Verwaltungsgericht Köln:
Beschluss vom 21. Februar 2008
Aktenzeichen: 1 L 1849/07

(VG Köln: Beschluss v. 21.02.2008, Az.: 1 L 1849/07)

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage 1 K 5648/07 der Antragstelleringegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 03. Dezember 2007 wirdwiederhergestellt bzw. hinsichtlich der Zwangsmittelandrohung angeordnet.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag,

die aufschiebende Wirkung der Klage 1 K 5648/07 der Antragstellerin gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 03. Dezember 2007 wiederherzustellen bzw. hinsichtlich der Zwangsmittelandrohung anzuordnen,

hat Erfolg.

Die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ordnungsverfügung und dem privaten Interesse der Antragstellerin, von einer Vollziehung vorerst verschont zu bleiben, geht zu Lasten des Antragsgegners aus. Dabei ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass die Anfechtungsklage der Antragstellerin aller Voraussicht nach Erfolg haben wird, da die angefochtene Ordnungsverfügung im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt ihres Erlasses rechtswidrig war.

Dass vorliegend für die rechtliche Beurteilung auf den Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Ordnungsverfügung und nicht denjenigen der gerichtlichen Entscheidung abzustellen ist, ergibt sich aus Folgendem:

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts richtet sich der maßgebliche Zeitpunkt der Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts nicht nach dem Prozessrecht, sondern nach dem jeweiligen materiellen Recht. Im Zweifel gilt die Regel, dass bei der Anfechtung von Verwaltungsakten ohne Dauerwirkung die Sachlage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgebend ist, bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkung hingegen auch spätere Veränderungen bis zur gerichtlichen Entscheidung zu berücksichtigen sind,

BVerwG, Urteile vom 21. Mai 1976 - IV C 80.74 - , BverwGE 51, 15, (24), vom 28. Januar 1988 - 3 C 48/85 -, vom 27. April 1990 - 8 C 87/88 -, vom 27. Januar 1993 - 11 C 35/92 -, 14. Dezember 1994 - 11 C 25/93 - und vom 25. April 2001 - 6 C 6/00 -; Beschluss vom 23. November 1990 - 1 B 155/90 - .

Hiernach ist für die rechtliche Beurteilung der unter Ziffer 1. lit. e), f) und g) getroffenen Regelungen der Ordnungsverfügung vom 03. Dezember 2007 ohnehin auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung abzustellen, da insoweit schon keine Regelungen mit Dauerwirkung in Rede stehen. Vielmehr enthält die angefochtene Ordnungsverfügung insoweit Aufforderungen an die Antragstellerin (Werbung und Geräte zu entfernen bzw. Überlassungsverträge zu beenden) zu einer einmaligen Handlung. Diesen Handlungsaufforderungen fehlt die für einen Dauerverwaltungsakt typische, sich ständig neu aktualisierende Verpflichtung. Denn erfüllt die Antragstellerin durch eine einmalige Handlung die ihr auferlegte Verpflichtung, hat die Verfügung insoweit keinen vollstreckbaren Inhalt mehr.

Aber auch für die Beurteilung der Ordnungsverfügung im Übrigen ist auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen. Zwar handelt es sich bei der gegen die Antragstellerin unter Ziffer 1. lit. a), b), c) und d) verfügten Unterlassungsverpflichtung um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung,

vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 18. April 2007 - 4 B 1246/06 -,

jedoch ergibt sich vorliegend aus dem materiellen Recht, dass maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt auch insoweit der Zeitpunkt der Behördenentscheidung ist. Dies folgt bereits daraus, dass es sich bei der am 01. Januar 2008 in Kraft getretenen spezialgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 des Glücksspielstaatsvertrages (GlüStV) um eine Ermessensnorm handelt, nach der die zuständige Behörde insbesondere die Veranstaltung, Durchführung und Vermittlung unerlaubter Glücksspiele und die Werbung hierfür untersagen kann. Der Umstand, dass § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV entsprechende Ermessenserwägungen vom Antragsgegner bislang nicht angestellt worden sind (und auch nicht angestellt werden konnten), spricht bereits entscheidend gegen die Annahme der Möglichkeit eines "Hereinwachsens" der angefochtenen Ordnungsverfügung in das neue Recht.

Ferner handelt es sich bei einer auf § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV gestützten Verfügung um eine andersartige Maßnahme, da bei ihr - anders als bei der hier nach OBG erlassenen Verfügung - Widerspruch und Klage gemäß § 9 Abs. 2 GlüStV keine aufschiebende Wirkung haben.

Schließlich spricht gegen die Berücksichtigung der seit dem 01. Januar 2008 geltenden Rechtslage auch der Umstand, dass der Antragsgegner für den überwiegenden Teil der in der angefochtenen Ordnungsverfügung getroffenen Regelungen nicht mehr zuständig ist, wobei die Kammer davon ausgeht, dass die Antragstellerin die bei ihr getätigten Wetten auf elektronischem Weg an den Wettveranstalter J. nach Gibraltar übermittelt. Gemäß § 18 Abs. 2 Satz 1 lit. c) des Glücksspielstaatsvertrag Ausführungsgesetzes NRW (GlüStV-AG) ist die Bezirksregierung Düsseldorf landesweit zuständige Aufsichtsbehörde für die Überwachung und Untersagung von unerlaubten Glücksspielen (zu denen gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 GlüStV, § 14 Abs. 1 Satz 2 GlüStV-AG nicht mit staatlicher Erlaubnis vertriebene Sportwetten zählen) und der Werbung hierfür, soweit die unerlaubten Glücksspiele oder die Werbung hierfür über Telekommunikationsanlagen übermittelt werden. Gemäß Satz 2 der genannten Regelung bleibt § 1 Abs. 2 Telemedienzuständigkeitsgesetz hiervon unberührt, demzufolge die Bezirksregierung Düsseldorf für das gesamte Land Nordrhein- Westfalen zuständig ist für die Überwachung und Untersagung von Glücksspielen und der Werbung hierfür im Internet. Lediglich im Übrigen sind gemäß § 18 Abs. 3 GlüStV-AG die örtlichen Ordnungsbehörden zuständig.

Nach der Legaldefinition des § 3 Ziffer 23 des Telekommunikationsgesetzes (TKG) sind Telekommunikationsanlagen technische Einrichtungen oder Systeme, die als Nachrichten identifizierbare elektromagnetische oder optische Signale senden, übertragen, vermitteln, empfangen, steuern oder kontrollieren können,

vgl. Piepenbrock/Attendorn/Schuster/Wittern in: Beck`scher TKG-Kommentar, 03. Auflage, Rn. 46 zu § 3; Säcker in: Berliner Kommentar zum TKG, Rn. 37 zu § 3.

Dieser Begriff der "Telekommunikationsanlagen" ist auch vorliegend einschlägig, wie der Verweis in § 18 Abs. 2 Satz 2 GlüStV-AG auf § 1 Abs. 2 Telemedienzuständigkeitsgesetz belegt, das wiederum auf das Telemediengesetz verweist, nach dessen § 1 Abs. 3 das TKG unberührt bleibt. Damit ist ab dem 01. Januar 2008 - soweit die Antragstellerin bei ihr getätigte Wetten auf elektronischem Weg an den Wettveranstalter J. übermittelt - die Bezirksregierung Düsseldorf für die Untersagung von Sportwetten zuständig, da insoweit eine Übermittlung von unerlaubten Glücksspielen über Telekommunikationsanlagen im Sinne des § 18 Abs. 2 Satz 1 lit. c) GlüStV-AG (etwa bei einer Übermittlung über eine Standleitung) oder Glücksspiel im Internet im Sinne des § 1 Abs. 2 Telemedienzuständigkeitsgesetz in Rede steht.

In der Sache geht das Gericht zunächst davon aus, dass die Antragstellerin tatsächlich Sportwetten vermittelt und nicht lediglich eine "Strohmannfunktion" inne hat. Für letztere Annahme finden sich in den vom Antragsgegner vorgelegten Verwaltungsvorgängen keine Anhaltspunkte.

Die in der Ordnungsverfügung vom 03. Dezember 2007 ausgesprochene Untersagung der Vermittlung von Sportwetten an im EU-Ausland konzessionierte Wettveranstalter durch die Antragstellerin war nicht durch die vom Antragsgegner herangezogene - und nach dem oben Gesagten allein zu prüfende - Ermächtigungsgrundlage des § 14 Abs. 1 des Ordnungsbehördengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (OBG) gedeckt.

Zwar war die Vorschrift des § 14 OBG dem Grunde nach anwendbar und insbesondere nicht durch § 15 Abs. 2 der Gewerbeordnung (GewO) verdrängt.

Vgl. die ständige Rechtsprechung der Kammer, u.a. Beschluss vom 12. September 2002 - 1 L 1610/02 -.

Jedoch lagen die Voraussetzungen des § 14 OBG - soweit eine Vermittlung von Sportwetten an im EU-Ausland konzessionierte Wettveranstalter in Rede steht - nicht vor.

Nach dieser Vorschrift können die Ordnungsbehörden die notwendigen Maßnah- men treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Von einem Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit wäre dann auszugehen gewesen, wenn sich die Vermittlung von Sportwetten für die auf Gibraltar ansässige Firma J. durch die Antragstellerin als täterschaftlich begangene unerlaubte Veranstaltung von Glücksspiel gemäß § 284 Abs. 1 StGB bzw. Beihilfe hierzu, § 27 Abs. 1 StGB, oder Werbung für unerlaubtes Glücksspiel gemäß § 284 Abs. 4 StGB dargestellt hätte.

Dies war indes nicht der Fall.

Zwar sind Sportwetten der in Rede stehenden Art nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - der die Kammer in ständiger Rechtsprechung folgt - als Glücksspiel anzusehen, da der Erfolg zumindest überwiegend vom Zufall abhängt.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 28. März 2001 - 6 C 2.01 - GewArch. 2001, S. 334 und vom 21. Juni 2006 - 6 C 19.06 -, GewArch 2006, 412.

Auch verfügte weder die Antragstellerin noch die Firma J. über eine Zulassung als Wettunternehmer nach nordrheinwestfälischem Landesrecht. Die Erteilung einer solchen war auch nicht möglich, da sie nach § 1 Sportwettengesetz NRW ausschließlich juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder solchen juristischen Personen des Privatrechts vorbehalten war, deren Anteile überwiegend juristischen Personen des öffentlichen Rechts gehörten.

Auch waren die von der Antragstellerin vermittelten Sportwetten nicht nur im EU- Ausland, sondern auch in NRW veranstaltet worden, da Ort der Begehung einer Straftat im Sinne von § 9 StGB jeder Ort ist, an dem irgendein Teil des strafbaren Tatbestandes verwirklicht worden ist

- vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 13. Dezember 2002 - 4 B 1844/02 -

und die Antragstellerin als Vermittlerin der in Gibraltar ansässigen Firma J. in ihrem Betrieb in Köln Vorkehrungen getroffen hatte, um den Abschluss von Sportwettenverträgen zu bewirken.

Dies alles bedarf jedoch keiner Vertiefung, da der Annahme einer täterschaftlichen Begehung des § 284 Abs. 1 StGB durch die Antragstellerin bzw. einer Beihilfe zur unerlaubten Veranstaltung von Glücksspiel gemäß § 27 Abs. 1 StGB entgegen steht, dass das staatliche Sportwettenmonopol in seiner damaligen Ausgestaltung gegen die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit gemäß Artt. 43 und 49 EG-Vertrag verstieß. Wegen des Anwendungsvorranges des europäischen Gemeinschaftsrechts führte dies zur Unanwendbarkeit von § 284 Abs. 1, § 27 StGB i.V.m. § 1 Sportwettengesetz.

Vgl. auch VG Arnsberg, Beschluss vom 23. Mai 2006 - 1 L 379/06 -; VG Minden, Beschluss vom 26. Mai 2006 - 3 L 249/06 -.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden,

vgl. Urteil vom 06. November 2003 - Rs. C- 243/01 - (Gambelli), Slg. 2003, S I-13031, Rn. 48f, 59 f, 65, 72, 75; ebenso Urteil vom 06. März 2007 - verb.Rs. C-338/04, C-359/04 und C-360/04 - (Placanica u.a.),

dass nationale Regelungen, die strafbewehrte Verbote des Sammelns, der Annahme und der Übertragung von Sportwetten enthalten, Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des Dienstleistungsverkehrs darstellen, wenn der betreffende Mitgliedstaat keine Genehmigungen erteilt. Die Beschränkungen müssen aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt und geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, und dürfen nicht über das zur Zielerreichung erforderliche Maß hinausgehen. Zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, die derartige Beschränkungen rechtfertigen könnten, gehöre u.a. die Vermeidung von Anreizen zu überhöhten Ausgaben für das Spielen. Unverhältnismäßig könnten strafrechtliche Sanktionen sein, wenn staatlich zugelassene nationale Einrichtungen zur Teilnahme an Sportwetten ermutigten.

Letzteres war vorliegend der Fall.

Das Bundesverfassungsgericht

- vgl. Urteil vom 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01 - , NJW 2006, 1261 - und Beschluss vom 2. August 2006 - 1 BvR 2677/04 -

hat die bayerischen Vorschriften zum staatlichen Sportwettenmonopol und auch die entsprechenden Vorschriften des nordrheinwestfälischen Sportwettengesetzes in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung - insbesondere weil sie eine effektive Suchtbekämpfung nicht sicherstellten - als unverhältnismäßigen Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschützte Berufsfreiheit gewürdigt und bestätigt, dass die Unverhältnismäßigkeit der tatsächlichen Ausgestaltung des staatlichen Wettmonopols auch den Ausschluss der Vermittlung privater Wetten erfasst. Es hat hierbei ausdrücklich hervorgehoben, dass die Anforderungen des deutschen Verfassungsrechts parallel zu den vom Europäischen Gerichtshof zum Gemeinschaftsrecht formulierten Vorgaben laufen bzw. die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts denen des Grundgesetzes entsprechen (Rn. 144). Damit implizierte seine verfassungsrechtliche Würdigung zwingend die Wertung, dass das bayerische und das nordrhein- westfälische Sportwettenmonopol auch gegen Artt. 43 und 49 EG-Vertrag verstießen. Soweit das BVerfG ausgeführt hat, dass die frühere Rechtslage während einer bis zum 31. Dezember 2007 andauernden Übergangszeit, in der das Sportwettenrecht im Einklang mit dem Grundgesetz neu zu regeln war, weiterhin anwendbar bleibe und die private Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten weiterhin als verboten angesehen und ordnungsrechtlich unterbunden werden dürfe, steht dies der Annahme eines Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht nicht entgegen, da es an einer vergleichbaren europarechtlichen Übergangsregelung fehlt und im Widerspruch zu unmittelbar geltendem EG-Recht stehendes nationales Recht wegen des Anwendungsvorranges von EG-Recht nicht angewendet werden darf.

Vgl. EuGH, Urteil vom 09. März 1978 - Rs. 106- 77 - (Simmenthal), Slg. 1978, 629, Leitsatz 3; VG Arnsberg, a.a.O..

Hierdurch wird die vom Bundesverfassungsgericht angeordnete Übergangsregelung nicht unterlaufen, da das Bundesverfassungsgericht in der genannten Entscheidung ausdrücklich festgestellt hat, es sei zur Beantwortung der Frage der Vereinbarkeit einer innerstaatlichen Norm des einfachen Rechts mit Bestimmungen des europäischen Gemeinschaftsrechts nicht zuständig (Rdnr. 77). Es kann daher nicht angenommen werden, dass das Bundesverfassungsgericht mit der Übergangsregelung konkludent zum Ausdruck bringen wollte, dass das staatliche Wettmonopol europarechtskonform sei.

So aber Schmid, Gew Arch 2006, 177, 179.

Dies erscheint auch deshalb ausgeschlossen, weil das Bundesverfassungsgericht inhaltlich - wie oben bereits ausgeführt - von "parallelen Anforderungen" des Grundgesetzes und des Gemeinschaftsrechts ausgeht, weshalb bei Zugrundelegung seiner Auffassung alles dafür spricht, dass das staatliche Wettmonopol auch als europarechtswidrig angesehen werden muss. Der Hinweis des Bundesverfassungsgerichts auf die Zulässigkeit der ordnungsrechtlichen Unterbindung privater Sportwetten in der Übergangszeit ist daher so zu verstehen, dass er ohne Prüfung bzw. vorbehaltlich entgegenstehenden Gemeinschaftsrechts ergangen ist.

Der Umstand, dass die Westdeutsche Lotterie GmbH & Co. OHG auf Veranlassung des Innenministeriums NRW zwischenzeitlich um eine den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entsprechende tatsächliche Ausgestaltung des staatlichen Wettmonopols bemüht war,

siehe Anschreiben des Innenministeriums an die Geschäftsführung der Westdeutschen Lotterie GmbH & Co. OHG vom 19. April 2006,

konnte an dem festgestellten Verstoß gegen europäisches Gemeinschaftsrecht nichts ändern, da rein tatsächliche Änderungen der Sportwettenpraxis der staatlichen Wettunternehmen zur Beseitigung des Gemeinschaftsrechtsverstoßes nicht ausreichend sind, sondern es darüber hinaus auch einer den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben entsprechenden rechtlichen Ausgestaltung des staatlichen Wettmonopols bedarf, die im maßgeblichen Zeitpunkt noch nicht erfolgt war.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 28. Juni 2006 - 4 B 961/06 - und vom 8. November 2006 - 4 B 1653/06 -.

Aus alldem folgt, dass angesichts des - unmittelbar eingreifenden - Anwendungsvorranges des Gemeinschaftsrechts im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt von einem Verstoß der Antragstellerin gegen §§ 284, 25, 27 StGB bzw. gegen § 1 Sportwettengesetz nicht ausgegangen werden konnte, soweit es um die Vermittlung von Sportwetten an im EU-Ausland konzessionierte Wettveranstalter ging. Die Frage einer Verwirklichung des Straftatbestandes kann sich erst dann stellen, wenn die Zulassung einer Veranstaltung von Sportwetten im Einklang mit den Grundsätzen des europäischen Gemeinschaftsrechts geregelt worden ist.

Vgl. HessVGH, Beschluss vom 9. Februar 2004 - 11 TG 3060/03 -, GewArch 2004, 153.

Soweit das OVG NRW in den - in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen - zitierten Beschlüssen für den vorliegenden Kontext diesen Anwendungsvorrang im Hinblick auf eine ansonsten entstehende inakzeptable Gesetzeslücke begrenzen will mit der Folge, dass die Vorschriften der §§ 284 f. StGB und des Sportwettengesetzes NRW auch vor dem Hintergrund der genannten europarechtlichen Vorschriften nach denselben (zeitlichen wie materiellen) Maßgaben vorübergehend anwendbar bleiben sollen, wie es das Bundesverfassungsgericht unter dem Gesichtspunkt des Grundrechts der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) im Ergebnis für das bayerische Recht angenommen hat, vermag sich die Kammer dem nicht anzuschließen.

Eine derartige Ausnahme vom Grundsatz des Anwendungsvorranges ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) bislang nicht anerkannt. Die insoweit zur Rechtfertigung vom OVG NRW allein herangezogene Entscheidung des EuGH,

Urteil vom 30. April 1996 - Rs. C-194/94 - (CIA Security International), Slg. 1996, I-2201, Rdn. 52f.,

ist nicht einschlägig; sie betrifft einen anderen Sachverhalt und enthält keine Ausführungen zur Frage einer Durchbrechung des Anwendungsvorranges.

Darüber hinaus hat die Kammer gegen die Annahme einer - und sei es nur temporären - Durchbrechung des Anwendungsvorranges der Artt. 43 und 49 EGV auch deshalb Bedenken, weil dies keine Auslegung des Inhalts der genannten Bestimmungen mehr darstellt, sondern auf eine Unwirksamkeitserklärung dieser unmittelbar geltenden gemeinschaftsrechtlichen Normen - für den Bereich der Sportwetten - hinausläuft. Nationale Gerichte sind jedoch nur befugt, Gültigkeitsfragen hinsichtlich entscheidungserheblicher Gemeinschaftsnormen positiv zu beantworten, sie sind hingegen nicht berechtigt, diese für ungültig zu erklären, sondern müssen in solchen Fällen zwingend das Verfahren aussetzen und dem Gerichtshof ein Ersuchen um Vorabentscheidung über die Gültigkeit der Norm vorlegen,

vgl. EuGH, Urteile vom 22. Oktober 1987 - Rs. 314/85 - (Foto-Frost), Slg. 1987, 4199, Rdnr. 15 und vom 10. Januar 2006 - Rs. C-344/04 -, Rdnr. 22 ff., Ehricke in: Streinz, EUV/EGV, 2003, EGV Art. 234 Rdnr. 42.

Dementsprechend hat der EuGH

Urteil vom 27. März 1980 - Rs. 61/79 - , Slg. 1980, I-1205 (1224), Rdn. 18

bereits ausgeführt: "Aus dem grundlegenden Erfordernis, dass das Gemeinschaftsrecht in allen Fällen einheitlich anzuwenden ist, folgt, dass es allein Sache des Gerichtshofes ist, darüber zu entscheiden, ob die Geltung der von ihm vorgenommenen Auslegung in zeitlicher Hinsicht eingeschränkt werden soll."

Hinsichtlich der vom OVG NRW für eine temporäre Durchbrechung des Anwendungsvorranges geforderten inakzeptablen Gesetzeslücke ist für die Kammer auch nicht erkennbar, dass eine solche im maßgeblichen Zeitpunkt vorgelegen hätte.

Hierfür will das OVG NRW im Anschluss an Jarass/Beljin,

in: NVwZ 2004, 1, 5,

hohe Anforderungen stellen, welche u.a. dann erfüllt sein sollen, wenn aus der Nichtanwendung des nationalen Rechts absehbar eine Gefährdung wichtiger Allgemeininteressen resultiere, diese Gefährdung ersichtlich schwerer wiege als die Beeinträchtigung der durch die jeweils verletzte europarechtliche Vorschrift geschützten Rechtsgüter und schließlich die Gefährdung der wichtigen Allgemeininteressen nicht anders abgewendet werden könne als durch eine zeitlich begrenzte weitere Anwendung der betroffenen nationalen Rechtsvorschriften. Seien diese Voraussetzungen erfüllt, werde man den Anwendungsvorrang so lange als suspendiert betrachten müssen, bis der nationale Gesetzgeber hinreichend Gelegenheit gehabt habe, den fraglichen Lebensbereich gemeinschaftsrechtskonform zu regeln, wobei im Rahmen des Vollzugs des danach vorübergehend weiter anwendbaren nationalen Rechts die Organe des Mitgliedstaates jedoch regelmäßig sicherzustellen hätten, dass den Anforderungen der verletzten Norm des Gemeinschaftsrechts so weit wie möglich Rechnung getragen werde.

Dass diese hohen Anforderungen erfüllt gewesen wären, ist nicht ersichtlich.

Insbesondere ist nicht ersichtlich, weshalb die angesprochenen wichtigen Allgemeininteressen (Eindämmung der Spielsucht, Gewährleistung hinreichenden Verbraucherschutzes im Glücksspielbereich, präventive Bekämpfung der dort drohenden Begleit- und Folgekriminalität) durch die sofortige Nichtanwendbarkeit der das staatliche Sportwettenmonopol in Nordrhein-Westfalen begründenden Normen im Übergangszeitraum bis längstens Ende 2007 gefährdet gewesen sein sollten. Insoweit ist darauf zu verweisen, dass zum einen die staatlichen Wettunternehmen in der Vergangenheit jedenfalls bis April 2006 massiv für sich geworben und gerade nicht die Wettsucht bekämpft haben. Zum anderen sind private Wettanbieter, die ihrerseits ebenfalls offensiv geworben haben, teilweise jahrelang - im Hinblick auf die beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahren - geduldet worden.

Es ist für die Kammer schon nicht erkennbar (und auch vom OVG NRW in den zitierten Beschlüssen nicht belegt), dass es dabei bislang zu unerträglichen Konsequenzen gekommen wäre, etwa weil die Spielsucht in gefährlicher Weise zugenommen hätte oder der Verbraucherschutz nicht gewährleistet gewesen wäre. Der bloße Umstand, dass angesichts der starken Zunahme privater Wettanbieter nach einer - gegebenenfalls erfolgenden verfassungs- und europarechtskonformen - Neuregelung des staatlichen Wettmonopols auf die Ordnungsbehörden vermehrter Arbeitsanfall zukommen kann, kann jedenfalls nicht als Gefährdung wichtiger Allgemeininteressen qualifiziert werden. Insofern ist nicht nachvollziehbar, welche unerträglichen Konsequenzen durch die Nichtanwendung der europarechtswidrigen Normen im Übergangszeitraum von knapp einem Monat - bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt - hätten eintreten sollen,

vgl. auch Urteile der Kammer vom 06. Juli 2006 - 1 K 3679/05 - und - 1 K 9196/04 -.

Soweit das OVG NRW in diesem Zusammenhang darauf verweist, bei sofortiger Nichtanwendbarkeit der das staatliche Wettmonopol begründenden Normen unterlägen die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten allein den Schranken des allgemeinen Gewerberechts, welches zur Eindämmung der spezifischen Gefahren des Glücksspiels, insbesondere der Eindämmung der Spielsucht, keine hinreichenden Instrumente zur Verfügung stelle, vermag dies nicht zu überzeugen. Denn insoweit stünde bei Zugrundelegung der vom OVG NRW angenommenen konkreten Gefahr die Ausbeutung von Willensschwachen in Rede und damit ein klassischer Fall der Unzuverlässigkeit im Sinne der §§ 4 Abs. 1 Ziff. 1 des Gaststättengesetzes bzw. des § 35 Abs. 1 GewO.

Soweit der Antragsgegner der Antragstellerin in der angegriffenen Ordnungsverfügung durch das - umfassende - Verbot der Vermittlung von Sportwetten an nicht nach § 1 SportwettenG NRW zugelassene Veranstalter sinngemäß auch eine Vermittlung von Sportwetten an Wettveranstalter untersagt hat, die über eine von den Gewerbebehörden der DDR vor der Wiedervereinigung erteilte Genehmigung zur Veranstaltung von Sportwetten verfügen, war dies ebenfalls rechtswidrig. Zwar hatte die Kammer entschieden, dass eine Vermittlung von Sportwetten für derartige Veranstalter wegen des fehlenden Gemeinschaftsrechtsbezuges im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 ordnungsrechtlich untersagt werden durfte.

Vgl. u.a. Urteil der Kammer vom 22. Juni 2006 - 1 K 2231/04 -.

Jedoch fehlte es für die vorliegende Untersagung der Vermittlung von Sportwetten für Veranstalter mit "DDR-Erlaubnis" an der ordnungsrechtlich zu beachtenden Erforderlichkeit, weil die Antragstellerin ausschließlich Sportwetten für EU-Veranstalter zu vermitteln beabsichtigt und angesichts des Umstandes, dass ihr dies - wie oben ausgeführt - auch erlaubt war, nicht zu erwarten war, dass sie auf eine Vermittlung von Sportwetten an Wettunternehmen mit "DDR-Erlaubnis" ausweichen würde.

War die Untersagung der Vermittlung von Sportwetten rechtswidrig, so gilt Gleiches für die damit im Zusammenhang stehenden Regelungen unter Ziffer 1 b bis g sowie Ziffer 3 der angegriffenen Ordnungsverfügung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG. Dabei orientiert sich die Kammer an der Streitwertpraxis des OVG NRW (Beschluss vom 28. Juni 2006 - 4 B 961/06 -).






VG Köln:
Beschluss v. 21.02.2008
Az: 1 L 1849/07


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