert zunächst mit Beschluss vom 20.10.2014 (AS 359) - ausgehend von dem höheren Streitwert des Hilfsantrages - auf 130.222,26 EUR fest. Der gegen diese Wertfestsetzung gerichteten Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Klägers (AS 370) half das Landgericht mit Beschluss vom 18.11.2014 (AS 376) nicht ab und setzte den Streitwert in Abänderung des Beschlusses vom 20.10.2014 ausgehend vom Hauptantrag auf 41.020 EUR fest. Das Landgericht führte aus, § 45 Abs. 4 GKG sei auf außergerichtliche Vergleiche nicht anwendbar, damit sei der Wert des Hauptantrages ausschlaggebend. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hatte keinen Erfolg (AS 385). Im Hinblick auf den als Feststellungsantrag gestellten Hauptantrag wurde der Streitwert des Verfahrens in der Beschwerdeinstanz auf 32.816 EUR festgesetzt.
Die Klägervertreter beantragen nunmehr die Festsetzung eines Wertes gemäß § 33 Abs. 1 RVG für die unstreitige Erledigung des streitigen Schadensersatzanspruchs durch außergerichtlichen Vergleich (AS 396). Sie tragen vor, die Parteien hätten sich außergerichtlich über sämtliche Ansprüche auch über Schadensersatzansprüche geeinigt. Diese beträfen nicht denselben Streitgegenstand und seien durch den mit dem Hauptantrag gestellten Erfüllungsantrag auch nicht ausgeschlossen. Die Beklagtenvertreter sind dem Antrag entgegengetreten. Das Landgericht hat den Antrag der Klägervertreter zurückgewiesen (AS 418). Für eine Streitwertfestsetzung gemäß § 33 RVG sei neben der erfolgten Streitwertfestsetzung gemäß § 32 RVG kein Raum. Gegen den den Klägervertretern am 05.05.2015 zugestellten Beschluss des Landgerichts haben diese mit Schriftsatz eingegangen am 19.05.2015 sofortige Beschwerde eingelegt, der das Landgericht nicht abgeholfen hat. Die Klägervertreter haben weiter vorgetragen, der Vergleichswert sei nach dem Barwert der streitgegenständlichen Lebensversicherung zu bemessen. Dieser betrage 220.000 EUR.
Die Einzelrichterin hat das Verfahren gemäß § 33 Abs. 8 S. 2 RVG dem Senat zur Entscheidung übertragen.II.
Die nach § 68 Absatz 1 GKG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Für eine Festsetzung des Gegenstands(mehr-)wertes für den nach Vortrag der Klägervertreter geschlossenen außergerichtlichen Vergleichs mangelt es an einer gesetzlichen Grundlage; eine solche lässt sich insbesondere aus § 33 Absatz 1 RVG nicht ableiten.
1. Bereits der Wortlaut der Vorschrift legt eine Anwendung auf außergerichtliche Vergleiche nicht nahe. Diese trifft eine Regelung für den Fall, dass sich die €Gebühren in einem gerichtlichen Verfahren€ nicht nach dem für die Gerichtsgebühren geltenden Wert richten oder ein solcher Wert fehlt. Ein solcher liegt hier nicht vor. Der außergerichtliche Vergleich gehört nicht zum gerichtlichen Verfahren, wenn dieses auch den Anlass für die Vergleichsverhandlungen und den Abschluss des privaten Vertrages gegeben haben mag (in ähnlicher Richtung OLG Koblenz FamRZ 2015, 432, juris-Rn. 6).
2. Auch der Zweck der Norm legt es nicht nahe, ihren Anwendungsbereich auf außergerichtliche Vergleiche auszudehnen. Will ein Rechtsanwalt seine Gebühren gegenüber seinem Mandanten geltend machen oder in dessen Auftrag die Erstattung durch einen Dritten erreichen, muss er im Regelfall Klage erheben, zu deren Begründung auch Ausführungen zum Geschäftswert zu machen und die tatsächlichen Anknüpfungstatsachen für die Wertfestsetzung ggf. zu beweisen sind. Von diesem regelmäßig gebotenen Vorgehen - das dem Rechtsanwalt ebenso wie anderen Dienstleister, etwa Steuerberatern, eröffnet ist - macht das Gesetz insoweit eine Ausnahme, als es in gerichtlichen Verfahren vorsieht, dass das Gericht den Geschäftswert festsetzt (§ 33 RVG) und in den Verfahren nach § 11 RVG bzw. §§ 104 ff. ZPO Anwaltsgebühren gegen den Mandanten oder den Gegner festsetzt. Das beruht letztlich darauf, dass sich das Gericht im Rahmen der sachlichen Befassung mit einer Klage ohnehin mit deren Gegenstand befassen muss und daher zu einer Wert- und Kostenfestsetzung leicht in der Lage ist. Schließen die Parteien - sei es auch anlässlich eines gerichtlichen Verfahrens - einen außergerichtlichen Vergleich, liegt eine vergleichbare Situation nicht vor: Das Gericht müsste sich - allein zur Wert-, Gebühren- oder Kostenfestsetzung - mit Gegenständen befassen, zu deren sachlicher Befassung der Rechtsstreit keinen Anlass gibt. Um den Wert eines außergerichtlichen Vergleichs feststellen zu können, müsste es Erhebungen darüber anstellen, welche möglichen Ansprüche zwischen den Parteien ernsthaft im Streit standen, welchen Wert sie hatten und ob sie durch den außergerichtlichen Vergleich erledigt worden sind.
3. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass das Gericht zu einem solchen Vorgehen auch genötigt ist, wenn die Parteien vor ihm einen Vergleich schließen und dabei - wie es nicht selten geschieht - über den Gegenstand des Rechtsstreits hinausgehen. In diesem Fall ist das Gericht zwar nicht genötigt, sich mit den mitverglichenen Gegenständen in gleicher Weise zu befassen, als wenn es über die Ansprüche selbst zu entscheiden hätte. Bevor es einen Vergleich beurkundet, wird es aber zumindest zu prüfen haben, ob die Regelungen gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) oder die guten Sitten (§ 138 BGB) verstoßen oder - etwa bei unklaren Formulierungen oder nicht vollstreckbaren Inhalten - Anlass zu einem gerichtlichen Hinweis (§ 139 ZPO) geben. Der hiermit verbundene Aufwand löst auch eine gerichtliche Mehrvergleichsgebühr (KV GKG Nr. 1900) aus, die bei einem außergerichtlichen Vergleich nicht anfällt.
4. Auch die Gesetzgebungsgeschichte spricht eher dafür, § 33 Absatz 1 RVG auf außergerichtliche Vergleiche nicht anzuwenden. Die Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drs. 2/2545, S. 231 f.) zu § 10 BRAGO, der dem jetzigen § 33 RVG entsprach, verweist hinsichtlich des Zwecks der Regelung auf zwei in der Begründung zu § 9 BRAGO genannte Fallgruppen; dabei handelt es sich zum einen um Fälle persönlicher Gebührenfreiheit der Parteien, zum anderen um Fallgestaltungen, in denen ein Gerichtsbeschluss über den Streitwert wegen sachlicher Gebührenfreiheit oder streitwertunabhängiger Gerichtsgebühren nicht zu ergehen hat.
In diese Fallgruppen lässt sich der außergerichtliche Vergleich weder einordnen noch steht er ihnen nahe.
5. Der in anderen obergerichtlichen Entscheidungen und der Literatur vertretenen gegenteilige Auffassung - die die Anwendbarkeit des § 33 Absatz 1 RVG auf außergerichtliche Vergleiche teilweise ohne nähere Begründung voraussetzt (etwa OVG Hamburg, Beschluss vom 11. Februar 2013, juris; LAG Düsseldorf JurBüro 1993, 165; Gerold/Schmidt, RVG, 20. Auflage, § 33, Rn. 5; Baumgärtel/Hergenröder/Houben, RVG, 16. Auflage, § 33, Rn. 2; a. A. LAG BW Beschluss vom 25.07.2011 5 Ta 77/11 juris Tz 35ff, differenzierend OLG Düsseldorf JurBüro 1993, 153) - vermag sich der Senat nicht anzuschließen.
Das OVG Berlin-Brandenburg (AGS 2013, 422, juris-Rn. 2; ähnlich zu § 10 BRAO KG JurBüro 1970, 853) hält dem Wortlautargument entgegen, dass § 33 Absatz 1 RVG zwar an ein gerichtliches Verfahren anknüpfe, die Festsetzung inhaltlich aber nicht auf rechtshängige Ansprüche beschränke. Dem ist insoweit zu folgen, als das Gericht bei Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs auch nicht rechtshängige Ansprüche zu bewerten hat. Das ändert aber nichts daran, dass der Gesetzeswortlaut keinen Anhalt dafür bietet, dass in dem privilegierten Verfahren nach § 33 Absatz 1 RVG auch anwaltliche Tätigkeiten bewertet werden sollen, die im gerichtlichen Verfahren ihren Ursprung haben mögen, aber ohne gerichtliche Mitwirkung und damit außerhalb des Verfahrens stattfinden (für eine Beschränkung auf anhängige Gegenstände Schneider AGS 2013, 422, 423).
6. Eine andere Beurteilung ist auch dann nicht geboten, wenn der außergerichtliche Vergleich nach dem Vortrag der Parteien ausschließlich Ansprüche betroffen hat, die im gerichtlichen Verfahren als Haupt- oder Hilfsantrag geltend gemacht worden sind. Wird - wie hier - ein gerichtliches Verfahren durch Klagerücknahme beendet, tritt die aufschiebende Bedingung, unter die Hilfsanträge gestellt sind, nicht ein; das Gericht hat daher zu einer sachlichen Befassung mit dem Gegenstand der Hilfsanträge keinen Anlass.
OLG Karlsruhe:
Beschluss v. 12.08.2015
Az: 12 W 10/15
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