Landgericht München I:
Urteil vom 17. Februar 2011
Aktenzeichen: 7 O 20816/10
(LG München I: Urteil v. 17.02.2011, Az.: 7 O 20816/10)
Tenor
1. Die einstweilige Verfügung der Kammer vom 15.11.2010 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 18.11.2010, Az. wie oben, wird aufrecht erhalten.
2. Die Antragsgegnerin trägt auch die weiteren Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Berechtigung von DVD-Veröffentlichungen der Fernsehreihe "M." durch die Beklagte, die u.a. auch Titel der Gruppe "B." enthalten.
Die Verfügungsklägerin ist eines der größten und bekanntesten Tonträgerherstellerunternehmen Deutschlands. Die Verfügungsbeklagte ist ein Unternehmen der Studio Hamburg Gruppe und vertreibt unter dem Label "A." im deutschsprachigen Raum Programme u.a. aus dem Bereich Musik. Die Fernsehreihe "M." wurde seit 1972 von Radio B. produziert und trat die Nachfolge der bekannten Musikreihe "Beat Club" an. Bis zum Jahr 1984 wurden insgesamt 90 Sendungen ausgestrahlt. Im "M." waren viele bedeutende Stars der 70er und frühen 80er Jahre vertreten, u.a. auch die Gruppe "B.", die dort mit sogenanntem "Voll-Playback" unter Verwendung von Originaltonträgeraufnahmen der Verfügungsklägerin auftrat. Die Verfügungsbeklagte hat eine komplette DVD-Sammlung der Sendereihe "M." herausgebracht, die sämtliche Folgen auf 30 DVDs enthält. Folgende Titel von "B." sind auf den streitgegenständlichen DVDs enthalten:
Folge 28: "Daddy Cool"
Folge 33: "Ma Baker"
Folge 38: "Rivers of Babylon"
Folge 41: "Rasputin"
Folge 69: "Daddy Cool"
Folge 89: "Kalimba de Luna".
Am 04.11.2010 mahnte die Verfügungsklägerin die Verfügungsbeklagte ab, da sie am 12.10. 2010 über das Internet erfahren habe, dass diese die DVD-Ausgabe der Sendereihe "M." für den Verkauf im Einzelhandel ab 15.10.2010 angekündigt habe. Die geforderte Unterlassungserklärung hat die Verfügungsbeklagte nicht abgegeben.
Die Verfügungsklägerin vertritt die Auffassung, die Rechte an den Tonträgeraufnahmen für die Vervielfältigung und Verbreitung im Wege der DVD-Auswertung stünden der Verfügungsklägerin als Tonträgerherstellerin nach § 85 UrhG sowie F., Schöpfer und Produzent von "B.", sowohl als Tonträgerhersteller als auch als ausübender Künstler (§ 77 UrhG), zu. Die Rechte von F. nehme die Verfügungsklägerin im Wege der Prozessstandschaft wahr. Insbesondere seien die Rechte an den streitgegenständlichen Tonträgeraufnahmen für die Vervielfältigung und die Verbreitung im Wege der DVD-Auswertung weder von den Rechtsvorgängern der Verfügungsklägerin noch der Verfügungsklägerin selbst der Verfügungsbeklagten oder deren Rechtsvorgängern, insbesondere Radio B., je eingeräumt worden. Auch eine konkludente Rechteeinräumung an Radio B. über die eigenen Sendezwecke hinaus sei nicht erfolgt. Eine analoge Anwendung des § 137 e Abs. 4 Satz 2 UrhG komme nicht in Betracht, da ein Tonträgerhersteller schon begrifflich bei der Herstellung eines Films nicht mitwirken könne. Eine Verwirkung der Rechte der Verfügungsklägerin sei nicht gegeben, da nach eigenem Vortrag der Verfügungsbeklagten zuvor niemals VHS- oder DVD-Veröffentlichungen der Sendung "M." mit Darbietungen der Gruppe "B." stattgefunden hätten.
In den eidesstattlichen Versicherungen (Anlage Ast 3, 13) führt Herr F. u.a. aus, er habe die ihm zustehenden Tonträgerherstellerrechte an den streitgegenständlichen Aufnahmen der Firma H. GmbH lizenziert. Zugleich erinnere er sich, dass die H. gegenüber Radio B. keine Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechte für die Bildtonträger eingeräumt habe. Herr G., Vice President Legal & Business Affairs der Verfügungsklägerin, legt in seiner eidesstattlichen Versicherung (Anlage Ast 8) dar, die streitgegenständlichen Musikstücke von "B." auf den von der Verfügungsbeklagten vertriebenen DVDs seien identisch mit den Aufnahmen, an denen der Verfügungsklägerin sämtliche Rechte zustünden. In seiner eidesstattlichen Versicherung führt Herr K., Director Legal & Business Affaires der Verfügungsklägerin (Anlage Ast 14) aus, dass die Verfügungsklägerin Rechtsnachfolgern der H. geworden sei. Der Vertrag vom 27.04.2006 mit Herrn F. sei notwendig geworden, weil eine Rechteübertragung auf die H. durch Herrn F. nur zeitlich befristet erfolgt und nach Vertragsende wieder an ihn zurückgefallen seien.
Mit Beschluss vom 15.11.2010, in der berichtigten Fassung vom 18.11.2010, erließ die Kammer unter dem Aktenzeichen 7 O 20816/10 auf Antrag der Verfügungsklägerin eine einstweilige Verfügung gegen die Verfügungsbeklagte, in der dieser untersagt wurde,
drei DVD-Veröffentlichungen M. No. 1-3 u.a. mit Titeln der Gruppe "B." zu vervielfältigen/vervielfältigen zu lassen, zu verbreiten/verbreiten zu lassen, zu bewerben/bewerben zu lassen.
Gegen diese Verfügung legte die Verfügungsbeklagte mit Schreiben vom 13.12.2010, bei Gericht eingegangen am 14.12.2010, Widerspruch ein. Es fehle bereits an einem Verfügungsgrund und der Dringlichkeit, da die Sendung "M." durch die Verfügungsbeklagte und Radio B. bereits seit 1993 zunächst als Videokassetten und später als DVD ausgewertet worden seien. Diese Verkäufe seien der Verfügungsklägerin auch bekannt gewesen.
Auch ein Verfügungsanspruch sei nicht gegeben. Der Nachweis, die Verfügungsklägerin sei Inhaberin der ausschließlichen Tonträgerherstellerrechte nach § 85 UrhG sei weder durch die Auszüge aus dem Lizenzvertrag mit F., noch aus dessen eidesstattlicher Versicherung bzw. den eidesstattlichen Versicherungen der Herren G. und K., die nur Rechtsansichten, aber keinen Nachweis der Rechtekette enthielten, erbracht worden. Aus dem Lizenzvertrag sei nicht ersichtlich, inwiefern die streitgegenständlichen Titel der Gruppe "B." zu den von Herrn F. anzuliefernden Titeln gehörten. Auch sei nicht dargelegt worden, dass Herr F. Tonträgerherstellerrechte nach § 85 UrhG originär erworben habe. Selbst wenn er die Rechte nach § 85 UrhG erworben hätte, sei eine Übertragung auf die H. GmbH für die Auswertung äußerst wahrscheinlich. Selbst wenn die Verfügungsbeklagte Inhaberin der Tonträgerherstellerrechte gewesen sei, habe sie die Nutzungsrechte hinsichtlich der Fernsehauswertung und der weiteren Vervielfältigung und Verbreitung seinerzeit Radio B. vertraglich eingeräumt. Die Musikgruppe "B." habe zur Zeit der betreffenden Sendungen bei der Plattenfirma H. GmbH unter Vertrag gestanden. Vor jedem der betreffenden Auftritte habe Radio B. mit der H. GmbH einen Vertrag geschlossen, in dem Radio B. umfassend sämtliche Verwertungsrechte eingeräumt worden seien (vgl. Anlage AG 5). In § 1 Abs. 1 Satz 1 heiße es:
"Der Vertragspartner erteilt Radio B. (RB) seine Einwilligung zur Nutzung der umseitig genannten Leistung für Rundfunk- und Filmzwecke und übertragt ebenso RB die ausschließlichen sowie zeitlich und räumlich unbeschränkten Rechte an dieser Leistung."
Die Reichweite der Rechteeinräumung umfasse aufgrund der Passage in § 1 Abs. 1 Satz 4 der auch die Videozweitauswertung. Unter den Begriff "Filmzwecke" müsse im vorliegenden Zusammenhang jegliche Auswertungshandlung der Aufnahmen verstanden werden. Den Parteien sei bei Vertragsschluss offensichtlich an einer möglichst umfassenden Rechteeinräumung gelegen gewesen, zumal die Werbewirkung der Sendung "M." enorm gewesen sei. Zumindest habe eine konkludente Rechteeinräumung für die Auswertung als Video- bzw. DVD stattgefunden. Herr F. sei zu den fraglichen Auftritten persönlich mit den jeweiligen Voll-Playbacks erschienen und habe daher selbst die Einwilligung zur umfassenden Nutzung der Tonaufnahmen erteilt, die auch eine spätere Auswertung auf Video und DVD miteinschließe.
Die Rechte zu Video- bzw. DVD-Auswertung seien zumindest im Wege der Fiktion nach § 137 e Abs. 4 Satz 2 UrhG zunächst auf Radio B. und später auf die Verfügungsbeklagte übergegangen. Bei der Sendung "M." handele es sich um ein Filmwerk iSd § 137 e Abs. 4 UrhG; die Anwendbarkeit der Norm auf die Vorgängersendung "Beat Club" sei vom Kammergericht ausdrücklich bejaht worden. Die erforderlichen Rechte seien im Zeitpunkt der Aufnahme der Sendung durch die damalige Rechteinhaberin wirksam eingeräumt worden. Im Zweifel finde § 137 e Abs. 4 Satz 2 UrhG analoge Anwendung. Das Anliegen des Gesetzgebers, den Filmherstellern die umfassende Auswertung ihrer Filmwerke zu ermöglichen, entspreche der Schutzrichtung der §§ 88, 89 und 92 UrhG. Diese Interessenlage sei der vorliegenden vergleichbar. So wie es Urhebern (§§ 88, 89 UrhG) bzw. im Falle des § 137 e Abs. 4 Satz 2 UrhG den ausübenden Künstlern verwehrt sein solle, die Filmverwertung zu blockieren, solle dies auch den Tonträgerherstellern verwehrt sein. Das Tonträgerherstellerrecht sei als Leistungsschutzrecht im Einzelfall nicht schutzwürdiger als die Urheberrechte der am Film beteiligten Urheber.
Soweit die Verfügungsklägerin behaupte, die H. GmbH habe ihre Rechte aus Bandübernahmeverträgen mit der F. gehörenden Firma F. Music Studios und Produktions GmbH hergeleitet, könne mangels Vorlage der behaupteten Bandübernahmeverträge nicht überprüft werden. ob es nach Zeitablauf tatsächlich zu einem Rechterückfall von H. an die F. gekommen sei. Dies werde daher bestritten. Für die Glaubhaftmachung der behaupteten Rechtekette müsse die Verfügungsklägerin sämtliche Verträge der Verfügungsklägerin mit F., H. sowie etwaigen Rechtsnachfolgern vorlegen. Die vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen reichten für eine Glaubhaftmachung des Rechtserwerbs nicht aus, da sie lediglich rechtliche Wertungen enthielten. Auch die gesetzliche Vermutung der §§ 85 Abs. 4, 10 Abs. 1 UrhG in Bezug auf die von der Verfügungsklägerin vertriebenen CD-Box "The Complete B." begründe keine Tonträgerherstellerrechte der Verfügungsbeklagten, denn sie beziehe sich nur auf das mit der Urheberangabe bezeichnete Werk, demnach die CD-Box an sich, aber nicht auf weitere Werkformen.
Die Bestätigung der einstweiligen Verfügung wäre zudem unverhältnismäßig. Den Herstellerkosten der kompletten Sammlung von EUR 376.090,00 stünde bei Verkauf aller Boxen eine angemessene Lizenzgebühr der Verfügungsklägerin in Höhe von EUR 140,66 gegenüber. Der auf die streitgegenständlichen Titel entfallende Anteil des Maximalgewinns der Verfügungsklägerin betrüge lediglich EUR 1.162,07. Die Verfügungsbeklagte sei daher - selbst wenn ein Unterlassungsanspruch dem Grunde nach bestünde - gemäß § 100 UrhG zur Abwendung befugt. Die Verfügungsbeklagte habe bei der Auswertung der Sendungen weder vorsätzlich noch fahrlässig gehandelt. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass sie nicht im Besitz der erforderlichen Tonträgerherstellerrechte habe sein können. Aufgrund der hier vorliegenden Diskrepanz zwischen einer fiktiven Lizenzgebühr von höchstens EUR 140,66 für einen verschwindend geringen Anteil an der Gesamtspieldauer der DVDs und einem zu erwartenden Schaden von annähernd 400.000,00 EUR sei eine Unverhältnismäßigkeit augenscheinlich gegeben. Die Annahme einer Entschädigungssumme wäre für die Verfügungsbeklagte auch zumutbar, zumal keine Urheberpersönlichkeitsrechte betroffen seien.
In der mündlichen Verhandlung am 17.02.2011 hat die Verfügungsbeklagte im Hinblick auf § 100 UrhG ohne Anerkennung einer Rechtspflicht zur Abwendung des Unterlassungsanspruchs die Zahlung einer Betrages in Höhe von EUR 6.000 angeboten. Die Verfügungsklägerin hat die Zahlung zurückgewiesen.
Die Verfügungsbeklagte beantragt daher,
die einstweilige Verfügung vom 15.11.2010 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 09.11.2010 zurückzuweisen.
Die Verfügungsklägerin beantragt,
die einstweilige Verfügung vom 15.11.2010, in der Fassung vom 18.11.2010, aufrecht zu erhalten.
Soweit die Verfügungsbeklagte behaupte, in den 1990er Jahren seien bereits Videokassetten bzw. DVDs der Sendungen "Beat Club" und "M." vertrieben worden, weshalb es auch an einer Dringlichkeit für die vorliegende einstweilige Verfügung fehle, sei festzuhalten, dass auf den betreffenden Produktionen die streitgegenständlichen Titel der Gruppe "B." jedenfalls nicht enthalten gewesen seien. Der Verfügungsklägerin sei der Vertrieb des streitgegenständlichen Produkts erst durch eine E-mail am 12.10.2010 bekannt geworden.
Die Verfügungsbeklagte habe eine Rechteeinräumung der H. GmbH an Radio B. hinsichtlich der Tonträgerherstellerrechte weder dargelegt noch glaubhaft gemacht. Solche Verträge wären auch unüblich gewesen. Einen Mitwirkendenvertrag habe ein Sender nur für Live-Darbietungen benötigt. Da die Auftritte von B. jedoch auf den Tanz und die lippensynchrone Mimik beschränkt gewesen seien, sei die Rechteeinräumung hinsichtlich der Tonträgerherstellerrechte entbehrlich gewesen und habe auch nicht stattgefunden. H. habe ihre Berechtigung stets aus sog. Bandübernahmeverträgen hergeleitet, bei denen sämtliche Vertragsbeziehungen mit der Gruppe über die Firma von Herrn F. abgewickelt worden seien; "B." sei daher bei F. Music unter Vertrag gewesen, nicht bei der H. H. habe von F. fertig produzierte Aufnahmen auf Zeit erhalten, die nach Ende der vereinbarten Laufzeit wieder an F. zurückgefallen seien. Auftritte von "B." im Fernsehen habe die H. administrativ betreut, sie seien aber F. und nicht H. zuzurechnen gewesen (vgl. Zif. 5 des Vertrags Anlage Ast 16). H. habe daher gegenüber Radio B. auf der Grundlage einer Vollmacht der F. gehandelt und habe keine umfassende Rechteeinräumung gewährten können. Zudem ergebe sich aus der eidesstattlichen Versicherung von Herrn F. (Anlage Ast 13), dass eine Videozweitauswertung ausgeschlossen gewesen sei. Die im Anlagenkonvolut AG 5 vorgelegten Auftrittsverträge seien mangels Vorlage der Rückseite nicht vollständig. im Übrigen würden sie sich nur auf die Mitwirkung der Band-Mitglieder bei einer tänzerischen Darbietung zum Voll-Playback beziehen. Da es sich bei sämtlichen für die Playbacks verwendeten Aufnahmen um erschienene Tonträger gehandelt habe, war hinsichtlich der Verwendung für Sendezwecke ein Lizenzvertrag über die Tonträgerherstellungsrechte entbehrlich. Hätte Radio B. eine Videozweitauswertung geplant gehabt, hätten gesonderte Verträge geschlossen werden müssen. Selbst wenn sich die vorgelegten Erklärungen auch auf die Nutzung der zum Playback verwendeten Aufnahmen beziehen würden, wäre die Rechteeinräumung von vornherein nur auf Sendezwecke beschränkt gewesen. Darüber hinaus gäben die Bestimmungen der Honorarbedingungen (Anlage AG 5) keine Befugnis zur DVD-Auswertung. Wie sich aus Ziffer 1 ergebe, sei die Nutzungseinräumung auf Rundfunk- und Filmzwecke beschränkt, wobei "Filmzwecke" mit "Sendezwecken" gleichzusetzen sei. § 137 Abs. 4 Satz 2 UrhG sei auf Tonträgerherstellerrechte nicht anwendbar. Zudem sei fraglich, ob die vorliegenden Videosequenzen überhaupt ein Filmwerk iSd § 137 Abs. 4 Satz 2 UrhG darstellten. Letztlich spreche gegen die Anwendung der vorgenannten Bestimmung auf die Leistungen eines Tonträgerherstellers, dass die umfassende Auswertungsmöglichkeit des Filmherstellers nicht höher zu achten sei als das Interesse der Rechteinhaber an vorbestehenden Werken oder Leistungen. Radio B. sei bekannt gewesen, dass exklusivvertraglich gebundene Künstler und deren Tonträgerhersteller einer Auswertung über Rundfunkzwecke hinaus bereits aus Konkurrenzgründen niemals zugestimmt hätten.
Sämtliche in der Box "The Complete B." enthaltenen Tonträger - nicht nur die Box als solche - wiesen den Aufdruck "S." und damit den Firmennamen der Verfügungsklägerin vor der Umfirmierung auf, sodass insoweit die gesetzliche Vermutung gemäß § 85 Abs. 4 iVm § 10 Abs. 1 UrhG eingreife. Die Identität der Aufnahmen, auf die sich der Bandübernahmevertrag bezogen habe und der auf den DVDs verwendeten Aufnahmen habe ein Sachverständiger durch einen ISRC überprüft und festgestellt (vgl. Anlage Ast 7). Andere legalen Veröffentlichungen von "B." existierten nicht. Dass die streitgegenständlichen Titel der Musikgruppe "B." zum Umfang der Rechteeinräumung gehörten, ergebe sich aus der Anlage 1 zum Vertrag vom 27.04.2006 (Anlage Ast 18). Die eidesstattlichen Versicherungen von Herrn F. bestätigten, dass er für die Aufnahmen von "B." wirtschaftlich und organisatorisch verantwortlich und somit zur Rechteeinräumung befugt gewesen sei. Die Rüge der Verfügungsbeklagten, die Anlage Ast 18, die die vom Vertrag umfassten Aufnahmen einzeln bezeichne, datiere erst vom Januar 2011, sei unbegründet. Der Gegenstand der Rechteeinräumung sei den Vertragsparteien klar gewesen. Die nachgereichte Auflistung diene nur der Klarstellung und bestätige den Umfang der Rechteeinräumung. Im Übrigen wäre aufgrund des Umstands, dass die H. eine 100%-ige Tochter der Verfügungsklägerin gewesen sei, der Vertrag mit Herrn F. gemäß Anlage Ast 2 entbehrlich gewesen, wenn die H. aufgrund unbefristeter Verträge über die Rechte an den Aufnahmen ohnehin schon verfügt hätte. Der Begriff des Tonträgerherstellers werde auch dann verwendet, wenn im Rahmen eines Bandübernahmevertrags der Bandnehmer (= Plattenfirma) die im Rahmen der Produktion erworbenen Nutzungsrechte hinsichtlich der Darbietungen der ausübenden Künstler auf Zeit erwerbe. Bei den als Anlagen AG 5 vorgelegten Auftrittsverträgen handele es sich keinesfalls um Verträge über Tonträgerherstellerrechte, sondern lediglich um Gestattung der Verwendung der Tonträger und der künstlerischen Darbietungen von "B." aufgrund der Mitwirkendenvereinbarungen für Sendezwecke. Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechte auf Video oder DVD habe die Verfügungsbeklagte nie erworben, zumal an solche Nutzungen zur Zeit der M.-Produktionen niemand gedacht habe. In den von der Verfügungsbeklagten überreichten AGBs sei jedenfalls von einer Video-Auswertung nicht die Rede. Die Übergabe der Bänder sei auch nicht geeignet, unter irgendeinem Gesichtspunkt eine konkludente Rechteeinräumung darzustellen. Herr F. habe mit der Übergabe der Bänder allenfalls ein Vervielfältigungsstück zur Verfügung gestellt. Zur Erreichung des Vertragszwecks (Sendung) sei auch eine weitergehende Rechteeinräumung nicht notwendig gewesen.
Hinsichtlich der von der Verfügungsbeklagten geltend gemachten Abwendungsbefugnis verkenne diese, dass gemäß § 98 Abs. 4 UrhG nur die Ansprüche auf Vernichtung, Rückruf und Überlassung gemäß § 98 Abs. 1 bis 3 UrhG, nicht aber Unterlassungsansprüche wegen Unverhältnismäßigkeit ausgeschlossen seien. Ausweislich der Anlagen Ast 5 und Ast 6 seien nur sechs von insgesamt 30 DVDs Gegenstand der einstweiligen Verfügung geworden. Die Verfügungsbeklagte könnte demnach - sofern nicht andere Rechteinhaber Unterlassungsansprüche geltend machten - die verbliebenen 24 DVDs weiterhin verkaufen. Schließlich stehe die Abwendungsbefugnis nur einem Verletzer zu, der weder vorsätzlich noch fahrlässig gehandelt habe. Spätestens nachdem die Verfügungsklägerin im E-mail-Wechsel vom 12.10.2010 der Verfügungsbeklagten mitgeteilt habe, welche Rechtsauffassung sie vertrete, habe die Verfügungsbeklagte fahrlässig gehandelt.
Gründe
Die einstweilige Verfügung war aufrecht zu erhalten, da der Verfügungsklägerin ein Unterlassungsanspruch nach §§ 97 Abs. 1, 85, 77 UrhG zusteht.
1. Ein Verfügungsgrund gemäß § 940 ZPO ist gegeben. Soweit die Verfügungsbeklagte geltend gemacht hat, dass sie bereits seit den 1990iger Jahren zunächst Video-, später DVD-Auswertungen der Fernseh-Sendereihen "Beat Club" und "M." vorgenommen hat, hat sie auf das Bestreiten der Verfügungsklägerin und deren Einlassung dahingehend, diese Auswertungen hätten nicht die streitgegenständlichen Titel der Musikgruppe "B." umfasst, nicht darlegen können, dass eine solche frühere Verwertung der streitgegenständlichen Musikstücke tatsächlich stattgefunden hat. Aus diesem Grund ist auch die von der Verfügungsbeklagten behauptete Verwirkung der verfügungsklägerischen Rechte ausgeschlossen. Die Einlassung der Verfügungsklägerin, sie habe am 12.10.2010 erstmals Kenntnis von einer DVD-Auswertung der streitgegenständlichen Titel durch die Verfügungsbeklagte erhalten, konnte die Verfügungsbeklagte ebenfalls nicht substantiiert widerlegen, sodass von einer Dringlichkeit des am 09.11.2010 erhobenen, am 11.11.2010 bei Gericht eingegangenen Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auszugehen ist.
2. Ein Verfügungsanspruch ist gegeben. Die Verfügungsklägerin ist aktivlegitimiert; ihr stehen die Tonträgerherstellerrechte nach § 85 UrhG zu, die sie nach § 85 Abs. 1 UrhG ausschließlich dazu berechtigen, die streitgegenständlichen Tonträger zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Aufgrund dieser ausschließlichen Nutzungsrechte steht der Verfügungsklägerin auch der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nach § 97 Abs. 1 UrhG zu, da die Beklagte über keine eigenen Nutzungsrechte verfügt.
a) Die streitgegenständlichen Aufnahmen der Gruppe "B." befinden sich in identischer Version auf den streitgegenständlichen, von der Verfügungsbeklagten produzierten und vertriebenen DVDs. Die Feststellung der Identität der Aufnahmen durch einen von der Verfügungsklägerin beauftragten Sachverständigen (Anlage Ast 7) ist von der Verfügungsbeklagten nicht in Abrede gestellt worden.
b) Die ausschließlichen Nutzungsrechte der Verfügungsklägerin an den streitgegenständlichen Musiktiteln ergeben sich zum einen aus der nicht widerlegten Vermutung nach § 10 Abs. 3 UrhG, da die Verfügungsklägerin sowohl auf der CD-Box "The Complete B.", die sämtliche Titel der Gruppe enthält, als auch auf den einzelnen CDs dieser Box, als Rechteinhaberin aufgrund des Copyright-Vermerks genannt ist. Aus der Nennung der Verfügungsklägerin auf den Einzel-CDs ergibt sich insbesondere entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten, dass sich der Nutzungsrechtsvermerk nicht lediglich auf die Sammlung aller Lieder von "B." in einer Box bezieht. Die Vermutungswirkung des § 10 Abs. 3 UrhG ist von der Verfügungsbeklagten nicht erschüttert worden.
c) Zum anderen ergeben sich die Tonträgerherstellerrechte der Verfügungsklägerin nach § 85 UrhG aus dem Gesichtspunkt der vertraglichen Einräumung. Am 27.04.2006 wurde zwischen der Verfügungklägerin und Herrn F., der ausweislich seiner eidesstattlichen Versicherung als Produzent und organisatorisch Gesamtverantwortlicher (vgl. OLG Hamburg GRUR 1997, 826, 827) und damit als Tonträgerhersteller gemäß § 85 UrhG anzusehen ist, ein Vertrag geschlossen (Anlage K 2), in dem dieser sämtliche Rechte auf die Verfügungsklägerin übertragen hat. Diese Übertragung konnte von Herrn F. auch wirksam vorgenommen werden, da er zwar mit der H. GmbH einen sog. Bandübernahmevertrag geschlossen hat, dieser aber zeitlich befristet war und somit nach Fristende alle Rechte automatisch wieder an Herrn F. zurückgefallen sind (vgl. eidesstattliche Versicherung von Herrn K., Anlage Ast 14). Der Umstand, dass die Verfügungsklägerin die Auflistung der streitgegenständlichen Titel als Anlage zum Vertrag vom 27.04.2006 erst mit eidesstattlicher Versicherung vom Januar 2011 vorgelegt hat (Anlage Ast 18), steht deren Berücksichtigungsfähigkeit nicht entgegen. Insbesondere hat die Verfügungsklägerin nachvollziehbar dargelegt, dass aufgrund der jahrelangen Vertragsbeziehungen eine Auflistung der vom Vertrag umfassten Musiktitel ursprünglich nicht für erforderlich erachtet worden war, im Nachhinein jedoch der ursprünglichen Vereinbarung folgend schriftlich fixiert wurde.
d) Eine die Video- bzw. DVD-Auswertung abdeckende Rechteeinräumung gegenüber Radio B., der eine diesbezügliche Rechteübertragung an die Verfügungsbeklagte hätte folgen können, lag zwischen der Verfügungsklägerin und Radio B. nicht vor.
32Zum einen beinhalten die Auftritts- bzw. Mitwirkendenverträge, die zwischen der H. "B." und Radio B. geschlossen worden sind, Vereinbarungen lediglich hinsichtlich der tänzerischen Darbietungen unter Voll-Playback, sodass eigene Tonträgerherstellerrechte des Senders aufgrund von Live-Darbietungen nicht entstanden sind.
33Zum anderen ist - auch wenn durch die Auftrittsverträge jedenfalls konkludent eine Rechteeinräumung bezüglich der Nutzung der bereits existierenden Tonträger erfolgt ist - diese aufgrund der Zweckübertragungslehre nur für die Ausstrahlung in einer bestimmten Folge des "M." und damit nur für einen konkreten Sendezweck erfolgt. Dies ergibt sich zum einen aus dem Wortlaut der Honorarvereinbarung (dort § 1 Abs. 1 Satz 1), da "Filmzwecke" nach dem Zweckübertragungsgrundsatz (§ 31 Abs. 5, wonach die Rechte tendenziell beim Urheber verbleiben, soweit sie nicht ausdrücklich bezeichnet sind oder sich die Einräumung aus dem Sinn und Zweck des Vertrags ergibt) und auch den allgemeinen Auslegungsregeln nicht über "Sendezwecke" hinaus auszulegen sind. Die Tonträger sollten für die Erstellung der Sendung verwendet werden; dies war ihr alleiniger Zweck. Es sind keine Umstände ersichtlich, weshalb eine Übertragung von Rechten über diese Sendezwecke hinaus hätten eingeräumt werden sollen, da sie weder notwendig noch - zum damaligen Zeitpunkt - üblich waren. In den frühen 1980iger Jahren war die Auswertung von Fernsehsendungen auf Video keinesfalls bereits derart gebräuchlich, dass davon auszugehen wäre, dass eine Rechteeinräumung standardmäßig stets auch eine Videoauswertung umfasst hätte. Aus diesem Grund ist auch eine konkludente Rechteeinräumung durch die Übergabe des Bandes für die jeweilige Sendung durch Herrn F. nicht anzunehmen.
e) Eine Anwendbarkeit von § 137 e Abs. 4 Satz 2 UrhG auf Tonträgerherstellerrechte ist - auch in analoger Weise - auszuschließen. Nach § 137 e Abs. 4 Satz 2 UrhG gelten die ausschließlichen Rechte des ausübenden Künstlers als auf den Filmhersteller übertragen, wenn er vor dem 30.06.1995 in die Benutzung seiner Darbietung zur Herstellung des Filmwerks eingewilligt hat. Dabei kann vorliegend die Frage, ob es sich bei einer Musiksendung wie der vorliegenden um ein "Filmwerk" im eigentlichen Sinn handelt, dahingestellt bleiben.
35Die Auffassung der Verfügungsbeklagten, die Bestimmung sei analog auf Tonträgerherstellerrechte anzuwenden, da eine planwidrige Regelungslücke vorliege, ist abzulehnen. Die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke ist bei Ausnahmevorschriften wie § 137 e Abs. 4 Satz 2 UrhG zum einen ohnehin regelmäßig nicht möglich. Zum anderen liegt eine den Filmherstellerbelangen vergleichbare Interessenlage, wonach der Filmhersteller im Zweifel umfassend gegen nachträgliche Verbotsansprüche geschützt sein soll, um die Auswertung nicht zu gefährden, nicht vor.
Entscheidend gegen eine direkte Anwendbarkeit spricht der Umstand, dass § 137 e Abs. 4 Satz 2 UrhG die Fälle der Mitwirkung ausübender Künstler bei der Herstellung eines Filmwerks, die Mitwirkendenverträge geschlossen haben, betrifft. Dies entspricht indes auf dem Gebiet der Musikdarbietungen Live-Auftritten, nicht aber der Nutzung von Tonträgeraufnahmen im Rahmen eines Voll-Playbacks. Aus diesem Grund ist auch die vom Verfügungsbeklagten zitierte Entscheidung des Kammergerichts zu "Beat Club" (vgl. ZUM 2003, 863, 864) nicht einschlägig, da dort ebenfalls Live-Darbietungen vorlagen.
f) Die Abwendungsbefugnis des § 100 UrhG greift vorliegend nicht. Der Gesetzgeber hatte bei der Schaffung des § 100 UrhG vor allem den Filmhersteller im Auge, der sich unverschuldet ein zur Auswertung des Filmwerks erforderliches Nutzungsrecht nicht hat einräumen lassen. Eine Abwendungsbefugnis ist zwar entgegen der Auffassung der Verfügungsklägerin auch gegenüber einem Unterlassungsanspruch gegeben (vgl. Schulze/Dreier, UrhG, 4. Aufl., § 100 Rdnr. 1, 3 mwN). Vorliegend handelt es sich allerdings nicht um Filmherstellerrechte, sondern um Tonträgerherstellerrechte, deren gegenseitige Gleichstellung bereits vorstehend verneint worden ist. Entscheidend ist aber das Fehlen der Tatbestandvoraussetzung des § 100 UrhG, dass der Verletzer vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt haben muss. Die Rechtsprechung stellt an das Vorliegen eines Verschuldens nur geringe Anforderungen (vgl. Schulze/Dreier, a.a.O., § 100 Rdnr. 4 mwN). Vorliegend hätte die Verfügungsbeklagte vor Beginn der Produktion erkennen können, dass sie über die Rechte zur Homevideoauswertung an den Tonspuren der bekanntermaßen stets im Voll-Playbackverfahren aufgetretenen Gruppe "B." nicht verfügte, und hätte daher diese Titel aus der Sammlung herausnehmen können, wenn eine Rechteeinholung nicht gelungen ihr nicht gelungen wäre. Später ist sogar von bewußter Fahrlässigkeit oder bedingtem Vorsatz der Verfügungsbeklagten insoweit auszugehen, als sie von der Verfügungsklägerin am 12.10.2010 auf die Problematik der Verwertung der streitgegenständlichen Musiktitel hingewiesen worden ist. Schließlich ist auch ein für das Eingreifen des § 100 UrhG erforderliches Vorliegen eines unverhältnismäßig großen Schadens zumindest unter dem Gesichtspunkt fraglich, dass eine Verwertung von nur 6 (und damit derjenigen, die die streitgegenständlichen Titel von "B." enthalten) der 30 von der Verfügungsbeklagten produzierten DVDs nicht möglich wäre, sodass nicht die gesamte Produktion als Schaden anzusetzen ist. Auch eine nicht ganz vollständige Edition mit 24 CDs könnte durchaus noch vertrieben werden. Überdies wäre die Verfügungsklägerin nicht zur Verramschung ihrer Rechte verpflichtet, so dass das Argument, eine derart große Kompilation sei nicht wirtschaftlich zu vermarkten, wenn die einzelnen Rechteinhaber - je für sich als angemessen anzusehende - Lizenzgebühren fordern würden, nicht eingreifen kann.
Nebenentscheidungen:
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
LG München I:
Urteil v. 17.02.2011
Az: 7 O 20816/10
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/b01573df18c1/LG-Muenchen-I_Urteil_vom_17-Februar-2011_Az_7-O-20816-10