Bundespatentgericht:
Beschluss vom 27. Februar 2008
Aktenzeichen: 20 W (pat) 9/04
(BPatG: Beschluss v. 27.02.2008, Az.: 20 W (pat) 9/04)
Tenor
1. Der Beschluss des Patentamts vom 10. Oktober 2003 wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.
Gründe
I.
Im Einspruch ist fehlende Patentfähigkeit geltend gemacht worden, da der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Das Deutsche Patent- und Markenamt hat das Patent im vollen Umfang aufrechterhalten.
Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet (mit eingefügten Aufzählungszeichen):
Signalverarbeitungsschaltung für einea) Durchflussmesseinrichtung, die ein vom Durchfluss einer Flüssigkeit durch ein Messrohr (1) hindurch abhängiges elektrisches Messsignal bereitstellt, wobeib) die Signalverarbeitungsschaltung eine Filter- und Auswerteeinrichtung (15) zur Filterung und Auswertung des elektrischen Messsignals umfasst, die eine hinsichtlich transienter Ereignisse des elektrischen Messsignals geglättete, den Durchfluss repräsentierende Messwertfolge ausgibt, wobeic) die Signalverarbeitungsschaltung in einer Betriebsart zur Messung im Wesentlichen periodisch pulsierender Durchflüsse betreibbar ist, in derd) die Filter- und Auswerteeinrichtung (15) eine zeitliche Mittelung des Messsignals über Mittelungszeitintervalle durchführt und wobeie) zur Festlegung eines jeweiligen Mittelungszeitintervalls eine Pulsdetektions- und Triggerschaltung (15 bzw. 21) mit einem Schwellwertschalter vorgesehen ist, die Triggersignale für die Filter- und Auswerteeinrichtung (15) erzeugt, dadurch gekennzeichnet, dassf) der Schwellwertschalter (21) jeweils ein Triggersignalereignis erzeugt, wenn das Messsignal in vorbestimmter Änderungsrichtung einen bestimmten Schwellwertpegel (S) durchläuft, und dassg) die Filter- und Auswerteeinrichtung (15) eine jeweilige Signalmittelungsoperation zwischen zwei Triggersignalereignissen ausführt.
Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag umfasst die Merkmale der erteilten Patentansprüche 1 und 2.
Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag unterscheidet sich somit vom Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag durch folgendes zusätzliche Merkmal an seinem Ende:
h) und dass die Pulsdetektions- und Triggerschaltung (15 bzw. 21) dazu eingerichtet ist, den Schwellwertpegel nach Maßgabe von Änderungen der ausgegebenen Messwertfolge automatisch zu ändern, um den Schwellwertpegel bei steigenden Werten der Messwertfolge heraufzusetzen und bei fallenden Werten der Messwertfolge herabzusetzen.
Folgende Druckschriften wurden in der mündlichen Verhandlung erörtert (Nummerierung entsprechend der Nummerierung im Beschluss der Patentabteilung):
(D1) DE 40 27 028 A1
(D2) DE 37 03 048 A1
(D3) DE 38 11 946 A1
(D7) U. Tietze, Ch. Schenk, Halbleiter-Schaltungstechnik, 9. Auflage, 1991, S. 871;
(D9) User Manual zum Digitaloszilloskop TDS 410A, TDS 420A & TDS 460A, Tektronix, 1995 Die Beschwerdeführerin hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass mit dem Patentanspruch 1 eine Signalverarbeitungsschaltung für eine Durchflussmessung beansprucht werde, bei der für die Angabe eines kontinuierlichen Durchflusswertes lediglich das aus einem pulsierenden Fluidstrom abgeleitete pulsierende elektrische Eingangssignal einer fachüblichen arithmetischen Mittelwertbildung unterzogen werde, zu der der Fachmann bereits durch das Fachbuch (D7) angeregt werde. In diesem Zusammenhang sei auch geläufig, dass für die Angabe eines arithmetischen Mittelwerts die zeitliche Integration über mindestens eine Periode des pulsförmigen Signals vorgenommen werden muss, wodurch bereits auch die Triggerpunkte für Beginn und Ende der Integration festgelegt seien. Die Beschwerdeführerin ist daher der Auffassung, dass die mit dem Patentanspruch 1 angegebene Lösung über eine lösungsorientierte Anwendung fachlichen Grundlagenwissens nicht hinausgehe.
Die Einsprechende und Beschwerdeführerin beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin und Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise das Patent gemäß Hilfsantrag, überreicht in der mündlichen Verhandlung beschränkt aufrechtzuerhalten.
Die Beschwerdegegnerin stellt zwar den allgemeinen Bekanntheitsgrad einer arithmetischen Mittelwertbildung nicht in Frage, hält aber den Ausführungen der Beschwerdeführerin entgegen, dass diese zu diesem Ergebnis nur in Kenntnis des Patentgegenstands durch rückschauende Betrachtungsweise gelangt sei, wobei sie zudem noch auf das Fachbuch D7 für elektrische Schaltungstechnik, das keine Berührungspunkte mit der Durchflussmesstechnik enthalte, zurückgreife. Außerdem enthalte auch der speziell im Zusammenhang mit Durchflussmesstechnik genannte Stand der Technik keine Hinweise auf eine derart einfache Lösung zur Messung einer pulsierenden Flussfolge, wie sie durch den angegriffenen Patentanspruch 1 aufgezeigt sei. Der Stand der Technik beschäftige sich vielmehr mit der Lösung von Problemen, die bei speziell ausgestalteten Messanordnungen, wie bspw. bei einem nach dem Schwebekörperprinzip arbeitenden Durchflussmesser nach der Druckschrift D1 auftreten. Die Messanordnung nach der D1 erfasse zwar ebenfalls einen pulsierenden Durchfluss, eine Signalverarbeitungsschaltung, in der eine arithmetische Mittelwertbildung der pulsierenden Eingangssignale ausgeführt werde, sei aber in der D1 genau so wenig ausgeführt wie in den noch weiter ab liegenden übrigen Druckschriften. Die Beschwerdegegnerin ist zudem der Auffassung, dass allein schon die Tatsache, das die mit dem Patent beanspruchte, zugegeben in ihrer Umsetzung sehr einfache Maßnahme in der vorliegenden Patentliteratur nicht auftauche, als Indiz für das Zugrundeliegen einer erfinderischen Tätigkeit zu werten sei.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet und führt zum Widerruf des Patents, da der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Haupt- und Hilfsantrag nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
Zum Hauptantrag Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag umfasst den Gegenstand des enger gefassten Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag. Nachdem letzterer - wie die nachfolgenden Ausführungen zum Hilfsantrag zeigen - nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, ist auch der Patentanspruch 1 nach Hauptantrag nicht rechtsbeständig.
Zum Hilfsantrag Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag ist auf eine Signalverarbeitungsschaltung für eine Durchflussmesseinrichtung gerichtet, die ein vom Durchfluss einer Flüssigkeit durch ein Messrohr hindurch abhängiges elektrisches Messsignal bereitstellt. Mit der beanspruchten Signalverarbeitungsschaltung soll ein von einem pulsierend modulierten Durchfluss abgeleitetes elektrisches Messsignal bei gleichzeitiger kurzer Ansprechzeit in eine geglättete Messwertfolge umgewandelt werden (vgl. Patentschrift Sp. 2, Z. 42-48). Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag betrifft folglich schwerpunktmäßig eine elektronische Signalverarbeitungsschaltung für die Verwendung in einer Durchflussmesseinrichtung, die bezüglich der auszuwertenden Messsignale charakterisiert wird, die konkrete technische Realisierung der Gewinnung der Messsignale an sich bleibt jedoch offen. Für die Relevanz des in Betracht zu ziehenden Standes der Technik ist es damit unerheblich, von welcher Art Durchflusssensor die auszuwertenden Messsignale bereitgestellt werden.
Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag richtet sich seinem sachlichen Inhalt nach an einen Fachhochschulingenieur der elektronischen Messtechnik, der mit der Entwicklung und dem schaltungstechnischen Aufbau elektronischer Signalverarbeitungsschaltungen für die Durchflussmesstechnik befasst ist.
Aus der Druckschrift D1 ist ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Bestimmung der Durchflussmenge eines Fluids mit einer pulsierenden Strömung (vgl. Bezeichnung) bekannt. Die in der Fig. 4 dargestellte Vorrichtung zeigt eine Spulenanordnung 11, mit der ein vom Durchfluss einer Flüssigkeit durch das Messrohr hindurch abhängiges elektrisches Messsignal erzeugt wird (vgl. in Fig. 4, 13 i. V. m. Sp. 8, Z. 36-44) - Merkmal a). Das so aus dem pulsierenden Durchfluss gewonnene pulsierende elektrische Messsignal wird einer Signalverarbeitungsschaltung, bestehend aus einem Tiefpassfilter 14 und einer Auswerteeinrichtung 15 zugeführt, die - dem Zweck entsprechend - in einer Betriebsart zur Messung im wesentlichen periodisch pulsierender Durchflüsse betreibbar ist -Merkmal c)). Die Auswerteschaltung 15 enthält eine Diskriminatorschaltung 18, die bei Überschreitung einer flussrichtungsabhängigen Schwelle (vgl. Sp. 8, Z. 58-66 und Pa. 3) und damit in vorbestimmter Änderungsrichtung bei einem bestimmten Schwellwertpegel die Triggersignale für einen Integrator liefert (vgl. Sp. 8, Z. 58-66) - Merkmal f), welche den zeitlichen Beginn und das Ende der Integration bestimmen (vgl. Sp. 8, Z. 61-66) - Merkmal e). Durch diese Integration wird de facto eine zeitliche Mittelung des Messsignals über die von den Triggersignalen bestimmten Mittelungszeitintervalle vorgenommen (Merkmal d) und g)), wobei der zurückgelegte Weg des Schwebekörpers ermittelt wird (vgl. Sp. 6, Z. 17-23), der wiederum ein Maß für die Durchflussmenge ist (vgl. Sp. 6, Z. 23-25). Mit dem so erhaltenen Integrationsergebnis liegt schließlich auch eine geglättete, den Durchfluss repräsentierende Messwertfolge vor - Merkmal b).
Die mit dem Merkmal h) beschriebene Maßnahme, den Schwellwertpegel nach Maßgabe von Änderungen der ausgegebenen Messwertfolge automatisch zu ändern, um den Schwellwertpegel bei steigenden Werten der Messwertfolge heraufzusetzen und bei fallenden Werten der Messwertfolge herabzusetzen, ist zwar der D1 nicht expressis verbis entnehmbar, jedoch dem Fachmann aus seinem Grundlagenwissen der allgemeinen Messtechnik unter dem Begriff adaptive Schwellwertanpassung bekannt. Der Fachmann sieht sich zu dieser in der Messtechnik weit verbreiteten Standardmaßnahme immer dann veranlasst, wenn die zu erfassenden, vergleichsweise hochfrequenten Messsignalanteile von niederfrequenten Messsignalanteilen additiv überlagert werden und dadurch Gefahr laufen, aus dem fest vorgegebenen Schwellwertbereich geschoben zu werden. Um diesen unerwünschten Vorgang in den Griff zu bekommen und eine kontinuierliche Messwerterfassung sicherzustellen, wird der Fachmann daher in planvoller Vorgehensweise die Methode der adaptiven Schwellwertanpassung anwenden, mit der der Schwellwertverlauf mit dem Signalverlauf der niederfrequenten Signalanteile gekoppelt wird. Mehr ist mit dem Merkmal h) nicht gefordert.
Damit ist der Fachmann, ausgehend von der Druckschrift D1, ohne erfinderisch tätig werden zu müssen, allein unter routinemäßiger Anwendung einer in der Messtechnik standardisierten Methode zur Schwellwertanpassung bei der Signalverarbeitungsschaltung nach Hilfsantrag angelangt.
Die von der Beschwerdegegnerin und Patentinhaberin geäußerten Bedenken, dass der Fachmann die Druckschrift D1 gar nicht in Betracht ziehen werde, da dort die Durchflusspulse mit einem Schwebemessgerät erfasst werden und ein solches bei der beanspruchten Signalverarbeitungseinrichtung nicht zur Anwendung komme, können nicht greifen, da, wie vorstehend bereits ausgeführt, die eigentliche Messsensorik für die Erfassung des gepulsten Durchflusses von der vorliegenden Anspruchsfassung nicht umfasst ist.
Da der Anspruchswortlaut den unter Schutz zu stellenden Gegenstand in Form einer elektrischen Signalverarbeitungsschaltung und deren Verwendungszweck für die Messung pulsierender Durchflüsse in eindeutiger und klarer Weise umschreibt und der Fachmann damit einen definierten Gegenstand entnehmen kann, wäre es unzulässig, den allgemein gehaltene Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag einschränkend auszulegen (vgl. auch BPatGE 42, 204 = Bl. f. PMZ 2000, 222 = Mitt. 2000, 335 = GRUR 2000, 794 - Veränderbare Daten; BGH GRUR 2004, 1023 - Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung).
Der Fachmann orientiert sich demnach an einem Stand der Technik, der ihm auf einem einschlägigen Fachgebiet für ein gleichgelagertes Problem einen Lösungsweg aufzeigt, im vorliegenden Fall für die Glättung eines pulsierenden elektrischen Eingangssignals, das von einer einen pulsierenden Durchfluss erfassenden Messanordnung bereitgestellt wird.
Da eine derartige Vorrichtung, wie die obigen Ausführungen zeigen, zweifellos auch in der D1 realisiert ist, wird der Fachmann die Druckschrift D1, die lösungsmäßig in die gleiche technische Zielrichtung zeigt, durchaus in Betracht ziehen.
Dr. Bastian Dr. Hartung Martens Gottstein Pr
BPatG:
Beschluss v. 27.02.2008
Az: 20 W (pat) 9/04
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