Landgericht Duisburg:
Urteil vom 12. Oktober 2005
Aktenzeichen: 11 S 37/05
(LG Duisburg: Urteil v. 12.10.2005, Az.: 11 S 37/05)
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Duis-burg-Hamborn vom 01.03.2005 (6 C 475/04) wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 55,49 € festge-setzt.
Gründe
I. Von der Darstellung des Sachverhalts wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.
II. Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
Das Amtsgericht hat die Klage zu Recht zurückgewiesen. Dem Kläger steht ein weitergehender Anspruch auf Schadensersatz nicht zu; erstattungsfähig sind nur die im Zuge der Rechtsverfolgung entstandenen, notwendigen Kosten.
Den Prozessbevollmächtigten des Klägers steht gemäß § 14 RVG in Verbindung mit Ziffer 2400 VV RVG lediglich eine 0,9 Gebühr für eine erheblich unterdurchschnittliche Tätigkeit zu, welche die Beklagte unstreitig vorgerichtlich ausgeglichen hat. Zwar bestimmt nach § 14 RVG der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände nach billigem Ermessen. Hierbei sind vor allem Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, die Bedeutung der Angelegenheit sowie die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Mandanten zu berücksichtigen. Wenn die vom Rechtsanwalt nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG bestimmte Gebühr billigem Ermessen entspricht, ist sie verbindlich (Gerold u.a. - Madert § 14 RVG Rn. 8). Dass die in Ansatz gebrachte Gebühr in Höhe von 1,3 noch billigem Ermessen entspricht, kann hier nicht mehr angenommen werden.
Unbillig ist eine Gebühr dann, wenn sich der Rechtsanwalt nicht an das ihm im Rahmen des § 14 Abs. 1 RVG eingeräumte Ermessen hält (Hartung/Römermann, Praxiskommentar zum RVG, § 14 Rn. 87). Jedoch führt nicht jede abweichende Beurteilung eines Gerichts zur Rechtswidrigkeit der anwaltlichen Berechnung nach § 10 RVG. Die Abweichung muss vielmehr so gravierend sein, dass die anwaltliche Festlegung als nicht mehr vertretbar angesehen werden kann (Hartung/Römermann, Praxiskommentar zum RVG, 2004, § 14 Rn. 88). Erst in diesen Fällen tritt an die Stelle des anwaltlichen Ermessens das gerichtliche Ermessen (Gerold u.a. - Madert § 14 RVG Rn. 11 m.w.N.).
Der für die Beurteilung des Ermessens relevante Toleranzbereich wird nach wohl herrschender Meinung auf bis zu 20 % bemessen, wobei dies keine starre Grenze darstellt (vgl. AG Aachen, JurBüro 2005, 192; AG Kehlheim, JurBüro 2005, 195; AG Düsseldorf, 50 C 3581/03, vom 19.03.2004; AG Brühl, NZV 2004, 416; Hartung/Römermann, Praxiskommentar zum RVG, § 14 Rn. 90; Hansens, RVG-Report 2005, 42, 46; Mayer/Kroiß, § 14 RVG Rn. 46; Gebauer/Schneider § 14 RVG Rn. 83; Gerold u.a. - Madert § 14 RVG Rn. 34). Dieser Ansicht schließt sich die Kammer an. Der genannte Toleranzbereich wird hier deutlich überschritten, da anstelle der berechneten Gebühr von 1,3 lediglich eine Gebühr von 0,9 angemessen ist und damit eine Abweichung von über 44 % vorliegt.
Die von den Klägerprozessbevollmächtigten begehrte Mittelgebühr erhält der Rechtsanwalt nur dann, wenn alle Merkmale des § 14 Abs. 1 RVG als durchschnittlich zu bewerten sind; demgegenüber ist die sogenannte Mittelgebühr angemessen zu ermäßigen oder zu erhöhen ist, wenn einzelne Merkmale als unter- oder überdurchschnittlich zu bewerten sind (AG Bielefeld, 41 C 1221/04, vom 22.12.2004; AG Aachen, JurBüro 2005, 192 (192); Schons, NJW 2005, 1024 (1025); Bischof/Jungbauer/Podlech-Trappmann, Kompaktkommentar zum RVG, 2004, VV- Teil 2, S. 479; Gebauer/Schneider, Anwaltskommentar zum RVG, 2. A., § 14, Rn. 64, VV 2400 Rn. 5).
Hier sind Merkmale des § 14 RVG bezüglich Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit - wie das Amtsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat - als unterdurchschnittlich anzusehen ist. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Haftung der Gegenseite dem Grunde nach nie im Streit stand und die Höhe des ersatzfähigen Schadens mit Ausnahme der zu vernachlässigenden Schadenspauschale immer unstreitig war. Der geführte Schriftwechsel ebenso wie der Beratungsbedarf war nach objektiven Maßstäben als gering anzusehen.
Ebenso lassen der Umfang des geltend gemachten und ausgeglichenen Anspruchs (der Schadensbetrag von 1.474,56 € ist für einen Verkehrsunfall verhältnismäßig gering) und die Zügigkeit der Zahlung durch die Beklagte eher darauf schließen, dass der vermögensrechtliche Streit für den Mandanten von eher untergeordneter Bedeutung ist. Dasselbe gilt für das Haftungsrisiko des Anwalts. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Mandanten lassen sich mangels etwaiger Angaben hierzu nicht beurteilen und sind deshalb mangels entgegenstehender Anhaltspunkte als durchschnittlich anzunehmen. Bei dieser Sachlage ist es nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht diesen Fall als unterdurchschnittlich und entgegen der Ansicht des Klägers nicht als durchschnittlich beurteilt hat. Insbesondere hinsichtlich der Frage des Umfangs und der Schwierigkeiten sind kaum einfachere Abwicklungen eines Verkehrsunfalls denkbar.
Die Kammer verkennt nicht, dass eine große, möglicherweise noch überwiegende Zahl der Amtsgerichte, soweit ersichtlich, davon ausgeht, dass ein üblicher Verkehrsunfall eine durchschnittliche Angelegenheit darstellt (vgl. u.a. AG Kehlheim, JurBüro 2005, 195; AG Heidelberg, 26 C 507/04, vom 21.01.2005; AG Hamburg-Barmbek, 814 C 328/04, vom 18.01.2005; Übersicht bei Enders in JurBüro 2005, 253) und dies auch bei Fällen der zügigen Abwicklung und ohne etwaige Besprechungen gelten soll (vgl. AG Landstuhl, JurBüro 2005, 195; AG Gießen, NJOZ 2005, 1230). Dabei scheinen die Vertreter dieses Standpunkts wie auch der Kläger davon auszugehen, dass es keinen unterdurchschnittlichen Verkehrsunfall gibt und in diesem Bereich lediglich der Gebührenbereich zwischen 1,3 (Schwellengebühr) und 2,5 (Obergrenze) eröffnet ist. Hierfür gibt jedoch weder der Gesetzeswortlaut noch dessen Zweck etwas her (so auch die einzige von der Kammer aufgefundene veröffentlichte Entscheidung eines Berufungsgerichts: LG Coburg, Urteil vom 06.05.2005, 32 S 25/05). Die Annahme einer Mittelgebühr auch bei unterdurchschnittlichen Fällen läßt sich auch nicht mit dem vom RVG verfolgten Zweck einer Erhöhung der rechtsanwaltlichen Einnahmen begründen. Dies folgt bereits aus dem höheren Gebührenrahmen, der auch bei einfach gelagerten Fällen nach dem RVG eine höhere Gebühr rechtfertigt als noch die BRAGO. Demgegenüber geht ein Vergleich mit der Mittelgebühr der BRAGO (7,5/10) fehl, weil auch diese eine durchschnittliche Angelegenheit erforderte und in unterdurchschnittlich gelagerten Fällen, wie hier, nicht mehr gerechtfertigt war. Demgegenüber bietet die abweichende Ansicht keine durchschlagenden Argumente für das von ihnen vertretene Ergebnis.
Weiterhin ist die konkrete Bemessung der Tätigkeit mit einer Gebühr in Höhe von 0,9 nicht zu beanstanden. Zwar geht das Amtsgericht aus Sicht der Kammer zu Unrecht davon aus, dass hier ein neuer Gebührenrahmen zwischen 0,5 und 1,3 zu bilden ist. Ausgangspunkt für die Reduktion der Mittelgebühr ist unter Berücksichtigung des Gebührenrahmens von 0,5 bis 2,5 vielmehr der Wert von 1,5 in der Mitte des Gesamtgebührenrahmens (vgl. AG Heidelberg, 26 C 507/04, vom 21.01.2005; AG Aachen, JurBüro 2005, 192; AG Bielefeld, JurBüro 2005, 193; AG Hagen, JurBüro 2005, 194; AG Karlsruhe, JurBüro 2005, 194; AG Bielefeld, 41 C 1221/04, vom 22.12.2004; AG Singen, 1 C 281/04, vom 27.01.2005; AG Gießen, 43 C 2878/04, vom 08.02.2005, m.w.N.; Schneider ArbRB 2004, 152, 153; Hartung, NJW 2004, 1409, 1414; Schneider AnwBl 2004, 129, 137). Hierfür spricht auch die amtliche Begründung zum Gesetzesentwurf des RVG (BT-Dr. 15/1971, S. 207, li. Spalte), in der ausgeführt wird: "In durchschnittlichen Angelegenheiten ist grundsätzlich von der Mittelgebühr (1,5) auszugehen."
Dies rechtfertigt jedoch im Ergebnis keine (teilweise) Abänderung der amtsgerichtlichen Entscheidung, weil die nach den Grundsätzen des § 14 Abs. 1 RVG vorzunehmende Ermäßigung der Mittelgebühr ebenfalls zu eine Gebühr in Höhe von 0,9 führt. Die in jeglicher Hinsicht (mit Ausnahme der Einkommens- und Vermögenssituation des Klägers) unterdurchschnittliche Fallgestaltung rechtfertigt hier einen erheblichen Abzug von insgesamt 0,6 gegenüber der Mittelgebühr von 1,5. Auf die Regelung über die Schwellengebühr von 1,3 ist nicht weiter einzugehen, weil diese nur dann zum Tragen kommt, wenn ein Ansatz von mehr als 1,3 in Betracht kommt, was hier jedoch nach den allgemeinen Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG schon nicht der Fall ist.
Zu ergänzen ist, dass die Kammer nicht gemäß § 14 Abs. 2 RVG verpflichtet ist, ein Gutachten der Rechtsanwaltskammer einzuholen. Insoweit gehen bisher sämtliche Gerichte auch nach der Einführung des RVG davon aus, dass § 14 Abs. 2 RVG (ebenso wie die Parallelregelung des § 12 Abs. 2 BRAGO) nur auf den Gebührenprozess zwischen Auftraggeber und Rechtsanwalt anzuwenden ist, nicht jedoch auf einen Prozess des Rechtsanwalts bzw. seines Mandanten mit Dritten (vgl. AG Aachen, JurBüro 2005, 192; AG Gießen, 43 C 2878/04, Urt. vom 08.02.2005, NJOZ 2005, S. 1230; Hansens, RVG-Report 2005, 42, 47; Hartung/Römermann, Praxiskommentar zum RVG, § 14 Rn. 95; Gebauer/Schneider, § 14 RVG Rn. 96, 99; Gerold u.a. - Madert § 14 RVG Rn. 119f; a.A.: Schons, NJW 2005, 1024). Ob das Gericht in den Fällen der Drittbeteiligung zur Einholung des Gutachtens zumindest berechtigt ist, kann dahinstehen, da die Kammer hierzu in diesem Fall keine Veranlassung sieht.
III. Die Revision ist hier nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen. Dies gilt auch in Anbetracht der sehr unterschiedlichen Rechtsprechung der verschiedenen Amtsgerichte. Zwar rechtfertigt dies eine Entscheidung eines Berufungsgerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Eine Entscheidung des Revisionsgerichts wäre jedoch erst dann geboten, wenn auch mehrere Berufungsgerichte unterschiedliche Rechtsansichten vertreten würden, was bisher nicht ersichtlich ist.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
LG Duisburg:
Urteil v. 12.10.2005
Az: 11 S 37/05
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