Bundespatentgericht:
Beschluss vom 29. September 2011
Aktenzeichen: 21 W (pat) 83/09

(BPatG: Beschluss v. 29.09.2011, Az.: 21 W (pat) 83/09)

Tenor

Der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 01 C des Deutschen Patentund Markenamts vom 25. Februar 2009 wird aufgehoben und die Anmeldung zur weiteren Prüfung auf der Basis des als Anlage 3 in der mündlichen Verhandlung überreichten Patentanspruchs 1 an das Deutsche Patentund Markenamt zurückverwiesen.

Gründe

I Die am 22. August 2005 beim Deutschen Patentund Markenamt eingereichte Patentanmeldung mit der Bezeichnung "Bereitstellung von Informationen in Satellitennavigationssystemen" ist durch Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 01 C vom 25. Februar 2009 zurückgewiesen worden.

Im Prüfungsverfahren sind die Druckschriften D1: US5625363A D2: DE 101 57 619 C2 D3: US5153598A D4: C. S. Dixon: "GNSS Local Component Integrity Concepts", Journal of Global Positioning Systems Vol. 2, No. 2; S. 126-134, 2003 D5: US6799094B1 D6: EP 1 637 899 A1 (ältere Anmeldung)

D7: US 2004/0072583 A1 und D8: US 2004/0183674 A1 entgegengehalten worden.

In Zurückweisungsbeschluss hat die Prüfungsstelle ausgeführt, dass der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 vom Anmeldetag nicht neu gegenüber dem Stand der Technik gemäß der Druckschrift D1 ist. Gleiches gilt für die Gegenstände der geltenden nebengeordneten Patentansprüche 9, 11 und 20 vom Anmeldetag.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.

Die Anmelderin verfolgt ihre Patentanmeldung auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung vom 29. September 2011 als Anlage 3 überreichten Patentanspruchs 1 weiter, an den sich die Ansprüche 3 bis 20 gemäß Offenlegungsschrift als Ansprüche 2 bis 19 in überarbeiteter Form anschließen.

Der mit Gliederungspunkten versehene, ansonsten wörtlich wiedergegebene geltende Patentanspruch 1 lautet:

M1 Endgerät (6) zur Nutzung von Satellitennavigationsdiensten, aufweisend:

M2 (a) eine erste Empfängereinrichtung (14) zum Empfangen von von Satelliten (4) ausgestrahlten Navigationsnachrichten;

M3 (b) eine Ausgabeschnittstelle (16) zur Ausgabe von Navigationsinformation;

M4 (c) eine Aktivierungseinheit (20), die derart ausgebildet ist, dass sie ansprechend auf ein Befehlssignal, das Bestandteil einer Navigationsnachricht ist, einen Betriebszustand des Endgeräts (6) verändert;

M5 (d) ferner aufweisend eine zweite Empfängereinrichtung (22) zum Empfang von Informationsdaten, M6 wobei die zweite Empfängereinrichtung (22) derart mit der Aktivierungseinheit gekoppelt ist, dass durch das empfangene Befehlssignal die zweite Empfängereinrichtung (22) aktiviert wird.

Hinsichtlich des Wortlauts der geltenden Patentansprüche 2 bis 19 wird auf die Patentansprüche 3 bis 20 der Offenlegungsschrift verwiesen.

Die Anmelderin beantragt, den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 01 C des Deutschen Patentund Markenamts vom 25. Februar 2009 aufzuheben und das Patent DE 10 2005 039 807 zu erteilen mit dem in der mündlichen Verhandlung als Anlage 3 überreichten Anspruch 1, an den sich die Ansprüche 3 bis 20 gemäß Offenlegungsschrift als Ansprüche 2 bis 19 in überarbeiteter Form anschließen, im Übrigen mit den Unterlagen gemäß Offenlegungsschrift.

Zu weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II 1.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie statthaft sowie formund fristgerecht eingelegt (§ 73 Abs. 1, Abs. 2, PatG). Die Beschwerde hat auch insoweit Erfolg, als sie zur Aufhebung des Beschlusses und zur Zurückverweisung zur weiteren Prüfung der Anmeldung an das Deutsche Patentund Markenamt führt.

2.

Alle geltenden Patentansprüche sind durch die ursprüngliche Offenbarung gedeckt und damit zulässig.

So geht der geltende Patentanspruch 1 auf die ursprünglichen Patentansprüche 1 und 2 und die ursprüngliche Beschreibung Seite 3, Zeilen 19 bis 21, und Seite 10, Zeile 12, zurück. Die geltenden Patentansprüche 2 bis 19 gehen auf die ursprünglichen Patentansprüche 3 bis 20 zurück.

3.

Wie aus der Beschreibungseinleitung vorliegender Anmeldung hervorgeht, betrifft die Anmeldung Satellitensysteme und insbesondere die Informationsübermittlung mittels Satellitennavigationssystemen (vgl. Absatz [0001] der Offenlegungsschrift).

Satellitennavigationssysteme werden zur Positionsbestimmung und zur Navigation verwendet. Dabei werden Navigationsinformationen vom Satelliten ausgestrahlt und einem Endgerät übertragen. Das Endgerät berechnet aus den Navigationsinformationen die aktuelle Position und Geschwindigkeit und bietet diese Information dem Nutzer auf einem Monitor dar [vgl. Absatz [0002] der Offenlegungsschrift).

Außerdem besteht das Bedürfnis, bestimmte Informationen, die eine Warnung betreffen, möglichst weit zu verbreiten (vgl. Absatz [0004] der Offenlegungsschrift).

Deshalb ergibt sich die Aufgabe, einen zusätzlichen Kommunikationsweg zur Informationsübermittlung zu schaffen (vgl. Absatz [0005] der Offenlegungsschrift).

4. Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 ist neu im Vergleich mit dem entgegengehaltenen Stand der Technik und beruht diesem gegenüber auch auf einer erfinderischen Tätigkeit des zuständigen Fachmanns, einem mit der Entwicklung von Satellitennavigationssystemen befassten berufserfahrenen Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Elektrotechnik oder Informatik. Aus keiner der im Verfahren befindlichen Druckschriften ist ein Endgerät zur Nutzung von Satellitennavigationsdiensten bekannt oder nahegelegt, bei dem eine zweite Empfängereinrichtung derart mit einer Aktivierungseinheit gekoppelt ist, dass durch ein empfangenes Befehlssignal die zweite Empfängereinrichtung aktiviert wird, wie im Merkmal M6 beansprucht ist.

Die Druckschrift D2 ist als nächstkommender Stand der Technik anzusehen, da sie als einzige im Verfahren befindliche Druckschrift sowohl zusätzliche Signale in der Navigationsnachricht wie auch zwei Empfängereinrichtungen aufweist.

So ist aus der Druckschrift D2 (vgl. die Figur 3 mit Beschreibung) ein Endgerät (vgl. Absatz [0030]: Teilnehmer-Endgerät UT für ein Satelliten-Navigationssystem 3) zur Nutzung von Satellitennavigationsdiensten (= Merkmal M1) bekannt, mit einer ersten Empfängereinrichtung (vgl. Absatz [0030]: Empfangseinrichtung RU1) zum Empfangen von von Satelliten ausgestrahlten Navigationsnachrichten (Navigationsdatenblocks NAV1, NAV2) (= Merkmal M2) und mit einer Ausgabeschnittstelle (vgl. Absatz [0030]: Datenverarbeitungseinrichtung DPU1) zur Ausgabe von Navigationsinformation (= Merkmal M3).

Die Navigationsnachrichten (vgl. die Figuren 1 und 2 mit Beschreibung) werden dabei in Form von Datenblocks (NAV1, NAV2) übertragen, wobei innerhalb dieser Datenblocks Bereiche (reservierte Bereiche 1) vorgesehen sind, in denen zusätzliche Informationen neben den Navigationsnachrichten übertragen werden. Diese zusätzlichen Informationen können Integritätsnachrichten, Änderungsnachrichten (vgl. Absatz [0007]), aber auch (vgl. Absatz [0011] und den Anspruch 11) Bestätigungsnachrichten für Notrufe und/oder Zusatzund Hilfsinformationen sein, die unmittelbar nicht in Verbindung mit den Navigationsdaten stehen.

Somit werden an das Endgerät (UT) Navigationsnachrichten mit darin enthaltenen zusätzlichen Signalen übertragen. Diese zusätzlichen Signale können aufgrund ihrer Wirkung auch als Befehlssignale bezeichnet werden, die Bestandteil einer Navigationsnachricht sind.

Damit diese Befehlssignale auch eine Wirkung entfalten können und nicht sinnlos übertragen werden, muss im Endgerät zwangsläufig auch eine Aktivierungseinheit vorgesehen sein, die aufgrund dieser Signale eine Änderung des Betriebszustands des Endgeräts bewirkt (= Merkmal M4).

Weiterhin weist das Endgerät (vgl. die Figur 3 mit Beschreibung, insbesondere die Absätze [0015] und [0031]) eine zweite Empfängereinrichtung (Empfangseinrichtung RU2) zum Empfang von Informationsdaten auf (= Merkmal M5), die ein Mobilfunk-System betreffen.

Dabei ist die zweite Empfängereinrichtung jedoch nicht derart mit der Aktivierungseinheit gekoppelt, dass durch das empfangene Befehlssignal die zweite Empfängereinrichtung aktiviert wird, wie im Merkmal M6 beansprucht ist. Eine derartige Ausbildung ist durch die Druckschrift D2 auch nicht nahegelegt, da die beiden Empfängereinrichtungen unterschiedlichen Zwecken dienen, nämlich einerseits dem Empfang von Navigationsnachrichten (Empfängereinrichtung RU1) und andererseits der Verwendung als Mobilfunk-System (Empfängereinrichtung RU2), und im Endgerät unabhängig voneinander arbeiten.

Das Merkmal M6 wird dem Fachmann auch nicht durch die restlichen Druckschriften nahegelegt, die im Übrigen weiter abliegen und denen der Fachmann ebenfalls keine Anregungen im Hinblick auf das Merkmal M6 entnehmen kann.

Das gilt auch für die im Zurückweisungsbeschluss des Patentamts herangezogene Druckschrift D1, die im Übrigen entgegen der Argumentation der Prüfungsstelle das Merkmal M4 nicht zeigt. Hier wird nämlich das Befehlssignal nicht als Bestandteil der Navigationsnachricht, die üblicherweise mit dem L1-Signal (L1-channel) übertragen, sondern mit dem separaten L3-Signal (L3-channel), das militärischen Zwecken dient und dessen Übertragungskapazitäten noch nicht ausgeschöpft sind (vgl. Spalte 3, erster Absatz, und Spalte 4, Zeilen 40 bis 51). Damit ist das Merkmal M4 nicht aus der Druckschrift D1 bekannt. Dieses Merkmal ist durch die Druckschrift auch nicht nahegelegt, da hier keine Anregungen ersichtlich sind, mit den L1-Signalen zusätzlich noch Befehlssignale zu übertragen, da hier offensichtlich keine Übertragungskapazitäten frei sind.

Somit lässt sich mit dem bisher in Betracht gezogenen Stand der Technik eine Zurückweisung der Anmeldung nicht begründen.

5. Das Verfahren ist jedoch noch nicht zur Entscheidung reif und die Anmeldung mit dem geltenden Patentanspruch 1 zur weiteren Prüfung an das Deutsche Patentund Markenamt zurückzuverweisen. § 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG bestimmt, dass das Patentgericht die angefochtenen Entscheidung aufheben kann, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. Eine Zurückverweisung kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die Gründe, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegen, nicht mehr bestehen, aber eine neue Sachprüfung erforderlich ist, weil die Patentfähigkeit noch nicht oder nicht ausreichend Gegenstand der Prüfung war (vgl. Busse PatG, 6. Auflage, § 79 Rdn. 64 und 65; Schulte PatG, 8. Auflage, § 79 Rdn. 20 bis 22 -jeweils mit weiteren Hinweisen). Dies ist vorliegend offensichtlich der Fall, da das in den geltenden Patenanspruch aufgenommene, aus der Beschreibung stammende zusätzliche Merkmal M6 ersichtlich im bisherigen Prüfungsverfahren noch keine Rolle gespielt hat und dementsprechend auch nicht recherchiert wurde. Da die Recherche insoweit als vorläufig anzusehen ist, ist nicht auszuschließen, dass bei einer erforderlichen Nachrecherche bezüglich des Merkmals M6 des geltenden Patentanspruchs 1 noch entscheidungserheblicher Stand der Technik ermittelt wird.

Angesichts der Notwendigkeit einer weiteren Prüfung auf Patentfähigkeit hat der Senat von einer Überarbeitung der übrigen Unterlagen abgesehen, die sinnvollerweise erst dann erfolgen sollte, wenn ein gewährbar Hauptanspruch vorliegt.

Dr. Winterfeldt Baumgärtner Dr. Morawek ist Dr. Müllerwegen Abordnungan das Deutsche Patentund Markenamt an der Unterschrift gehindert.

Dr. Winterfeldt Pü






BPatG:
Beschluss v. 29.09.2011
Az: 21 W (pat) 83/09


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