Landgericht München I:
Urteil vom 9. Dezember 2008
Aktenzeichen: 9 HK O 16126/06, 9 HK O 16126/06

(LG München I: Urteil v. 09.12.2008, Az.: 9 HK O 16126/06, 9 HK O 16126/06)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000,€ EUR, an dessen Stelle im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ordnungshaft bis zu 6 Monaten tritt, oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollstrecken an der Geschäftsführerin, für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung, zu unterlassen,

im geschäftlichen Verkehr das Mittel "S" mit einer bestimmungsgemäßen Tagesdosis von 100 mg Vitamin B 6 als diätetisches Lebensmittel, insbesondere als ergänzende bilanzierte Diät, zu bewerben und/oder zu vertreiben.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung des Klägers in Höhe von 3.500,€ EUR vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger macht gegen die Beklagte einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch geltend.

Der Kläger ist ein eingetragener Verein, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben die Wahrung der gewerblichen Interessen seiner Mitglieder, insbesondere die Achtung darauf gehört, dass die Regeln des lauteren Wettbewerbs eingehalten werden.

Die Beklagte vertreibt ein Mittel namens "S" als "ergänzende bilanzierte Diät zur Behandlung eines erhöhten Homocysteinspiegels". Dieses Mittel enthält u. a. Vitamin B 6, Vitamin B 12 und Folsäure und soll gemäß der Verzehrempfehlung der Beklagten in Form von einer Kapsel täglich genommen werden. Dabei enthält eine Kapsel des genannten Mittels 100 mg Vitamin B 6.

Der Kläger trug vor, dass insbesondere die Dosierung von Vitamin B 6 so massiv überhöht sei, dass sie weder für ein Nahrungsergänzungsmittel, also für ein Lebensmittel des allgemeinen Verzehrs, noch für eine ergänzende bilanzierte Diät in Betracht komme und allenfalls als Bestandteil eines zulassungspflichtigen Arzneimittels, dann aber versehen mit einem Warnhinweis verkehrsfähig wäre. Über eine arzneimittelrechtliche Zulassung verfüge das Mittel der Beklagten jedoch nicht.

Dieses Mittel enthalte pro Kapsel das 50-fache der empfohlenen Tagesdosis an Vitamin B 6, das 5-fache der empfohlenen Tagesdosis an Folsäure und das 1000-fache des empfohlenen Tagesbedarfs an Vitamin B 12.

Da das Mittel der Beklagten aber nicht als Nahrungsergänzungsmittel, sondern als ergänzende bilanzierte Diät in den Verkehr gebracht werde, dürfe der Gehalt an den Stoffen der Anlage 6 zur Diätverordnung in den dort aufgeführten Höchstmengen nicht überschritten werden. Das Mittel der Beklagten würde jedoch Überdosierungen enthalten, die jedes Maß sprengen würden. Die Verkehrsfähigkeit des streitgegenständlichen Mittels ergebe sich auch nicht aus § 14 b Abs. 5 Diätverordnung.

Das Mittel sei daher als ergänzende bilanzierte Diät nicht verkehrsfähig und seine Kennzeichnung als diätetisches Lebensmittel daher unzulässig gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 Diätverordnung, gleichzeitig irreführend im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB, weshalb die Bewerbung und der Vertrieb als diätetisches Lebensmittel gemäß § 4 Nr. 11 UWG zu unterlassen sei.

Außerdem sei das allgemeine lebensrechtliche Verbot des § 5 Abs. 1 LFGB verletzt, welches für alle Lebensmittel gelte und wonach es verboten sei, Lebensmittel für andere derart herzustellen und zu behandeln, dass ihr Verzehr gesundheitsschädlich sei.

Das Mittel sei frei verkäuflich zur Selbstbehandlung, weshalb es auch nicht nur unter ärztlicher Aufsicht genommen werde.

Wegen der Einzelheiten der klägerischen Begründung und der Bewerbung, sowie der Zusammensetzung des beanstandeten Mittels wird zunächst auf die Klageschrift vom 04.09.2006 nebst Anlagen, insbesondere auf die Anlage K 2 hingewiesen.

Der Kläger stellte deshalb die Anträge wie in Nr. I und II dieses Urteils tenoriert.

Dagegen beantragte die Beklagte, die Klage kostenpflichtig abzuweisen.

Zur Begründung trug die Beklagte zusammengefasst folgendes vor:

Die Dosierungen gemäß Anlage zur Nährwertkennzeichnungsverordnung seien für ergänzende bilanzierte Diäten nicht relevant. Außerdem überschreite das Mittel der Beklagten die empfohlene Tagesdosis lediglich um das 10-fache.

Die Beklagte gebe auf ihrem Etikett den notwendigen Hinweis gemäß § 14 b Abs. 5 Satz 2 Diätverordnung, in dem sie auf den ernährungsmedizinischen Zweck von S hinweise. Dabei handle es sich nicht lediglich um eine inhaltsleere Floskel.

Die gewählte Dosis sei auch notwendig und die Sicherheit dieser gewählten Dosis sei gegeben.

Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Beklagten wird auf deren Schriftsätze nebst Anlagen hingewiesen.

Der Kläger ihrerseits vertiefte daraufhin seine oben dargestellte Argumentation, wobei insoweit auf die weiteren Schriftsätze nebst Anlagen hingewiesen wird.

Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß den Beweisbeschlüssen vom 09.01.2007 (Blatt 54/55 d. A.), vom 08.11.2007 (Blatt 109/110 d. A.) und vom 16.09.2008 (Blatt 174 d. A.) durch Einholung von 2 schriftlichen Sachverständigengutachten und der ergänzenden persönlichen Anhörung des Sachverständigen.

Diese schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. S vom 16.08.2007 (Blatt 74/90 d. A.) und vom 14.05.2008 (Blatt 117/135 d. A.) wurden zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

Außerdem wurde der Sachverständige im Termin vom 09.12.2008 ausführlich persönlich angehört. Wegen dieser Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 09.12.2008 hingewiesen.

Ergänzend ist hinsichtlich der Person des Sachverständigen noch auszuführen, dass ein Antrag der Beklagten, den Sachverständigen Dr. S wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, sowohl vom Landgericht, als auch vom OLG München in der Beschwerdeinstanz als unbegründet zurückgewiesen wurde.

Gründe

Die zulässige Klage erwies sich in vollem Umfang auch als begründet. Im Einzelnen ist hierzu auszuführen:

1. Das streitgegenständliche Mittel der Beklagten wird von dieser nicht mit einer Arzneimittelzulassung in den Verkehr gebracht, sondern als Lebensmittel, speziell als diätetisches Lebensmittel.

2. Gemäß § 14 b Abs. 1 Satz 1 Diätverordnung hat die Herstellung von bilanzierten Diäten auf vernünftigen medizinischen und diätetischen Grundsätzen zu beruhen. Gemäß § 14 b Abs. 1 Satz 3 Diätverordnung dürfen solche Diäten nur unter ärztlicher Aufsicht verwendet werden.

26Gemäß § 14 b Abs. 3 Diätverordnung dürfen ergänzende bilanzierte Diäten gewerbsmäßig nur hergestellt und in den Verkehr gebracht werden, wenn der Gehalt an den Stoffen der Anlage 6 die dort aufgeführten Höchstmengen nicht überschreitet und den dort festgelegten altersabhängigen Anforderungen entspricht.

27Aus der Zusammensetzung des Mittels der Beklagten folgt aber, dass die in der genannten Anlage 6 zur Diätverordnung aufgeführten Höchstmengen weit überschritten ist.

3. Aus den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. S sowohl in seinen beiden schriftlichen Gutachten, als auch in seinen mündlichen Ausführungen im Termin vom 09.12.2008 folgt zur Überzeugung des Gerichts, dass die Dosierung von 100 mg des Vitamins B 6 täglich im Mittel der Beklagten ein neurotoxisches Potential bei längerfristiger Anwendung hat, wie es zum Beispiel in einem Warnhinweis bei Vitamin B 6-haltigen Arzneimitteln zum Ausdruck kommt.

Eine schädigende Wirkung des Mittels kann bei langfristiger Einnahme hinsichtlich des Risikos einer Neuropathie und hinsichtlich einer erhöhten Sterblichkeit bei Patienten mit arteriosklerotischen Gefäßveränderungen nicht ausgeschlossen werden.

Wegen seiner hohen Dosierung von Vitamin B 6 muss das Produkt als potentiell gesundheitsschädlich angesehen werden, da bei langfristiger Einnahme sowohl Neuropathien auftreten können, wie auch die Sterblichkeit bei Patienten mit arteriosklerotischen Gefäßveränderungen erhöht ist. Lediglich bei kurzfristiger Einnahme unter ärztlicher Aufsicht ist die Dosierung des Mittels der Beklagten bei Vorliegen eines Mangels an Vitamin B 6 als sicher anzusehen.

4. Das Gericht hatte keinerlei Veranlassung, an diesen zusammengefassten Ausführungen des Sachverständigen Dr. Steffen zu zweifeln, weshalb es sich sie in vollem Umfang zu Eigen machte.

Hieraus ergibt sich aber folgendes:

Das Mittel der Beklagten wird ausweislich der Anlage K 2 als diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (ergänzende bilanzierte Diät) vertrieben, wobei es aber unstreitig frei verkäuflich ist.

Es erfolgt zwar der Hinweis der Beklagten "zur Verwendung unter ärztlicher Aufsicht, ggf. auch mit Unterstützung von Heilpraktikern oder Ernährungsberatern. Insbesondere wenn sie Arzneimittel zu sich nehmen, sollten sie ihren Arzt befragen".

Dieser Hinweis erfüllt aber keinesfalls die Vorschrift des § 14 b Abs. 1 Satz 3 Diätverordnung, wonach solche Mittel "nur unter ärztlicher Aufsicht verwendet werden dürfen".

Eine Verwendung des Mittels der Beklagten ohne ärztliche Aufsicht ist bei der Art des Vertriebs und der Bewerbung möglich und naheliegend.

Außerdem ergibt sich aus den Ausführungen des Sachverständigen, dass das Mittel Synervit jedenfalls bei langfristiger Einnahme potentiell gesundheitsschädlich ist, so dass es auch gegen das allgemeine lebensmittelrechtliche Verbot des § 5 Abs. 1 LFGB verstößt. Diese Vorschrift gilt für alle Lebensmittel und somit auch für das Mittel der Beklagten, das als diätetisches Lebensmittel in den Verkehr gebracht wird. Da, wie ausgeführt, ohne weiteres eine Einnahme ohne ärztliche Aufsicht auch über einen längeren Zeitraum möglich ist, ist eine potentielle Gesundheitsgefahr durch Einnahme des Mittels der Beklagten akut gegeben.

385. Aus obigen Ausführungen folgt deshalb, dass die Bewerbung und der Vertrieb des streitgegenständlichen Mittels als diätetisches Lebensmittel mit der bestimmungsgemäßen Tagesdosis von 100 mg B 6 sowohl wegen § 14 b Diätverordnung als auch wegen § 11 Abs. 1 Nr. 1 LFGB jeweils in Verbindung mit § 4 Nr. 11 UWG zu untersagen war.

Die Klage erwies sich deshalb in vollem Umfang auch als begründet.

6. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.






LG München I:
Urteil v. 09.12.2008
Az: 9 HK O 16126/06, 9 HK O 16126/06


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