Verwaltungsgericht Köln:
Beschluss vom 11. Juni 2007
Aktenzeichen: 4 L 715/07

(VG Köln: Beschluss v. 11.06.2007, Az.: 4 L 715/07)

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers - 4 K 2156/07 - gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 29. März 2007 in der Ges-talt des Widerspruchsbescheides vom 15. Mai 2007 wird wiederhergestellt. Im Óbrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsgegner und der Beigeladene je zur Hälfte. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen der Antragsgegner und der Beigelade-ne jeweils selbst.

2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,-- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der (sinngemäße) Antrag des Antragstellers,

die aufschiebende Wirkung seiner Klage - 4 K 2156/07 - gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 29. März 2007 in der Gestalt des Wi- derspruchsbescheides vom 15. Mai 2007 wiederherzustellen,

ist begründet.

Die nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der hier gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO angeordneten sofortigen Vollziehung des Bescheides und dem Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung fällt zu Lasten des Antragsgegners aus. Bei der Entscheidung, ob die Vollziehung ausgesetzt und die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs oder einer Klage wiederhergestellt werden soll, hat das Gericht auch den voraussichtlichen Erfolg des eingelegten Rechtsbehelfs zu berück- sichtigen. Ist ein Obsiegen des Antragstellers im Hauptsacheverfahren wahrschein- lich, weil sich die angefochtene Verfügung bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als rechtswid- rig darstellt, so ist dem Antrag regelmäßig stattzugeben.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die angefochtenen Verwaltungs- akte, mit denen die Bestimmung des Antragstellers als Nachfolger des mit Ablauf des 31. März 2007 aus dem Rat der Stadt Wermelskirchen ausscheidenden Ratsmitglie- des L. I. aufgehoben worden ist, sind nach summarischer Prüfung rechtswidrig und verletzen den Antragsteller in seinen schutzwürdigen (Außen-)Rechten. Bei den angefochtenen Entscheidungen des Antragsgegners handelt es sich um Verwal- tungsakte, bei denen es nicht um innerorganisatorische Mitwirkungsrechte eines Ratsmitgliedes geht, sondern um die Frage, ob der Kläger überhaupt Mitglied des Rates geworden ist.

Der Antragsteller hat nach Auffassung der Kammer mit seiner Bestimmung als Nachfolger des ausscheidenden Ratsmitgliedes L. I. , spätestens aber mit dem Eingang seiner Annahmeerklärung beim Antragsgegner, die Mitgliedschaft im Rat der Stadt Wermelskirchen zum 1. April 2007 erworben (1.). Diese Bestimmung des Antragstellers konnte vom Antragsgegner nicht mit der Begründung rückgängig ge- macht werden, der Antragsteller sei danach, aber noch vor Beginn seiner Mitglied- schaft im Rat am 1. April 2007 aus der Wählergemeinschaft WNK UWG ausgetreten (2.).

(1) Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 KWahlG wird der Nachfolger eines - wie hier - aus- geschiedenen Ratsmitglieds durch den Wahlleiter festgestellt. Dieser ist dabei an die Regelungen des § 45 Abs. 1 KWahlG gebunden. Er hat daher vor seiner Feststellung zu prüfen, für welche Partei oder Wählergruppe der Ausgeschiedene bei der Wahl aufgetreten und wer aus der Reserveliste zu seiner Nachfolge berufen ist (§ 45 Abs. 1 Sätze 1 und 3 KWahlG). Hierbei sind nach § 45 Abs. 1 Satz 2 diejenigen Bewerber auf der Reserveliste unberücksichtigt zu lassen, die aus der Partei oder Wählergrup- pe, für die sie bei der Wahl aufgestellt waren, ausgeschieden sind.

Aufgrund der Ermächtigung des § 51 Abs. 1 Satz 1 KWahlG hat der Innenminis- ter ferner in § 69 der KWahlO vom 31. August 1993 (GV. NRW. S. 592) - in der Fas- sung vom 05. April 2005 (GV. NRW. S. 306) - bestimmt, dass die Vorschriften über die Benachrichtigung der Gewählten und die Annahme der Wahl (§ 36 KWahlG) und (§ 62 KWahlO) bei der Ersatzbestimmung nach § 45 KWahlG entsprechende An- wendung finden. § 36 KWahlG bestimmt hinsichtlich der Annahme des Mandats, dass ein gewählter Bewerber die Mitgliedschaft in der Vertretung mit dem Eingang der auf die Benachrichtigung nach § 35 Abs. 1 KWahlG erfolgenden Annahmeerklä- rung beim zuständigen Wahlleiter erwirbt.

Die Anwendung dieser Bestimmungen auf den vorliegenden Fall ergibt, dass der Antragsteller ordnungsgemäß als Nachfolger des ausgeschiedenen Ratsmitgliedes I. festgestellt worden ist und mit der Annahme der Wahl nach § 69 Abs. 2 KWahlO, § 36 KWahlG Mitglied des Rates der Stadt Wermelskirchen zum 1. April 2007 ge- worden ist. Dass der Antragsteller im Zeitpunkt der Feststellung durch den Wahlleiter am 6. März 2007 und des Eingangs seiner Annahmeerklärung am 8. März 2007 die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 KWahlG erfüllte und der "berufene" Nachfolger war, ist zwischen den Parteien unstreitig. Dies gilt auch mit Blick auf die Zugehörig- keit zur Wählergruppe WNK UWG. Zwar hat der Wahlleiter nach den Verwaltungs- vorgängen den Rücklauf seiner an die Wählergruppe gerichteten Anfrage entgegen der Sollvorschrift des § 69 Abs. 1 KWahlO nicht abgewartet. Dies ist aus der Sicht der Kammer jedoch unschädlich, weil der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt und im Zeitpunkt der Annahmeerklärung jedenfalls unstreitig noch Mitglied der Wählergrup- pe war.

Der Antragsteller hat die Wahl als Ersatzmitglied des Rates nach der gemäß §§ 36, 35 KWahlG erfolgten Benachrichtigung durch den Wahlleiter auch ordnungsgemäß angenommen. Mit dem Eingang dieser Annahmeerklärung hat er die Mitgliedschaft in der Vertretung gemäß § 69 Abs. 2 KWahlO, § 36 Abs. 1 Satz 1 KWahlG erworben. Auf die Tatsache, dass diese Mitgliedschaft nach §§ 69 KWahlO i.V.m. der entsprechenden Anwendung des § 62 Abs. 7 KWahlO erst mit dem Ausscheiden des Ratsmitgliedes I. zum 1. April 2007 begann, ist der Antragsteller vom Wahlleiter hingewiesen worden.

(2) Die somit nach den einschlägigen Bestimmungen des KWahlG und der KWahlO erfolgte Bestimmung des Antragstellers als nachfolgendes Ratsmitglied wird entgegen der Auffassung des Antragsgegners durch das nachfolgende Ausscheiden des Antragstellers aus der Wählergruppe nicht berührt. Denn maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Voraussetzung der Zugehörigkeit zur Partei oder Wählergruppe i.S.v. § 45 Abs. 1 Satz 2 KWahlG ist nach Auffassung der Kammer der Zeitpunkt der Feststellung des Nachfolgers durch den Wahlleiter,

so Schreiber in Handbuch des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag, Kommentar zum Bundeswahlgesetz, 5. Auflage 1994 zu der praktisch wortgleichen Bestimmung des § 48 Bundeswahlgesetz, Rdnr. 5 ff m.w.N.,

allenfalls noch der hiermit in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang stehende Zeitpunkt des Eingangs der Annahmeerklärung beim Wahlleiter,

so Kremer in "Die Ersatzbestimmung von Ratsmitgliedern", DVP 2002, Seite 367; ähnlich wohl auch OVG Münster, Urteil vom 24.01.1974 - III A 554/73 -, OVGE MüLü 29, 186 (188).

Für diese Auslegung des Kommunalwahlgesetzes sprechen Wortlaut und Systematik des Gesetzes. § 45 KWahlG stellt seiner Überschrift und seinem Inhalt nach eine lediglich auf die Ersatzbestimmung von Vertretern bezogene Bestimmung dar. Mit anderen Worten: Die Voraussetzungen, die diese Vorschrift aufstellt, müssen bei dieser Ersatzbestimmung erfüllt sein und vor der Feststellung des Nachfolgers vom Wahlleiter geprüft werden. Ein weitergehender Regelungsgehalt - etwa des Inhalts, dass diese Voraussetzung auch nach der Bestimmung des Nachfolgers bis zum Beginn der Mitgliedschaft fortdauern muss - lässt sich der Vorschrift nicht entnehmen, zumal unstreitig ist, dass die Ratsmitglieder selbst derartigen Beschränkungen nicht unterliegen. Auch im Hinblick auf den Grundsatz des freien Mandats erscheint es jedoch zweifelhaft, den festgestellten Nachfolger bis zum Beginn seiner Mitgliedschaft anders zu behandeln als danach,

vgl. hierzu Schreiber in „§ 48 Abs. 1 Satz 1 Bundeswahlgesetz verfassungswidrig€", DÖV 1976, Seite 737.

Im Übrigen ist das Verfahren der Ersatzbestimmung stark formalisiert und auf die Schaffung klarer Verhältnisse angelegt. Hiermit wäre eine Befugnis des Wahlleiters, eine einmal entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen getroffene Ersatzbe- stimmung wegen veränderter Verhältnisse rückgängig zu machen, kaum vereinbar; zumindest hätte sie aber einer gesetzlichen Regelung bedurft. In diesem Zusam- menhang ist auch darauf hinzuweisen, dass die vorliegende Fallkonstellation nicht so singulär ist, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag. § 62 Satz 2 Nr. 7 KWahlO macht deutlich, dass der Fall des Auseinanderfallens von förmlicher Bestimmung des Mandatsträgers (oder Ersatzvertreters) und Beginn der Mitgliedschaft zumindest nach Kommunalwahlen eher die Regel als die Ausnahme darstellt. Auch dort kann es vorkommen, dass ein gewählter Bewerber, der das Mandat nach § 36 KWahlG angenommen hat, danach, aber noch vor Zusammentritt der neuen Vertretung (vgl. § 62 Satz 2 Nr. 7 KWahlO) die Partei oder Wählergruppe, für die er aufgetreten ist, ver- lässt. Den einschlägigen Vorschriften lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass dies zum Verlust des Mandats führt. Auch dies spricht dafür, dass die Voraussetzung der Zugehörigkeit zu einer Partei oder Wählergruppe nicht zwangsläufig bis zum Beginn der eigentlichen Mitgliedschaft fortbestehen muss, sondern es - bei der Ersatzbe- stimmung - allein darauf ankommt, dass diese Voraussetzung im Zeitpunkt der Fest- stellung des Nachfolgers vorgelegen hat.

Die Mitgliedschaft des Antragstellers im Rat der Stadt Wermelskirchen war danach allein vom Zeitablauf abhängig. Für die vorgenommene Aufhebung der Bestimmung des Antragstellers als Nachfolger des Ratsmitgliedes I. fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage.

II.

Für den weitergehenden Antrag des Antragstellers,

dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, ihn vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache als vollwertiges Mitglied des Rates zu behandeln,

fehlt das Rechtsschutzinteresse; er war daher abzulehnen.

Der Akte sind keine Anhaltspunkte zu entnehmen, dass der Antragsgegner die sich aus der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers ergebenden Folgerungen für die Mitgliedschaft des Antragstellers und die sich hieraus ferner ergebenden Konsequenzen für die Mitgliedschaft des Beigeladenen ignorieren wird. Es kann daher auch dahinstehen, ob der Antragsgegner für eine derartige Entscheidung überhaupt zuständig wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1 Satz 3, 162 Abs. 3 VwGO. Da es dem Antragsteller letztlich vor allem darum geht, als Mitglied des Rates der Stadt Wermelskirchen anerkannt zu werden und der Antrag zu 2) lediglich einen As- pekt dieses Begehrens beinhaltet, ist der Antragsteller in der Sache trotz der Ableh- nung des Antrages zu 2) nur zu einem geringen Teil unterlegen. Es entspricht im Übrigen der Billigkeit (§ 162 Abs. 3 VwGO), dass neben dem An- tragsgegner auch der Beigeladene anteilig die Kosten trägt, da der Beigeladene mit Schriftsatz vom 09. Juni 2007 einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisi- ko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).

2. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 2 GKG.






VG Köln:
Beschluss v. 11.06.2007
Az: 4 L 715/07


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