Oberlandesgericht Stuttgart:
Beschluss vom 19. September 2007
Aktenzeichen: 8 W 374/07
(OLG Stuttgart: Beschluss v. 19.09.2007, Az.: 8 W 374/07)
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin des Landgerichts Stuttgart vom 23.7.2007 wird
z u r ü c k g e w i e s e n .
2. Der Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Beschwerdewert: 437,80 EUR
Gründe
I.
Mit der Klage wurde der Beklagte auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe einer Hauptforderung von 14.840,17 EUR sowie auf Zahlung eines Verzugsschadens in Form einer 0,65-Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2400 VV RVG zuzüglich 20,-- EUR Auslagenpauschale und Umsatzsteuer in Anspruch genommen.
Mit gerichtlichem Vergleich vom 19.6.2007 haben sich die Parteien über Hauptsache und Kosten geeinigt. Der Vergleich lautet:
1. Der Beklagte bezahlt an die Klägerin 14.840,17 Euro zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.11.2006.
Bezahlt der Beklagte bis zum 15. August 2007 die Summe von 6.500,00 Euro zuzüglich der festgesetzten Kosten, so wird ihm der Restbetrag erlassen. Sind die Kosten bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht festgesetzt und bezahlt er sie 14 Tage nach Zustellung des Kostenfestsetzungsbeschlusses an den Beklagtenvertreter, so wird ihm der Restbetrag dann erlassen.
2. Damit sind sämtliche streitgegenständlichen Ansprüche erledigt.
3. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Im Kostenfestsetzungsverfahren hat die Klägerin als notwendige außergerichtliche Kosten auch den Anfall einer 1,3-Verfahrensgebühr ihre Bevollmächtigten aus dem Hauptsachestreitwert gemäß Nr. 3100 VV RVG zuzüglich Umsatzsteuer geltend gemacht.
Der Beklagte ist der Festsetzung dieser Gebühr entgegengetreten, soweit eine Gebühr mit einem Satz von mehr als 0,65 einer vollen Rechtsanwaltsgebühr geltend gemacht wurde. Er hat sich darauf berufen, aufgrund der Anrechnungsvorschrift in Vorbemerkung 3 IV VV RVG könne die Klägerin wegen der schon vorgerichtlich angefallenen 1,3-Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2400 VV RVG im Ergebnis nur noch eine halbe 1,3-Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 VV RVG - somit nur noch eine 0,65-Verfahrensgebühr - im Kostenfestsetzungsverfahren geltend machen.
Die Klägerin ist diesem Einwand entgegengetreten.
Die Rechtspflegerin des Landgerichts hat mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 23.7.2007 die geltend gemachten außergerichtlichen Kosten voll berücksichtigt und zuzüglich Gerichtskosten insgesamt 2.623,19 EUR gegen den Beklagten festgesetzt.
Mit seiner fristgerecht hiergegen eingelegten sofortigen Beschwerde verfolgt der Beklagte seinen Einwand weiter, die geltend gemachte Verfahrensgebühr könne wegen der vorgerichtlich in vollem Umfang angefallenen Geschäftsgebühr, die auf die Verfahrensgebühr angerechnet werden müsse, nur noch zur Hälfte festgesetzt werden.
Die Klägerin tritt diesem Einwand auch im Beschwerdeverfahren entgegen. Sie verweist auch auf zu dieser Frage inzwischen bereits vorliegende obergerichtliche Rechtsprechung.
Die Rechtspflegerin des Landgerichts hat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen und hat es dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die gemäß §§ 11 Abs. 1 RPflG, 104 Abs. 3 ZPO zulässige sofortige Beschwerde des Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Die Rechtspflegerin hat auf Antrag der Klägerin zu Recht eine 1,3-Verfahrensgebühr als Kosten des Rechtsstreits mit festgesetzt.
1. Eine weitergehende Anrechnung der bei der Klägerin aufgrund vorgerichtlicher Tätigkeit ihrer Bevollmächtigten entstandenen 1,3-Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2400 VV RVG auf die auf die im gerichtlichen Verfahren gemäß Nr. 3100 VV RVG hier grundsätzlich ebenfalls mit einem Satz von 1,3 entstehende Verfahrensgebühr ergibt sich entgegen der Auffassung des Beklagten nicht aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 7.3.2007 (AGS 07, 283). Dieses Urteil betraf einen Fall, in dem der Kläger als Nebenforderung von vornherein eine volle 1,3-Geschäftsgebühr als materiellen Schadenersatzanspruch mit eingeklagt hatte. Dieses Vorgehen hat der Bundesgerichtshof aufgrund der Anrechnungsvorschrift in Vorbemerkung 3 IV VV RVG als berechtigt beurteilt und im Zusammenhang damit dann darauf hingewiesen, dass die Anrechnung nach dem Wortlaut der Vorschrift in Vorbemerkung 3 IV VV RVG erst im Kostenfestsetzungsverfahren des Rechtsstreits erfolge.
2. Im vorliegenden Verfahren hat die Klägerin als materiellrechtlichen Schadensersatzanspruch lediglich eine auf den Satz von 0,65 begrenzte vorgerichtliche Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2400 VV RVG eingeklagt. Der gemäß Vorbemerkung 3 IV VV RVG auf die Verfahrensgebühr anzurechnende Teil der Geschäftsgebühr war dagegen nicht Gegenstand des Hauptsacheverfahrens.
Für diese Fallgestaltung entspricht es soweit ersichtlich ganz h. A. im Zivilrecht, dass im Kostenfestsetzungsverfahren auf der Grundlage der gerichtlichen Kostengrundentscheidung nur die prozessual entstandenen Gebühren und damit grundsätzlich die volle Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 VV RVG zu berücksichtigen ist, soweit diese im Verfahren in voller Höhe entstanden ist. Eine vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2400 VV RVG ist als materiellrechtlicher Anspruch einer Partei demgegenüber nur dann im Kostenfestsetzungsverfahren mit zu berücksichtigen, wenn deren Anfall und deren Berücksichtigungsfähigkeit auch gegenüber dem Prozessgegner entweder unstreitig ist oder wenn jedenfalls die für die Berücksichtigung maßgebenden Tatsachen unstreitig sind (KG, RVG professionell 07, 145; OLG Koblenz Rpfl. 07, 433; Norbert Schneider NJW 07, 2001).
Soweit in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung demgegenüber die Auffassung vertreten wurde, eine vorgerichtlich angefallene Geschäftsgebühr sei stets zur Hälfte auf die im Kostenfestsetzungsverfahren festzusetzende Verfahrensgebühr anzurechnen (Niedersächsisches OVG, AGS 07, 377), kann hier dahingestellt bleiben, ob dies aufgrund von Besonderheiten der Kostenerstattung im Verwaltungsverfahren gerechtfertigt ist. Über dieses hinaus kann der Gegenauffassung jedenfalls nicht beigetreten werden.
Im Kostenfestsetzungsverfahren als Nebenverfahren eines Rechtsstreits sind nur die im Verfahren entstandenen Kosten festzusetzen. Nur auf diese bezieht sich die gerichtliche Kostengrundentscheidung gemäß § 91 ZPO. Ob im Verhältnis zwischen einer Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten vorgerichtliche Gebühren entstanden sind, ist gegenüber dem Gegner prozessual so lange irrelevant, als solche Kosten nicht - etwa als materiellrechtlicher Schadensersatz - gegenüber dem Gegner mit eingeklagt oder im Verhältnis zum Gegner anderweitig geregelt worden sind.
Schon nach allgemeinen Grundsätzen sind materiellrechtliche Ansprüche im Kostenfestsetzungsverfahren grundsätzlich nicht zu berücksichtigen, da dieses nur der betragsmäßigen Ausfüllung der gerichtlichen Kostengrundentscheidung dient. Nur aus Gründen der Prozessökonomie können materiellrechtliche Ansprüche dann ausnahmsweise berücksichtigt werden, wenn ihr Bestehen unstreitig ist oder jedenfalls die zur Feststellung des Bestehens materiellrechtlicher Ansprüche erforderlichen Tatsachen feststehen.
Die Anrechnungsvorschrift gemäß Nr. 3 IV VV RVG gilt grundsätzlich nur im Verhältnis zwischen einer Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten. Der Prozessgegner haftet auf Erstattung vorgerichtlicher Kosten nur nach materiellem Recht. Nur wenn der Prozessgegner bereits rechtskräftig zur Zahlung eines solchen materiellrechtlichen Schadens verurteilt ist oder eine anderweitige bestandskräftige gerichtliche oder außergerichtliche Regelung über einen solchen Anspruch im Verhältnis auch zu ihm vorliegt, kann diese Regelung auch im Kostenfestsetzungsverfahren entsprechend den vorstehenden Grundsätzen berücksichtigt werden.
Für die Richtigkeit der hier vertretenen Auffassung spricht auch die soweit ersichtlich früher einhellige Handhabung der rechtstechnisch gleichen Anrechnungsvorschrift in § 118 Abs. 2 BRAGO, nach der ebenfalls die vorgerichtlich entstandene Verfahrensgebühr auf die später in einem gerichtlichen Verfahren entstehende (Prozess-)gebühr anzurechnen war. Insoweit bestand Einigkeit, dass die Prozessgebühr des gerichtlichen Verfahrens im zugehörigen Kostenfestsetzungsverfahren in voller Höhe festzusetzen war und nicht lediglich in der sich nach Anrechnung einer vorgerichtlichen Verfahrensgebühr verbleibenden Höhe. Es ist aber nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit der Schaffung der rechtstechnisch gleichen Anrechnungsvorschrift in Vorbemerkung 3 IV VV RVG insoweit eine Änderung der Rechtslage im Kostenfestsetzungsverfahren herbeiführen wollte.
3. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin von vorn herein nur die Hälfte der zwischen ihr und ihrem Prozessbevollmächtigten vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr gegen den Beklagten mit eingeklagt. Nur über diese Hälfte ist im geschlossenen gerichtlichen Vergleich eine Regelung auch zwischen den Prozessparteien - nämlich in Form eines Verzichts der Klägerin auf Erstattung dieser hälftigen Gebühr - erfolgt. Eine weitergehende Bedeutung kann entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht der Regelung in Satz 3 von Ziffer 1 des gerichtlichen Vergleichs vom 19.6.2007 entnommen werden.
Danach hat die Rechtspflegerin die von der Klägerin geltend gemachte 1,3-Verfahrensgebühr zu Recht in vollem Umfang gegen den Beklagten mit festgesetzt.
4. Die gegen diese Festsetzung gerichtete sofortige Beschwerde des Beklagten war mit der Kostenfolge gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
5. Die Rechtsbeschwerde wird gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO in Übereinstimmung mit den entsprechenden Zulassungen durch das Oberlandesgericht Koblenz und das Kammergericht (a.a.O.) zugelassen.
OLG Stuttgart:
Beschluss v. 19.09.2007
Az: 8 W 374/07
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