Oberlandesgericht Hamburg:
Beschluss vom 26. Februar 2009
Aktenzeichen: 3 W 175/08
(OLG Hamburg: Beschluss v. 26.02.2009, Az.: 3 W 175/08)
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 27, vom 07.11.2008 wird zurückgewiesen.
Der Streitwert wird auch für die Beschwerdeinstanz auf € 10.000,- festgesetzt.
Gründe
Die zulässige sofortige Beschwerde der Gläubigerin hat in der Sache keinen Erfolg.
1.) Durch die Beschlussverfügung vom 12.07.2007 ist der Schuldnerin unter Androhung von Ordnungsmitteln verboten worden,
den nachstehend wiedergegebenen Aufsatz von M... L... und E... S... zu Wettbewerbszwecken zu verbreiten, insbesondere diesen auf der Internetseite www...com zum Herunterladen (€Download) bereitzuhalten.
Zum Gegenstand des Verbots gehört der dem Beschluss beigefügte Verletzungsfall, und zwar ein Aufsatz der Autoren L.../S... mit dem Titel €...€.
Zum Streitgegenstand gehört nach der Lehre vom zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff als Klaggrund weiter die sachverhaltliche Begründung der Gläubigerin zu dem geltend gemachten Unterlassungsanspruch in der Antragsschrift und zwar dahingehend, dass die Antragsgegnerin mit dem Verbreiten der Studie zu Wettbewerbszwecken, insbesondere durch das Bereitstellen zum Herunterladen auf ihrer Internetseite, gegen §§ 3, 5, 6 UWG verstoße. Die Antragsgegnerin führe den Verkehr in die Irre, weil sie nicht darauf hinweise, dass sie die der Veröffentlichung zugrunde liegende Studie finanziert habe. Darüber hinaus werde der Verkehr in die Irre geführt, weil die Studie und der darauf basierende Aufsatz wissenschaftlichen Anforderungen nicht genüge. Auch seien die im Aufsatz enthaltenen Angaben zur Wirkung des metaldehydhaltigen Schneckenkorns auf Regenwürmer nicht überprüfbar, sodass der in dem Aufsatz angestellte Vergleich gem. § 6 Abs. 2 Nr. 2 UWG unzulässig sei.
2.) Das als gegen die Beschlussverfügung verstoßend beanstandete Verhalten der Schuldnerin besteht nach dem Vorbringen der Gläubigerin darin, dass die Schuldnerin nicht verhindert habe, dass eine Firma R... Ltd. im Auftrag der L... AG, einer 100%igen Tochter der Schuldnerin, zahlreiche Studien beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit als Beleg dafür eingereicht habe, dass der Wirkstoff Eisen-III-Phosphat keine Wirkung als Molluskizid habe. Der verfügungsgegenständliche Aufsatz von L.../S... war der an das Bundesamt gerichteten Eingabe als vollständiges Dokument in Kopie beigefügt.
3.) Die im Ordnungsmittelverfahren als Verstoß gegen den Unterlassungstitel gerügte Werbemaßnahme fällt unter Berücksichtigung der Kernbereichslehre nicht unter das ergangene Verbot.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (siehe schon: OLG Hamburg, Beschluss vom 17.11.1989 € 3 W 119/89 € GRUR 1990, 637) fallen unter den Tenor eines Unterlassungstitels zwar nicht nur identische Handlungen, sondern auch solche, die von dem wettbewerbswidrigen Kern der verbotenen Handlung nur geringfügig abweichen, ihr also praktisch gleichwertig sind, weil es sonst mühelos möglich wäre, den Titel zu unterlaufen. Eine Ausdehnung des Schutzbereichs des Titels auf solche Wettbewerbshandlungen, die der verbotenen Handlung aber im Kern lediglich ähnlich sind, ist dagegen nach der Natur des Vollstreckungsverfahrens nicht möglich.
In Bezug auf Unterlassungstitel, die eine konkrete Wettbewerbshandlung verbieten, bedeutet dies, dass lediglich kosmetische Veränderungen der konkreten Verletzungsform, die Gegenstand des Verbots ist, die den Gesamteindruck der verbotenen Werbung aber nicht berühren, nicht aus dem Kernbereich des Verbots herausführen können. Wird die Maßnahme jedoch so verändert, dass sich deren Gesamteindruck bezogen auf den Kern des Verbots ändert, unterfällt die Änderung nicht mehr dem Verbotskern des Titels. Dies gilt auch dann, wenn die abgeänderte Form selbst wettbewerbswidrig ist. Die Wettbewerbswidrigkeit der Änderung kann in einem solchen Falle nur in einem neuen Erkenntnisverfahren, nicht aber in der Zwangsvollstreckung geprüft werden.
In dieser in ständiger Rechtsprechung vertretenen Auffassung von der Kerntheorie sieht sich der Senat durch die Entscheidung €Markenparfümverkäufe€ des BGH (NJW-RR 2006, 1118 ff.) bestätigt. Entscheidend für die Beurteilung der Frage, welchen Streitgegenstand ein Kläger mit einem Unterlassungsantrag zur Entscheidung gestellt und über welchen Streitgegenstand das Gericht entschieden hat, ist danach nicht allein der Wortlaut von Antrag und Urteilsausspruch. Der Streitgegenstand (der prozessuale Anspruch) wird durch den Klageantrag bestimmt, in dem sich die vom Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und den Lebenssachverhalt (Klagegrund), aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet. Das Klageziel allein kennzeichnet den Streitgegenstand nicht. Die Einheitlichkeit des Klageziels genügt deshalb nicht, um einen einheitlichen Streitgegenstand anzunehmen. Der Klagegrund als der Lebenssachverhalt, auf den der Antrag gestützt ist, bleibt dementsprechend unverändert, wenn der Kläger seinen Antrag (und damit die aus dem Klagegrund hergeleitete Rechtsfolge) ausdrücklich weiter fasst, indem er die angegriffene Verletzungsform im Antrag stärker abstrahiert. Die Reichweite des Verbotsbegehrens ändert nichts daran, dass der Streitgegenstand und später die Reichweite der Rechtskraft des Unterlassungsurteils auf den Klagegrund bezogen bleiben (BGH, a.a.O.1120, Rz. 25 ff. € Markenparfümverkäufe - unter Hinweis auf seine ständige Rechtsprechung).
Entscheidend nach der Kerntheorie ist dementsprechend, dass auch kerngleiche Abweichungen von der konkreten Verletzungsform, wie sie vom materiell-rechtlichen Unterlassungsanspruch mit umfasst sind, mit Streitgegenstand gewesen sind und die gerichtliche Entscheidung über den Streitgegenstand daher solche Abweichungen von der konkreten Verletzungsform mit verboten hat (BGH, a. a. O., Rn. 27 € Markenparfümverkäufe).
b) Die angegriffen Werbemaßnahme fällt unter Berücksichtigung der zuvor gemachten Ausführungen nicht unter das ergangene Verbot.
Klagegrund des Erlassverfahrens war € wie ausgeführt - die allgemeine Verbreitung des angegriffenen Aufsatzes zu Wettbewerbszwecken, insbesondere im Internet, und die Irreführung des damit angesprochenen Verkehrs, ausweislich der Angaben in der Antragsschrift die Biotechnologie- und Chemiebranche, insbesondere die Hersteller von Schneckenbekämpfungsmitteln, die auf dem Endverbrauchermarkt mit der Gläubigerin konkurrieren. Die Kammer hat demgemäß nicht über einen Sachverhalt mitentschieden, bei dem die Schuldnerin mit ordnungspolitischer Zielrichtung bei der zuständigen Behörde unter Hinweis auf (öko-)toxikologische Bedenken gegen einen Wirkstoff eine Eingabe vornimmt.
Eine solche Maßnahme ist in der Begründung zum Verfügungsantrag nicht aufgeführt gewesen, die Zivilkammer kann diesen Fall durch Erlass der Verbotsverfügung also nicht bereits mitentschieden haben.
Denn es macht einen erheblichen Unterschied, ob die in Rede stehenden Studie, wie in dem in der Antragsschrift vorgetragenen Verletzungsfall geschehen, gegenüber den interessierten Verkehrskreisen transportiert wird, oder aber ob - wie im Beanstandungsfall des Ordnungsmittelverfahrens - die Studie zusammen mit weiteren Studien zum Beleg des (öko-) toxikologischen Verhaltens des Wirkstoffs Eisen-III-Phosphat bei dem zuständigen Bundesamt eingereicht wird.
Dabei geht es im vorliegenden Ordnungsmittelverfahren nicht darum, ob die Eingabe bei dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit ihrerseits eine unlautere Wettbewerbshandlung darstellt; maßgeblich ist vielmehr, dass es im Kern ein nur ähnlicher, im Charakteristischen aber ungleicher Sachverhalt ist.
4) Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO.
OLG Hamburg:
Beschluss v. 26.02.2009
Az: 3 W 175/08
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