Bundesgerichtshof:
Urteil vom 29. Oktober 2013
Aktenzeichen: X ZR 141/10
(BGH: Urteil v. 29.10.2013, Az.: X ZR 141/10)
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 27. Oktober 2013 an Verkündungs Statt zugestellte Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten und bei Einlegung der Berufung durch Zeitablauf erloschenen europäischen Patents 472 651 (Streitpatents). Es wurde am 9. Mai 1990 unter Inanspruchnahme von Prioritäten vom 16. Mai 1989 und 7. November 1989 angemeldet und ist im Einspruchsbeschwerdeverfahren aufgrund einer Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer (T 1333/04 - 3. März 2008) beschränkt aufrechterhalten worden. Es umfasst hiernach vier Patentansprüche, von denen Patentanspruch 1 lautet:
"A purified nucleic acid comprising a nucleotide sequence encoding an enzyme having PNGase activity produced by the bacterium Flavobacterium meningosepticum, wherein said nucleotide sequence has at least 90% homology with the PNGase F gene present in pGB29, ATCC 67987."
Die aus dem Streitpatent in Anspruch genommene Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Patents sei nicht patentfähig, weil er nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Sie hat in erster Instanz zuletzt beantragt, das Streitpatent im Umfang der Patentansprüche 1 bis 3 für nichtig zu erklären und im Übrigen festzustellen, dass die Hauptsache erledigt ist. Das Patentgericht hat dem Klageantrag entsprochen. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihr Ziel der Klageabweisung weiterverfolgt, soweit das Patentgericht das Streitpatent für nichtig erklärt hat; im Übrigen haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt.
Als gerichtlicher Sachverständiger hat Prof. Dr. H. , Eberhard Karls Universität Tübingen, ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der 1 mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat. Die Beklagte hat ein Privatgutachten von Prof. Dr. F. , Julius-Maximilians-Universität Würzburg, vorgelegt.
Gründe
I. Das Streitpatent betrifft eine Nukleinsäuresequenz zur Herstellung des Enzyms Peptid-N4-(N-acetyl--N-glucosamyl)-asparaginamidase (PNGase F).
Die im Flavobacterium meningosepticum (Bezeichnung zum Prioritätszeitpunkt, heutiger Name: Elizabethkingia meningoseptica) vorkommenden Enzyme PNGase F und Endo--N-acetylglucosaminidase (Endo F) als Glycosidasen spalten stickstoffverknüpfte Kohlehydratketten von Glykoproteinen ab. Obwohl beide Enzyme nur die an der Aminosäure Asparagin (N) verknüpften Oligosacharide (N-glykosidische Verbindungen) abspalten, bringen sie unterschiedliche Spaltprodukte hervor. Die PNGase F spaltet zwischen dem Asparaginrest und dem endständigen Zuckerrest, so dass die Kohlehydratketten in voller Länge abgespaltet werden. Endo F hingegen spaltet die Bindung zwischen den beiden endständigen Zuckereinheiten, wodurch um eine Zuckereinheit verkürzte Kohlehydratketten freigesetzt werden. Um die spezifischen Spalteigenschaften der PNGase F für Analysen nutzen zu können, was insbesondere für Strukturanalysen von Glykoproteinen nützlich ist, müssen die aus dem Flavobacterium meningosepticum gewonnenen Glykosidasemischungen aufgetrennt werden. 4 Danach betrifft das Streitpatent das technische Problem, eine von Endo F freie PNGase F zur Verfügung zu stellen und hierfür die erforderlichen Zwischenschritte zu entwickeln.
Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt Patentanspruch 1 eine gereinigte Nukleinsäure vor, die eine für das von Flavobacterium meningosepticum produzierte Enzym mit PNGase-F-Aktivität codierende Nukleotidsequenz - mit einer mindestens 90-prozentigen Homologie mit dem PNGase-F-Gen in dem bei der American Type Culture Collection (ATCC) unter Nr. 67987 hinterlegten Plasmid pGB29 - enthält. Die Lösung besteht mithin in der Herstellung einer Nukleinsäure, welche es wiederum ermöglicht, durch Expression des Gens in einem geeigneten Wirtsorganismus das gewünschte Enzym auf rekombinantem Wege ohne eine Endo-F-Aktivität bereitzustellen.
II. Das Patentgericht hat den Gegenstand des Streitpatents für nicht patentfähig erachtet und dies wie folgt begründet:
Der Stand der Technik habe dem Fachmann - einem in der industriellen oder der Hochschulforschung tätigen Chemiker oder Biochemiker mit mehrjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der Enzymgewinnung, der in ein Team aus Spezialisten für die Isolierung und Reinigung von Proteinen eingebunden sei - Veranlassung gegeben, ein PNGase-F-Enzympräparat bereitzustellen, das vollständig frei von Endo F ist.
In dem Aufsatz von Tarentino et al. in Biochemistry 24 (1985), 4665 (WW7) sei berichtet worden, dass PNGase F aus dem Flavobacterium meningosepticum mit einer Reinheit von mehr als 90% isoliert werden könne. Dieses Enzympräparat enthalte jedoch zu 0,1% Endo F. Diese zusätzliche Enzymaktivität erachte der Fachmann als nachteilig, da ihm bekannt sei, dass bei einer Deglykosylierung nicht vorhersehbare Spaltprodukte entstehen könnten, weil 6 Endo F die Spaltprodukte der PNGase F erneut spalten könne. Dies erschwere die Interpretation von Daten aus wissenschaftlichen Versuchen mit derartigen Spaltprodukten. Der Fachmann sei daher bestrebt gewesen, mit einer vollständig Endo-F-freien PNGase F zu arbeiten. Auch wenn in einem weiteren Aufsatz von Tarentino und Plummer, Peptide-N4-(N-acetyl--glucosaminyl) asparagine Amidase and Endo--N-acetylglucosaminidase from Flavobacterium meningosepticum, in Methods in Enzymology 138 (1987), 770 (WW10) angegeben sei, mit Hilfe eines chromatographischen Reinigungsverfahrens mit zwei unterschiedlichen Trennmaterialien weiter aufgereinigte PNGase F mit einem geschätzten Reinheitsgrad von mehr als 95% herstellen zu können, was nunmehr als Endo-F-frei zu erachten sei, werde der Fachmann auch dieses Enzympräparat nicht als optimal ansehen. Aus wissenschaftlicher Sicht sei für ihn nur eine PNGase F mit garantierter Endo-F-Freiheit von Nutzen, wie sie weder das in WW7 noch das in WW10 beschriebene Isolierungsverfahren verspreche. Zudem sei das in WW10 beschriebene Verfahren aufgrund der zahlreichen Chromatographieschritte zeit- und kostenintensiv, weshalb sich der Fachmann veranlasst gesehen habe, nach weiteren Möglichkeiten zu suchen, um eine vollständig Endo-F-freie PNGase F zu erhalten. Die Forschungstätigkeit zur Analyse nativer Glykoproteine habe auch bereits zum Prioritätszeitpunkt einen Bedarf für ein solches Produkt mit entsprechendem Reinheitsgrad begründet, weshalb es hinreichende wirtschaftliche Anreize für die Produktentwicklung gegeben habe.
Mit dieser Veranlassung sei es für den Fachmann naheliegend gewesen, Endo-F-freie PNGase F auf rekombinantem Weg bereitzustellen. 11 Um eine vollständige Endo-F-Freiheit zu erreichen, werde der Fachmann eine weitere Aufreinigung entsprechend dem in WW10 beschriebenen Reinigungsverfahren wegen des Kosten- und Zeitaufwands nicht für sinnvoll erachten; zudem würde hierdurch die Enzymausbeute weiter verringert. Auf der Suche nach anderen Herstellungswegen für eine Reindarstellung von PNGase F biete sich die rekombinante Herstellung an. Dem Fachmann sei diese Technik aus Standardwerken wie "Methods in Enzymology" und biologischen Lehrbüchern sowie der erfolgreichen Anwendung dieser Technik zur Herstellung von Enzymen bekannt gewesen. Der Aufsatz von Davis und Thorner, Isolation of the Yeast Calmodulin Gene Using Synthetic Oligonucleotide Probes, in Methods in Enzymology 139 (1987), 248 (WW8), habe die partielle Sequenzierung eines Proteins beschrieben, um die Aminosäuresequenzinformation zu erhalten, die für Design und Synthese darauf abgestimmter Oligonukleotidsonden erforderlich seien. Die Klonierung eines auf diese Weise identifizierten Gens und dessen Expression in einem Wirtsorganismus wie Escherichia coli hätten damit zu den üblichen Verfahrensweisen bei der Anwendung rekombinanter Techniken gezählt. Da dem Fachmann der in der WW7 genannte Bakterienstamm vom Typ Flavobacterium meningosepticum (ATCC 33958) als Ausgangsmaterial für die Erzeugung einer für dieses Bakterium spezifischen Genbank (vgl. WW7, S. 4666 li. Sp. Abs. 3) sowie mit der von diesem Stamm produzierten PNGase F auch das für eine teilweise Aminosäuresequenzanalyse erforderliche Protein zur Verfügung gestanden habe, habe er auch über die Edukte für eine entsprechende Klonierungsstrategie verfügt.
Bei der Anwendung einer solchen Klonierungsstrategie auf die PNGase F möchten technische Schwierigkeiten aufgetreten sein. Die Beklagte habe es - das Patentgericht - jedoch nicht davon überzeugen können, dass es für deren Überwindung erfinderischen Zutuns bedurft habe. Wie der nachveröffentlichte Aufsatz von Barsomian et al., Cloning and Expression of Peptide-N4-(N-12 acetyl--D-glucosaminyl) asparagine Amidase F in Escherichia coli, Journal of Biological Chemistry, 1990, S. 6967 bis 6972 (WW11) gutachtlich belege, habe die für eine N-terminale Aminosäuresequenzanalyse erforderliche Reinheit einer PNGase-F-Probe mittels Gelelektrophorese und Elektroblotting sowie der Verwendung von unterschiedlichen Trennmaterialien für die Chromatographieschritte erzielt werden können. Eine solche Vorgehensweise sei im Hinblick auf den damaligen Stand der Technik nicht über das allgemeine Können und Wissen des Fachmanns hinausgegangen.
Der Fachmann habe ausschließen können, bei einer Expression der PNGase F in Escherichia coli eine Kontamination mit Endo F zu erhalten, weil das damals bereits bekannte Genom dieses Bakteriums kein Gen für Endo F enthalte. Von der Verwendung dieses Wirtsorganismus habe den Fachmann auch weder die Überlegung, dass eine Gewinnung der PNGase F aus Escherichia coli erst die Etablierung einer aufwendigen Reinigung des Enzyms erforderlich machen werde, abgehalten noch die Befürchtung, wegen der gegenüber Flavobacterium meningosepticum unterschiedlichen posttranslationalen Modifikationen sei in Escherichia coli möglicherweise kein aktives Enzym erhältlich. Selbst wenn Escherichia coli sich für eine Expression von PNGase F als ungeeignet herausgestellt hätte, hätten dem Fachmann zahlreiche andere Wirtssysteme zur Verfügung gestanden, die er im Rahmen routinemäßiger Versuche auf ihre Eignung hätte untersuchen können.
III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren in einem entscheidenden Punkt nicht stand. Entgegen der Bewertung des Patentgerichts ist der Gegenstand des Streitpatents patentfähig, weil er auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
1. Unbestritten war der Gegenstand des Streitpatents neu. 14 2. Für dessen Patentfähigkeit fehlt es nicht an einer erfinderischen Tätigkeit, denn er hat sich nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben (Art. 56 EPÜ).
a) Dem vom Patentgericht zutreffend definierten Fachmann wurde in den Aufsätzen WW7 und WW10 ein Verfahren offenbart, mit dem aufgrund der natürlichen Expression von PNGase F in Flavobacterium meningosepticum dieses Protein aufgereinigt und somit weitestgehend isoliert werden konnte.
Ihm war damit zugleich bekannt, dass für dieses Protein im Flavobacterium meningosepticum eine Nukleotidsequenz als genetischer Code existiert, auf dessen Basis der Code transkribiert und in den Ribosomen dieses Bakteriums das Protein PNGase F hergestellt wird. Ihm war jedoch weder die Sequenz dieser Nukleotide noch die Sequenz der Aminosäuren bekannt, aus denen das Protein aufgebaut ist. WW7 und WW10 vermittelten nur die Lehre, das Protein aufgrund seiner physikalischen und chemischen Eigenschaften aufreinigen zu können.
b) Dieser Stand der Technik und der Bedarf nach Endo-F-freier PNGase F gaben dem Fachmann eine gewisse Veranlassung, Überlegungen mit dem Ziel einer rekombinanten Herstellung des Proteins in einem anderen Organismus (heterologe Herstellung) anzustellen, wofür die Isolierung und die Ermittlung der Nukleotidsequenz als Zwischenschritt erforderlich gewesen wäre.
aa) Nach den Ausführungen des Sachverständigen war das in WW7 und WW10 beschriebene Verfahren für geringe Mengen geeignet, PNGase F jedenfalls annähernd frei von Endo F herzustellen. Die Aufreinigungsschritte haben jedoch zur Folge, dass von der ursprünglich mit dem Flavobacterium meningosepticum hergestellten Menge nur eine deutlich geringere Ausbeute 17 übrig bleibt. Bei einer rekombinant heterologen Herstellung konnte der Fachmann einen deutlich geringeren Aufreinigungs- und Herstellungsaufwand erwarten, nicht zuletzt auch deshalb, weil damit insbesondere Wirtsorganismen in Frage kamen, die von vorneherein keine Endo-F-Aktivität aufweisen.
Dementsprechend konnte der Fachmann auch den Aufsätzen von Robbins, Wirth und Hering im Journal of Biological Chemestry, 1981, 10640 (HA1) und von Trumbly et. al. im Journal of Biological Chemestry, 1985, 5683 (HA2) zur Herstellung eines der PNGase F sehr ähnlichen Proteins, der Endoglycosidase H, entnehmen, dass die im Stand der Technik beschriebenen Methoden zur Proteinaufreinigung dieses Proteins zwar exzellent, aber zugleich zeitaufwändig und mühsam seien. Die Herstellung dieses Proteins in Escherichia coli hingegen konnte die Herstellung vereinfachen (HA1, S. 10640 r. Sp. Abs. 1), weil bei einer Sekretion des Proteins in den periplasmatischen Raum dieses Bakteriums eine schnelle Vierstufenprozedur ausreichte, um das Protein homogen aufzureinigen (HA2, S. 5683 li. Sp.).
Für eine industrielle Herstellung von Endo-F-freier PNGase F in größeren Mengen bot sich die rekombinante Herstellung deshalb als alternative Überlegung an, um das Protein nach erfolgreicher Klonierung in der gewünschten Reinheit mit einem deutlich geringeren Aufwand herstellen zu können.
bb) Weiterhin ergab sich eine gewisse Veranlassung zur rekombinant heterologen Herstellung von PNGase F aus dem Umstand, dass deren Herstellung im Flavobacterium meningosepticum ein pathogenes Bakterium nutzte, das insbesondere bei Kleinkindern und Säuglingen eine Hirnhautentzündung hervorrufen kann. Zur Verhütung von Krankheiten etwa bei Angehörigen von Mitarbeitern der Labore und Produktionsstätten, in denen Flavobacterium meningosepticum verwendet wird, bedurfte es deshalb nach dem Stand der Tech-22 nik und dem allgemeinen Arbeitsschutz Maßnahmen, die einer Übertragung des Bakteriums auf Mitarbeiter und deren Angehörige entgegenwirken. Solche Maßnahmen konnten vermieden werden, indem die PNGase F einem anderen Wirtsorganismus rekombinant hergestellt würde, der weniger pathogen und deshalb unter weniger strengen Auflagen für eine Herstellung verwendet werden konnte, wie etwa Escherichia coli.
cc) Allein aufgrund der Wünsche etwaiger Abnehmer von industriell hergestellter PNGase F bestand nur eine geringe Veranlassung, PNGase F rekombinant heterolog herzustellen.
Mit dem in WW7 und WW10 beschriebenen Verfahren konnte ein Enzympräparat hergestellt werden, das zu 95% PNGase F enthielt. Auch wenn potentielle Abnehmer eines nach diesem Verfahren hergestellten Präparats nicht vollständig der weiteren Angabe in WW10 geglaubt haben mögen, das Präparat sei aufgrund der mehreren Aufreinigungsschritte wirklich frei von Endo F ("the enzyme is estimated to be over 95% pure and to be free of Endo F", WW10 S. 775 letzter Absatz), bestand nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen nur ein geringer Bedarf nach einem Enzympräparat, das absolut keine Endo-F-Aktivität aufwies. In den überwiegenden Fällen wird PNGase F nur für eine relativ kurze Inkubationszeit benötigt, so dass Spuren von Endo F, das Zuckerketten zwischen ihren Zuckereinheiten trennt, sowie von Proteasen, die Proteine zwischen den Aminosäuren spalten würden, in diesen Fällen nur äußerst geringfügig die Analyse der Spaltprodukte beeinträchtigen. Dementsprechend waren die gemäß dem in WW7 und WW10 beschriebenen Verfahren produzierten PNGase F-Präparate im Handel erhältlich und wurden im Stand der Technik allgemein als ein brauchbares Produkt angesehen (WW10, S. 778 Abs. 1). Auch heute noch wird vom Flavobacterium meningosepticum gewonnene, aufgereinigte PNGase F kommerziell vertrieben. Der 25 gerichtliche Sachverständige hat deshalb lediglich bei Untersuchungen mit einer langen Inkubationszeit aufgrund der in diesen Präparaten noch enthaltenen Endo F eine so starke Beeinträchtigung des Analyseergebnisses gesehen, dass der Anwender keine oder nur schwer eine verlässliche Aussage treffen könne.
c) Ausgehend von der Überlegung, PNGase F rekombinant heterolog herstellen zu können, war dem Fachmann zum Prioritätszeitpunkt der Weg für eine solche Weiterentwicklung allgemein bekannt unter anderem aus Standardwerken wie dem Lehrbuch von Maniatis et. al., Molecular cloning: a laboratory manual (1982), der Reihe "Methods in Enzymology" anhand der Isolierung des Calmodulin-Gens in Hefe (vgl. Davis und Thorner, Methods in Enzymology, S. 248 bis 262, Anl. WW8), aus dem "Kurzen Lehrbuch der Biochemie für Mediziner und Naturwissenschaftler" für die industrielle Produktion von Human-Insulin (S. 118, Anl. WW14) und für die Klonierung von Endoglykosidase H in Escherichia coli aus den Aufsätzen HA1 und HA2.
Für diesen Weg war PNGase F aus Flavobacterium meningosepticum hinreichend zu isolieren, damit die Aminosäuresequenz dieses Proteins bestimmt werden konnte. Zur Bestimmung dieser Sequenz war dem Fachmann der Edman-Abbau bekannt. Insoweit konnte die Schwierigkeit auftreten, dass sich das Protein im nativen Zustand mit diesem Verfahren nicht ohne weiteres sequenzieren ließ, etwa weil die N-terminale Aminosäure wegen der räumlichen Faltung des Proteins für diesen Abbau nicht zugänglich oder anderweitig verschlossen war. Zur Überwindung dieser Hürde konnte der Fachmann das Protein auffalten oder mit Hilfe von Trypsin in mehrere Fragmente aufspalten, um zumindest einen Teil der Aminosäuresequenz zu bestimmen (SV-Gutachten S. 8), was nach den Ausführungen des Sachverständigen für das weitere Prozedere ausreichte. Da ein passendes Gen für das Flavobacterium meningosepticum nicht in einer DNA-Sequenzdatenbank bereits abgelegt war (vgl. gut-27 achterlich: Tarentino u.a., Journal of Biological Chemestry, 1990, S. 6961, 6963 r. Sp. Abs. 2, Anl. WW16), hatte der Fachmann für Teilsequenzen der Aminosäuresequenz DNA-Sonden zu synthetisieren, um das kodierende DNA-Fragment aus einer von dem Genom des Flavobacterium meningosepticum gewonnenen Genbank zu isolieren. Heute verwendete Techniken wie eine Polymerase-Kettenreaktion (PCR) gehörten zum Prioritätszeitpunkt insoweit noch nicht zu den Standardverfahren. Für die Genbank war die DNA zu zerstückeln und mittels Vektorplasmide beispielsweise in Escherichia coli-Klone zu transformieren (Streitpatent, Sp. 5 Abs. 29). Mithilfe der Sonden konnte sodann ein Klon detektiert werden, der das die PNGase F codierende Gen in dem Plasmid trägt. Schließlich galt es zu überprüfen, ob von dem Klon tatsächlich das gewünschte Protein produziert wird. Durch Bestimmung der DNA-Sequenz des Plasmids konnte zudem analytisch überprüft werden, ob diese die Aminosäuresequenz der PNGase F kodiert. Diese Techniken für die rekombinante Herstellung eines Proteins nebst den dazu gehörenden detaillierten Arbeitsvorschriften waren dem Fachmann sämtlich bekannt (SV-Gutachten S. 6).
d) Mit dem Auffinden der DNA-Sequenz hätte der Fachmann die mit dem Gegenstand des Streitpatents definierte Nukleotidsequenz ermittelt gehabt. Eine Veranlassung für die Ermittlung dieses Zwischenergebnisses hatte der Fachmann jedoch nur, wenn hinreichende Erfolgsaussichten für die Ermittlung dieser Sequenz und darüber hinaus auch dafür bestanden, damit PNGase F in einem anderen Wirtsorganismus frei von Endo F herstellen zu können, denn das Interesse des Fachmanns bezog sich nicht auf die wissenschaftliche Erkenntnis der Nukleotidsequenz, sondern auf die rekombinante Herstellung dieses Proteins.
Wann eine Erfolgsaussicht als hinreichend angesehen werden kann, um das Beschreiten eines möglicherweise zu dem gewünschten Ergebnis führen-29 den Weges als naheliegend ansehen zu können, hängt nicht allein von der Wahrscheinlichkeit des Erfolges ab. Maßgeblich ist vielmehr eine Gesamtbetrachtung, bei der die Dringlichkeit einer Lösung des technischen Problems und ihr zu erwartender technischer oder wirtschaftlicher Ertrag ebenso zu berücksichtigen sind wie Aufwand und Kosten der erforderlichen Arbeiten, das Fehlen von Alternativen, Art, Umfang und Auswirkungen von Schwierigkeiten, die auf dem zu beschreitenden Weg auftreten können, sowie schließlich das Risiko, dass solche Schwierigkeiten die Erreichung des Ziels erheblich erschweren oder gar das Ziel unerreichbar machen.
Unter Berücksichtigung aller Umstände konnte der Fachmann im Streitfall nicht von einer hinreichenden Erfolgsaussicht ausgehen.
Nach den Ausführungen des Sachverständigen gab es zwar bereits zum Prioritätszeitpunkt einige Anhaltspunkte, auf dem dargestellten Weg tatsächlich zu einem Klon für eine rekombinant heterologe Herstellung von PNGase F gelangen zu können, insbesondere weil solche Klonierungen bis dahin bereits mehrfach erfolgreich durchgeführt wurden. Gleichwohl waren dem Fachmann verschiedene Risiken bekannt, die zu einem Scheitern seiner Bemühungen führen konnten.
aa) So hätte sich herausstellen können, dass das herzustellende Protein PNGase F für den neuen Wirtsorganismus toxisch wirkt und damit jegliche Protein-Aktivität zum Erliegen gebracht hätte.
bb) Bei PNGase F fehlt grundsätzlich wie bei allen sekretierten Proteinen nach der Sekretion aus dem Flavobacterium meningosepticum eine Signalsequenz, die in der Regel 20 Aminosäuren und bei PNGase F 40 Aminosäuren lang ist. Diese Aminosäuren werden beim Transport durch die Zellmembran abgespalten. Wenn diese im Genom des Flavobacterium menin-31 gosepticum mitkodierte Signalsequenz nicht zu dem Transportapparat der Zellmembran des neuen Wirtsorganismus passte, konnte es zu einer Verstopfung dieses Apparats kommen, was den Metabolismus der Zelle und damit die Produktion des Proteins empfindlich stören würde (SV-Gutachten S. 7).
cc) Schließlich war nach den Ausführungen des Sachverständigen auch zu befürchten, dass das PNGase-F-Protein sich in einem neuen Wirtsorganismus nicht richtig falten und damit nicht die für eine Aktivität erforderliche dreidimensionale Struktur einnehmen würde. Die Expression des Proteins führte dann zu Einschlusskörperchen ("inclusion bodies") in der Zelle und nicht zu einer Sekretion und Gewinnung des Proteins.
e) Es kann offen bleiben, ob diese Risiken, die eine Gewinnung der PNGase F aus einem anderen Wirtsorganismus gänzlich ausschließen oder zu einem erheblichen Anteil hätten einschränken können, bereits für sich genommen so erheblich waren, dass der Fachmann den möglichen Weg zu einer rekombinant heterologen Herstellung von vorneherein als nicht oder nur wenig erfolgversprechend angesehen hätte.
Vielmehr hatte der Fachmann diese Risiken nicht allein für sich genommen zu bewerten, sondern musste sie im Hinblick auf den Zeitaufwand und die Mühen gewichten, die er für die Entwicklung eines Klons zur rekombinant heterologen Herstellung von PNGase F hätte investieren müssen. Der Privatgutachter der Beklagten hat hierzu ausgeführt, dass entsprechende Klonierungsvorhaben häufig einen signifikanten Anteil einer Dissertation dargestellt haben (Anl. NB11 S. 5 Abs. 3). Der gerichtliche Sachverständige hat dies bestätigt. Im Falle des Misserfolgs wäre damit nicht eine nur kurze Versuchsreihe, sondern ein erheblicher Zeitaufwand nebst Einbindung des Fachpersonals für zahlreiche Versuchsreihen vergeblich gewesen, die obendrein in ihrer konkreten Abfolge 35 auch nicht von Beginn an vorhersehbar waren. Dabei wiegt umso schwerer, dass die skizzierten Risiken für einen Misserfolg sich in der Regel erst gegen Ende des Vorhabens verwirklicht hätten. Die Durchführung einer so langwierigen, mit sich erst am Ende offenbarenden Risiken behafteten Versuchsreihe ließ das Vorhaben zu einer rekombinant heterologen Herstellung von PNGase F deshalb kaum als eine naheliegende Weiterentwicklung erscheinen.
Bei der Abwägung zwischen den Risiken, dem zu prognostizierenden Aufwand und den Erfolgschancen einer technischen Weiterentwicklung ist zudem zu berücksichtigen, in welchem Maße insbesondere nach dem Bedürfnissen des Absatzmarkts überhaupt eine Veranlassung bestand, einer Weiterentwicklung nachzugehen. Für den Fachmann bestand im Prioritätszeitpunkt kein besonderer Druck seitens der Abnehmer von PNGase F, ein vollständig von Endo F befreites Enzympräparat herstellen zu müssen. Wie ausgeführt, konnte mit dem in WW10 beschriebenen Verfahren ein für die meisten Anwendungsfälle taugliches Präparat hergestellt werden. Dem Bestreben, PNGase F kommerziell herstellen zu können, war damit im Wesentlichen Genüge getan. Jedenfalls angesichts dieser die Bedürfnisse der Abnehmer weitestgehend befriedigenden Herstellungssituation war von der Abwägung des Fachmanns, ob er sich einer technischen Weiterentwicklung widmen sollte, deshalb nicht zu erwarten, sich dem erheblichen Zeitaufwand für eine Versuchsreihe und den damit verbundenen Risiken zu stellen.
Das für eine rekombinant heterologe Herstellung von PNGase F erforderliche Zwischenergebnis in Form der Ermittlung der dieses Protein kodierenden Nukleotidsequenz hat daher nicht nahegelegen, womit der Gegenstand des Streitpatents auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. 38 IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG, § 91 ZPO.
Meier-Beck Grabinski Hoffmann Schuster Kober-Dehm Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 27.10.2010 - 3 Ni 43/08 (EU) - 40
BGH:
Urteil v. 29.10.2013
Az: X ZR 141/10
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