Bundespatentgericht:
Beschluss vom 26. September 2000
Aktenzeichen: 17 W (pat) 12/99

(BPatG: Beschluss v. 26.09.2000, Az.: 17 W (pat) 12/99)

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Gegen die Erteilung des Patents mit der Bezeichnung

"Chipkarte"

hat die Firma G... GmbH, München, Einspruch erhoben.

Die Patentabteilung 53 hat nach Prüfung des Einspruchs mit Beschluß vom 23. Dezember 1998 das Patent widerrufen. In den Gründen ist ausgeführt, daß der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Patentinhaberin.

Der erteilte Patentanspruch 1, der dem Hauptantrag zugrunde liegt, lautet:

"Chipkarte mit einem Mikrokontroller sowie Kontakt-Anschlüssen und/oder kontaktlosen Anschlüssen zum Datenaustausch mit einem Schreib/Lesegerät dadurch gekennzeichnet, - daß die Anschlüsse (1, 2, 3) an eine Verbindungseinheit (CIC;4) geführt sind,

- daß mehrere Mikrokontroller (5;7) auf der Chipkarte vorgesehen sind,

- daß der CIC (4) an Hand der an einem der Anschlüsse (1, 2, 3) anliegenden Information erkennt, welcher der Mikrokontroller (5;7) mit dem Schreib/Lesegerät in Datenaustausch treten soll, und - daß der CIC (4) eine Verbindung (6) zum Datenaustausch zwischen den Anschlüssen (1, 2, 3) und dem jeweils zugehörigen Mikrokontroller durchschaltet."

Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag I, überreicht in der mündlichen Verhandlung lautet:

"Chipkarte mit mehreren Mikrokontrollern (5, 7) sowie Anschlüssen (1, 2, 3) zum Datenaustausch mit einem Schreib/Lesegerät, wobei die Anschlüsse (1, 2, 3) Kontaktanschlüsse und/oder kontaktlose Anschlüsse und die verschiedenen Mikrokontroller (5, 7) separat ansteuerbar sind, dadurch gekennzeichnet, daß die Anschlüsse (1, 2, 3) an eine Verbindungseinheit (4, CIC) geführt sind, die anhand der an einem der Anschlüsse (1, 2, 3) anliegenden Informationen oder anhand der physikalischen Ausgestaltung der Anschlüsse (1, 2, 3) entscheidet, welcher der Mikrokontroller (5, 7) mit dem Schreib/Lesegerät in Datenaustausch treten soll, wobei die Verbindungseinheit (4) anschließend eine Verbindung (6) zum Datenaustausch zwischen den Anschlüssen (1, 2, 3) und dem jeweils ausgewählten Mikrokontroller (5, 7) durchschaltet."

Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag II, ebenfalls überreicht in der mündlichen Verhandlung lautet:

"Chipkarte mit mehreren Mikrokontrollern (5, 7) sowie Anschlüssen (1, 2, 3) zum Datenaustausch mit einem Schreib/Lesegerät, wobei die Anschlüsse (1, 2, 3) Kontaktanschlüsse und/oder kontaktlose Anschlüsse und die verschiedenen Mikrokontroller (5, 7) separat ansteuerbar sind, dadurch gekennzeichnet, daß die Anschlüsse (1, 2, 3) an eine Verbindungseinheit (4, CIC) geführt sind, die anhand der physikalischen Ausgestaltung der Anschlüsse (1, 2, 3) entscheidet, welcher der Mikrokontroller (5, 7) mit dem Schreib/Lesegerät in Datenaustausch treten soll, wobei die Verbindungseinheit (4) anschließend eine Verbindung (6) zum Datenaustausch zwischen den Anschlüssen (1, 2, 3) und dem jeweils ausgewählten Mikrokontroller (5, 7) durchschaltet."

Die Patentinhaberin ist der Meinung, daß die Chipkarte nach dem Streitpatent patentfähig gegenüber dem Stand der Technik sei. Durch die Formulierungen nach den Hilfsanträgen I bzw. II werde weder der Schutzbereich des erteilten Patents erweitert noch ein Aliud erzeugt.

Die Patentinhaberin stellt den Hauptantrag, das Patent in der erteilten Fassung vom 20. Juli «1995 aufrechtzuerhalten; hilfsweise in der Fassung gemäß Hilfsantrag I vom 26. September 2000, überreicht in der mündlichen Verhandlung, aufrechtzuerhalten; höchstfürsorglich in der Fassung gemäß Hilfsantrag II vom 26. September 2000, überreicht in der mündlichen Verhandlung, aufrechtzuerhalten; jeweils mit Beschreibung Spalte 1 bis Spalte 2, Zeile 14 und 1 Blatt Zeichnung, Figuren 1 und 2 aus Patentschrift.

Die Einsprechende beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Einsprechende ist der Meinung, daß die Gegenstände der Patentansprüche 1 nach den Hilfsanträgen I und II unzulässig gegenüber dem erteilten Patent abgeändert seien. Überdies ergebe sich die Chipkarte nach dem Streitpatent aus der DE 39 35 364 C1 und der EP 0 554 164 A1, gegebenenfalls zusammen mit der DE 91 00 861 U1, für den Fachmann ohne erfinderisches Zutun.

II.

Die frist- und formgerecht erhobene Beschwerde ist zulässig. Sie hat jedoch keinen Erfolg, da das Patent gemäß PatG § 21Abs 1, Zi 1 in Verbindung mit § 4 zu widerrufen ist.

Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach dem Hauptantrag ist eine Chipkarte, bei der mehrere Mikrokontroller auf der Chipkarte vorgesehen sind. Die Anschlüsse der Karte zum Datenaustausch mit einem Schreib/Lesegerät sind Kontakt- Anschlüsse und/oder kontaktlose Anschlüsse und sie sind an eine Verbindungseinheit geführt. Die Verbindungseinheit erkennt bzw. entscheidet welcher der Mikrokontroller mit dem Schreib/Lesegerät in Datenaustausch treten soll und schaltet eine entsprechende Verbindung durch. Die Auswahl des Mikrokontrollers erfolgt nach dem Hauptantrag anhand der anliegenden Information, nach dem Hilfsantrag I anhand der anliegenden Information oder der physikalischen Ausgestaltung der Anschlüsse nach Hilfsantrag II nur anhand der physikalischen Ausgestaltung der Anschlüsse.

Im Einspruchsverfahren wurden u.a. folgende vorveröffentlichte Druckschriften genannt, denen eine besondere Bedeutung zukommt:

1.) DE 39 35 364 C1 2.) EP 0 554 164 A1 (entspricht DE 693 08 336 T2)

Hauptantrag:

Die Chipkarte nach dem Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Aus der DE 39 35 364 C1 ist eine Chipkarte mit einem Mikrokontroller sowie Kontakt-Anschlüssen und kontaktlosen Anschlüssen zum Datenaustausch mit einem Schreiblesegerät bekannt (vgl. insb. Figur 2 und zugehöriger Beschreibungsteil Spalte 1, Zeile 66 bis Spalte 2, Zeile 7). Bei dieser bekannten Karte sind die Anschlüsse an eine Verbindungseinheit geführt. Die Verbindungseinheit erkennt anhand der an einem der Anschlüsse anliegenden Information, welcher der Anschlüsse mit dem Mikrokontroller in Datenaustausch treten soll (vgl. insb. Spalte 2, Zeilen 11 bis 27) und schaltet eine Verbindung zum Datenaustausch zwischen einen der Anschlüsse und dem Mikrokontroller durch (vgl. insb. Spalte 2, Zeilen 39 bis 43).

Die EP 0 554 164 A1 betrifft ebenfalls eine Chipkarte mit einem Mikrokontroller mit Kontakt-Anschlüssen zum Datenaustausch mit einem Schreiblesegerät (vgl. insb. Figur 1). Die Anschlüsse (CLK, I/O, RST, FUSE, PROG) sind an eine Verbindungseinheit (CNVA) geführt. Die Schaltung auf der Chipkarte enthält mehrere Schaltkreise, u.a. zur Verarbeitung der Daten eines Protokolls, die separat und parallel arbeiten (CNV1 ... 3), die als Mikrokontroller bezeichnet werden können. Die Verbindungseinheit erkennt anhand der an einem der Anschlüsse anliegenden Information, welcher der Mikrokontroller für das jeweilige Protokoll vorgesehen ist und deshalb mit dem Schreib/Lesegerät in Datenaustausch treten soll (vgl. insb. Patentanspruch 1).

Bei diesem Stand der Technik liegt es im Rahmen des Wissens und Könnens des Durchschnitts-Fachmanns, eine Chipkarte mit mehreren Mikrokontrollern nach der EP 0 554 164 A1 auch für Protokolle vorzusehen, die verschiedene Anschlüsse, nämlich Kontakt-Anschlüsse oder kontaktlose Anschlüsse benötigen, wie aus der DE 39 35 364 C1 bekannt und Verbindungen durchzuschalten, wie ebenfalls aus dieser Druckschrift bekannt, statt die einzelnen Einheiten an einem Bussystem anzuschließen. Ohnehin ist bei einem Bussystem eine Auswahl der jeweiligen angesprochenen Teilnehmer notwendig, was zumindest einem Durchschalten auf logischer Ebene entspricht.

Ergänzend wird auch noch darauf hingewiesen, daß angesichts des Standes der Technik die Auswahl des Entscheidungskriteriums, ob es nämlich in der die physikalischen Ausgestaltung der Anschlüsse allein oder zusammen mit der anliegenden Information besteht, nichts zur Patentfähigkeit des Patentanspruchs beitragen könnte, da die Auswahl anhand der anliegenden Information aus der EP 0 554 164 A1 und der physikalischen Ausgestaltung der Anschlüsse aus der DE 39 35 364 C1 bekannt ist, so daß die Verwendung des einen oder des anderen Kriteriums oder beider Kriterien dem Fachmann bekannt bzw. nahegelegt ist.

Der Fachmann gelangt somit ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des Patentanspruchs 1.

Der Patentanspruch 1 ist nach allem nicht patentfähig.

Hilfsantrag I:

Die Auffassung der Patentinhaberin, der Schutzbereich des Patents werde durch die Fassung des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag nicht verändert, vermag nicht zu überzeugen: Sie weist darauf hin, daß der Patentanspruch 3 auf den Patentanspruch 1 rückbezogen sei, wodurch eine Lehre entstehe, die sowohl die anliegende Information als auch die physikalische Ausgestaltung der Anschlüsse der Entscheidung der Verbindungseinheit zugrunde lege. Aus der Beschreibung ergebe sich aber für den Fachmann, daß die Kriterien alternativ verwendet werden, was im Patentanspruch ihrer Meinung auch zum Ausdruck komme.

Der Schutzbereich des Patents wird durch den Inhalt der Patentansprüche bestimmt. Mit der Rückbeziehung des erteilten Patentanspruchs 3 auf den Anspruch 1 werden die Merkmale der beiden Ansprüche aneinander gereiht, so daß ein Gegenstand entsteht, bei dem zugleich die anliegende Information und die physikalische Ausgestaltung der Anschlüsse für die Entscheidung der Verbindungseinheit berücksichtigt wird. Eine alternative Auswahl der anliegenden Information oder der physikalischen Ausgestaltung der Anschlüsse wie sie mit dem Anspruch 1 nach dem ersten Hilfsantrag beansprucht wird, erweitert deshalb den Schutzbereich des erteilten Patents. Für eine Auslegung der erteilten Patentansprüche auf der Grundlage der Beschreibung, wie sie die Patentinhaberin beabsichtigt, besteht in vorliegendem Fall, bei dem die Patentansprüche eine eindeutige und klare Aussage machen, kein Platz.

Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 ist somit nicht gewährbar.

Hilfsantrag II:

Nach dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag II wird nur die physikalische Ausgestaltung der Anschlüsse der Entscheidung der Verbindungseinheit zugrunde gelegt. Eine derartige Lehre fällt nicht unter den Schutzbereich des erteilten Patents, wie die obigen Ausführungen zum Hilfsantrag I zeigen.

Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag II ist deshalb ebenfalls nicht gewährbar.

Mit den nichtgewährbaren Patentansprüchen 1 nach den einzelnen Anträgen fallen auch die auf sie jeweils rückbezogenen Unteransprüche.

Grimm Bertl Prasch Ederprö






BPatG:
Beschluss v. 26.09.2000
Az: 17 W (pat) 12/99


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