Kammergericht:
Beschluss vom 1. April 2003
Aktenzeichen: 1 W 109/01
(KG: Beschluss v. 01.04.2003, Az.: 1 W 109/01)
Tenor
Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Beklagten nach einem Wert bis 1.000 DM zurückgewiesen.
Gründe
Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 11 Abs.1 RpflG, 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist die festgesetzte Beweisgebühr erwachsen, denn er hat die Klägerin in einem Beweisaufnahmeverfahren im Sinne von § 31 Abs. 1 Nr.3 BRAGO vertreten. Die Beweisgebühr ist der Klägerin vom Beklagten auch zu erstatten.
1. Beweisaufnahme im gebührenrechtlichen Sinne ist die Tätigkeit des Gerichts innerhalb eines gerichtlichen Verfahrens, die zum Ziel hat, beweisbedürftige, also zwischen den Parteien streitige, entscheidungserhebliche Umstände durch Heranziehung von Beweismitteln zu klären; sie erfolgt mithin zu dem Zweck, das Gericht von der Wahrheit oder Unwahrheit einer Tatsache oder eines Umstands zu überzeugen. Dabei kommt es nach wohl einhelliger Auffassung nicht darauf an, ob eine Beweisaufnahme nach den Vorschriften der ZPO ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, etwa ein förmlicher Beweisbeschluss ergangen ist. Entscheidend ist allein, ob sich die Verfahrensweise des Gerichts nach objektiven Kriterien als Beweisaufnahme darstellt (vgl. zu Vorstehendem Senat JurBüro 1986, 64; OLG Celle AGS 1999, 9; OLG Düsseldorf JurBüro 2001, 636; OLG Hamm JurBüro 2000, 411; OLG Hamburg OLGR 2000, 438; OLG Koblenz JurBüro 1992, 607; von Eicken in: Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, BRAGO, 15. Aufl., § 31 Rdn.83, 110). Auch ist unerheblich, ob das Gericht selbst die Vorstellung hatte, Beweis erhoben zu haben, und etwa im Tatbestand seines Urteils festgestellt hat, dass eine Beweisaufnahme nicht stattgefunden hat (vgl. OLG München AnwBl. 1979, 32; von Eicken a.a.O. Rdn.90 m.w.N.).
Ausgehend von vorstehenden Grundsätzen ist die € hier gegebene € Fallgestaltung zu beurteilen, dass das Gericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu einer beweisbedürftigen Tatsache durch die Parteien selbst anregt und das von ihnen eingeholte Gutachten anschließend in den Prozess eingeführt wird. Hierzu werden in der veröffentlichten Rechtsprechung unterschiedliche Auffassungen vertreten:
Nach Auffassung des OLG München (JurBüro 1979, 539) liegt keine Beweisaufnahme, insbesondere kein Sachverständigenbeweis vor, weil der Sachverständige nicht vom Gericht bestellt worden ist, sondern lediglich die Vorlage von Privatgutachten, die gemäß § 34 Abs. 1 BRAGO eine Beweisgebühr nicht entstehen lässt (nicht einschlägig OLG Düsseldorf JurBüro 1961, 605, weil das Gutachten dort nicht auf Anregung des Gerichts, sondern im Zuge außergerichtlicher Vergleichsverhandlungen eingeholt worden war.). Nach der vom OLG Bamberg (JurBüro 1986, 1363) und vom OLG Hamburg (JurBüro 1987, 236) vertretenen Gegenauffassung (ebenso wohl Riedel/Sußbauer/Keller, BRAGO, 8.Aufl., § 31 Rdn. 115; unklar von Eicken a.a.O. Rdn. 103 und 110) ist eine Beweisaufnahme im gebührenrechtlichen Sinne gegeben. Denn das Gericht halte den Rechtsstreit wegen des streitigen Sachvortrags der Parteien nicht für entscheidungsreif und erwarte, aufgrund des Gutachtens die notwendigen tatsächlichen Feststellungen treffen zu können. Das Gutachten diene damit der Beweisaufnahme. Die fehlende gerichtliche Beauftragung des Sachverständigen stehe nicht entgegen, weil die Einhaltung der Vorschriften der ZPO nicht Voraussetzung für die Entstehung der Gebühr sei. § 34 Abs. 1 BRAGO gelte nicht, wenn die Urkunde zum Zweck der Vorlage überhaupt erst anzufertigen sei und die in tatsächlicher Hinsicht entscheidende Kernfrage des Rechtsstreits betreffe. Wenn das Gericht die Einholung des Gutachtens nicht selbst vornehme, sondern den Parteien überantworte, könne dies nicht zu einer Schlechterstellung ihrer Prozessbevollmächtigten führen.
Der letztgenannten Ansicht ist zu folgen. Für sie spricht insbesondere, dass der Sache nach eine Beweisaufnahme über streitige Tatsachen in einem gerichtlichen Verfahren erfolgt, die an sich dem Gericht obliegt. Wenn es ihre Durchführung in einer prozessual nicht vorgesehenen Weise den Parteien überlässt, kann dies nicht dazu führen, dass die den Prozessbevollmächtigten gleichwohl entstehende Mühewaltung nicht durch die dafür gesetzlich vorgesehene Beweisgebühr honoriert wird.
2. Auch vorliegend ist von einer Beweisaufnahme im gebührenrechtlichen Sinne auszugehen:
Die Parteien stritten im Wesentlichen darüber, ob die von der Klägerin eingebaute Heizungsanlage mangelhaft war, insbesondere ob ihre Heizleistung gegenüber dem errechneten Wärmebedarf zu niedrig war. Der Streit war auch entscheidungserheblich, da die Begründetheit der mit der Klage geltend gemachten Werklohnforderung von der behaupteten Mangelhaftigkeit abhing.
Das Landgericht hat zu der somit beweisbedürftigen Frage zwar keinen förmlichen Beweisbeschluss erlassen, insbesondere nicht die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens angeordnet. Auf seinen Vorschlag haben sich die Parteien jedoch im Termin zur mündlichen Verhandlung am 30.November 1999 dazu verpflichtet, gemeinsam mit einem von ihm bestimmten Sachverständigen die streitgegenständliche Heizungsanlage zu besichtigen und ihn zu beauftragen, deren Funktionstüchtigkeit zu prüfen und zu den vom Beklagten behaupteten Mängeln Stellung zu nehmen. Der Sachverständige sollte ferner Möglichkeiten der Mängelbeseitigung und eventuelle Minderungsbeträge für festgestellte Mängel aufzeigen. Ferner verpflichteten sie sich, den Vorschuss für den Sachverständigen je zur Hälfte zu zahlen. Seine Kosten sollten wie die Kosten des Rechtsstreits verteilt werden. Das Gericht hat sodann mit Schreiben vom 2. Dezember 1999 an die Parteien den Sachverständigen L vorgeschlagen und diesem die Akten unter Bezeichnung des Beweisthemas direkt übersandt, wenn auch verbunden mit dem Hinweis, dass kein Beweisbeschluss vorliege und er von den Parteien direkt beauftragt werde.
Die Einholung des Sachverständigengutachtens sollte damit aus der Sicht des Gerichts zur Klärung der streitigen entscheidungserheblichen Tatsache der Mangelhaftigkeit der Heizungsanlage führen, wobei es zusätzlich mit der gewählten Verfahrensweise die Vorstellung der Herbeiführung eines Vergleichs verbunden hat, was der Entstehung einer Beweisgebühr jedoch nicht entgegensteht (vgl. OLG München JurBüro 1961, 450). Nach alledem ist davon auszugehen, dass ein gerichtliches Beweisaufnahmeverfahren eingeleitet wurde und sich die Einigung der Parteien darauf beschränkte, den an den Sachverständigen zu zahlenden Vorschuss jeweils zur Hälfte zu zahlen und seine Kosten entsprechend der gesetzlichen Kostenfolge, wonach Kosten eines gerichtlichen Sachverständigen Gerichtskosten des Rechtsstreits sind, zu tragen. Dem entsprechend hat der Sachverständige das schriftliche Gutachten dann auch € mit Rechnung € dem Gericht übersandt, das jeweils eine Ausfertigung an die Parteien "zur Stellungnahme" weiterleitete.
Auch aus Sicht der Parteien lag ersichtlich ein gerichtliches Beweisaufnahmeverfahren vor. Denn sie haben nach Eingang des Gutachtens durch ihre Prozessbevollmächtigten zu diesem in der gleichen Weise wie zum Gutachten eines gerichtlichen Sachverständigen Stellung genommen, indem sie sich nämlich die ihnen günstigen Feststellungen zu eigen gemacht und es im Übrigen kritisiert haben.
3. Unabhängig von vorstehenden Darlegungen ist die Beweisgebühr aber auch deswegen entstanden, weil das Gericht bei objektiver Betrachtung die im Sachverständigengutachten enthaltenen Feststellungen in seinem Urteil vom 7.Dezember 2000 einer Beweiswürdigung unterzogen und damit das von ihm "beigezogene" schriftliche Gutachten im Sinne des § 34 Abs.2 BRAGO als Beweis verwertet hat. Denn es heißt im Tatbestand, wegen des weiteren Parteivorbringens werde auf den vorgetragenen Inhalt ihrer Schriftsätze, ... "insbesondere des durch den von beiden Parteien einverständlich beauftragten Sachverständigen ... (zu ergänzen: erstatteten Gutachtens) über die Funktionstüchtigkeit und behaupteten Mängel der Heizungsanlage...Bezug genommen."; in den Entscheidungsgründen hat das Gericht die Behauptung der Mangelhaftigkeit seitens des Beklagten sodann im Hinblick auf das Gutachten als unsubstantiiert gewertet.
Maßgebend ist insoweit, dass das Gericht im Tatbestand die behaupteten Mängel der Heizungsanlage weiterhin als streitigen Beklagtenvortrag gewertet hat, ohne die Feststellungen des Sachverständigen in das streitige oder unstreitige Parteivorbringen einzubeziehen. Bei einer Behandlung als von beiden Seiten vorgelegtes Privatgutachten wäre es aber als (qualifizierter) Parteivortrag zu den einzelnen Streitpunkten zu würdigen gewesen.
In den Entscheidungsgründen wird dann zwar ausgeführt, dass die Darlegungs- und Beweislast beim Beklagten liege und sein Vortrag nicht geeignet sei, die behaupteten Mängel ausreichend darzulegen, weil er insbesondere nach dem Sachverständigengutachten im Einzelnen hätte darlegen müssen, bei welcher Außentemperatur welche unzureichende Innentemperatur erreicht werde, während die Auseinandersetzung mit der Erfüllung von DIN-Normen nicht ausreiche. Der Sache nach stellt dies jedoch eine Beweiswürdigung dar. Denn das Gericht geht ersichtlich davon aus, dass die € keineswegs unstreitig gewordenen € Feststellungen des Sachverständigen überzeugend, wenn nicht sogar erwiesen sind. Die an den Vortrag des Beklagten gestellten Anforderungen kommen dem Beweismaß gleich, das zur Widerlegung einer bereits als erwiesen angesehenen Tatsache erforderlich ist. Demgegenüber hätte der Beklagte bei Annahme eines bloßen Privatgutachtens seiner Substantiierungspflicht zweifellos genügt und nun auf seinen Beweisantritt ein gerichtliches Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen (vgl. BGH NJW-RR 2003, 69).
Im Übrigen ist auch das Berufungsgericht von einer Beweisaufnahme in erster Instanz ausgegangen, denn es hat ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 18. Oktober 2002 den Sachverständigen lediglich ergänzend angehört, wobei dieser bekundete, er habe bei seinen Messungen ausreichende Heizleistung festgestellt. Nach Erörterung des Beweisergebnisses erfolgte die Rücknahme der Berufung.
Nach alledem haben die Prozessbevollmächtigten ihre Parteien in einem Beweisaufnahmeverfahren im Sinne von § 31 Abs.1 Nr.3 BRAGO vertreten und sind ihnen Beweisgebühren erwachsen. Dies ist auch sachlich gerechtfertigt. Den Prozessbevollmächtigten ist die gleiche Mühewaltung wie bei einem förmlichen Beweisbeschluss entstanden. Sie haben sich mit dem schriftlichen Gutachten eingehend auseinandergesetzt und umfangreich zu möglichen Mängeln oder erforderlichen zusätzlichen Feststellungen im Hinblick auf das Beweisthema Stellung genommen.
4. Es ist schließlich nicht als glaubhaft gemacht anzusehen, dass die Parteien eine Vereinbarung über einen Ausschluss der Erstattung eventuell anfallender Beweisgebühren getroffen haben. Unter Berücksichtigung der dienstlichen Äußerung der erkennenden Einzelrichterin vom 27. Januar 2003 ist anzunehmen, dass mit der gewählten Verfahrensweise zwar u.a. die Entstehung von Beweisgebühren durch den bei streitiger Verhandlung zu erlassenden Beweisbeschluss vermieden werden sollte, ein Ausschluss von Beweisgebühren für das gerichtliche Beweisaufnahmeverfahren damit aber nicht ausdrücklich vereinbart wurde. Die Parteien und das Gericht gingen allenfalls davon aus, dass Beweisgebühren nicht entstehen würden, wenn es aufgrund der Stellungnahme des Sachverständigen zu der erhofften Einigung kommen würde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs.1 ZPO. Die Wertfestsetzung erfolgt in DM, weil die Gebühren noch nach der bis 31.Dezember 2001 geltenden DM-Tabelle zu berechnen sein werden.
KG:
Beschluss v. 01.04.2003
Az: 1 W 109/01
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