Bundespatentgericht:
Beschluss vom 29. März 2010
Aktenzeichen: 11 W (pat) 29/05
(BPatG: Beschluss v. 29.03.2010, Az.: 11 W (pat) 29/05)
Tenor
Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse B 25 B des Deutschen Patentund Markenamts vom 3. Mai 2005 aufgehoben und das Patent mitden ursprünglich eingereichten Patentansprüchen 1 bis 7, den ursprünglichen Seiten 4 bis 7 der Beschreibung und den Zeichnungen Fig. 1 bis 3 jeweils vom Anmeldetag (17. Juni 2002) sowie den Seiten 1 bis 3 der Beschreibung vom 4. September 2003 (eingegangen am 5.9.2003)
erteilt.
Gründe
I.
Die Prüfungsstelle für Klasse B 25 B des Deutschen Patentund Markenamts hat durch Beschluss vom 3. Mai 2005 die am 17. Juni 2002 eingereichte und am 8. Januar 2004 offengelegte Patentanmeldung 102 27 015.5 mit der Bezeichnung
" S i c h e r h e i t s v o r r i c h t u n g z u m E n t f e r n e n e i n e s B o l z e n s , i n s b e s o n d e r e e i n e s P e d a l b o l z e n s b e ie i n e m K r a f t f a h r z e u g "
mit der Begründung zurückgewiesen, der Gegenstand das Anspruchs 1 sei gegenüber der Entgegenhaltung (E1) EP 1 266 813 A2 nicht neu.
Gegen diesen Zurückweisungsbeschluss hat die Anmelderin Beschwerde eingelegt.
Sie beantragt sinngemäß, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent mit den geltenden Unterlagen des Prüfungsverfahrens zu erteilen.
Die Anmelderin hat keine Beschwerdebegründung eingereicht.
Der Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut, hier wiedergegeben in gegliederter Form:
a) Sicherheitsvorrichtung zum Entfernen eines Lagerbolzens (2), insbesondere eines Pedalbolzens bei einem Kraftfahrzeug, b) mit mindestens einem ersten Lagerteil (3), welches mindestens eine Durchgangsbohrung für eine Bolzenverbindung zu mindestens einem Anschlussteil (1) aufweist, c) sowie mindestens einem Lagerbolzen (2), welcher sich durch die Durchgangsbohrung erstreckt, um das Lagerteil (3) und das Anschlussteil (1) miteinander zu verbinden, d) wobei Mittel zum Entfernen des Lagerbolzens (2) für ein Lösen des Anschlussteils (1) zur Realisierung einer Sicherheitsfunktion vorgesehen sind, dadurch gekennzeichnet, e) dass wenigstens ein Mittel zum Entfernen des Lagerbolzens (2) mindestens ein Schiebeelement (4) umfasst, welches bei Krafteinwirkung einen in Richtung der axialen Bolzenachse komprimierbaren Lagerbolzen (2) über mindestens eine zur Bolzenachse schiefe Ebene (6) zusammendrückt und den Lagerbolzen (2) in dem zusammengedrückten Zustand aus dem Lagerteil (3) herausführt, um dadurch die Lagerstelle zu öffnen.
Im Prüfungsverfahren sind als weiterer Stand der Technik die Druckschriften E2 DE10040043C1 E3 DE10040270A1 genannt worden.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
A.
Die Patentanmeldung betrifft eine Sicherheitsvorrichtung zum Entfernen eines Bolzens, insbesondere eines Pedalbolzens bei einem Kraftfahrzeug, mit mindestens einem ersten Lagerteil, welches mindestens eine Durchgangsbohrung für eine Bolzenverbindung zu mindestens einem Anschlussteil aufweist, sowie mindestens einen Bolzen, welcher sich koaxial durch die Durchgangsbohrung erstreckt, um das Lagerteil und das Anschlussteil miteinander zu verbinden, wobei Mittel zum Entfernen des Bolzens für ein Lösen des Anschlussteils zur Realisierung einer Sicherheitsfunktion vorgesehen sind (vgl. Abs. 1 der Beschreibung).
Bei der aus der E2 bekannten Sicherheitsvorrichtung müssten, wie auf S. 2, 4. Abs. der Beschreibung ausgeführt, zumindest die Verformungsbereiche aus metallischem Werkstoff hergestellt werden, wodurch ein relativ hohes Gewicht des Lagerteils hervorgerufen werde. Zudem sei der Montageaufwand der bekannten Sicherheitsvorrichtung relativ hoch und benötige mit einem Pedalniederhalter und Trennelement relativ viel Bauraum.
Die Aufgabe soll darin bestehen, eine Sicherheitsvorrichtung zu schaffen, die durch ihre kompakte Bauweise wenig Bauraum benötigt, einfach zu montieren ist und vor allem gewichtsparend realisiert werden kann (vgl. S. 3, Abs. 2 der Beschreibung).
Der mit der Lösung dieser Aufgabe betraute Fachmann ist ein Fachhochschulingenieur der Fachrichtung Maschinenbau mit Kenntnissen und langjährigen Erfahrungen in der Konstruktion von beweglichen mechanischen Vorrichtungen.
Als Lösung dient eine Sicherheitsvorrichtung gemäß dem geltenden Anspruch 1.
B.
1. Der Gegenstand nach Anspruch 1 ist neu, da die beanspruchte Sicherheitsvorrichtung zum Entfernen eines Lagerbolzens im Zeitpunkt der Anmeldung im Stand der Technik nicht bekannt war.
Die eine Tragstruktur für ein Pedal (pedal supporting structure) betreffende Druckschrift E1, die als nachveröffentlichter Stand der Technik mit älterem Zeitrang gemäß § 3 Abs. 2, Nr. 2 PatG zu berücksichtigen ist, offenbart eine gattungsgemäße Sicherheitsvorrichtung zum Entfernen eines Lagerbolzens (vgl. Fig. 1 bis 5) mit den Merkmalen a) bis d), wie es im angefochtenen Beschluss zutreffend näher ausgeführt ist.
Zusätzlich offenbart die Sicherheitsvorrichtung der E1 das Teilmerkmal des Merkmals e), wonach das Mittel 67 (separation member, vgl. Abs. [0016], Satz 1) zum Entfernen des Lagerbolzens 57, 59 (cylindrical pedal shaft 57, vgl. Abs. [0014], Satz 1 bzw. pin members 59, vgl. Abs. [0014], Satz 2) ein Schiebeelement 67 umfasst, welches bei Krafteinwirkung einen in Richtung der axialen Bolzenachse expandierbaren Lagerbolzen 57, 59 über zwei zur Bolzenachse schiefe Ebenen 71c, 71d (intermediate sections having a widthwise thickness varying continuously from the first specified value to the second specified value, vgl. Fig. 3 und Abs. [0018]) auseinanderzieht und den Lagerbolzen 57, 59 in dem auseinandergezogenen Zustand aus dem Lagerteil 25 (pedal bracket, vgl. Abs. [0009], Satz 1) herausführt, um dadurch die Lagerstelle zu öffnen (vgl. Funktionsbeschreibung in Abs. [0024]).
Vom Gegenstand der E1 unterscheidet sich die Sicherheitsvorrichtung gemäß Anspruch 1 dadurch, dass das Schiebeelement bei Krafteinwirkung einen in Richtung der axialen Bolzenachse komprimierbaren (statt expandierbaren) Lagerbolzen über mindestens eine zur Bolzenachse schiefe Ebene zusammendrückt (statt auseinanderzieht) und den Lagerbolzen in dem zusammengedrückten (statt auseinandergezogenen) Zustand aus dem Lagerteil herausführt.
Abweichend von der Beurteilung der Prüfungsstelle liest dies der Fachmann jedoch nicht als selbstverständlich mit. Denn er müsste einige konstruktive Änderungen vornehmen, um diese Umkehr der Bewegungsrichtung zum gewünschten Zweck auch am Gegenstand der E1 zu ermöglichen. Beispielsweise müsste er die Bolzenteile 61 derart abwandeln, dass der Bolzenkopf 63 größeren Durchmessers eine nach innen gerichtete Bewegung nicht mehr behindert. Damit ergäben sich jedoch weitere konstruktiv zu lösende Probleme, nämlich das der nun entfallenen Fixierung der Bolzenteile 61 im Lagerteil 25 im Normalbetrieb sowie das der nun entfallenen Wirkverbindung zwischen den schiefen Ebenen 71c, 71d und den Bolzenköpfen 63 im Auslösefall. Daher ist eine Ergänzung der Offenbarung der E1 durch das Fachwissen notwendig, um ausgehend vom Gegenstand der E1 zum Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 zu gelangen. Dieser ergänzte technische Inhalt bedarf somit einer besonderen Offenbarung. Er ist nicht selbstverständlich und damit nicht mitlesbar aus dem Gesamtinhalt der Offenbarung der E1 (vgl. BGH, GRUR 2009, 382 -Olanzapin, Leitsätze 1 und 2). Ob die für die notwendige Bewegungsumkehr benötigten konstruktiven Änderungen für den Fachmann auf Basis seines Fachwissens auszuführen wären, betrifft jedoch die Frage der erfinderischen Tätigkeit, für die die E1 als nachveröffentlichte ältere Anmeldung nicht heranzuziehen ist.
Auch aus den Druckschriften E2 und E3 ist keine Sicherheitsvorrichtung mit allen Merkmalen des geltenden Anspruchs 1 bekannt, da es ihnen zumindest an dem Teilmerkmal des komprimierbaren Lagerbolzens gemäß Merkmal e) mangelt.
2. Der Gegenstand nach Anspruch 1 ist offensichtlich gewerblich anwendbar und beruht auch auf erfinderischer Tätigkeit:
Der anmeldungsgemäßen Sicherheitsvorrichtung kommt als vorveröffentlichter Stand der Technik die Sicherheitsvorrichtung nach der Druckschrift E3 am nächsten.
Aus ihr ist gemäß Merkmal a) eine Sicherheitsvorrichtung zum Entfernen eines zweiteiligen Lagerbolzens 1 bekannt, insbesondere eines Pedalbolzens bei einem Kraftfahrzeug (vgl. Fig. 1 bis 3, die Bezeichnung sowie Abs. [0016], vorletzter Satz).
Diese Sicherheitsvorrichtung ist gemäß Merkmal b) mit einem ersten Lagerteil 2 (vgl. Abs. [0014], Satz 1) versehen, welches Durchgangsbohrungen für eine Bolzenverbindung 1 zu einem nicht gezeigten Anschlussteil (Pedalhebel) aufweist (vgl. Abs. [0014], Satz 2 sowie Abs. [0016], vorletzter Satz und Abs. [0017], Satz 3).
Weiterhin sind gemäß Merkmal c) zwei Lagerbolzen 1 (vgl. Abs. [0016], vorletzter Satz) angeordnet, welche sich durch die Durchgangsbohrungen erstrecken, um das Lagerteil 2 und das nicht gezeigte Anschlussteil (Pedalhebel) miteinander zu verbinden, wobei gemäß Merkmal d) Mittel 6 (vgl. Abs. [0015]) zum Entfernen der Lagerbolzen 1 für ein Lösen des nicht gezeigten Anschlussteils (Pedalhebel) zur Realisierung einer Sicherheitsfunktion vorgesehen sind (vgl. Funktionsbeschreibung in Abs. [0016]).
Schließlich offenbart die Sicherheitsvorrichtung der E3 das Teilmerkmal des Merkmals e), wonach das Mittel 4 zum Entfernen der Lagerbolzen 1 ein Schiebeelement 4 umfasst, welches bei Krafteinwirkung die in Richtung der axialen Bolzenachse expandierbaren Lagerbolzen 1 über zwei zur Bolzenachse schiefe Ebenen (in Abs. [0016], Satz 3 als parallel zu den V-förmig abgebogenen Abschnitten der Klammer 4 verlaufende Endabschnitte des Bügels 6 bezeichnet) auseinanderzieht und die Lagerbolzen 1 in dem auseinandergezogenen Zustand aus dem Lagerteil 2 herausführt, um dadurch die Lagerstelle zu öffnen (vgl. Funktionsbeschreibung in Abs. [0016]).
Hiervon unterscheidet sich die Sicherheitsvorrichtung gemäß dem geltenden Anspruch 1 dadurch, dass das Schiebeelement bei Krafteinwirkung einen in Richtung der axialen Bolzenachse komprimierbaren (statt expandierbaren) Lagerbolzen über mindestens eine zur Bolzenachse schiefe Ebene zusammendrückt (statt auseinanderzieht) und den Lagerbolzen in dem zusammengedrückten (statt auseinandergezogenen) Zustand aus dem Lagerteil herausführt.
Es ist nicht ersichtlich, wodurch der Fachmann aus der E3 angeregt werden sollte, zwei parallele Schenkel, die mittels eines Bügels auseinander gespreizt werden und dabei die Teilachsen auseinander ziehen, durch die Anordnung eines Schiebeelements zu ersetzen, welches bei Krafteinwirkung einen in Richtung der axialen Bolzenachse komprimierbaren Lagerbolzen über mindestens eine zur Bolzenachse schiefe Ebene zusammendrückt und (anschließend) den Lagerbolzen in dem zusammengedrückten Zustand aus dem Lagerteil herausführt.
Auch die Druckschrift E2 bietet hierzu keine Anregung. Sie beschreibt eine Baueinheit für ein Kraftfahrzeug mit einem in einem Lagerbock 1 um eine Achse 2 verschwenkbar angeordneten Hebelarm 4, der auf einem in Aufnahmen 5, 6 des Lagerbockes sitzenden zweiteiligen Bolzen 3 befestigt ist. Der Lagerbock 1 weist wenigstens einen Abschnitt 7, 8 auf, welcher sich, infolge der bei einem Unfall auf den Lagerbock wirkenden Kraft, aufweitet, so dass der zweiteilige Bolzen 3 außer Eingriff mit den Aufnahmen 5, 6 gelangt (vgl. Anspruch 1). Anregungen, auf den aufweitbaren Abschnitt des Lagerbocks zu verzichten, den zweiteiligen Bolzen durch einen in Axialrichtung komprimierbaren Lagerbolzen zu ersetzen und Mittel vorzusehen, die zum Entfernen des Bolzens diesen mittels einer schiefen Ebene zusammendrücken, sind dieser Druckschrift nicht zu entnehmen.
Somit gelangt der Fachmann weder durch eine Zusammenschau der Lehren des im Verfahren befindlichen vorveröffentlichten Standes der Technik noch durch die Anwendung seines Fachwissens zu einem Gegenstand gemäß Anspruch 1. Daher bedurfte es einer erfinderischen Tätigkeit, um zur Lösung der Aufgabe gemäß Anspruch 1 zu gelangen. Anspruch 1 ist daher schutzfähig.
3. Die auf Anspruch 1 rückbezogenen geltenden Unteransprüche 2 bis 7 betreffen vorteilhafte und nicht selbstverständliche Ausgestaltungen der Sicherheitsvorrichtung des Anspruchs 1. Sie sind daher zusammen mit Anspruch 1 zu gewähren.
Dr. W. Maier v. Zglinitzki Rothe Hubert Bb
BPatG:
Beschluss v. 29.03.2010
Az: 11 W (pat) 29/05
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