Oberlandesgericht Köln:
Beschluss vom 7. Juli 1993
Aktenzeichen: 17 W 158/93
(OLG Köln: Beschluss v. 07.07.1993, Az.: 17 W 158/93)
Der Streitwert des selbständigen Beweisverfahrens ist nach dem vollen Wert des zu sichernden Anspruchs zu bemessen (soweit sich die Beweiserhebung darauf bezieht). Das gilt auch dann, wenn es zu einem Rechtsstreit über den geltend gemachten Anspruch (hier: Wandlung) nicht mehr kommt.
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
Die nach § 25 Abs. 2 GKG zulässige Streitwertbe- schwerde des
Antragstellers ist nicht begründet. Das Landgericht hat den
Gegenstandswert des von dem Antragsteller betriebenen selbständigen
Beweisver- fahrens zutreffend auf 39.907,91 DM festgesetzt.
Der Streitwertfestsetzung des Landgerichts liegt ersichtlich die
Annahme zugrunde, daß der Gegen- standswert des selbständigen
Beweisverfahrens dem Wert der Hauptsache entspreche. Dem ist
zuzustim- men. Für das Beweissicherungsverfahren in der bis zum 31.
März 1991 geltenden Gesetzesfassung ist allerdings überwiegend die
Auffassung vertreten worden, daß dessen Gegenstandswert nur mit
einem Bruchteil des Wertes der Hauptsache anzusetzen sei. Daran
kann jedoch für das selbständige Beweisver- fahren nach den §§ 485
ff ZPO in der Neufassung des am 1. April 1991 in Kraft getretenen
Rechtspflege- vereinfachungsgesetzes vom 17. Dezember 1990 nicht
festgehalten werden. Das Verfahren zur Sicherung des Beweises hat
dadurch eine nicht unerhebliche Aufwertung erfahren. Während das
frühere Beweissi- cherungsverfahren ausschließlich darauf abzielte,
die Beweise für den Hauptsacheprozeß zu sichern, hat das
selbständige Beweisverfahren darüber hinaus die Aufgabe, eine
weitere gerichtliche Auseinan- dersetzung zu vermeiden. Das hat
insbesondere in der Vorschrift des § 492 Abs. 3 ZPO n. F. seinen
Niederschlag gefunden, die es dem Gericht ermög- licht, die
Parteien mit dem Ziel einer gütlichen Einigung zur mündlichen
Erörterung zu laden und darauf hinzuwirken, daß ein sonst zu
besorgender Hauptsacheprozeß entbehrlich wird. In § 794 Abs. 1 Nr.
1 ZPO ist ausdrücklich bestimmt, daß aus einem im selbständigen
Beweisverfahren zu gerichtlichem Protokoll genommenen Vergleich in
gleicher Weise wie aus einem im Rechtsstreit zur Hauptsache abge-
schlossenen Prozeßvergleich die Zwangsvollstreckung betrieben
werden kann. Entgegen der Ansicht des OLG Karlsruhe (MDR 1992, 615)
hat sich damit das zum früheren Rechtszustand verschiedentlich
vorge- tragene Argument, der Streitwert des Beweissiche-
rungsverfahrens müsse schon deshalb niedriger als der
Hauptsachewert angenommen werden, weil es nicht zu einem
Vollstreckungstitel führen könne, für das selbständige
Beweisverfahren erledigt.
Mit der Neuregelung der §§ 485 ff ZPO hat sich die Rechtslage
auch insoweit geändert, als die in einem selbständigen
Beweisverfahren durchgeführte Beweis- aufnahme einer Beweiserhebung
im Hauptsacheprozeß gleichsteht. So hat der Gesetzgeber eine
örtliche und sachliche Verbindung zwischen selbständigem
Beweisverfahren und Verfahren in der Hauptsache hergestellt, indem
er die Zuständigkeit, von Fällen dringender Gefahr abgesehen, vom
Amtsgericht am Ort des Beweismittels auf das Gericht verlagert hat,
das nach dem Vorbringen des Antragstellers zur Ent- scheidung in
der Hauptsache berufen wäre (§ 486 ZPO n. F.). Die Annäherung des
selbständigen Beweisver- fahrens an ein Beweisaufnahmeverfahren
innerhalb eines anhängigen Prozesses wird ferner darin deut- lich,
daß das Gericht - ebenso wie im Hauptprozeß - bei der Auswahl des
Sachverständigen frei und nicht mehr an den Vorschlag der
antragstellenden Partei gebunden ist (§§ 492 n. F, 404 ZPO).
Außerdem setzt die prozessuale Verwertung des in einem selbstän-
digen Beweisverfahren gewonnenen Beweisergebnisses - anders als
dies für das Ergebnis eines Beweis- sicherungsverfahrens
erforderlich war - keine be- sondere Bezugnahme durch eine der
Prozeßparteien voraus; nach § 493 ZPO n. F. müssen die in einem
selbständigen Beweisverfahren erhobenen Beweise bei Identität der
Beteiligten und der Verfahrensgegen- stände im Rechtsstreit zur
Hauptsache schon dann verwertet werden, wenn sich eine Partei auf
Tatsa- chen beruft, die Gegenstand des Beweisverfahrens gewesen
sind.
Das selbständige Beweisverfahren ist mithin so- wohl in seiner
Ausgestaltung als auch in seiner Bedeutung für einen
Hauptsacheprozeß und in seinen Auswirkungen auf die
Entscheidungsfindung einem Be- weisaufnahmeverfahren unmittelbar in
der Hauptsache gleichgestellt worden; seinen Wert geringer als den
Wert einer im Erkenntnisverfahren durchgeführ- ten Beweisaufnahme
zu bemessen, ist danach nicht mehr gerechtfertigt. Als ein
Verfahren, dem über die Sicherung des Beweises hinaus die Aufgabe
zugewiesen ist, die gütliche Streitbeilegung zu fördern (so die
Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucksache 11-3621, Seite
24), und das sich als eine nur vorweggenommene vollwertige
Beweisaufnahme versteht, die eine Beweiserhebung im Hauptsachever-
fahren zu ersetzen vermag, muß das selbständige Beweisverfahren
vielmehr auch streitwertmäßig ei- ner Beweisaufnahme im
Hauptverfahren gleichgestellt werden.
Daß der Gesetzgeber von einer Gleichwertigkeit des selbständigen
Beweisverfahrens und eines Beweisauf- nahmeverfahrens im
Hauptsacheprozeß ausgeht, kommt schließlich auch in der Anhebung
der Anwaltsgebüh- ren nach § 48 BRAGO zum Ausdruck. Im Verfahren
über einen Antrag auf Sicherung des Beweises erhielt der
Rechtsanwalt die in § 31 BRAGO bestimmten Gebühren eines zum
Prozeßbevollmächtigten bestellten Anwalts nur zur Hälfte. Jetzt
kann der Anwalt als Vergütung für seine Mitwirkung im selbständigen
Beweisverfah- ren die vollen Gebühren des § 31 BRAGO beanspru-
chen. Aus der kostenrechtlichen Gleichbehandlung der in einem
selbständigen Beweisverfahren und in einem Rechtsstreit
durchgeführten Beweisaufnahme aber kann und muß geschlossen werden,
daß der Ge- setzgeber beide Verfahren auch gleich bewertet wis- sen
will.
Die inzwischen wohl herrschende Meinung (vgl. OLG Karlsruhe
NJW-RR 1992, 766; OLG München MDR 1993, 287; OLG Koblenz MDR 1993,
287 und 288; LG Duisburg MDR 1993, 288; LG Hamburg ebenda; OLG Köln
- 11. Zivilsenat -, OLGR Köln 1992, 14; OLG Köln, - 19. Zivilsenat
-, JurBüro 1992, 700 = OLGR Köln 1992, 305; OLG Köln - 9.
Zivilsenat -, OLGR Köln 1993, 47; ferner Bischof, Streitwert- und
Kostenentscheidungsprobleme des neuen selbstän- digen
Beweisverfahrens, JurBüro 1992, 779; Schnei- der,
Streitwert-Kommentar für den Zivilprozeß, 10. Aufl., Rdnr. 4024 a;
a. A. OLG Köln - 7. Zivil- senat -, NJW-RR 1992, 767 = OLGR Köln
1992, 145 und OLG Köln - 22. Zivilsenat -, OLGR Köln 1992, 283; OLG
Bamberg, JurBüro 1992, 629 und LG Krefeld, JurBüro 1992, 418) hat
sich denn auch dafür ausge- sprochen, den Streitwert des
selbständigen Beweis- verfahrens nach dem Wert der Hauptsache und
damit nach dem Wert der Ansprüche zu bemessen, deren tat- sächliche
Voraussetzungen durch das Beweisergebnis bewiesen oder widerlegt
werden sollen. Gleiches muß gelten, wenn es zu einem Rechtsstreit
in der Haupt- sache nicht mehr kommt, sei es, daß die Parteien sich
im selbständigen Beweisverfahren verglichen haben, sei es, daß der
Antragsteller, wie hier, im Hinblick auf das Ergebnis der
Beweisaufnahme davon Abstand nimmt, wegen des Anspruchs, der dem
selbständigen Beweisverfahren zugrundelag, Klage zu erheben. Einer
unterschiedlichen Bewertung steht insbesondere die Vorschrift des §
37 Nr. 3 BRAGO entgegen, nach deren eindeutigem Wortlaut das
selbständige Beweisverfahren unabhängig davon zum Rechtszug gehört,
ob es vorprozessual oder erst nach Anhängigkeit des
Hauptsacheprozesses durchge- führt worden ist. Hiernach aber geht
es nicht an, den Streitwert des selbständigen Beweisverfahrens nur
mit einem Bruchteil des Hauptsachewertes anzu- setzen, wenn Klage
nicht erhoben wird, ihn jedoch nach dem Hauptsacheinteresse zu
bemessen, wenn sich an das Beweisverfahren ein Rechtsstreit
anschließt; dies um so weniger, als sich in dem gemäß § 4 Abs. 1
ZPO für die Wertberechnung maßgebenden Zeit- punkt der Einleitung
des selbständigen Beweisver- fahrens im allgemeinen noch gar nicht
absehen läßt, ob es überhaupt zu einer Klage in der Hauptsache
kommen wird. Aus alledem folgt, daß für den Streit- wert des
selbständigen Beweisverfahrens stets der Wert des Hauptverfahrens
maßgebend ist, auch wenn ein solches nicht anhängig gewesen ist
noch anhän- gig gemacht werden wird.
Es ist somit nicht zu beanstanden, daß das Landge- richt bei der
Streitwertfestsetzung auf den "Wert des der Begutachtung
zugrundeliegenden Wandelungs- anspruchs lt. Schreiben des
Antragstellervertreters vom 24.4.1992" abgestellt und den Wert des
selb- ständigen Beweisverfahrens der Höhe des von dem An-
tragsteller zurückgeforderten Geldbetrages entspre- chend auf
39.907,91 DM festgesetzt hat.
Eine Kostenentscheidung ergeht nicht. Das Verfahren über die
Streitwertbeschwerde ist gebührenfrei; Ko- sten werden nicht
erstattet (§ 25 Abs. 3 GKG).
OLG Köln:
Beschluss v. 07.07.1993
Az: 17 W 158/93
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