Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 15. Januar 1993
Aktenzeichen: 6 U 122/92

(OLG Köln: Urteil v. 15.01.1993, Az.: 6 U 122/92)

Die Auslobungen "Das 'wachsende' Zweithaar. Jeden Tag ein paar Haare mehr" und "Ein implantiertes Haar hält doppelt so fest in der Kopfhaut wie ein normal gewachsenes Haar" (unterstützt durch bildliche Darstellungen) in einer Zeitungsanzeige verstößt gegen § 3 UWG. Ein nicht unerheblicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise verbindet mit diesen Ankündigungen in ihrer konkreten Form die unzutreffende Vorstellung, das eingepflanzte Haar könne wachsen oder sich vermehren bzw. es sei dem natürlichen Haar in seiner Festigkeit überlegen. Jedenfalls für Menschen mit Haarproblemen enthält eine solche irreführende Werbung einen starken Anlockeffekt.

Tenor

Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das am 11. Juni 1992 verkündete Urteil der 31. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 31 O 159/92 - wird zurückgewiesen. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Antragsgegnerin auferlegt.

Gründe

E n t s c h e i d u n g s g r ü n

d e :

Die Berufung der Antragsgegnerin ist

zulässig, sie hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Der Antragsteller verlangt auch nach

dem Berufungsvorbringen der Parteien von der Antragsgegnerin zu

Recht, daß diese es unterläßt, in einer an den Endverbraucher

gerichteten Werbung, wie nachstehend wiedergegeben,

anzukündigen:

a) "Das "wachsende" Zweithaar.

Jeden Tag ein paar Haare mehr".

und/oder

b) "Ein implantiertes Haar hält doppelt

so fest in der Kopfhaut wie ein normal gewachsenes Haar.":

Der Unterlassungsanspruch ist

hinsichtlich beider Werbeaussagen aus §§ 3, 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG

begründet, denn beide Ankündigungen sind geeignet, bei einem nicht

unerheblichen Teil der angesprochenen Verkehrskreise irrige

Vorstellungen über das so beworbene Produkt zu erregen.

1.)

Die Auslobung "Das "wachsende"

Zweithaar. Jeden Tag ein paar Haare mehr." erweckt bei einem nicht

unerheblichen Teil der angesprochenen Verbraucher jedenfalls auch

die Vorstellung, das so beworbene Zweithaar werde der Länge

und/oder der Anzahl der Haare nach von selbst wachsen und sich so

wie natürliches Haar verhalten. Daß dies bei keiner der von der

Antragsgegnerin beworbenen Methoden möglich ist, ist zwischen den

Parteien unstreitig.

Auch wenn aus der Gesamtheit der

beanstandeten Werbeanzeige und der Verwendung des Begriffs

"Zweithaar" hervorgehen mag, daß es sich nicht um natürliches Haar

handelt, so schließt das nicht aus, daß ein nicht unerheblicher

Teil der flüchtigen Leser dem Irrtum unterliegt, das angebotene

"Zweithaar" sei als solches gleichwohl in der Lage zu wachsen

und/oder sich zu vermehren. Dies wird dadurch verstärkt, daß in der

angegriffenen Annonce hervorgehoben eine "Haar-Implantation"

beworben wird, auf die sich - wie die Antragsgegnerin im

Berufungstermin vom 18.12.1992 klargestellt hat - auch die

angegriffene Aussage bezieht. Sind die neuen "Zweithaare" aber

nicht nur geklebt, verschweißt oder eingewebt, sondern

"eingepflanzt", so liegt die Gefahr um so näher, daß der

durchschnittliche flüchtige Verbraucher, dem die Werbung als

Implantationswerbung begegnet, dem Irrtum unterliegt, das einmal

eingepflanzte Haar könne auch wachsen oder sich vermehren. Die

angegriffene Werbeaussage ist damit geeignet, bei diesen

Verbrauchern die irrige Vorstellung hervorzurufen, die

Antragsgegnerin sei in der Lage, Haare anzubieten, die - einmal

eingepflanzt - in einem natürlichen "Wachstumsprozeß" in die

Kopfhaut einwachsen und sich dort wie ein natürliches Haar

verhalten. Diese Gefahr ist um so größer, als es sich bei einer

Vielzahl der angesprochenen Verbraucher um Menschen handelt, die

unter ihrem äußeren Erscheinungsbild leiden und das fehlende

Haupthaar subjektiv als einen Mangel empfinden. Solche Verbraucher,

die häufig schon verschiedene Methoden versucht haben, um den

vermeintlichen Mangel zu beseitigen, glauben viel eher an neue

Techniken oder solche, die sie für neuartig halten, die ihr

subjektives Leiden zu beheben versprechen. Sie sind deshalb noch

eher geneigt, den angepriesenen Vorzügen des Produktes Glauben zu

schenken.

Diese Irreführungsgefahr wird auch

nicht dadurch ausgeschlossen, daß das Wort "wachsende" in

Anführungszeichen gesetzt ist. Diese Anführungszeichen werden von

einem flüchtigen Durchschnittsleser, auf den maßgeblich abzustellen

ist, in aller Regel übersehen und nicht wahrgenommen. Darüber

hinaus besteht die Gefahr, daß derartige Zusätze, die aus der Sicht

der Antragsgegnerin möglicherweise eine Richtigstellung der

irreführenden Werbeaussage darstellen sollen, vom

durchschnittlichen Verbraucher - sofern er sie überhaupt gesehen

hat - leicht mißverstanden werden (Baumbach/Hefermehl UWG, 16.

Aufl., § 3 UWG Rdnr. 94). So besteht bei der beanstandeten

Werbeaussage sogar die Gefahr, daß die Auslobung "wachsende" durch

die Anführungszeichen gerade als hervorgehoben verstanden wird und

sich bei dem Verbraucher als das Besondere und das

Außergewöhnliche des so beworbenen Zweithaars einprägt.

Ohne Erfolg macht die Antragsgegnerin

auch geltend, sie habe in der beanstandeten Werbung durch die

Verwendung des Begriffs "Zweithaar" hinreichend deutlich gemacht,

daß es sich gerade nicht um natürliches Haar handele, das wachsen

könne. Es mag sein, daß Verbrauchern der Begriff "Zweithaar" ebenso

geläufig ist, wie der Begriff "dritte Zähne" und insoweit

Fehlvorstellungen zu verneinen sein können. Das schließt aber nicht

aus, daß ein beachtlicher Teil des Verkehrs der Werbeaussage die

oben angeführte Bedeutung beimißt, da er das Besondere gerade

dieses Zweithaars eben in in der Eigenschaft erblickt, "wachsend"

zu sein. Ist aber eine Werbeaussage mehrdeutig, muß sie jedem

möglichen Begriffsinhalt entsprechen (OLG Köln GRUR 1989, 529 -

"SPA-Mineralwasser" m. w. N.); dies wird jedoch durch die

beanstandete Werbeaussage nicht erreicht.

Aus diesem Grund kommt es - abgesehen

davon, daß sich ein solcher Aussagegehalt dem Leser aus der Anzeige

auch gar nicht erschließt - auch nicht auf die Frage an, ob die

Antragsgegnerin tatsächlich in der Lage ist, sich auf jeden Kunden

individuell einzustellen, um ihm - wenn gewünscht - in äußerst

kleinen Schritten das Zweithaar zu implantieren, so daß dessen

Umgebung dies gar nicht bemerkt. Ebenso kommt es nicht auf die

Behauptung der Antragsgegnerin an, daß es sich bei der von ihr

beworbenen Methode nicht - wie das Landgericht angenommen hat - um

ein Drei- oder Vier-Stufen-Toupet handelt, da keine der von der

Antragsgegnerin beworbenen Methoden geeignet ist, ein wachsendes

Zweithaar im oben beschriebenen Sinne zu schaffen.

Die durch die beanstandete Werbung

hervorgerufene Irreführung ist auch wettbewerblich relevant, denn

sie ist geeignet, einen nicht unbeachtlichen Teil der

angesprochenen Verbraucher, der sich - wie dargestellt - häufig in

einer persönlichen Notsituation fühlt, zu veranlassen, in

geschäftlichen Kontakt mit der Antragsgegnerin zu treten und die

von ihr angebotenen Leistungen den Leistungen anderer

Zweithaarstudios vorzuziehen.

Die vorstehenden Feststellungen kann

der Senat aus eigener Sachkunde und Lebenserfahrung treffen, da

seine Mitglieder als Verbraucher zu den von der Zeitungsanzeige

beworbenen potentiellen Interessenten gehören.

2.)

Auch die Werbeaussage "Ein

implantiertes Haar hält doppelt so fest in der Kopfhaut wie normal

gewachsenes Haar" ist irreführend im Sinne des § 3 UWG. Diese

Auslobung wird zumindest von einem nicht unerheblichen Teil der

angesprochenen Verkehrskreise so verstanden, daß das beworbene

Zweithaar dem natürlichen Haar hinsichtlich seiner Festigkeit

überlegen ist und insbesondere doppelt so fest in der Kopfhaut

halte. Der flüchtige Durchschnittsleser, der die Risiken der

Zweithaarimplantation nicht kennt, wird die so beworbene

Behandlungsmethode als besonders erfolgsversprechend und es als

selbstverständlich ansehen, daß das implantierte Haar besonders gut

und lange in der Kopfhaut hält. Dies gilt umsomehr, als die

interessierten Verbraucher häufig aufgrund persönlicher

Erfahrungen ihr Haarproblem in erster Linie im Haarausfall

sehen.

Schon die Formulierung "hält doppel so

fest in der Kopfhaut" läßt nicht die Interpretation zu, daß das von

der Antragsgegnerin vertriebene Medi-Hair aus Harz lediglich eine

erhöhte Zugfestigkeit besitze, denn die Aussage bezieht sich ganz

eindeutig auf die Verankerung dieses Produktes in der Kopfhaut. Die

Verankerung des Medi-Hair in der Kopfhaut wird - wie die

Antragsgegnerin selbst dargestellt hat - vom Prinzip her nicht

anders durchgeführt als bei den Implantationen anderer Zweithaare,

nämlich durch Verankerung im Gewebe der Kopfhaut in einer Tiefe von

4 - 6 mm. Es mag dahinstehen, ob nicht die natürliche Verankerung

des Eigenhaares in der Kopfhaut zu jedem Falle gegenüber dem

implantierten Zweithaar den Vorzug des größeren Haltes in der

Kopfhaut aufweist. Angesichts der verhältnismäßig hohen

Infektionsgefahr, die bei der notwendigen Verletzung der Kopfhaut

besteht, und der unterschiedlichsten Reaktionen der verschiedenen

Hauttypen trifft nämlich die Werbeaussage jedenfalls in ihrer

Absolutheit nicht zu, daß das implantierte Haar doppelt so fest in

der Kopfhaut hält wie normal gewachsenes Haar.

Entgegen der Auffassung der

Antragsgegnerin hat der Antragsteller hinreichend glaubhaft

gemacht, daß es aufgrund von Infektionen dazu führen kann, daß das

implantierte Haar - sofern es von der Kopfhaut angenommen wird -

wegen einer Entzündung des Stichkanals alsbald wieder entfernt

werden muß oder herauseitert. Der Beitrag aus der Zeitschrift

"Kosmetik International Nr. 10/91" (Bl. 10/11 d.A.) und der

Ausschnitt eines Vortrags von G. Miller auf dem internationalen

Kongress der dermatologischen Chirurgie von Oktober 1989 (Bl. 12 -

15 d.A.), die der Antragsteller vorgelegt hat und zu denen

detailliert und nachvollziehbar die mit der Verletzung der

Kopfhaut verbundenen Risiken und insbesondere Ursachen für den

Entzündungs- und Eiterungsprozeß und deren Folgen dargestellt sind,

sind zur Glaubhaftmachung geeignet und hinreichend. Soweit die

Antragsgegnerin hiergegen einwendet, daß sich diese Beiträge nur

mit Kunsthaar, nicht aber mit Medi-Hair, bei dem es sich um ein

reines Naturprodukt aus Harz handele, beschäftigten und somit

nichts über das Produkt "Medi-Hair" selbst aussagten, trifft dies

nur hinsichtlich der Ausführungen über die Biege- und

Knickbelastung der Kunsthaare und der damit verbundenen Gefahr des

Abbrechens zu. Ob diese Bruchgefahr auch bei dem Produkt

"Medi-Hair" besteht, kann jedoch dahingestellt bleiben, denn es ist

vom Antragsteller hinreichend glaubhaft gemacht, daß die in den

vorgelegten Beiträgen beschriebenen Gefahren einer Implantation

auch bei der Implantierung von Medi-Hair besteht. Die von der

Antragsgegnerin beschriebene Technik der Implantation entspricht

zumindest insoweit derjenigen, die in den vom Antragsteller

vorgelegten Beiträgen beschrieben sind, als ein Einstich in die

Kopfhaut notwendig ist, um das Zweithaar dort "einzupflanzen".

Auch wenn die Antragsgegnerin von einer Minimalisierung einer

Verletzungsgefahr spricht, hat sie damit nicht substantiiert dem

glaubhaftgemachten Vorbringen des Antragstellers widersprochen,

die Entzündungsgefahr im Stichkanal sei die Hauptursache für den

Fortfall des Zweithaares. Nach dem glaubhaftgemachten Vortrag des

Antragstellers ist somit davon auszugehen, daß ein nicht

unerheblicher Prozentsatz der implantierten Zweithaare von der

Kopfhaut nicht angenommen wird oder wegen einer Entzündung des

Einstichkanals wieder entfernt werden muß oder gar herauseitert.

Aus diesem Grund trifft die Werbeaussage "hält doppelt so fest in

der Kopfhaut wie ein normal gewachsenes Haar" jedenfalls in dieser

Allgemeinheit nicht zu und ist demnach irreführend im Sinne von § 3

UWG.

Auch diese Irreführung ist

wettbewerblich relevant, denn sie ist geeignet, einen nicht

unbeachtlichen Teil der angesprochenen Verbraucher, die gerade ihr

Problem im Haarausfall sehen, zu veranlassen, dem Produkt der

Antragsgegnerin vor anderen Kunsthaaren den Vorzug zu geben.

Schließlich liegt in der angefochtenen

Entscheidung - entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin - auch

kein Verstoß gegen das Verbot des "ne ultra petita", denn der Tenor

der angefochtenen Entscheidung, in der lediglich die

Beschlußverfügung vom 30.03.1992 bestätigt wird, entspricht

wörtlich dem vom Antragsteller in der Sitzung vom 19.05.1992

gestellten Antrag. Ein solcher Verstoß ist auch nicht in der

Beschlußverfügung vom 30.03.1992 selbst zu sehen. Zwar sind in der

Beschlußverfügung die beiden zu unterlassenden Werbeaussagen mit

einem "und/oder" verknüpft, während diese Verknüpfung in der

maschinenschriftlichen Fassung der Antragsschrift vom 27.03.1992

nicht enthalten ist; der Zusatz "und/oder" ist jedoch

handschriftlich im Antrag des Antragstellers ergänzt worden. Die

Antragsgegnerin hat nicht vorgetragen, daß diese Ergänzung nicht

vom Antragsteller selbst stammt oder nicht auf seinen Wunsch

hinzugefügt worden ist, so daß davon ausgegangen werden muß, daß

der Antrag, wie er sich in der Antragsschrift vom 27.03.1992

darstellt, dem Willen des Antragstellers entspricht. Aus diesen

Gründen braucht nicht entschieden zu werden, ob durch ein

Hinzufügen des Zusatzes "und/oder" quantitativ und qualitativ mehr

zugesprochen würde als ohne diesen Zusatz.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97

Abs. 1 ZPO.

Das Urteil ist mit der Verkündung

rechtskräftig, § 545 Abs. 2 ZPO.






OLG Köln:
Urteil v. 15.01.1993
Az: 6 U 122/92


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/aed2ebafa1b7/OLG-Koeln_Urteil_vom_15-Januar-1993_Az_6-U-122-92




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