Bundespatentgericht:
Beschluss vom 27. November 2002
Aktenzeichen: 19 W (pat) 11/01

(BPatG: Beschluss v. 27.11.2002, Az.: 19 W (pat) 11/01)

Tenor

Auf die Beschwerde wird der Beschluß der Prüfungsstelle für Klasse B 61 L des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 6. Dezember 2000 aufgehoben und das Patent erteilt.

Bezeichnung: Verfahren und Anordnung zur Überwachung des Fahrdrahtes einer Fahrtstrecke für elektrisch antreibbare Schienenfahrzeuge.

Anmeldetag: 25. August 1999 Der Erteilung liegen folgende Unterlagen zugrunde:

Patentansprüche 1 und 16, sowie Beschreibungsseiten 3, ergänzt durch 3a, und 14, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 27. November 2002, weitere Patentansprüche, Beschreibungsseiten und Zeichnungen wie Anmeldeunterlagen.

Gründe

I Das Deutsche Patent- und Markenamt - Prüfungsstelle für Klasse B 61 L - hat die am 25. August 1999 eingereichte Anmeldung durch Beschluß vom 6. Dezember 2000 mit der Begründung zurückgewiesen, daß der Fachmann nicht erfinderisch tätig werden müsse, um angesichts des Standes der Technik zum Anmeldungsgegenstand zu gelangen.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Anmelderin. Sie hat in der mündlichen Verhandlung neue Unterlagen vorgelegt und beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

Patentansprüche 1 und 16, sowie Beschreibungsseiten 3, ergänzt durch 3a, und 14, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 27. November 2002, weitere Patentansprüche, Beschreibungsseiten und Zeichnungen wie Anmeldeunterlagen.

Der geltende Patentanspruch 1 lautet:

"Verfahren zur Überwachung des Fahrdrahtes einer Fahrstrecke für elektrisch antreibbare Schienenfahrzeuge, wobei der Fahrdraht auf Fremdkörper überwacht wird und bei Erkennen eines Fremdkörpers ein Signal an ein die Fahrstrecke passierendes Schienenfahrzeug gegeben wird, bei dem der Fahrdraht (14) vor dem Schienenfahrzeug (10) von einer schienenfahrzeugfesten Bildaufzeichnungseinheit (20) erfaßt, momentane Bildaufnahmen mit aufgenommenen und abgespeicherten erwarteten Bildaufnahmen verglichen werden und bei Abweichung der momentanen Bildaufnahme von der erwarteten Bildaufnahme ein Antrieb (56) wenigstens eines Stromabnehmers (14) des Schienenfahrzeuges (10) zum Abbügeln aktiviert wird."

Mit den Merkmalen dieses Anspruchs soll die Aufgabe gelöst werden, ein Verfahren zu schaffen, mit dem in einfacher und sicherer Weise am Fahrdraht sich befindende Gegenstände erkannt werden können (S 3 Abs 2 der geltenden Beschreibung).

Die Anmelderin vertritt die Ansicht, beim anspruchsgemäßen Verfahren komme es darauf an, daß ein Vergleich einer momentanen Bildaufnahme mit einer erwarteten Bildaufnahme erfolge. Die erwarteten Bildaufnahmen könnten beispielsweise während einer Meßfahrt eines entsprechend ausgestatteten Schienenfahrzeuges aufgenommen und gespeichert werden. Ein derartiges Verfahren sei im Stand der Technik nicht bekannt. Die anspruchsgemäße Lösung sei daher neu und beruhe auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II Die Beschwerde ist zulässig und hat mit dem geänderten Patentbegehren Erfolg, weil das Verfahren zur Überwachung des Fahrdrahtes einer Fahrstrecke für elektrisch antreibbare Schienenfahrzeuge nach dem Patentanspruch 1 patentfähig ist.

Das Verfahren des Patentanspruchs 1 ergibt sich aus dem ursprünglichen Patentanspruch 1 in Verbindung mit Seite 4 Zeilen 45 bis 47 und 63 bis 64 der Offenlegungsschrift, die hier mit den ursprünglichen Unterlagen übereinstimmt.

1. Neuheit Das Verfahren zur Überwachung des Fahrdrahtes des Patentanspruchs 1 ist neu, da aus keiner der im Prüfungsverfahren entgegengehaltenen Druckschriften ein Verfahren bekannt ist, das alle im Patentanspruch 1 angegebenen Merkmale und Maßnahmen aufweist.

Aus der deutschen Patentschrift 195 38 022 ist in Übereinstimmung mit dem Anspruchsgegenstand ein Verfahren zur Überwachung einer Fahrstrecke für Schienenfahrzeuge auf vorhandene Hindernisse bekannt (Sp 1 Z 3 bis 6, Sp 2 Z 48 bis 51). Bei Erkennen eines Fremdkörpers wird ein Signal an ein die Fahrstrecke passierendes Schienenfahrzeug gegeben (Sp 2 Z 66 bis Sp 3 Z 5 und Patentanspruch 5). Die Fahrstrecke vor dem Schienenfahrzeug wird von einer schienenfahrzeugfesten Bildaufzeichnungseinheit (2) erfaßt (Fig iVm Sp 2 Z 20 bis 24, Sp 3 Z 12 bis 16, Z 22 bis 27). Momentane Bildaufnahmen werden von einer Bildverarbeitungs- und Bildauswerteeinrichtung mittels herkömmlicher Bild- und Musterverarbeitungsverfahren analysiert, so daß Hindernisse oder Signalanlagen erkannt werden können, dh die momentanen Bildaufnahmen werden mit erwarteten Bildaufnahmen verglichen (Sp 3 Z 16 bis 21, 28 bis 35). Bei Abweichungen der momentanen Bildaufnahme von der erwarteten Bildaufnahme wird die Bewegung des Schienenfahrzeugs entsprechend gesteuert (Sp 3 Z 2 bis 5, 22 bis 32).

Im Vergleich zum anspruchsgemäßen Verfahren ist beim bekannten Verfahren keine Überwachung des Fahrdrahtes für elektrisch betriebene Schienenfahrzeuge auf Fremdkörper angesprochen, so daß der Fahrdraht vor dem Schienenfahrzeug auch nicht von der schienenfahrzeugfesten Bildaufzeichnungseinheit erfaßt wird. Da elektrisch betriebene Schienenfahrzeuge nicht besonders genannt sind, aktiviert die bekannte Steuerung bei Erkennen eines Hindernisses auch keinen Antrieb wenigstens eines Stromabnehmers des Schienenfahrzeuges zum Abbügeln. Bei der bekannten Bildauswertung erfolgt auch kein Vergleich der momentanen Bildaufnahme mit aufgenommenen und abgespeicherten Bildaufnahmen, da dort nur die momentanen Bilder ausgewertet werden.

Aus der deutschen Offenlegungsschrift 196 21 612 ist ein Verfahren zur Überwachung von statischen Raumbereichen auf Fremdobjekte bekannt (Sp 1 Z 3 bis 12). Hierzu wird ein Referenzbild aufgenommen, das den Raum in seinem Normalzustand abbildet (Sp 1 Z 40 bis 42). Das Referenzbild wird als erwartete Bildaufnahme mit den momentanen Bildaufnahmen einer ortsfesten Bildaufzeichnungseinheit verglichen (Sp 1 Z 13 bis 18, Z 42 bis 46). Bei diesem bekannten Überwachungsverfahren sind demnach keine Schienenfahrzeuge und die damit zusammenhängenden Merkmale und Verfahrensmaßnahmen angesprochen. Da die Bildaufzeichnungseinheit einen festen Ort, also ein statisches Hintergrundbild erfaßt, erfolgt auch kein Vergleich der momentanen Bildaufnahmen mit aufgenommenen und abgespeicherten erwarteten Bildaufnahmen, die unterschiedliche Orte zeigen, wie beim anspruchsgemäßen Verfahren, bei dem die Bildaufzeichnungseinheit auf dem fahrenden Schienenfahrzeug angeordnet ist.

Die weitere noch im Verfahren befindliche, in der mündlichen Verhandlung jedoch weder von der Anmelderin noch vom Senat aufgegriffene deutsche Patentschrift 196 34 060 geht über den vorstehend abgehandelten Stand der Technik nicht hinaus und bringt auch keine neuen Gesichtspunkte, so daß auf sie nicht eingegangen zu werden braucht.

2. Erfinderische Tätigkeit Das Verfahren zur Überwachung des Fahrdrahtes des Patentanspruchs 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Als Fachmann ist bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ein Informatiker mit Fachhochschulabschluß anzusehen, der auf dem Gebiet der Entwicklung von Steuerungssystemen für Schienenfahrzeuge arbeitet und mit einem herkömmlichen Bild- und Musterverarbeitungsverfahren vertraut ist, wie es zum Beispiel aus der deutschen Offenlegungsschrift 196 21 612 bekannt ist.

Ausgehend von dem Verfahren zur Überwachung einer Fahrstrecke für Schienenfahrzeuge, wie es in der deutschen Patentschrift 195 38 022 angesprochen ist, stellt sich dem Fachmann in der Praxis die Aufgabe, das Verfahren insbesondere auf Fahrstrecken für elektrisch antreibbare Schienenfahrzeuge anzuwenden. Denn dieser wird stets bestrebt sein, den Anwendungsbereich des bekannten Verfahrens zu erweitern und das Verfahren an die entstehenden Anforderungen anzupassen. Hierdurch kann der kommerzielle Erfolg eines derartigen Überwachungsverfahren sichergestellt und verbessert werden.

Zur Lösung dieser Aufgabe wird der Fachmann ohne weiteres daran denken, auch den Fahrdraht für die elektrisch antreibbaren Schienenfahrzeuge auf Fremdkörper zu überwachen. Es ergibt sich für ihn dann von selbst, daß er den Fahrdraht vor dem Schienenfahrzeug, den er überwachen will, mit der schienenfahrzeugfesten Bildaufzeichnungseinheit erfaßt. Er mag auch daran denken, den Antrieb wenigstens eines Stromabnehmers des Schienenfahrzeugs zum Abbügeln zu aktivieren, wenn durch die Bildverarbeitungseinheit ein Fremdkörper am Fahrdraht erkannt wird, um größere Schäden durch das Aufeinandertreffen von Stromabnehmer und Fremdkörper zu vermeiden. Denn ihm ist bekannt, daß der Bremsweg eines Schienenfahrzeuges sehr lang ist, der Stromabnehmer jedoch viel schneller abgebügelt werden kann.

Die Erfinder haben nun erkannt, daß sie zur einfachen und sicheren Erkennung von Fremdkörpern am Fahrdraht das bekannte Bildverarbeitungsverfahren in der Weise ändern müssen, daß momentane Bildaufnahmen mit aufgenommenen und gespeicherten erwarteten Bildaufnahmen verglichen werden, wie es im einzelnen im Patentanspruch 1 angegeben ist. Für diese Vorgehensweise gibt es für den Fachmann im Stand der Technik keine Hinweise. Denn beim nächstliegenden Verfahren nach der deutschen Patentschrift 195 38 022 erfolgt eine Verarbeitung lediglich der momentanen Bildaufnahmen, während bei dem Verfahren nach der deutschen Offenlegungsschrift 196 21 612 lediglich ein Standbild als erwartete Bildaufnahme aufgenommen und gespeichert wird, das mit momentanen Bildaufnahmen verglichen wird, und somit für den Fall einer schienenfahrzeugfesten Bildaufzeichnungseinheit untauglich ist. Es bedarf somit erfinderischer Überlegungen, um zum Verfahren des Patentanspruchs 1 zu gelangen.

3. Zusammen mit dem Patentanspruch 1 sind auch die auf diesen rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 23 gewährbar. Patentanspruch 16 betrifft eine Anordnung, zu der aufgrund der Bezugnahme auf einen der Patentansprüche 1 bis 15 die dort enthaltenen Vorrichtungsmerkmale gehören (vgl BPatGE 41, 112, 118). Seine Patentfähigkeit ist bereits durch den in Bezug genommenen Patentanspruch 1 gegeben. Die Patentansprüche 17 bis 23 betreffen jeweils eine nicht selbstverständliche zweckmäßige Ausgestaltung der Anordnung nach Patentanspruch 16.

Dr. Kellerer Schmöger Dr. Mayer Dr. Kaminski Fa






BPatG:
Beschluss v. 27.11.2002
Az: 19 W (pat) 11/01


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/b47d0e5b91d7/BPatG_Beschluss_vom_27-November-2002_Az_19-W-pat-11-01




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share