Oberlandesgericht Hamm:
Beschluss vom 31. Mai 2001
Aktenzeichen: 2 (s) Sbd. 6-87/01

(OLG Hamm: Beschluss v. 31.05.2001, Az.: 2 (s) Sbd. 6-87/01)

Tenor

Dem Antragsteller wird anstelle seiner gesetzlichen Gebühren in Höhe von 1.545 DM eine Pauschvergütung in Höhe von 2.100 DM (in Worten: zweitausendeinhundert Deutsche Mark) bewilligt.

Gründe

I.

Der Antragsteller war Pflichtverteidiger des ehemaligen Angeklagten, der inzwischen wegen Verbreitung kinderpornographischer Schriften und sexuellen Missbrauchs zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt worden ist. Der Antragsteller, der dem ehemaligen Angeklagten unmittelbar zu Verfahrensbeginn beigeordnet worden ist, hat am 24. Februar 2001 an der Verkündung des Haftbefehls teilgenommen und den ehemaligen Angeklagten, der inhaftiert war, einmal in der Justizvollzugsanstalt besucht. Die Hauptverhandlung vor dem Jugendschöffengericht hat 5 ½ Stunden gedauert. Der Antragsteller ist zu dem Hauptverhandlungstermin, dem Haftbefehlsverkündungstermin und zu dem Besuch des ehemaligen Angeklagten jeweils von ..., wo seine Kanzlei ihren Sitz hat, nach ... angereist. Der Antragsteller hat zudem noch mehrfach Akteneinsicht genommen. Der Umfang der Akten hat rund 600 Seiten betragen.

Die Geschädigte hat im Adhäsionsverfahren einen Schmerzensgeldanspruch von 4.000 DM geltend gemacht. Dieser ist dann am Ende der Hauptverhandlung im Vergleichswege nicht weiterverfolgt worden. Die Geschädigte hat ihren Antrag zurückgenommen.

Die gesetzlichen (Pflichtverteidiger-)Gebühren des Antragstellers betragen 750 DM und 795 DM für die Tätigkeit im Adhäsionsverfahren. Der Antragsteller hat eine Pauschvergütung von 1.000 DM für seine Tätigkeiten in der Hauptverhandlung beantragt. Die Vorsitzende der Jugendschöffengerichts hat das Verfahren als "besonders schwierig" angesehen. Der Vertreter der Staatskasse hat sich dem angeschlossen. Er ist zudem der Ansicht, dass das Verfahren für den Antragsteller auch "besonders umfangreich" gewesen sei, allerdings können nach seiner Ansicht die Tätigkeiten des Antragstellers im Adhäsionsverfahren keine Berücksichtigung finden.

II.

Dem Antragsteller war eine Pauschvergütung zu bewilligen.

1.

Das Verfahren war "besonders schwierig". "Besonders schwierig" im Sinn des §99 Abs. 1 BRAGO ist ein Verfahren, das aus besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen über das Normalmaß hinaus erheblich verwickelt ist (vgl. dazu Burhoff StraFo 1999, 261, 264). Das ist vorliegend der Fall. Insoweit tritt der Senat mit dem Vertreter der Staatskasse der sachnahen Einschätzung der Vorsitzenden des Jugendschöffengerichts bei; ein Grund, dieser nicht zu folgen, ist nicht ersichtlich (vgl. insoweit Senat in AnwBl. 1998, 416 = ZAP EN-Nr. 609/98 = AGS 1998, 104 und Senat in JurBüro 1999, 194 = AGS 1999, 104 = AnwBl. 2000, 56). Das Jugendschöffengericht hatte nicht nur die Missbrauchsfrage zu entscheiden, sondern sich in Zusammenhang mit dem Vorwurf des Verbreitens kinderpornografischer Schriften auch mit schwierigeren technischen Fragen des Internets auseinander zu setzen.

2.

Das Verfahren war auch "besonders umfangreich" im Sinn des §99 Abs. 1 BRAGO.

Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Bewilligung einer Pauschvergütung nur für die Hauptverhandlung vorliegend nicht in Betracht kommt. Es kann dahinstehen, inwieweit §99 BRAGO die Gewährung einer Pauschvergütung für einzelne Teile des Verfahrens zulässt, jedenfalls ist in den Fällen, in denen der Verteidiger während des gesamten Verfahrens für den ehemaligen Angeklagten tätig geworden ist, eine Gesamtbetrachtung der von ihm erbrachten Tätigkeiten vorzunehmen und danach zu entscheiden, ob eine Pauschvergütung gerechtfertigt ist oder nicht. Das ist ständige Rechtsprechung des Senats, von der abzuweichen kein Anlass besteht (vgl. u.a. Beschluss des Senats in 2 (s) Sbd. 6-253/99 mit weiteren Nachweisen).

Bei der Prüfung der Frage des "besonderen Umfangs" sind alle vom Antragsteller für den ehemaligen Angeklagten erbrachte Tätigkeiten zu berücksichtigen. Dazu gehören nach Auffassung des Senats auch die vom Antragsteller im Rahmen des Adhäsionsverfahrens erbrachten Tätigkeiten. Dabei ist es unerheblich, dass der Antragsteller dem ehemaligen Angeklagten nicht ausdrücklich (auch) für das Adhäsionsverfahren beigeordnet worden ist. Das war nicht erforderlich. Die Beiordnung zum Pflichtverteidiger umfasste nämlich auch das Tätigwerden des Antragstellers im Adhäsionsverfahren. Der Senat schließt sich insoweit der überzeugenden Auffassung des OLG Schleswig (vgl. NStZ 1998, 101 = StraFo 1998, 393 = AGS 1998, 6 mit Anmerkung Madert;), der sich die Literatur zum Teil (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., 1999, §140 Rn. 5, Burhoff StraFo 1999, 261, 268) angeschlossen hat, an. Die vom Vertreter der Staatskasse unter Hinweis auf Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert, BRAGO, 14. Aufl., §97 Rn. 4, Hansens, BRAGO, 8. Aufl., §97 Rn. 6) vertretene gegenteilige Ansicht überzeugt nicht.

Die Beiordnung des Pflichtverteidigers nach §140 StPO gilt - soweit nicht ggf. in der Bestellung Einschränkungen vorgenommen worden sind für das gesamte Strafverfahren (Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O.; OLG Schleswig, a.a.O.). Ebenso wie damit nach allgemeiner Meinung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. die Nachweise bei Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., §364 a Rn. 2) die Tätigkeiten des Verteidigers im Wiederaufnahmeverfahren umfasst sind, muß das auch für das Adhäsionsverfahren gelten. Anderenfalls hätte, worauf das OLG Schleswig hinweist, der Gesetzgeber das Gegenteil ausdrücklich bestimmen müssen. Hinzu kommt: Der Pflichtverteidiger wird dem Angeklagten beigeordnet, um sich gegenüber dem im Strafverfahren geltend gemachten staatlichen Strafanspruch verteidigen zu können. Warum dieser dann den Angeklagten nicht ohne ausdrückliche weitere Bestellung auch gegen die im Rahmen des Adhäsionsverfahrens verfolgten zivilrechtlichen Ansprüche verteidigen können soll, ist nicht ersichtlich. Dafür eine ausdrückliche, über die Pflichtverteidigerbestellung hinausgehende Beiordnung zu fordern, ist nach Ansicht des Senats widersinnig und wird dem Sinn und Zweck des Adhäsionsverfahrens nicht gerecht. Dieses ist Teil des Strafverfahrens, in dem sich der Angeklagte insgesamt zu verteidigen hat. Der Senat weist zudem darauf hin, dass bei immer zunehmender Stärkung der Stellung des Opfers im Strafverfahren - was gerade auch Sinn und Zweck der vom Gesetzgeber 1986 intendierten Stärkung des Adhäsionsverfahrens gewesen ist (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., vor §403 Rn. 1 f. mit weiteren Nachweisen), - die Stellung des Angeklagten nicht (noch) weiter geschwächt werden darf. Das wäre aber, wenn man für die Verteidigung des Angeklagten im Adhäsionsverfahrens eine zusätzliche, von weiter reichenden Voraussetzungen abhängige Beiordnung fordern würde, der Fall.

Für die Gesetzesauslegung des Senats spricht im Übrigen auch die Regelung des §97 BRAGO. Dieser regelt nämlich die gesetzlichen Gebühren des (Pflicht)Verteidigers und nennt in Absatz 1 Satz 4 ausdrücklich auch den §89 BRAGO, wonach sich die (gesetzlichen) Gebühren des (Pflicht-)Verteidigers im Adhäsionsverfahren richten. Soweit Madert (a.a.O.) insoweit auf die Vorschrift des §404 Abs. 5 StPO verweist und für eine Anwendung des §97 Abs. 1 Satz 4 StPO nur dann Raum sieht, wenn der (Pflicht) Verteidiger im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnet worden ist, ist dem entgegenzuhalten, dass es damit für die Verteidigung des Angeklagten gegenüber den zivilrechtlichen Ansprüchen auf die Erfolgsaussicht der Verteidigung ankäme. Die Beiordnung des (Pflicht-) Verteidigers ist aber von der Erfolgsaussicht der Verteidigung des Angeklagten unabhängig und nur davon bestimmt, ob es sich um eine notwendige Verteidigung im Sinn des §140 StPO handelt oder nicht. Das muß auch für die Verteidigung gegen die zivilrechtlichen Ansprüche im Adhäsionsverfahren gelten. Auch das vom Vertreter der Staatskasse vorgetragen Argument, die Ansicht des Senats führe dazu, dass der Pflichtverteidiger in diesen Fällen dann seine zivilrechtliche Tätigkeit vergütet bekomme, während das, wenn der Anspruch gesondert verfolgt würde, nicht der Fall sei, überzeugt nicht. Denn insoweit wird übersehen, dass die Abwehr des im Adhäsionsverfahren geltend gemachten zivilrechtlichen Anspruchs Teil der Tätigkeit des Pflichtverteidigers in dem einen (Straf) Verfahren ist, während im Fall der gesonderten Verfolgung dieser Ansprüche der Rechtsanwalt nicht als Verteidiger des Angeklagten sondern als dessen Vertreter/Beistand in einem gesonderten (Zivil-)Verfahren tätig wird.

Nach allem ist der Antragsteller damit in einem im Sinn des §99 BRAGO "besonders umfangreichen" Verfahren tätig geworden. Bei der Beantwortung dieser Frage hat der Senat neben den - nach der Aktenlage nicht besonders umfangreichen - Tätigkeiten des Antragstellers im Adhäsionsverfahren insbesondere die Teilnahme an der für ein Verfahren vor dem Amtsgericht mit 5 ½ Stunden überdurchschnittlich langen Hauptverhandlung berücksichtigt. Daneben waren auch die Teilnahme an dem Haftbefehlsverkündungstermin und der Besuch in der Justizvollzugsanstalt von Belang sowie der Aktenumfang von Belang.

3.

Bei der Bemessung der somit nach allem dem Antragsteller zu gewährenden Pauschvergütung hat der Senat alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt. Einbezogen worden ist dabei auch die dem Antragsteller zustehende (gesetzliche) Gebühr für seine Tätigkeit im Adhäsionsverfahren. Denn umfasst die Beiordnung des Pflichtverteidiger ohne ausdrückliche weitere Beiordnung auch die Befugnis, den ehemaligen Angeklagten im Adhäsionsverfahren zu vertreten, muß die dafür anfallende gesetzliche Gebühr der §§97 Abs. 1 Satz 4, 89 BRAGO bei der Bemessung einer ggf. dem Pflichtverteidiger zustehende Pauschvergütung mitberücksichtigt werden. Das ist die konsequente Folge der o.a. Rechtsansicht (so auch OLG Schleswig SchlHA 1997, 75 = JurBüro 1997, 417). Einer weiteren besonderen Begründung, die der Vertreter der Staatskasse in dem Beschluss des OLG Schleswig vermisst, bedarf es dafür nicht. Der Senat hat schließlich auch den Zeitaufwand berücksichtigt, den der Pflichtverteidiger für die dreimalige An- und Abreise von ..., dem Sitz seiner Kanzlei, nach ... hat aufwenden müssen (vgl. zur Berücksichtigung von Fahrtzeiten einerseits Senat in NStZ-RR 1999, 31 = Rpfleger 1999, 95 = AGS 1999, 168 und andererseits in StraFo 1999, 143 = wistra 1999, 156 = AGS 1999, 72 = StV 2000, 441).

Nach allem erschien dem Senat eine Pauschvergütung von 2.100 DM angemessen. Dabei sind die gesetzlichen Gebühren des Antragstellers, die 750 DM betragen hätten, zugrunde gelegt sowie die dem Antragsteller für seine Tätigkeiten im Adhäsionsverfahren zustehenden Gebühren von insgesamt 795,- DM (Gebühren nach §§11, 23, 89 nach einem Wert von 4.000 DM). Die damit insgesamt 1.545 DM betragenden gesetzlichen Gebühren hat der Senat unter Berücksichtigung des maßvollen Antrags des Antragstellers, der für die Hauptverhandlung eine um 500 DM erhöhte Pauschvergütung beantragt hatte, auf die bewilligten 2.100 DM erhöht.

Die Wahlverteidigerhöchstgebühr, die 1.950 DM betragen hätte, ist damit nicht überschritten. In dem Betrag von 1.950 DM sind nämlich die auch einem Wahlverteidiger zustehenden Gebühren für sein Tätigwerden im Adhäsionsverfahren nicht enthalten.






OLG Hamm:
Beschluss v. 31.05.2001
Az: 2 (s) Sbd. 6-87/01


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