Bundespatentgericht:
Beschluss vom 21. April 2005
Aktenzeichen: 10 W (pat) 709/02
(BPatG: Beschluss v. 21.04.2005, Az.: 10 W (pat) 709/02)
Tenor
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts - Musterregister - vom 28. März 2002 aufgehoben.
Gründe
I.
Die Anmelderin stellte mit der am 10. November 2000 eingereichten Sammelanmeldung Antrag auf Eintragung von 3 Mustern mit der Bezeichnung "Verschluss" in das Musterregister. Zugleich mit der Anmeldung wurde die Priorität einer ausländischen Anmeldung in Anspruch genommen, wobei im Antragsvordruck hierzu angegeben wurde: "12. Mai 2000; Australien; 1452/2000". Auf die Aufforderung durch das Patentamt, die noch fehlende Abschrift der früheren Anmeldung einzureichen, reichte die Anmelderin am 4. Januar 2001 einen Prioritätsbeleg ein, der die - durch eine andere Firma getätigte - australische Anmeldung eines Geschmacksmusters mit der Bezeichnung "closure" betrifft und fünf Abbildungen enthält.
Die Anmelderin reichte im Oktober 2001 die Kopie eines "Assignment of Application" ein, aus der hervorgeht, dass die Rechte an der australischen Voranmeldung Nr. 1452/2000 einschließlich darauf basierender Nachanmeldungen auf die Anmelderin der vorliegenden Anmeldung übertragen wurden. Zugleich hat sie zu der Beanstandung des Patentamts, wonach zu den Mustern 2 und 3 der Nachanmeldung im Prioritätsbeleg keine entsprechende Abbildungen existierten, vorgetragen, dass die Abbildungen der Voranmeldung zumindest teilweise mit Abbildungen identisch seien, die zu den Mustern 2 und 3 eingereicht worden seien. Die Teilidentität bestehe darin, dass sich das Oberteil des in der Voranmeldung dargestellten Verschlusses identisch in den Mustern 2 und 3 wiederfinde. Da nach ständiger Rechtsprechung ein eingetragenes Geschmacksmuster nicht nur das ganze Muster, sondern auch Teile hiervon schütze (sog. Elementenschutz), müsse in analoger Weise bei nur Teilidentität zwischen Vor- und Nachanmeldung die Priorität wirksam im Umfang der Übereinstimmung zwischen Vor- und Nachanmeldung beansprucht werden können. Ob dies im Einzelfall tatsächlich zutreffe, sei eine Frage der materiellen, nicht jedoch der formellen Wirksamkeit der Prioritätsbeanspruchung. Im Patentwesen sei jedoch in ständiger Rechtsprechung anerkannt, dass im Patenterteilungsverfahren nur die formellen, nicht die materiellen Erfordernisse der Prioritätsbeanspruchung geprüft werden. Eine Ausnahme werde nur dann gemacht, wenn es bei der Prüfung auf Patentfähigkeit auf in den Prioritätsintervall fallenden relevanten Stand der Technik ankomme. Dieser Grundsatz gelte erst recht für Schutzrechte, die ohne substantielle Prüfung auf Schutzfähigkeit eingetragen würden wie das Gebrauchsmuster und das Geschmacksmuster (vgl BPatG Mitt 1997, 86 für das Gebrauchsmuster-Eintragungsverfahren).
Das Deutsche Patent- und Markenamt - Musterregister - hat durch Beschluss vom 28. März 2002 gemäß § 7b Abs 3 Satz 2 GeschmMG festgestellt, dass die Erklärung über die Inanspruchnahme der Priorität hinsichtlich der Muster mit den lfd. Nrn. 2 und 3 als nicht abgegeben gilt und hat die Eintragung der Priorität insoweit versagt. Zur Begründung ist ausgeführt, die Anmelderin habe keine Abschrift einer Voranmeldung eingereicht, welche die Anmeldung der Muster mit den lfd. Nrn. 2 und 3 zum Gegenstand gehabt habe. Das Patentamt habe bei der Inanspruchnahme einer ausländischen Priorität für die Nachanmeldung eines Geschmacksmusters im Rahmen einer Offensichtlichkeitsprüfung zu prüfen, ob zwischen den bei der Voranmeldung eingereichten Darstellungen und den im Rahmen der Geschmacksmusteranmeldung eingereichten Darstellungen Identität bestehe. Diese Prüfungskompetenz ergebe sich auch aus der Entstehungsgeschichte des § 7b Abs 1 GeschmMG, der die Inanspruchnahme der Priorität einer ausländischen Geschmacksmusteranmeldung in Anlehnung an § 41 PatG regle. Das Erfordernis der Einreichung einer Abschrift der Voranmeldung sei durch das Gesetz zur Änderung des Patentgesetzes, des Warenzeichengesetzes und weiterer Gesetze vom 4. September 1967 ("Vorabgesetz") eingeführt worden, um allein die Prüfung der Frage zu erleichtern, ob die neue Anmeldung denselben Gegenstand wie die Voranmeldung hatte und ob somit die Inanspruchnahme der Priorität der Voranmeldung begründet war (amtliche Begründung zum Vorabgesetz, BlPMZ 1967, 244, 255). Die vorliegende Offensichtlichkeitsprüfung, wonach sich unter den in der Abschrift der Voranmeldung enthaltenen Abbildungen keine Abbildung befinde, die mit einer zu den Mustern Nr 2 und 3 der Nachanmeldung identisch sei, sei allein durch Zählen und Vergleichen der jeweils eingereichten Abbildungen erfolgt. Eine - dem Patentamt nicht obliegende - Überprüfung der materiellen Identität der durch die Abbildungen dargestellten Gegenstände sei damit nicht erfolgt. Eine möglicherweise bestehende teilweise Identität habe das Patentamt nicht berücksichtigen dürfen, da dies eine materielle Prüfung des Inhalts der Schutzgegenstände bedeutet hätte.
Hiergegen wendet sich die Anmelderin mit der Beschwerde und beruft sich zur Begründung auf ihre Stellungnahme vor dem Patentamt.
Sie beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und zu verfügen, dass die beanspruchte Priorität auch für die Muster mit den laufenden Nummern 2 und 3 eingetragen werde.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Auch die Muster mit der laufenden Nummer 2 und 3 sind mit der beanspruchten Priorität der australischen Geschmacksmusteranmeldung 1452/2000 vom 12. Mai 2000 in das Musterregister einzutragen.
Gemäß § 7b Abs 1 Satz 1 GeschmMG in der hier maßgeblichen, bis 31. Mai 2004 geltenden Fassung hat, wer die Priorität einer früheren ausländischen Anmeldung desselben Musters oder Modells in Anspruch nimmt, vor Ablauf des 16. Monats nach dem Prioritätstag Zeit, Land und Aktenzeichen der früheren Anmeldung anzugeben und eine Abschrift der früheren Anmeldung einzureichen. Werden die Angaben nach Absatz 1 nicht rechtzeitig gemacht oder wird die Abschrift nicht rechtzeitig eingereicht, so gilt die Erklärung über die Inanspruchnahme der Priorität als nicht abgegeben, § 7b Abs 3 Satz 1 GeschmMG aF.
Die formellen Erfordernisse für die Prioritätsbeanspruchung sind ersichtlich erfüllt: Zeit (12. Mai 2000), Land (Australien) und Aktenzeichen (1452/2000) sind am Anmeldetag, am 10. November 2000, angegeben worden. Die Abschrift der Voranmeldung ist am 4. Januar 2001 eingereicht worden, wobei nicht nur eine bloße Abschrift, sondern ein Prioritätsbeleg eingereicht worden ist, was aber unschädlich ist (vgl Eichmann/v. Falckenstein, GeschmMG, 2. Aufl, § 7b Rdn 10, S. 186). Die 16-Monatsfrist ab Prioritätstag ist eingehalten. Für eine darüber hinausgehende Prüfung, ob der Gegenstand der Voranmeldung dasselbe Muster oder Modell betrifft wie die Nachanmeldung, ist vorliegend kein Raum. Denn diese Prüfung ist, auch wenn sie allein durch Zählen und Vergleichen der jeweils eingereichten Abbildungen erfolgt sein mag, eine Prüfung materieller Natur, die dem Patentamt im Geschmacksmustereintragungsverfahren grundsätzlich nicht obliegt.
§ 7b GeschmMG aF regelt das Verfahren für die Inanspruchnahme der Priorität in Anlehnung an § 41 PatG (vgl Eichmann/v. Falckenstein, aaO, § 7b Rdn 1; Nirk/Kurtze, GeschmMG, 2. Aufl, § 7b Rdn 4, 7; Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Geschmacksmustergesetzes BlPMZ 1987, 50, 56 li Sp). Nach ständiger Rechtsprechung zu § 41 PatG sind im Rahmen der isolierten Entscheidung über die Inanspruchnahme der Priorität nur die formellen Erfordernisse zu prüfen (vgl BPatGE 28, 31; BPatGE 38, 20 = Mitt 1997, 86; Schulte, PatG, 7. Aufl, § 41 Rdn 87, 91), nicht aber die materielle Berechtigung der Priorität, über die im Erteilungs-, Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren zu entscheiden ist. Die materielle Berechtigung wird nur geprüft, wenn es für die Entscheidung über Anmeldung oder Patent auf die Priorität ankommt, also wenn im Prioritätsintervall zwischen Anmelde- und Prioritätstag patenthinderndes Material liegt. Zur materiellen Berechtigung gehören die Voraussetzungen gemäß Art 4 C und 4 E PVÜ, ua auch die Frage derselben Erfindung (Schulte, aaO). Bei Schutzrechten wie Gebrauchsmuster und Geschmacksmuster, bei denen im Eintragungsverfahren keine materielle Prüfung auf Schutzfähigkeit vorgesehen ist, findet grundsätzlich auch keine Prüfung der materiellen Berechtigung der Prioritätsinanspruchnahme statt (vgl Bühring, GbmG, 6. Aufl, § 6 Rdn 45; Eichmann/v. Falckenstein, aaO, § 7b Rdn 8, Seite 184 unten, Rdn 13: "...; insbes. prüft das Musterregister anders als das DPA im Prüfungsverfahren des PatR die sachliche und persönliche Identität nicht nach."). Dass die Einführung des Erfordernisses der Einreichung der Abschrift der Voranmeldung allein dazu diente, um die Prüfung der Frage zu erleichtern, ob die neue Anmeldung denselben Gegenstand wie die Voranmeldung hat und ob somit die Inanspruchnahme der Priorität der Voranmeldung begründet ist (amtliche Begründung zum Vorabgesetz, BlPMZ 1967, 244, 255), besagt nichts darüber, wer in welchem Stadium des Verfahrens dieses Erfordernis zu überprüfen hat.
Ob eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass im Rahmen der Vorabentscheidung über die wirksame Inanspruchnahme der Priorität nur formelle, keine materiellen Voraussetzungen geprüft werden, angenommen werden kann, wenn die materielle Berechtigung ganz offensichtlich fehlt (vgl Schulte, aaO, § 41 Rdn 87; Bühring, aaO, § 6 Rdn 45), kann dahingestellt bleiben. Denn hier liegt kein solcher Fall vor. Vor- und Nachanmeldung beziehen sich beide auf (Flaschen-)Verschlüsse und darüber hinaus finden sich, wie die Anmelderin zu Recht vorträgt, jedenfalls Teile des Musters der Voranmeldung bei den Mustern 2 und 3 der Nachanmeldung wieder. Damit sind Fragen des Teilschutzes und der Teilpriorität angesprochen. Bei dieser Sachlage kann keineswegs eine offensichtlich fehlende materielle Berechtigung festgestellt werden. Da das Patentamt eine unzulässige Prüfung der materiellen Berechtigung vorgenommen hat, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben; auch bei den Mustern 2 und 3 ist die beanspruchte Priorität im Musterregister zu vermerken.
Schülke Rauch Püschel Pr
BPatG:
Beschluss v. 21.04.2005
Az: 10 W (pat) 709/02
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