Oberlandesgericht Düsseldorf:
Urteil vom 25. April 2003
Aktenzeichen: 8 U 65/02

(OLG Düsseldorf: Urteil v. 25.04.2003, Az.: 8 U 65/02)

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 26. März 2002 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Mönchengladbach wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beklagten zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die in einer Sozietät verbundenen Beklagten wegen behaupteter anwaltlicher Pflichtverletzung auf Schadenersatz in Anspruch.

Im Juni 1992 wurden bei der am 27. November 1967 geborenen Klägerin Gallensteine diagnostiziert. Sie wurde zur Durchführung der erforderlichen Operation am 28. Juni 1992 im Krankenhaus N. in M. stationär aufgenommen. Eine dortige Ultraschalluntersuchung zeigte zwei bis drei Gallenblasenkonkremente. Nach einer - dem Inhalt nach zwischen den Parteien umstrittenen - Aufklärung der Klägerin über die Operationsrisiken erfolgte am 30. Juni 1992 durch den Oberarzt Dr. C. eine laparoskopische Gallenblasenentfernung (Cholecystektomie). Ausweislich des Operationsberichtes verlief der - wegen erheblich verdickter Gallenblasenwände erschwerte - Eingriff komplikationslos. Bei einer am 3. Juli 1992 durchgeführten endoskopischen Kontrastmitteluntersuchung (ERCP) zeigte sich ein Kontrastmittelübertritt aus dem Gallengang in die Bauchhöhle. Deshalb entschied man sich nach weiterer sonographischer Abklärung zur Durchführung einer Revisionsoperation, die durch den Chefarzt der chirurgischen Abteilung Dr. S. am selben Tage erfolgte. Dabei erkannte man nach der Eröffnung des Bauchraumes eine in einem erheblich entzündeten Gebiet liegende Verletzung des Gallenganges, aus der sich Gallenflüssigkeit entleerte. Unter erschwerten Umständen wurde die Leckage geschlossen und eine Drainage zum Abfluss von Gallenflüssigkeit durch die Bauchhaut gelegt (Choledochusnaht und T-Drainage). Eine am 15. Juli 1992 erfolgte Röntgenuntersuchung zeigte einen glatten Abfluss, so dass die Klägerin am 23. Juli 1992 aus der stationären Behandlung entlassen werden konnte. Wegen erneuter Schmerzen im Bereich der Bauchdecke erfolgte am 15. September 1992 eine erneute stationäre Aufnahme. Die durchgeführten Untersuchungen zeigten eine hochgradige Stenose im proximalen Drittel des Gallenganges, wodurch ein ordnungsgemäßer Gallenabfluss verhindert wurde. Die Klägerin wurde daraufhin zur weiteren Behandlung in die medizinische Klinik A der Stadt W. überwiesen. Dort legte man am 1. Oktober 1992 eine neue Drainage (Charrier-10-Endodrainage), die dann am 12. Januar 1993 wieder entfernt werden konnte. Am 23./24. Februar 2000 wurde die Klägerin erneut stationär wegen rezidivierender kolikartiger Beschwerden durch Vornahme eines sog. Erweiterungs-EPT behandelt. Wegen im Dezember 2000 und im Januar 2001 wieder aufgetretener kolikartiger Beschwerden wurde die Klägerin erneut in der Zeit vom 29. Januar bis 31. Januar 2001 in der Klinik der Stadt Wuppertal behandelt; dabei diagnostizierte man eine weiterhin bestehende Gallengangsverengung. Eine vorgesehene endoskopische "Strukturbeseitigung" sollte nach einer Verbesserung der festgestellten Schilddrüsenüberfunktion durchgeführt werden.

Die Klägerin warf den sie seinerzeit behandelnden Ärzten des Krankenhauses N. in M. Behandlungsfehler vor: In erster Linie machte sie geltend, bei der Erstoperation sei der Gallengang aufgrund eines fehlerhaften Vorgehens verletzt worden. Zudem habe man den Austritt von Gallenflüssigkeit nicht rechtzeitig bemerkt; dies habe zu erheblichen Entzündungen und der Bildung von Vernarbungen mit einer Verjüngung des Gallenganges geführt. Neben sich hierwegen ergebender erheblicher Beeinträchtigungen und mehrfacher operativer Eingriffe sei die Versorgung ihrer damals sechs Monate alten Tochter nicht möglich gewesen; eine geplante weitere Schwangerschaft habe verschoben werden müssen.

Wegen dieser Vorwürfe wandte sich die Klägerin im Dezember 1992 an die Beklagte zu 1), die seinerzeit als Einzelanwältin tätig war und seit - spätestens - 1993 mit dem Beklagten zu 2) in einer Sozietät verbunden ist. Vorgesehen war zunächst, dass die Beklagte zu 1) eine Begutachtung des Behandlungsgeschehens durch die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler veranlassen sollte. Ein nach Darstellung der Beklagten unter dem 3. Juli 1993 an die Kommission übersandtes entsprechendes Gesuch ging dort allerdings nicht ein; darauf wurden die Beklagten aufgrund einer von ihnen am 7. April 1994 gestellten Anfrage hingewiesen. Die Gutachterkommission nahm das Verfahren im Hinblick auf die Anfrage der Beklagten auf und begann mit der Einholung von Informationen über den Behandlungsablauf. Gleichzeitig bat sie mit einem unter dem 10. Juni 1994 an die Beklagten gerichteten Schreiben um die Übersendung einer von der Klägerin unterschriebenen Entbindung der behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht gegenüber der Gutachterkommission. Mit Schreiben vom 22. August 1994 erinnerte sie an die Übersendung der noch nicht vorliegenden Entbindungserklärung. Eine weitere Erinnerung an die Beklagten erfolgte mit Schreiben vom 19. Oktober 1994 unter Hinweis auf eine Einstellung des Begutachtungsverfahrens im Falle einer fehlenden Mitwirkung der Klägerin. Weil die Beklagten die gewünschte Erklärung noch immer nicht vorlegten und hierfür auch keine Begründung angaben, stellte die Gutachterkommission mit Bescheid vom 1. Dezember 1994 das Verfahren wegen mangelnder Mitwirkung der Klägerin ein. Die Beklagten, die die erbetene Entbindungserklärung daraufhin mit Schreiben vom 9. Januar 1995 überreichten, wendeten sich unter dem 11. Dezember 1995 gegen die Verfahrenseinstellung. Durch Kommissionsbescheid vom 6. Februar 1996 wurde daraufhin festgestellt, dass das Verfahren aufgrund des Bescheides vom 1. Dezember 1994 bestandskräftig eingestellt worden ist; die Einleitung eines neuen Verfahrens wurde abgelehnt. Nachdem die Beklagten die Klägerin zuletzt mit Schreiben vom 30. Oktober 1995 (GA 33) durch Übersendung der an die Gutachterkommission gerichteten Sachstandsanfrage (Bl. 25 Kommissionsakten) über den Verfahrensgang unterrichtet hatten, teilten sie der Klägerin mit Schreiben vom 15. September 1999 (GA 34) mit, dass die Weiterverfolgung der ursprünglichen Ansprüche keine Aussicht auf Erfolg biete und Ansprüche im übrigen verjährt seien. Tatsächlich berief sich die Haftpflichtversicherung des Krankenhauses Neuwerk gegenüber den von der Klägerin durch ihren neuen Prozessbevollmächtigten erhobenen Ansprüchen auf die Einrede der Verjährung.

Die Klägerin verlangt von den Beklagten die Zahlung von Schadenersatz. Sie hat behauptet, die am 30. Juni 1992 erlittene Gallengangsverletzung sei auf ein fehlerhaftes Verhalten der operierenden Ärzte zurückzuführen. Die ärztlichen Versäumnisse hätten zu erheblichen Komplikationen und zahlreichen Nachbehandlungen geführt. Im Hinblick auf den Umfang ihrer Beeinträchtigungen sei der Krankenhausträger verpflichtet gewesen, ihr ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 35.000 DM zu zahlen. Ansprüche seien allerdings nicht mehr durchsetzbar weil zwischenzeitlich Verjährung eingetreten sei. Dafür seien die Beklagten verantwortlich, weil sie verjährungsunterbrechende Maßnahmen unterlassen und sie - die Klägerin - auch nicht auf die Gefahr einer Verjährung hingewiesen hätten.

Nachdem die Klägerin von den Beklagten zunächst die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes von mindestens 35.000 DM (GA 14) verlangt hat, hat sie erstinstanzlich zuletzt beantragt,

1.

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 35.000 DM (16.895,22 EUR) nebst 4 % Zinsen seit dem 19. November 1999 zu zahlen;

2.

festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, ihr allen weiteren Schaden, der ihr aufgrund des Anwaltsvertrages betreffend die Beratung über Ansprüche aus der Behandlung im Krankenhaus N. in der Zeit vom 28. Juni bis 23. Juli 1992 entstehen wird, zu ersetzen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben die Verjährung möglicher Ansprüche eingewandt und im übrigen geltend gemacht, dass die Voraussetzungen für eine anwaltliche Haftung nicht vorlägen: Verjährungsunterbrechende Handlungen gegenüber dem Krankenhaus N. seien von ihnen bereits deshalb nicht zu veranlassen gewesen, weil die Klägerin entgegen ihrem anwaltlichen Rat keinen Klageauftrag erteilt, sondern ausdrücklich erklärt habe, es solle nichts veranlasst werden. Eine Haftung komme auch deshalb nicht in Betracht, weil der Klägerin Ansprüche gegenüber dem Träger des Krankenhauses N. tatsächlich nicht zugestanden hätten.

Die 6. Zivilkammer des Landgerichts M. hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Leitenden Arztes der Chirurgischen Klinik des Städtischen Krankenhauses K. Prof. Dr. K. (GA 165).

Durch das am 26. März 2002 verkündete Urteil hat die Kammer unter Abweisung der Klage im übrigen die Beklagten verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin 13.000 EUR nebst 4 % Zinsen seit dem 19. November 1999 zu zahlen und dem Feststellungsantrag stattgegeben.

Gegen die Entscheidung wenden sich die Beklagten mit der Berufung. Sie wiederholen den Einwand, etwaige Regressansprüche seien verjährt, und beanstanden die Auffassung des Landgerichts, der Klägerin hätten gegenüber dem Krankenhausträger Ansprüche wegen einer unzureichenden Risikoaufklärung zugestanden. Insoweit weisen sie darauf hin, dass die Klägerin ihnen keine ausreichenden Informationen über eine möglicherweise unzureichende ärztliche Aufklärung erteilt habe; im übrigen machen die Beklagten geltend,es hätte aufgrund ihrer Beweisantritte zum Umfang des Aufklärungsgespräches jedenfalls einer entsprechenden Beweiserhebung bedurft.

Die Beklagten beantragen,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Mönchengladbach vom 26. März 2002 die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das Urteil des Landgerichts unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Sachvortrages.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung am 31. März 2003 Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin Dagmar V. und der Klägerin als Partei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die beigezogenen Behandlungsunterlagen Bezug genommen.

Gründe

A.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Landgericht hat die Beklagten zu Recht zur Zahlung von Schadenersatz an die Klägerin verurteilt und dem Antrag auf Feststellung der weitergehenden Ersatzpflicht stattgegeben. Den Beklagten fällt eine Verletzung ihrer anwaltlichen Pflichten gegenüber der Klägerin zur Last. Sie haben nach den Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung haftungsrechtlich dafür einzustehen, dass der Klägerin gegenüber dem Träger des Krankenhauses N. in M. zustehende deliktische Ansprüche wegen Verjährung nicht mehr durchsetzbar sind.

I.

Eine Schlechterfüllung ihrer anwaltlichen Pflichten fällt den Beklagten in zweifacher Hinsicht zur Last:

1.)

Zunächst ist den Beklagten vorzuwerfen, die Klägerin nach der Einstellung des Begutachtungsverfahrens durch die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler durch den Einstellungsbescheid vom 1. Dezember 1994 nicht nachdrücklich auf die drohende Gefahr der Verjährung möglicher deliktischer Ansprüche gegenüber dem Träger des Krankenhauses N. und die Notwendigkeit verjährungsunterbrechender Handlungen hingewiesen zu haben. Es ist anerkannt, dass ein Rechtsanwalt pflichtwidrig handelt, wenn er einen Anspruch seines Mandanten verjähren lässt, ohne diesen zuvor auf die Verjährungsgefahr hingewiesen und eine verjährungsunterbrechende Maßnahme empfohlen zu haben (Zugehör, Handbuch der Anwaltshaftung, Seite 438).

Dass sich die Beklagten mit der Behauptung, die Klägerin habe auf die Empfehlung zur Klageerhebung in einem am 14. Oktober 1996 geführten Telefonat erklärt, es solle jedenfalls einstweilen nichts veranlasst werden, nicht entlasten können, hat das Landgericht zutreffend ausgeführt. Eine solche Mitteilung der Klägerin besagte nicht, dass sie entsprechende Ansprüche gegenüber dem Krankenhausträger überhaupt nicht mehr verfolgen und daher - bei Kenntnis einer drohenden Verjährung - auch keine verjährungsunterbrechenden Maßnahmen in die Wege leiten wollte. In diesem Zusammenhang behaupten die Beklagten nicht einmal, auf eine drohende Verjährungsgefahr überhaupt hingewiesen zu haben.

2.)

Darüber hinaus fällt den Beklagten eine anwaltliche Pflichtverletzung im Zusammenhang mit dem im Auftrag der Klägerin betriebenen Verfahren vor der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler zur Last: Die ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens mit der erstrebten sachverständigen Begutachtung der in dem Krankenhaus N. erfolgten Behandlung scheiterte alleine an der fehlenden Mitarbeit der Beklagten, die auf die mehrfachen Aufforderungen der Kommission, den überreichten Vordruck zur Entbindung der behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht gegenüber der Gutachterkommission ausgefüllt und von der Klägerin unterschrieben zurückzugeben, nicht reagierten. Die Kommission schrieb die Beklagten unter dem 10. Juni, 22. August und 19. Oktober 1994 an und erinnerte jeweils an die Überreichung der Erklärung, zuletzt unter Hinweis auf eine eventuelle Verfahrenseinstellung wegen mangelnder Mitwirkung. Wie das Schreiben der Beklagten vom 6. Februar 1995 (GA 17) an die Klägerin zeigt, hatten sie das entsprechende Formular zunächst nicht an sie weitergeleitet; dies geschah vielmehr erst mit Schreiben vom 6. Februar 1995, als das Kommissionsverfahren bereits eingestellt war. Die Beklagten haben es daher nicht nur zu verantworten, dass eine vorprozessuale sachverständige Begutachtung nicht stattfand; sie sind darüber hinaus dafür verantwortlich, dass die aufgrund des Begutachtungsverfahrens zunächst eingetretene Verjährungshemmung nicht fortdauerte.

II.

Ohne Erfolg machen die Beklagten geltend, ihnen seien anwaltliche Fehler im Zusammenhang mit der eingetretenen Verjährung der von der Klägerin gegenüber dem Krankenhausträger geltend gemachten Ansprüche jedenfalls deshalb nicht anzulasten, weil es für sie keine Veranlassung zu der Annahme gegeben habe, dass eine Haftung des Krankenhausträgers auch aus dem Gesichtspunkt eines - von dem Landgericht angenommenen - Versäumnisses bei der präoperativen Risikoaufklärung in Betracht kam; die Klägerin habe die entsprechende Aufklärung ihnen gegenüber nämlich als ausführlich beschrieben.

Die Beklagten verkennen dabei, dass ein nicht sachverständig beratener Patient regelmässig nicht zu beurteilen vermag, welche Risiken einer bestimmten Behandlung innewohnen und in welchem Umfang über sie gegebenenfalls aufzuklären ist. Dies zeigt bereits der Umstand, dass behandlungsbedingt entstandene Beeinträchtigungen, die ein Patient auf einen ärztliches Fehlverhalten zurückführt, sich nicht selten als die Verwirklichung eines mit der Behandlung verbundenen typischen - und damit aufklärungspflichtigen - Risikos darstellen. Aus diesem Grund durften die Beklagten im Rahmen der Beratung ihrer Mandantin die Frage eines Aufklärungsversäumnisses nicht unbeachtet lassen. Tatsächlich beriefen sich die Beklagten in ihrer an die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler gerichteten Antragsschrift vom 3. Juli 1993 (Seite 3) ausdrücklich darauf, dass die Klägerin über das Risiko einer intraoperativen Gallengangsverletzung nicht aufgeklärt worden sei.

III.

Infolge der Verletzung anwaltlicher Pflichten sind der Klägerin gegenüber dem Träger des Krankenhauses N. zustehende Ansprüche auf Erstattung immaterieller Schäden (Zahlung von Schmerzensgeld) nicht mehr durchsetzbar.

1.)

Der Krankenhausträger ist der Klägerin wegen der Folgen der am 30. Juni 1992 durchgeführten Gallenblasenoperation zum Schadenersatz verpflichtet.

a) Aufgrund der erstinstanzlichen Begutachtung durch den Sachverständigen Prof. Dr. Kienzle sind - was das Landgericht offen gelassen hat - allerdings ärztliche Fehler im Zusammenhang mit der endoskopisch durchgeführten Gallenblasenoperation nicht festzustellen. Der Sachverständige, der als leitender Arzt der Chirurgischen Klinik eines großen städtischen Krankenhauses über umfangreiche wissenschaftliche und praktische Erfahrung zur Beurteilung des streitgegenständlichen medizinischen Sachverhaltes verfügt, hat in seinem Gutachten deutlich gemacht, dass die bei dem Eingriff eingetretene Verletzung des Gallenganges nicht bereits auf ein fehlerhaftes operatives Vorgehen hinweist, sondern sich als Folge eines typischen Risikos der gewählten Operationsmethode (Laparoskopie) darstellt. Auch der Operationsbericht gibt nach Darstellung des Sachverständigen keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme etwaiger Versäumnisse. Seinen Ausführungen zufolge kann es zwar unter bestimmten Voraussetzungen erforderlich sein, das endoskopische Vorgehen zu beenden und zu einer Laparotomie zu wechseln, damit der Operateur ein größeres Sichtfeld im Operationsgebiet erhält. Dass dies hier erforderlich war, weil dem Operateur die Übersicht verloren zu gehen drohte, kann allerdings angesichts der detaillierten Beschreibung der Verhältnisse in dem Operationsbericht nicht angenommen werden.

b) Die Verpflichtung des Krankenhausträgers zum Schadenersatz ergibt sich indes aufgrund eines den mit der Behandlung der Klägerin befassten Ärzten zur Last fallenden Aufklärungsversäumnisses, welches die Unwirksamkeit ihrer Einwilligung in die Operation und damit die Rechtswidrigkeit des vorgenommenen operativen Eingriffs zur Folge hatte. Die insoweit beweispflichtigen Beklagten haben aufgrund der vor dem Senat durchgeführten Beweisaufnahme nicht den Nachweis dafür zu erbringen vermocht, dass die Klägerin in dem erforderlichen Umfang über die Risiken der laparoskopischen Gallenblasenoperation aufgeklärt worden ist.

Prof. Dr. K. hat in seinem Gutachten deutlich gemacht, dass die im Jahre 1992 laparoskopisch durchgeführte Gallenblasenoperation - auch weil diese Technik sich zum damaligen Zeitpunkt in der Einführungsphase befand - außer den üblichen Operationsrisiken ein gegenüber der durch einen Bauchschnitt erfolgten Operation deutlich erhöhtes Risiko einer bei der Klägerin letztlich aufgetretenen Gallengangsverletzung aufwies, über welches die Patientin speziell und ausführlich aufzuklären war.

Dass die Klägerin vor der Operation in einem solchen Umfang aufgeklärt worden ist, kann nicht festgestellt werden. Eine entsprechende Aufklärung ergibt sich nicht aus dem Inhalt des von der Klägerin unter dem 29. Juni 1992 unterzeichneten Formulars über die "Einwilligung in ärztlichen Eingriff". Dort sind außer dem Hinweis darauf, dass eine laparoskopische Gallenblasenentfernung und, wenn nicht möglich, ein Bauchschnitt vorgesehen sind, sowie der Darstellung operationstypischer Risiken ("Nachblutung, Entzündung, Wundheilungsstörung, Verletzung von Gefäßen und Nachbarorganen, Thrombose, Embolie") die von dem Sachverständigen beschriebenen besonderen Gefahren dieser Operationstechnik nicht erwähnt.

Eine entsprechende Aufklärung ergibt sich auch nicht aus den Bekundungen der Zeugin Dr. V. (vormals K.), die seinerzeit das ärztliche Aufklärungsgespräch mit der Klägerin geführt hatte. An den Inhalt des damaligen Gespräches hat die Zeugin aufgrund des Zeitablaufes verständlicherweise keine Erinnerung mehr. Sie hat auf Nachfrage allerdings einen ihrer Darstellung nach von ihr beachteten Standard bei der präoperativen Aufklärung von Patienten über laparoskopischen Gallenblasenoperationen beschrieben, wonach sie ausser über die grundsätzliche Möglichkeit der Wahl zwischen zwei unterschiedlichen Operationsmethoden (Laparoskopie oder Laparotomie) mit ihren Vor- und Nachteilen darauf hinweist, dass bei einem laparoskopischen Eingriff durchaus "etwas passieren kann, was dann einen Wechsel der Operationsmethode erfordert", also zu einem Bauchschnitt führt.

Diese von der Zeugin beschriebene Patientenaufklärung war - selbst wenn sie mit diesem Inhalt erfolgt sein sollte - nicht ausreichend. Aus ihr ergibt sich nämlich nicht mit der für die Entscheidung der Patientin zugunsten einer Operationsmethode erforderlichen Deutlichkeit, dass - jedenfalls zu dem hier massgebenden Zeitpunkt im Jahre 1992 - der laparoskopischen Gallenblasenoperation ein deutlich erhöhtes Risiko einer Gallengangsverletzung inne wohnte.

Im übrigen erscheint es nicht ausreichend sicher, ob die Zeugin V. bereits zu dem hier massgebenden Zeitpunkt im Jahre 1992 nach dem von ihr beschriebenen "Aufklärungsstandard" vorgegangen ist; denn es ist zu berücksichtigen, dass seit der Operation der Klägerin über 10 Jahre vergangen sind; unter diesen Umständen ist es letztlich nicht auszuschliessen, dass die Zeugin ihre ärztlichen Gepflogenheiten den in dieser Zeit von ihr gesammelten Erfahrungen angepasst hat.

Entgegen der Darstellung der Beklagten hat die Klägerin eine ausreichende Risikoaufklärung im Rahmen ihrer Parteivernehmung nicht bestätigt. Nachdem sie auf die entsprechende Frage zunächst geantwortet hat, sie "werde wohl aufgeklärt worden sein", hat sie im weiteren ausgeführt, nur über die Vorzüge des laparoskopischen Eingriffs informiert worden zu sein. Die Aufklärung über mit dieser Operationsmethode verbundene besondere Risiken hat sie ausdrücklich nicht bestätigt.

2.)

Die sich aufgrund des Aufklärungsversäumnisses ergebenden Ansprüche der Klägerin gegenüber dem Krankenhausträger auf Ersatz immaterieller Schäden sind nicht mehr durchsetzbar, weil bezüglich dieser Ansprüche im Februar 1997 Verjährung eingetreten ist, auf die sich der Krankenhausträger beruft (§§ 222, 852 BGB, a.F.).

Nach § 852 Abs. 1 BGB (a.F.) verjähren Ansprüche aus unerlaubter Handlung in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in welchem der Geschädigte von dem Schaden und der Person des Schädigers Kenntnis erlangt. Kenntnis im Sinne der Vorschrift ist grundsätzlich vorhanden, wenn die dem Anspruchsteller bekannten Tatsachen ausreichen, um den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des Anspruchsgegners als des Schädigers und die Ursache dieses Verhaltens für den Schaden als naheliegend erscheinen zu lassen. Dann ist es dem Anspruchssteller zuzumuten, auch unter Inkaufnahme eines verbleibenden Prozessrisikos Klage zu erheben.

Die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass die Klägerin über eine entsprechende Kenntnis im Sinne von § 852 Abs. 1 BGB ab dem 3. Juli 1993 verfügte. Zu diesem Zeitpunkt war der der Gutachterkommission zunächst nicht zugegangene Antrag auf Überprüfung der ärztlichen Behandlung von den Beklagten verfasst worden. Dabei war vorgetragen worden, dass die seinerzeitige Behandlung fehlerhaft und im übrigen eine Aufklärung über das Risiko einer intraoperativen Gallengangsverletzung nicht erfolgt war. Ab dem 28. Juni 1994 war die Verjährung aufgrund des nunmehr begonnen Verfahrens vor der Gutachterkommission gemäss § 852 Abs. 2 BGB (a.F.) gehemmt. Diese Hemmung endete - entgegen der Auffassung des Landgerichts, das insoweit auf den 8. Februar 1996 abstellt - am 1. Dezember 1994 aufgrund des zu diesem Zeitpunkt erfolgten Bescheides der Gutachterkommission über die Einstellung des Begutachtungsverfahrens. Zu diesem Zeitpunkt endeten wegen der angeordneten Verfahrenseinstellung die für eine Verjährungshemmung maßgebenden Verhandlungen der Patientin mit dem Krankenhausträger i. S. v. § 852 Abs. 2 BGB (a.F.). Unter diesen Umständen war im Februar 1997 die Verjährung deliktischer Ansprüche aus behaupteten Behandlungsfehlern und Aufklärungsversäumnissen eingetreten, worauf sich die Haftpflichtversicherung des Krankenhausträgers mit Schreiben vom 14. Mai 1998 ausdrücklich berief.

IV.

Nicht zu beanstanden ist die Auffassung des Landgerichts, dass der Klägerin wegen der durch die Gallengangsverletzung eingetretenen Komplikationen gegenüber dem Krankenhausträger ein Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 13.000 EUR zusteht, den die Beklagten zu ersetzen haben, weil er für die Klägerin wegen Verjährung nicht mehr durchsetzbar ist.

Für die Bemessung des Schmerzensgeldes ausschlaggebend ist in erster Linie, dass es bei der am 30. Juni 1992 durchgeführten Operation zu einer Gallengangsverletzung gekommen war, die zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen für die Klägerin geführt hat: Zur Behebung der Verletzung musste am

3. Juli 1992 eine Revisionsoperation vorgenommen werden, bei der der Gallengang genäht und durch die Bauchdecke eine Drainage gelegt wurde. Wegen einer Stenose des Gallenganges war dann am 1. Oktober 1992 eine weitere Operation erforderlich, bei der eine - erst im Januar 1993 entfernte - erneute Drainage gelegt werden musste. Aufgrund weiterer Schmerzzustände, mit denen nach Darstellung des Sachverständigen auch zukünftig zu rechnen sein wird, bedurfte es zwischenzeitlich einer erneuten operativen Erweiterung des Gallenganges. In der Gesamtschau stellen sich die Beeinträchtigungen der Klägerin damit derart massiv dar, dass das von dem Landgericht als gerechtfertigt angesehene Schmerzensgeld in keiner Weise zu beanstanden ist.

V.

Die gegen die Beklagten gerichteten Ansprüche sind nicht verjährt.

Dabei kann es im Ergebnis offen bleiben, ob eine Verjährung hinsichtlich des Anspruchs auf Ersatz des sogenannten Primärschadens der Mandantin eingetreten ist. Dieser Anspruch, der gemäss § 51 b BRAO in drei Jahren von dem Zeitpunkt seiner Entstehung verjährt, entstand hier mit dem Eintritt der Verjährung von Schadenersatzansprüchen der Klägerin gegenüber dem Krankenhausträger im Februar 1997. Die Verjährung wäre daher gemäß § 209 Abs. 1 BGB durch die am 12. Januar 2000 erfolgte Einreichung der Klageschrift bei dem Landgericht unterbrochen, wenn ihre Zustellung demnächst erfolgt wäre (§ 270 Abs. 3 ZPO); dies ist nach der Aktenlage nicht feststellbar. Zwar hat der Kammervorsitzende am 28. Januar 2000 die Zustellung der Klage verfügt. Ein Zustellungsnachweis fehlt indes. Weil sich daher eine formell ordnungsgemäße Zustellung der Klage nicht feststellen lässt, könnte von einer Rechtshängigkeit vor der mündlichen Verhandlung am 19. September 2000 und damit von einer rechtzeitigen Verjährungsunterbrechung nur dann ausgegangen werden, wenn der Zustellungsmangel vor dem Ablauf der Verjährungsfrist geheilt worden wäre. Ob dies der Fall ist, kann letztlich offen bleiben.

Als unabhängig von der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz des sogenannten Primärschadens ist nämlich davon auszugehen, dass die Beklagten der Klägerin wegen der Verletzung ihrer sekundären Hinweispflicht auf das Bestehen einer gegen sie gerichteten - nicht verjährten - Regressforderung haften. Die sekundäre Hinweispflicht des Rechtsanwaltes entsteht, wenn er vor dem Eintritt der Primärverjährung aufgrund objektiver Umstände begründeten Anlass zu der Prüfung hat, ob er durch eine Pflichtverletzung den Mandanten geschädigt hat und wenn ein sorgfältiger Anwalt dabei seine mögliche Haftpflicht erkennen kann (Zugehör a.a.O., Rdn. 1276). Diese Voraussetzungen lagen vor, als die Beklagten mit Schreiben vom 15. September 1999 (GA 34) das Mandat gegenüber der Klägerin unter anderem mit dem Hinweis auf eine zwischenzeitliche Verjährung möglicher Ansprüche gegen den Krankenhausträger beendeten. Die Beklagten mussten angesichts ihrer Verantwortlichkeit für den Verjährungseintritt die Klägerin unter diesen Umständen auf mögliche Regressforderungen gegen sie selbst hinweisen (Zugehör, a.a.O., Rdn. 1271). Der Sekundäranspruch der Klägerin gegen die Beklagten ist nicht verjährt: Auch er verjährt gemäß § 51 b BRAO in drei Jahren seit seiner Entstehung, spätestens jedoch in drei Jahren nach Beendigung des Auftrages. Weil der Auftrag im September 1999, als der Primäranspruch gegenüber den Beklagten noch nicht verjährt war, beendet worden ist, konnte die Verjährung des ihnen gegenüber bestehenden Sekundäranspruchs aufgrund der mündlichen Verhandlung am 19. September 2000 rechtzeitig unterbrochen werden.

B.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Voraussetzungen zur Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Die Beschwer der Beklagten liegt unter 20.000 EUR.






OLG Düsseldorf:
Urteil v. 25.04.2003
Az: 8 U 65/02


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