Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen:
Beschluss vom 20. Juli 2011
Aktenzeichen: L 16 AL 103/10 B

(LSG Nordrhein-Westfalen: Beschluss v. 20.07.2011, Az.: L 16 AL 103/10 B)

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 03.03.2010 wird zurückgewiesen. Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.

Gründe

I. Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der erstattungsfähigen Rechtsanwaltsgebühren für ein Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes streitig.

Mit Bescheid vom 26.01.2009 hat die Antragsgegnerin dem Antragsteller Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ab dem 12.01.2009 bewilligt und gleichzeitig die Gewährung von Ausbildungsgeld wegen der Anrechnung von Einkommen des Vaters des Antragstellers abgelehnt. Widerspruch gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller nicht erhoben.

Mit Schreiben vom 05.06.2009 hat der Beschwerdeführer die Überprüfung des Bescheides vom 26.01.2009 nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch und die Auszahlung von Vorausleistungen nach § 72 SGB Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) beantragt. Die Ablehnung des Anspruchs auf Ausbildungsgeld sei rechtswidrig. Die Angelegenheit sei für den Antragsteller extrem eilig, so dass die beantragte Leistung bis zum 12.06.2009 zu bewilligen sei. Nach fruchtlosem Fristablauf werde Eilantrag gestellt. Nachdem eine Reaktion der Antragsgegnerin nicht erfolgte, hat der Beschwerdeführer am 19.06.2009 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Gelsenkirchen gestellt. Er hat die vorläufige Bewilligung von Ausbildungsgeld begehrt. Mit Bescheid vom 26.06.2009 hat die Antragsgegnerin dem Antragsteller das begehrte Ausbildungsgeld bewilligt.

Mit Beschluss vom 07.07.2009 hat das Sozialgericht Gelsenkirchen dem Antragsteller Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Beschwerdeführers bewilligt.

Der Beschwerdeführer hat erklärt, dass er das Anerkenntnis der Antragsgegnerin annehme und hat den Rechtsstreit am 13.07.2009 in der Hauptsache für erledigt erklärt. Mit Kostenerstattungsantrag vom 09.09.2009 hat er die Erstattung folgender Kosten begehrt:

Verfahrensgebühr 3102 VV RVG 250,- EUR

Terminsgebühr 3106 VV RVG 200,- EUR

Pauschale für Post/Telekommunikation 20,- EUR

Zwischensumme 470,- EUR

19% Mehrwertsteuer 7008 VV RVG 89,30 EUR

Gesamtbetrag 559,30 EUR

Mit Beschluss vom 21.09.2009 hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die zu erstattenden Kosten auf 318,92 EUR festgesetzt. Da der Bevollmächtigte bereits im Widerspruchsverfahren tätig gewesen sei, berechne sich die Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV RVG (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09.08.2007 - L 20 B 91/07 AS). Im Vergleich zu entsprechenden Hauptsacheverfahren sei die Angelegenheit insgesamt unterdurchschnittlich und jeweils eine um 1/3 gekürzte Mittelgebühr (Verfahrensgebühr 114,- EUR und Terminsgebühr 134,- EUR) anzusetzen.

Hiergegen legte der Beschwerdeführer am 25.09.2009 unter Hinweis auf einen Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 04.07.2007 (L 12 B 44/07 AS) Erinnerung ein. Die Regelung der Nr. 3103 VV RVG könne schon rein dogmatisch keine Anwendung finden, weil das Vorverfahren zum Zeitpunkt des Eilantrags noch nicht abgeschlossen gewesen sei. Nicht nachvollziehbar sei auch der Abzug von 1/3 bei der Mittelgebühr. Diese sei schon wegen der existenziellen Bedeutung der Angelegenheit gerechtfertigt.

Auch die Beschwerdegegnerin hat gegen den Kostenbeschluss Erinnerung eingelegt. Die Vergütung sei auf lediglich 215,46 EUR festzusetzen. Eine (fiktive) Terminsgebühr nach Nr. 3106 Nr 3 VV RVG sei nicht entstanden. Diese könne nur in Verfahren entstehen, in denen eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben sei.

Die Verfahrensgebühr richte sich nach Nr. 3103 VV RVG, weil auch die Tätigkeit in einem Eilverfahren durch eine bereits erfolgte Tätigkeit im Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren erleichtert werde. Diese Tätigkeit habe hier statt gefunden. Auch die Höhe der geltend gemachten Gebühr sei unbillig, da kein Durchschnittsfall vorliege.

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat der Erinnerung der Beschwerdegegnerin abgeholfen und die erstattungsfähigen Kosten auf 215,46 EUR festgesetzt. Im Übrigen hat er der Erinnerung nicht abgeholfen.

Mit Beschluss vom 03.03.2010 hat das Sozialgericht die erstattungsfähigen Gebühren und Auslagen auf 226,10 EUR festgesetzt und die weitergehende Erinnerung zurückgewiesen.

Die Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG falle in einem erstinstanzlichen Eilverfahren nicht an. Die Verfahrensgebühr sei zutreffend nach Nr. 3103 VV RVG bestimmt worden. Insoweit stehe dem Bevollmächtigten allerdings die Mittelgebühr in Höhe von 170,- EUR zu. Der Beschluss wurde dem Beschwerdeführer am 23.03.2010 zugestellt.

Er hat hiergegen am 24.03.2010 Beschwerde eingelegt. Der Beschluss sei bereits wegen der Verletzung des rechtlichen Gehörs rechtswidrig, weil er keine Gelegenheit zu einer Stellungnahme zu den Ausführungen des Bezirksrevisors gehabt habe.

Es sei auch nicht zutreffend, dass sich die Verfahrensgebühr hier nach Nr. 3103 und nicht nach Nr. 3102 VV RVG berechne. Nr. 3103 VV RVG sei zwar auch im Eilverfahren anwendbar. Dies setze aber voraus, dass der Rechtsanwalt im behördlichen Eilverfahren tätig gewesen sei, weil Hauptsache- und Eilverfahren verschiedene Angelegenheiten seien.

Nicht nachvollziehbar sei auch, warum die Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG nicht anfallen solle. Sinn und Zweck der Vorschrift sei die Förderung der Verfahrensökonomie. Auch der Wortlaut spreche eindeutig für die Anwendung.

Die Beschwerdegegnerin geht weiterhin davon aus, dass eine Terminsgebühr nicht entstanden ist und sich die Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV RVG richtet. Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II. Das Landessozialgericht entscheidet über die Beschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung durch den Senat gemäß §§ 56 Abs 2 Satz 1, 33 Abs 8 Satz 2 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG).

Die nach § 56 Abs 1 Satz 1 iVm § 33 Abs 3 Satz 1 RVG zulässige Beschwerde ist unbegründet. Dem Beschwerdeführer steht gegenüber der Staatskasse keine höhere als die vom Sozialgericht festgesetzte Vergütung zu.

1. Zu Recht hat das Sozialgericht den Anfall einer "fiktiven" Terminsgebühr verneint. Diese Gebühr entsteht gemäß Nr. 3106 VV RVG in Verfahren vor den Sozialgericht auch, wenn

1.in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden wird

2.nach § 105 Abs 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden wird oder

3.das Verfahren nach angenommenen Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet.

Die Voraussetzungen für die hier allein in Betracht zu ziehende Ziffer 3 liegen nicht vor. Aus dem Sinn und Zweck der Norm folgt vielmehr, dass ein Anspruch auf diese Terminsgebühr nicht in einstweiligen Rechtsschutzverfahren entstehen kann, weil dort im Regelfall durch Beschluss und nicht aufgrund einer mündliche Verhandlung entschieden wird (so nunmehr auch der 7. Senat des LSG NRW, Beschluss vom 24.02.2011 - L 7 B 400/08). Die fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG Ziffer 3 setzt insoweit voraus, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung obligatorisch ist.

Der demgegenüber vertretenen Gegenansicht ist nicht zu folgen. Zur Begründung verweist diese insbesondere darauf, dass sich die in Nr. 3106 VV RVG Ziffer 1 ausdrücklich aufgeführte Voraussetzung einer ansonsten obligatorischen mündlichen Verhandlung bei Ziffer 3 gerade nicht findet. Zu berücksichtigen sei außerdem, dass die Ziffern 1 und 2 im Gegensatz zur Ziffer 3 Gebührentatbestände regeln, bei denen tatsächlich eine gerichtliche Entscheidung getroffen wurde. Bereits diese Unterschiede würden es ausschließen, auch bei Ziffer 3 entgegen dem Wortlaut eine obligatorische mündliche Verhandlung zu verlangen. Im Übrigen solle durch die fiktive Terminsgebühr gerade die Einigung ohne Verhandlungstermin gefördert werden soll (vgl. hierzu BT-Drucksache 15/1971, S. 147) Dies gelte auch für Eilverfahren (LSG NRW, Beschluss vom 18.09.2008, L 5 B 43/08 KR). Allein der Umstand, dass in diesen Verfahren regelmäßig keine mündliche Verhandlung erfolge, führe zu keiner anderen Beurteilung, da Terminsgebühren gem. der Vorbemerkung zu Teil 3 VV RVG auch für die Vertretung in Erörterungs- oder Beweisterminen entstehen, die auch in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes anfallen können und durch die Förderung der außerterminlichen Einigung vermieden werden (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 14.07.2010, L 1 AS 57/10 B).

Gegen diese Auffassung spricht allerdings zunächst, dass der Wortlaut von Ziffer 3 durchaus auch die Auslegung zulässt, dass dort nur eine Regelung für solche Verfahren getroffen werden soll, in denen eine mündliche Verhandlung obligatorisch ist (LSG NRW, Beschluss vom 16.03.2011, L 7 B 406/08 AS). Die Formulierung " das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet" in Ziffer 3 Nr. 3106 VV RVG spricht sogar gerade für eine grundsätzlich erforderliche Verhandlung (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 31.05.2010, L 9 B 59/09 AS). Im Übrigen ist die Regelung der Nr. 3106 VV RVG Ziffer 3 mit den Ziffern 1 und 2 durch das Wort "oder" verbunden. Da diese Ziffern gerade Tatbestände für eine Terminsgebühr in Verfahren mit obligatorischer mündlicher Verhandlung regeln, spricht auch dies gegen die Annahme, dass in Ziffer 3 hiervon abweichend auch Verfahren ohne vorgeschriebene mündliche Verhandlung erfasst werden sollen (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 09.07.2010, L 19 B 395/09 AS; Beschluss vom 28.12.2010, L 19 B 1954/10 B). Auch die historische und teleologische Auslegung spricht für dieses Ergebnis. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollten die Regelungen in den Nummern 3104 und 3106 VV RVG die frühere Regelung aus § 35 BRAGO ersetzen, die die fiktive Verhandlungsgebühr nach entfallener, aber an sich vorgeschriebener mündlicher Verhandlung regelte (BT - Drucksache 15/1071, Seite 212). Die Terminsgebühr sollte verhindern, dass der Rechtsanwalt aus Gebühreninteresse auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung besteht und einen Anreiz dafür bieten, in jedem Stadium des Verfahrens zu einer Erledigung ohne Verhandlungstermin beizutragen und hierdurch die Gerichte zu entlasten. Dieser Zweck der Prozessökonomie kommt in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht zum Tragen, weil dort eine mündliche Verhandlung als Regelfall nicht vorgesehen ist und in Anbetracht des Eilcharakters auch nur ganz ausnahmsweise stattfindet (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 25.09.2009, L 13 B 15/08 R; Beschluss vom 09.07.2010, L 19 B 395/09 AS; jetzt auch Beschluss vom 24.02.2011, L 7 B 400/08 AS). Die Beteiligten haben es nicht in der Hand, ob eine mündliche Verhandlung durchgeführt wird oder nicht, so dass die Bereitschaft das Verfahren ohne mündliche Verhandlung zu beenden, hier nicht durch die Gewährung der fiktiven Terminsgebühr erhöht werden muss (vgl. Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 10.09.-2009, L 1 B 158/09 SK). Insbesondere aufgrund dieses Gesichtspunktes muss daher der Anfall einer Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt werden (vgl. auch LSG NRW, Beschluss vom 20.10.2008, L 20 B 67/08 AS; Beschluss vom 25.09.2009, L 13 B 15/08 R; Beschluss vom 03.03.2010, L 12 B 141/09 AS; Beschluss vom 31.05.2010, L 9 B 59/09 AS).

2. Hinsichtlich der ebenfalls streitigen Verfahrensgebühr ist demgegenüber nach Auffassung des Senats Nr. 3102 VV RVG, und nicht Nr. 3103 VV RVG einschlägig. Ein höherer Gebührenanspruch des Beschwerdeführers folgt hieraus jedoch nicht, da nicht die vom Sozialgericht zugrunde gelegte Mittelgebühr, sondern eine um 1/3 reduzierte Gebühr angefallen ist.

Ob Nr. 3103 grundsätzlich auch in Eilverfahren anzuwenden ist, wenn ein Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren vorangegangen ist, ist ebenfalls umstritten. Teilweise wird dies mit der Begründung vertreten, dass in dem Gebührentatbestand ohne Einschränkung auf Nr. 3102 VV RVG Bezug genommen wird, der auch in sozialgerichtlichen Eilverfahren anwendbar ist ( LSG NRW, Beschluss vom 13.02.2009, L 12 B 159/08 AS; Beschluss vom 21.04.2010, L 12 B 74/09 AS; Beschluss vom 09.08.2007, L 20 B 91/07 AS, Beschluss vom 03.12.2007, L 20 B 66/07 AY). Der Gesichtspunkt, dass die frühere Tätigkeit die spätere Tätigkeit erleichtere, gelte zudem auch in Eilverfahren (Bayerisches LSG, Beschluss vom 18.01.2007, L 15 B 224/06 AS KO) Nicht erforderlich soll hierbei sein, dass das vorausgegangene Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren abgeschlossen ist oder in ein Klageverfahren einmündet ( Thüringer LSG, Beschluss vom 24.11.2010, L 6 SF 653/10 B). Nr. 3103 VV RVG setzt zwar ein zeitlich früheres Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren voraus, nicht aber "denselben Streitgegenstand". Ausreichend sei demnach die Tätigkeit im zeitlich früheren Widerspruchsverfahren. Auch der zusätzlich glaubhaft zu machende Anordnungsgrund stehe der Anwendung von Nr. 3103 VV RVG nicht entgegen, da der Aufwand für die Begründung üblicherweise deutlich gegenüber dem Aufwand für die Begründung des Anordnungsanspruchs zurücktrete (Curkovic in Bischoff, RVG, 3.Aufl.,Nr. 3102,3103 Rdnr 2).

Dem ist nicht zuzustimmen. Hintergrund der Absenkung der Gebühr ist, dass bei Identität des Streitgegenstandes von einer Reduzierung des Arbeitsaufwandes für den Bevollmächtigten auszugehen ist. Dies ist nicht ohne weiteres gegeben, wenn es sich einerseits um eine Tätigkeit im Widerspruchsverfahren und andererseits um ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren nach § 86b Abs 2 SGG handelt. Der die Minderung rechtfertigende "Synergieeffekt" kann dann nicht ohne weiteres angenommen werden, weil neben dem Anordnungsanspruch noch zusätzlich der Anordnungsgrund glaubhaft zu machen ist (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 16.03.2011, L 7 B 406/08 AS), der im Hauptsache- und Widerspruchsverfahren keine Rolle spielt. Soweit die Gegenansicht darauf verweist, dass die Anforderungen an die Begründung des Anordnungsgrundes hinter denen an die Begründung des Anordnungsanspruchs zurücktreten, kann dem nicht gefolgt werden. Insbesondere im Bereich der Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch mag dies der Fall sein, weil bei dem Entzug dieser Grundsicherungsleistungen eine Existenzgefährdung auf der Hand liegt. In anderen Bereichen des Sozialversicherungsrechts, wie beispielsweise im Krankenversicherungsrecht oder im Bereich der Renten- oder Unfallversicherung werden demgegenüber aber strenge Anforderungen an das Vorliegen eines Anordnungsgrundes gestellt, die vom Prozessbevollmächtigten einen nicht unerheblichen Begründungsaufwand verlangen. Zu Berücksichtigen ist zudem, dass teilweise der im Eilverfahren verfolgte Zweck einer vorläufigen Sicherung oder Gewährung von Leistungen häufig nicht mit dem im Hauptsacheverfahren verfolgten Anspruch übereinstimmt (LSG NRW, Beschluss vom 16.03.2011 L 7 B 406/08 AS). Es liegen verschiedene Streitgegenstände vor. Synergieeffekte, die eine Minderung der Gebühr rechtfertigen, können daher - anders als bei Hauptsacheverfahren und vorangegangenem Widerspruchsverfahren - nicht grundsätzlich angenommen werden. Soweit sie im Einzelfall dennoch vorliegen, kann diesem Gesichtspunkt bei der Bestimmung der Höhe der Gebühr hinreichend Rechnung getragen werden.

Der sich aus Nr 3102 VV RVG ergebende Gebührenrahmen beträgt 40,00 EUR bis 460,00 EUR. Es ist dementsprechend von einer Mittelgebühr von 250,00 EUR auszugehen, die hier allerdings um 1/3 zu kürzen ist.

Mit der Mittelgebühr wird die Tätigkeit des Rechtsanwalts in einem Durchschnittsfall abgegolten. Ein Durchschnittsfall liegt vor, wenn die Tätigkeit des Anwalts gemessen an den Kriterien des § 14 RVG als durchschnittlich anzusehen ist. Es muss sich um eine Streitsache mit durchschnittlichem Umfang, durchschnittlicher Schwierigkeit, durchschnittlicher Bedeutung, durchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Auftraggebers und durchschnittlichem Haftungsrisiko des Anwalts handeln. Ob ein Durchschnittsfall vorliegt, ergibt sich dabei aus einem Vergleich mit sonstigen sozialrechtlichen Streitverfahren und ist in wertender Gesamtbetrachtung zu ermitteln (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 30.09.2009 - L 1 B 22/09 AS; Beschluss vom 28.10.2010, L 19 AS 1954/10 B). Dies gilt auch in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Eine generelle Kürzung der Mittelgebühr allein unter dem Gesichtspunkt, dass es sich um ein einstweiliges Verfahren handelt, ist nicht gerechtfertigt. Bei wertender Gesamtbetrachtung ist hier allerdings von einem unter dem Durchschnittsfall liegenden Verfahren auszugehen. Zwar war die Bedeutung der Angelegenheit für den Antragsteller sicherlich durchschnittlich, da um die einstweilige Gewährung existenzsichernder Leistungen gestritten wurde, Umfang und Schwierigkeit der Angelegenheit waren aber unterdurchschnittlich. Der Prozessbevollmächtigte des Antragsstellers musste lediglich eine zweiseitige Antragsbegründung sowie drei weitere kurze Schriftsätze anfertigen. Dem Begehren des Antragstellers wurde bereits wenige Tage nach Eingang des Eilantrags entsprochen. Die Verfahrensdauer lag unter einem Monat und war - gemessen an der üblichen Dauer von Verfahren beim Sozialgericht - erheblich unterdurchschnittlich. Zudem war zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer den Antragssteller bereits im Verwaltungsverfahren und in einem weiteren Eilverfahren mit vergleichbarem Streitgegenstand vertreten hat und daher bereits in die materielle Rechtslage eingearbeitet war. Die hierdurch bestehenden Rationalisierungs- und Synergieeffekte können bei der Wertung des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit berücksichtigt werden (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 28.12.2010, L 19 AS 1954/10 mwN). Eine vertiefte Auseinandersetzung mit schwierigen Rechtsfragen oder streitigen tatsächlichen Verhältnissen war nicht erforderlich. Eine Beweiserhebung und damit verbundene erforderliche Beweiswürdigung hat nicht stattgefunden.

Wegen der auch nur unterdurchschnittlichen Vermögensverhältnis des Antragstellers und des unterdurchschnittlichen Haftungsrisikos, weil im einstweiligen Verfahren lediglich eine vorläufige Regelung zu treffen ist, war damit die Gebühr trotz der sicherlich mindestens durchschnittlichen Bedeutung der Angelegenheit um 1/3 zu senken.

Es ergibt sich folgende Berechnung:

Verfahrensgebühr 3102 VV RVG 167,- EUR

Pauschale für Post/Telekommunikation 20,- EUR

Zwischensumme 187,- EUR

19% Mehrwertsteuer 7008 VV RVG 35,53 EUR

Gesamtbetrag 222,53 EUR

Eine höhere, als die vom Sozialgericht festgesetzte Gebühr, steht dem Beschwerdeführer somit nicht zu. Seine Beschwerde war zurückzuweisen.

Die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs 2 Satz 2 und 3 RVG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 56 Abs 2 Satz 1, § 33 Abs 4 Satz 3 RVG).






LSG Nordrhein-Westfalen:
Beschluss v. 20.07.2011
Az: L 16 AL 103/10 B


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