Niedersächsisches Finanzgericht:
Urteil vom 11. Februar 2010
Aktenzeichen: 6 K 406/08
(Niedersächsisches FG: Urteil v. 11.02.2010, Az.: 6 K 406/08)
Tatbestand
Die Klägerin ist eine geschäftsleitende Holding, die Tochterkapitalgesellschaften im In- und Ausland unterhält. Streitig ist, ob Verluste, die zwei Tochtergesellschaften mit Geschäftsleitung und Sitz jeweils in Italien (X und Y) aus ihrer Geschäftstätigkeit in Italien erlitten haben, von dem inländischen zu versteuernden Einkommen der Streitjahre abzugsfähig sind.
Die Klägerin leistete in den Streitjahren (2002 - 2005) Zahlungen an ihre italienischen Tochtergesellschaften in Höhe von € €, die sie zunächst teilweise als Anschaffungskosten der Beteiligung und im Übrigen als Darlehen aktivierte. € Soweit zunächst Gesellschafterdarlehen gewährt wurden, wandelte die Klägerin diese in den Jahren 2003 - 2006 im Wege des Darlehensverzichts in Eigenkapital der Tochtergesellschaften um. €
Im Jahr 2005 nahm die Klägerin eine Teilwertabschreibung auf die Beteiligung an der Y in Höhe von € € vor, die gemäß § 8 b Abs. 3 Körperschaftsteuergesetz (KStG) das Einkommen der Klägerin nicht gemindert hat. Weitere Teilwertabschreibungen auf die Beteiligungen an den Tochtergesellschaften nahm die Klägerin im Zeitraum von 2006 - 2009 vor. ...
Die Klägerin wurde für die Streitjahre zunächst erklärungsgemäß zur Körperschaftsteuer veranlagt. Die Steuerfestsetzungen erfolgten unter Vorbehalt der Nachprüfung. Mit Schreiben vom 15. August 2007 beantragte sie, ihr Einkommen in den Veranlagungsjahren 2002 bis 2005 um die in diesen Jahren erlittenen - und nach ihren Angaben nach deutschem Steuerrecht ermittelten - Verluste der italienischen Tochtergesellschaften in Höhe von insgesamt € € zu kürzen.
Zur Begründung ihres Antrags führte die Klägerin aus, sie habe im Jahr 2002 zwei italienische Tochtergesellschaften gegründet, die bis zur Einstellung ihres Betriebs im Jahr 2006 fortlaufend Verluste erlitten hätten. Im Rahmen einer faktischen Organschaft habe sie sämtliche Verluste der Tochtergesellschaften übernommen. Da nach italienischem Gesellschaftsrecht kein Gewinnabführungsvertrag abgeschlossen werden könne, habe eine steuerrechtliche Organschaft nicht begründet werden können. Der vom deutschen Körperschaftsteuerrecht geforderte doppelte Inlandsbezug und die unerfüllbare Voraussetzung eines zivilrechtlich wirksamen Gewinnabführungsvertrages verstießen gegen das Diskriminierungsverbot und die Niederlassungsfreiheit. Aufgrund des Anwendungsvorrangs europäischen Rechts sei § 14 KStG so anzuwenden, als ob die beschränkenden Tatbestandsmerkmale (doppelter Inlandsbezug und Gewinnabführungsvertrag) nicht vorhanden wären. Infolge der faktischen Organschaft seien die nach deutschem Steuerrecht ermittelten Verluste der italienischen Tochtergesellschaften vom steuerpflichtigen Einkommen der Klägerin abzuzielen. Der Verlustabzug müsse phasengleich im jeweiligen Verlustentstehungszeitraum erfolgen, da Verluste der Organgesellschaften dem Organträger nach nationalem Recht phasengleich zugerechnet würden.
Mit allen operativ tätigen deutschen Tochtergesellschaften bestehe eine Organschaft. Die Klägerin habe von Anfang an mit Anlaufverlusten in Italien gerechnet. Deshalb hätte sie ihre italienischen Tochtergesellschaften in den Organkreis aufgenommen, wenn dies möglich gewesen wäre. Da sich das Italiengeschäft aber noch ungünstiger als angenommen entwickelt habe und die Klägerin in allen Jahren seit 2002 zur Deckung der notwendigen Eigenkapitalbasis der Tochtergesellschaften Nachschüsse habe leisten müssen, habe die Klägerin am 18. September 2006 formell beschlossen, die italienischen Tochtergesellschaften zu liquidieren. Die geltend gemachten Verluste der italienischen Tochtergesellschaften beruhten auf Jahresabschlüssen, die auf der Grundlage der deutschen Rechnungslegungsvorschriften des HGB erstellt worden seien. Ab dem Jahr 2002 hätten die Tochtergesellschaften ihre Verluste in Italien vorgetragen. Diese Verlustvorträge seien wirtschaftlich wertlos geworden, da die Geschäftstätigkeit in Italien eingestellt sei. Die Klägerin habe von der Gründung bis zur Liquidation der beiden italienischen Tochtergesellschaften ununterbrochen alle Anteile gehalten, zeitweise allerdings einen geringen Teil der Anteile mittelbar über die Z-GmbH, die sich ebenfalls in Alleinbesitz der Klägerin befunden habe und später mit dieser verschmolzen worden sei.
Die italienischen Tochtergesellschaften hätten alle in Italien bestehenden Möglichkeiten zur steuerlichen Berücksichtigung ihrer Verluste ausgeschöpft. Sie hätten weder in Zukunft die Möglichkeit, die Verluste in ihrem Sitzstaat zu nutzen, noch könnten die Verluste von einem Dritten genutzt werden. Daher seien alle Voraussetzungen erfüllt, die der EuGH in dem Urteil "Marks & Spencer" für eine Verlustberücksichtigung bei der Muttergesellschaft aufgestellt habe.
Der Beklagte lehnte den Antrag mit Schreiben vom 25. Februar 2008 ab. Eine Verlustberücksichtigung sei nach § 14 Abs. 1 KStG nicht zulässig, da die italienischen Tochtergesellschaften ihren Sitz und den Ort der Geschäftsleitung nicht im Inland hätten. Darüber hinaus fehle es auch an dem für eine Einkommenszurechnung zwingend erforderlichen Gewinnabführungsvertrag. Die Europarechtswidrigkeit der Regelungen über den Gewinnabführungsvertrag habe der EuGH bisher nicht festgestellt. Das Erfordernis eines Gewinnabführungsvertrags unterscheide die deutsche Organschaft vom britischen group relief, den der EuGH in der Rechtssache "Marks & Spencer" als europarechtswidrig beurteilt habe. Im reinen Inlandsfall könne sich der Organträger wegen der für eine Organschaft erforderlichen Verpflichtungen der Verlustübernahme nicht entziehen. Die deutsche Organschaft sei im Gegensatz zum britischen group relief kein rein steuerliches Ausgleichs- und Neutralisierungsinstrument.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob die Klägerin Klage. Ergänzend zur Begründung ihres Antrags machte die Klägerin geltend, sie habe die laufenden Verluste ihrer italienischen Tochtergesellschaften wirtschaftlich durch jährliche Übernahme getragen, ganz so, als ob zwischen ihr und den Tochtergesellschaften ein Gewinnabführungsvertrag abgeschlossen worden sei. Hierzu sei sie verpflichtet gewesen, da die Tochtergesellschaften ein fortlaufend gehaltenes Mindesteigenkapital benötigten, um die Befugnis zur Vermittlung von €produkten nicht zu verlieren. Daher habe eine faktische Organschaft bestanden. Das Fehlen eines formalen Gewinnabführungsvertrags nach § 291 Abs. 1 Aktiengesetz (AktG) habe allein darauf beruht, dass ein solcher Vertrag nach italienischem Gesellschaftsrecht nicht möglich sei. Die Klägerin habe die Verluste ihrer italienischen Tochtergesellschaften aus wirtschaftlichen Gründen getragen, da für €unternehmen die Insolvenz einzelner Tochtergesellschaften aufgrund der Notwendigkeit des Reputationserhalts nicht in Betracht komme.
Ferner trägt die Klägerin vor, die im Jahr 2006 eingeleitete Liquidation der italienischen Tochtergesellschaften sei aufgrund anhängiger Rechtsstreitigkeiten, bei denen die Tochtergesellschaften Beklagte seien, noch nicht abgeschlossen. Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise hänge die Finalität der Auslandsverluste von der Einstellung der wirtschaftlichen Geschäftstätigkeit ab. Die Tochtergesellschaften beschäftigten keine Mitarbeiter mehr und erzielten weitere Verluste aus der laufenden Liquidation. Die Klägerin legte Bilanzen sowie Gewinn- und Verlustrechnungen ihrer Tochtergesellschaften vor, die für die Jahre 2006 und 2007 Verluste der X in Höhe von € sowie einen Gewinn der Y in Höhe von € (2006) und einen Verlust in Höhe von € (2007) ausweisen. €
Die Klägerin ist der Ansicht, ein Liquidationsgewinn werde voraussichtlich nicht entstehen, da die italienischen Tochtergesellschaften keine wesentlichen Wirtschaftsgüter besäßen. Der rein theoretischen Möglichkeit eines Liquidationsgewinns könne durch Anbringung eines Vorläufigkeitsvermerks in den Steuerbescheiden Rechnung getragen werden.
Die Klägerin macht geltend, sie habe sich vergeblich um eine Verlustverwertung in Italien bemüht. Die Klägerin habe unmittelbar nach dem Liquidationsbeschluss im Jahr 2006 versucht, ihre italienischen Tochtergesellschaften an Dritte zu veräußern, um die Verluste zu verwerten. Sämtliche Veräußerungsversuche seien gescheitert, weil die Interessenten Abstandszahlungen oder Haftungsübernahmen verlangt hätten und die Klägerin befürchtet habe, die Verluste hierdurch zu vergrößern. Möglichkeiten zur anderweitigen Nutzung der Verluste der italienischen Tochtergesellschaften beständen nicht, da die Klägerin keine anderen Tochtergesellschaften in Italien besessen habe und das italienische Recht eine dem deutschen "Mantelkauf" entsprechende Regelung kenne.
Die Klägerin ist der Ansicht, der Gewinnabführungsvertrag sei als versteckte mittelbare Diskriminierung für die Rechtsanwendung bei Auslandsverlusten ebenso unbeachtlich wie der in § 14 KStG geforderte doppelte Inlandsbezug. Im Streitfall sei allein entscheidend, dass die Klägerin die Aufwendungen tatsächlich selbst getragen habe; unerheblich sei dagegen, ob dies aus rechtlichen oder wirtschaftlichen Zwängen heraus erfolgt sei. Dies folge sowohl aus dem Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit als auch aus einer Anwendung der ständigen BFH-Rechtsprechung zur normerhaltenden Reduktion gemeinschaftsrechtswidriger Bestimmungen des deutschen Steuerrechts. Da das Erfordernis eines Gewinnabführungsvertrags nach § 291 AktG dem Gemeinschaftsrecht widerspreche, sei dieses Erfordernis bei der Rechtsanwendung nicht zu beachten. Der BFH sehe die Aufgabe der nationalen Gerichte nicht darin, gemeinschaftsrechtswidrige Tatbestände in gemeinschaftsrechtskonforme Tatbestände umzudeuten. Nur der Gesetzgeber selbst könne das Erfordernis des Gewinnabführungsvertrags durch eine diskriminierungsfreie schuldrechtliche Vereinbarung ersetzen; dies habe er jedoch nicht getan.
Nach dem EuGH-Urteil "Marks & Spencer" sei die Verlustberücksichtigung bei der Muttergesellschaft allein an die Endgültigkeit der Verluste der ausländischen Tochtergesellschaft sowie an die Voraussetzung geknüpft, dass alle Möglichkeiten der Verlustnutzung bei der Tochtergesellschaft ausgeschöpft worden seien. Eine schuldrechtliche Verpflichtung zur Verlustübernahme fordere der EuGH nicht. Das EuGH-Urteil "Marks & Spencer" sei zwar anlässlich der britischen Gruppenbesteuerung ergangen, gelte aber nicht nur für dieses Besteuerungsregime. Der EuGH habe diese Rechtsprechung in den Entscheidungen "Oy AA" und "Lidl" bekräftigt und auf Betriebsstätten erweitert. Im Hinblick auf das Leistungsfähigkeitsprinzip setze die Verlustberücksichtigung lediglich voraus, dass die inländische Muttergesellschaft die Verluste ihrer ausländischen Tochtergesellschaften tatsächlich getragen habe. Der BFH habe im zweiten Leitsatz seines Urteils vom 17.07.2008 (I R 84/04) zugunsten des phasengleichen Verlustabzugs votiert. Diese Entscheidung sei aufgrund der Dogmatik der geltungserhaltenden Reduktion gemeinschaftsrechtswidriger Rechtsnormen zwangsläufig gewesen.
Da die Verluste der italienischen Tochtergesellschaften in den Jahren 2002 bis 2005 noch nicht final gewesen seien, sei die Klägerin verpflichtet gewesen, die Geldtransfers steuerlich erfolgsneutral zu behandeln. Erst nachdem die Verluste durch Liquidationsbeschluss und Einstellung der Geschäftstätigkeit final geworden seien, dürfe die Klägerin sie auf der Grundlage des Urteils "Marks & Spencer" steuerlich geltend machen. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise gebiete es, die Finalität der Verluste an die Eröffnung des Liquidationsverfahrens und die Einstellung der Geschäftstätigkeit im Jahr 2006 zu knüpfen. Im Wege geltungserhaltender Reduktion seien europarechtswidrige Tatbestandsmerkmale des § 14 KStG unbeachtlich. Europarechtskonforme Tatbestandsmerkmale dieser Norm und die in dieser Norm geregelte Rechtsfolge (phasengleiche Verlustverrechnung) seien dagegen auch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten anzuwenden. Hieraus ergebe sich das Gebot einer phasengleichen Verlustverrechnung im Zeitpunkt der Verlustentstehung bei den italienischen Tochtergesellschaften. Die Finalität der Verluste sei lediglich die Bedingung, unter der der deutsche Fiskus die Verluste berücksichtigen müsse. Sie regele jedoch nicht den Zeitpunkt der Verlustberücksichtigung. Dieser ergebe sich vielmehr aus der Anwendung des nationalen Rechts, hier des § 14 KStG.
Die Klägerin beantragt, €
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er ist der Ansicht, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Abzug der Verluste ihrer italienischen Tochtergesellschaften. Die Voraussetzungen der körperschaftsteuerlichen Organschaft (§ 14 KStG) seien nicht erfüllt. Eine Verlustberücksichtigung sei auch nicht aufgrund höherrangigen Gemeinschaftsrechts geboten. Es liege kein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag) vor.
Die Klägerin werde nicht anders behandelt als ein Organträger, dessen Organgesellschaft Verluste aus einer Betriebsstätte in Italien erleide. Zutreffendes Vergleichspaar sei eine inländische Muttergesellschaft mit italienischer Tochtergesellschaft (wie im Streitfall) einerseits und andererseits eine inländische Muttergesellschaft mit einer inländischen Tochtergesellschaft, die Verluste aus einer italienischen Betriebsstätte erziele. Ergebnisse ausländischer Betriebsstätten, die nach einem DBA von der Besteuerung freigestellt sind, seien im Einkommen der Organgesellschaft nicht enthalten. Die Freistellung nach Art. 7 DBA Italien gelte nach ständiger BFH-Rechtsprechung auch für Betriebsstättenverluste. Das Ziel der Klägerin, ihren italienischen Tochtergesellschaften für Besteuerungszwecke die Rechtsposition inländischer Organgesellschaften zu verschaffen, könne im Ergebnis nicht zu einer Verlustberücksichtigung führen. In der Rechtssache "Lidl" habe der EuGH im Grundsatz entschieden, dass ausländische Betriebsstättenverluste vom Abzug im Inland ausgeschlossen seien.
Das Erfordernis eines Gewinnabführungsvertrags führe nicht zu einer Diskriminierung, da die Organschaft eine Ausnahme vom Grundsatz der Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit des einzelnen Steuerpflichtigen bilde, die nur dann gerechtfertigt sei, wenn eine mehrjährige vertragliche Bindung im Rahmen eines Gewinnabführungsvertrags bestehe. Die Einkommenszurechnung bei einem anderen Steuersubjekt, wie sie bei der Organschaft erfolge, stehe nur dann mit dem Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in Einklang, wenn der Gewinn der Organgesellschaft tatsächlich abgeführt bzw. der Verlust der Organgesellschaft tatsächlich getragen werde. Anders als die britischen Regelungen, zu denen das Urteil "Marks & Spencer" ergangen sei, seien die deutschen Regelungen zur Organschaft keine "Steuervergünstigung". Durch das Erfordernis des Gewinnabführungsvertrags sei die Organschaft in Deutschland kein rein steuerliches Gebilde, sondern es handele sich um eine gesellschaftsrechtlich verankerte Gestaltung mit unmittelbaren zivilrechtlichen Folgen, wie z.B. Beschränkungen der Rücklagenbildung, Gläubigerschutz, Schutz von Minderheitsgesellschaftern und Verpflichtung des beherrschenden Unternehmens zum Verlustausgleich.
Mit Schriftsatz vom 31. August 2009 vertrat der Beklagte die Ansicht, eine ausländische Gesellschaft könne zivilrechtlich keinen Unternehmensvertrag nach § 291 Abs. 1 AktG abschließen. Deshalb sei es europarechtskonform, in diesen Fällen die Anwendung der steuerlichen Organschaftsregelungen zu versagen (Blatt 155 der Finanzgerichtsakte).
Selbst wenn man analog § 17 KStG auch Vereinbarungen anerkenne, die inhaltlich denen des § 291 AktG entsprächen, könne dies im Streitfall nicht zum Erfolg führen, da ein solcher Vertrag nicht geschlossen worden sei. Aus den Grundfreiheiten ergebe sich kein Anspruch auf Anwendung der Regelungen über die Organschaft ohne Verpflichtung zur Übernahme des gesamten Verlustes.
Allein der faktische Ausgleich von Verlusten einer Tochtergesellschaft durch die Muttergesellschaft genüge nicht für eine steuerliche Verrechnung dieser Verluste bei der Muttergesellschaft. Auch nach deutschem Recht bestehe beim Verbrauch des Eigenkapitals ggf. eine Pflicht zur Beantragung eines Insolvenzverfahrens. Hieraus könne sich die faktische Notwendigkeit ergeben, zur Wiederherstellung des Eigenkapitals Nachschüsse zu leisten. Dies reiche jedoch nicht zur Begründung einer Organschaft. Die Klägerin werde somit nicht diskriminiert, wenn eine Organschaft in Beteiligungsfällen mit Auslandsbezug trotz ausländischer Vorschriften zur Kapitalerhaltung nicht anerkannt werde.
Die Tatsache, dass die Y im Jahr 2006 einen Gewinn i.H.v. € erzielt habe, bestätige, dass auch rein faktisch die Möglichkeit einer Verlustberücksichtigung in Italien bestehe. Die Verluste aus den Jahren 2002 bis 2005 seien noch nicht endgültig und damit keine Definitivverluste im Sinne der EuGH-Entscheidung "Marks & Spencer". Darüber hinaus habe der EuGH sich in dem Urteil "Marks & Spencer" für eine ultima-ratio Regelung, mithin für eine aufgeschobene Verlustberücksichtigung und gegen eine phasengleiche Verlustberücksichtigung entschieden.
In den Streitjahren sei es nicht zu einer tatsächlichen Vermögensminderung der Klägerin gekommen. Die Zahlungen hätten entweder als Einlagen den Beteiligungswert erhöht oder als Darlehen zu einer Forderung geführt. In den Streitjahren habe die Klägerin lediglich eine Teilwertabschreibung auf die Beteiligung an der Y i.H.v. € vorgenommen, die gemäß § 8 b Abs. 3 KStG das Einkommen der Klägerin nicht gemindert habe. Im Übrigen trete eine Vermögensminderung bei der Klägerin erst dann ein, wenn die Beteiligung abzuschreiben sei, aufgrund einer Liquidation wegfalle oder wenn die Darlehen ausfielen. Im Gegensatz dazu führe die Verlustübernahme im Rahmen eines Gewinnabführungsvertrags rechtlich und tatsächlich zu einem bilanziellen Aufwand bei der Muttergesellschaft und zu einem Ertrag bei der Tochtergesellschaft. Im Rahmen der steuerlichen Einkommensermittlung werde lediglich der in der Gewinnermittlung des Organträgers berücksichtigte Aufwand aus der Verlustübernahme durch das auf der Ebene der Organgesellschaft ermittelte Einkommen ersetzt. Eine "faktische Organschaft", wie sie die Klägerin geltend mache, kenne das deutsche Recht nicht.
Die Klägerin begehre den Abzug von Verlusten ihrer italienischen Tochtergesellschaften i.H.v. € Sie habe im gleichen Zeitraum Dividenden anderer ausländischer Tochtergesellschaften bzw. Gewinne aus der Veräußerung von Beteiligungen an ausländischen Tochtergesellschaften in Höhe von insgesamt € erzielt. Hiervon seien € bei der Ermittlung des im Inland zu versteuernden Einkommens abgesetzt worden. Ein Grund, eine Verrechnung der streitbefangenen Verluste mit im Inland steuerpflichtigem Einkommen vorzunehmen, sei nicht ersichtlich. Vielmehr verlange das Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, dass ausländische Verluste in erster Linie mit den im Inland steuerfrei gestellten positiven Einkünften aus anderen Auslandsaktivitäten verrechnet würden. Nur wenn ein Verlustausgleich mit anderen ausländischen Tochtergesellschaften nicht möglich sei, komme ein "endgültiger Verlust" in Betracht, der gemäß der EuGH-Rechtsprechung vom Inlandseinkommen abzuziehen sei.
Während des Klageverfahrens hob der Beklagte nach einer Außenprüfung mit Bescheid vom 28.12.2009 die gesonderte Feststellung eines verbleibenden Verlustvortrags auf den 31.12.2002 auf. Gleichzeitig erließ er Änderungsbescheide zur Körperschaftsteuer 2002 - 2005. Wegen der Einzelheiten der Änderungsbescheide, die auf § 164 Abs. 2 AO gestützt wurden und den Vorbehalt der Nachprüfung aufhoben, wird auf Blatt 187 ff. der Finanzgerichtsakte und den Bericht des Finanzamts für Großbetriebsprüfung € vom 17.09.2009 (Gerichtsakte Bl. 206 ff.) verwiesen.
In der mündlichen Verhandlung wies der Prozessbevollmächtigte des Beklagten darauf hin, dass ihm das italienische Gesellschaftsrecht nicht bekannt sei. Er stellte deshalb den Antrag, Beweis zu erheben über die Frage, ob der Abschluss eines Gewinnabführungsvertrags "nach italienischem Gesellschafts- und Steuerrecht" möglich gewesen wäre. Dazu regte er die Einholung eines Gutachtens des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg an.
Gründe
Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass ihr Einkommen in den Streitjahren um die Verluste ihrer italienischen Tochtergesellschaften gemindert wird.
I. Das Gericht hat gemäß § 155 Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 293 Zivilprozessordnung (ZPO) nicht das vom Beklagten angeregte Sachverständigengutachten über die Ausgestaltung des italienischen Gesellschaftsrechts eingeholt, da diese Frage nicht entscheidungserheblich ist.
Es bedarf auch keiner Klärung, ob ein etwaiger Gewinnabführungsvertrag italienischen Rechts nach § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG als "Gewinnabführungsvertrag im Sinne des § 291 Abs. 1 des (deutschen) Aktiengesetzes" anzusehen wäre.
II. Wie die Beteiligten zutreffend ausführen, ist eine Berücksichtigung der streitbefangenen Verluste nach dem Wortlaut der §§ 14 ff. KStG nicht möglich, da es sich um Verluste italienischer Tochtergesellschaften handelt.
Das deutsche Körperschaftsteuerrecht lässt die Berücksichtigung der Verluste einer Tochtergesellschaft im Rahmen der Besteuerung der Muttergesellschaft nach § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG nur dann zu, wenn zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft eine Organschaft besteht. Eine Organschaft ist jedoch nur im Verhältnis zu inländischen Organgesellschaften möglich, da die Organgesellschaft gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG ihre Geschäftsleitung und ihren Sitz im Inland haben muss. Darüber hinaus setzt die Organschaft nach § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG einen Gewinnabführungsvertrag i.S.d. § 291 Abs. 1 AktG voraus.
III. Auch aus europarechtlichen Gründen ist im Streitfall keine phasengleiche Verlustverrechnung hinsichtlich der - nach deutschem Steuerrecht ermittelten - Verluste der italienischen Tochtergesellschaften bei der Klägerin geboten.
1. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 13.12.2005 C - 446/03 ("Marks & Spencer", IStR 2006, 19) entschieden, dass der Sitzstaat der Muttergesellschaft grundsätzlich auch dann nicht verpflichtet ist, eine Verrechnung der Verluste von Tochtergesellschaften zu ermöglichen, die in einem anderen EU-Staat ansässig sind, wenn er eine Verrechnung der Verluste inländischer Tochtergesellschaften im Rahmen einer Gruppenbesteuerung ermöglicht. Es verstößt jedoch nach diesem Urteil gegen die Art. 43 und 48 EG-Vertrag, der gebietsansässigen Muttergesellschaft eine solche Möglichkeit dann zu verwehren, wenn die gebietsfremde Tochtergesellschaft die im Staat ihres Sitzes für den von dem Abzugsantrag erfassten Steuerzeitraum sowie frühere Steuerzeiträume vorgesehenen Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Verlusten ausgeschöpft hat, gegebenenfalls durch Übertragung dieser Verluste auf einen Dritten oder ihre Verrechnung mit Gewinnen, die die Tochtergesellschaft in früheren Zeiträumen erwirtschaftet hat, und wenn keine Möglichkeit besteht, dass die Verluste der ausländischen Tochtergesellschaft im Staat ihres Sitzes für künftige Zeiträume von ihr selbst oder von einem Dritten, insbesondere im Fall der Übertragung der Tochtergesellschaft auf ihn, berücksichtigt werden (aaO. Rn. 55).
Dabei qualifizierte der EuGH den Konzernabzug nach britischem Steuerrecht als "Steuervergünstigung", da er den Ausgleich der Verluste der defizitären Gesellschaften durch unmittelbare Verrechnung mit den Gewinnen anderer Konzerngesellschaften beschleunige und dem Konzern dadurch einen Liquiditätsvorteil verschaffe (aaO. Rn. 32). Der dieser Entscheidung zugrunde liegende "group relief" britischen Rechts ermöglicht es, im Wege des Konzernabzugs innerstaatliche Verluste auf eine andere Konzerngesellschaft derselben Gruppe zu übertragen, die den Verlust sodann gewinnmindernd abziehen kann (vgl. Linn/Reichl/Wittkowski, BB 2006, 630 [630 i.V.m. 634]; Thiel, DB 2004, 2603 [2605]; Hey, GmbHR 2006, 113).
372. Der Senat neigt zu der Ansicht, dass diese Grundsätze auf die deutsche Organschaft zu übertragen sind und ggf. dazu führen, dass Verluste ausländischer Tochtergesellschaften aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen in entsprechender Anwendung der §§ 14 ff. KStG vom Einkommen der Muttergesellschaft abgezogen werden können. Im Streitfall ist die Klägerin jedoch nicht wie eine Organträgerin zu behandeln, da sie sich nicht zu einer Übernahme der Verluste ihrer italienischen Tochtergesellschaften verpflichtet hat, sondern - ohne rechtliche Verpflichtung - den Töchtern finanzielle Mittel als Eigenkapital oder als Darlehn zur Verfügung gestellt hat.
38a) Der erkennende Senat neigt zu der Ansicht, dass die oben zu 1. zitierte EuGH-Rechtsprechung auch auf die deutsche Organschaft anzuwenden ist, ohne dass diese Frage im Streitfall einer abschließenden Entscheidung bedarf.
Zwar regeln §§ 14 ff. KStG - anders als die englische Gruppenbesteuerung - keine isolierte Verlustverrechnung für rein steuerliche Zwecke. Vielmehr setzen diese Vorschriften einen Gewinnabführungsvertrag i.S.d. § 291 Abs. 1 AktG voraus. Sie ziehen damit steuerrechtliche Folgen aus einer im Zivilrecht wurzelnden, umfassenden Gewinnabführung mit gleichzeitiger Verpflichtung zum Verlustausgleich (§ 302 AktG). Die steuerliche Organschaft durchbricht das Prinzip, dass jeder Steuerpflichtige für seine Ertragsbesteuerung entsprechend seiner Leistungsfähigkeit zuständig und verantwortlich ist (Neumann in Gosch, Komm. zum KStG, 2. Aufl. 2009, § 14 Rn. 1 u. 170). Dabei wird den im Gesellschaftsrecht wurzelnden Vermögensverschiebungen aufgrund des Ergebnisabführungsvertrags steuerliche Relevanz zuerkannt (Neumann aaO. Rn. 6; vgl. auch Balmes/Brück/Ribbrock, BB 2006, 186 [188]). Aus diesen Gründen wird in der Literatur teilweise die Auffassung vertreten, die Organschaft nach deutschem Recht könne nicht auf eine Ebene mit der britischen Gruppenbesteuerung gestellt werden (so Thiel, DB 2004, 2603 [2605]).
40Gleichwohl besteht eine wesentliche steuerrechtliche Wirkung der Organschaft in der Ermöglichung einer Verrechnung von Gewinnen und Verlusten innerhalb des Organkreises (Neumann in Gosch, Komm. zum KStG, 2. Aufl. 2009, § 14 Rn. 33 f.; Kolbe in Herrmann/ Heuer/Raupach, Komm. zum KStG, § 14 Anm. 10; Grotherr, FR 1995, 1 [3]). Solange neu gegründete Tochtergesellschaften - wie im Streitfall - ausschließlich Verluste erzielen, entfaltet die Organschaft im Ergebnis die gleiche steuerliche Wirkung wie eine Gruppenbesteuerung. Sie beschleunigt in ihrem Anwendungsbereich - insbesondere bei von vornherein erwarteten Anlaufverlusten aus neuen Tätigkeitsfeldern - den Ausgleich der Verluste der defizitären Gesellschaften durch ihre unmittelbare Verrechnung mit den Gewinnen anderer Konzerngesellschaften und verschafft dem Konzern dadurch einen Liquiditätsvorteil. Der Senat neigt deshalb zu der Auffassung, dass die Organschaft - ebenso wie die Gruppenbesteuerung - gemeinschaftsrechtlich als "Steuervergünstigung" anzusehen ist, die durch ihre Beschränkung auf innerstaatliche Sachverhalte die Niederlassungsfreiheit der Muttergesellschaft behindert (ebenso Hey, GmbHR 2006, 113 [118]; Erle in Erle/Sauter, § 14 KStG Rn. 565; Kolbe in Herrmann/Heuer/ Raupach, Komm. zum KStG, § 14 Anm. 12).
Darüber hinaus hat der EuGH allein den Liquiditätsvorteil, der aus der sofortigen Möglichkeit zur Verlustverrechnung im Konzern folgt, in der Entscheidung "Marks & Spencer" als "Steuervergünstigung" bezeichnet (aaO. Rn. 32; ebenso EuGH-Urteil vom 27.11.2008 C -418/07 "Papillon" Rn. 18, IStR 2009, 66) und diese Rechtsprechung anschließend auf weitere Sachverhalte wie die Verlustberücksichtigung bei Betriebsstätten (EuGH-Urteile vom 15.05.2008 C -414/06 "Lidl Belgium" Rn. 23, BStBl. II 2009, 692; vom 23.10.2008 C - 157/07 "Krankenheim Ruhesitz am Wannsee" Rn. 32, IStR 2008, 769) und Teilwertabschreibungen (EuGH-Urteil vom 29.03.2007 C - 347/04 "Rewe Zentralfinanz" Rn. 29, IStR 2007, 291) übertragen. Da die Verlustverrechnung im Rahmen einer Organschaft den gleichen Liquiditätsvorteil vermittelt wie bei einer Gruppenbesteuerung, ist sie nach Auffassung des erkennenden Senats im Sinne der Rechtsprechung des EuGH ebenfalls als "Steuervergünstigung" bzw. "Steuervorteil" (so die Terminologie der EuGH-Urteile vom 15.05.2008 C -414/06 "Lidl Belgium" Rn. 23, BStBl. II 2009, 692; vom 23.10.2008 C - 157/07 "Krankenheim Ruhesitz am Wannsee" Rn. 32, BStBl. II 2009, 566) zu qualifizieren (glA Erle in Erle/Sauter, § 14 KStG Rn. 565).
Für eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf die Organschaft spricht auch die Tatsache, dass Gewinne der in anderen Staaten ansässigen Tochtergesellschaften sowohl bei der Gruppenbesteuerung (vgl. hierzu das EuGH-Urteil "Marks & Spencer" Rn. 43 ff.) als auch bei der Organschaft nicht im Staat der Muttergesellschaft besteuert werden. Das Argument eines grundsätzlichen Gleichklangs zwischen der Besteuerung der Gewinne und der Verluste steht zwar grundsätzlich einem Verlustabzug "über die Grenze" entgegen (EuGH-Urteil "Marks & Spencer" aaO.). Es schließt jedoch nicht aus, dass der Staat, in dem die Muttergesellschaft ansässig ist, ggf. finale Verluste der ausländischen Tochtergesellschaft zum Abzug zulassen muss (EuGH-Urteil "Marks & Spencer" Rn. 55).
43Aus diesem Grund neigt der erkennende Senat zu der Auffassung, dass die Ausgestaltung der deutschen Organschaft die Niederlassungsfreiheit in einer Weise einschränkt, die - durch den Ausschluss jeglicher Verlustberücksichtigung ausländischer Tochtergesellschaften - über das hinausgeht, was gemeinschaftsrechtlich zulässig ist (glA Balmes/Sedemund, BB 2006, 1474 [1477 f.]; Herzig/Wagner, DStR 2006, 1 [9]; Pache/Englert, IStR 2007, 844 [848]; aA Thiel, DB 2004, 2603 [2605]: da gesellschaftsrechtlich keine grenzüberschreitende Gewinnabführung und Verlustübernahme erlaubt sei, könne die Organschaft auf innerstaatliche Sachverhalte beschränkt bleiben; zweifelnd Balmes/Brück/Ribbrock, BB 2006, 186 [188]; dies., BB 2005, 966 [969]).
44b) Soweit die Regelungen der Organschaft nach §§ 14 ff. KStG gegen Art. 43 und 48 EG-Vertrag verstoßen, sind gemeinschaftsrechtswidrige Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschriften in gemeinschaftsrechtlich konformer und normerhaltender Weise zu reduzieren (vgl. allgemein zur sog. geltungserhaltenden Reduktion gemeinschaftsrechtswidriger Bestimmungen BFH-Urteile vom 22.07.2008 VIII R 101/02 "Jundt", BFH/NV 2008, 1747; vom 21.10.2009 I R 114/08 "Columbus Container Services", DStR 2010, 37, jeweils m.w.N.). Demnach sind §§ 14 ff. KStG nur insoweit anzuwenden, als diese Vorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind.
Eine normerhaltende Reduktion gemeinschaftsrechtswidriger Diskriminierungen entspricht ständiger Rechtsprechung des EuGH. So hat der EuGH im Urteil vom 21.06.2007 (C-231/06 "Jonkmann", NJW 2007, 3625) entschieden: "Wie der Gerichtshof außerdem in Fällen gemeinschaftsrechtwidriger Diskriminierungen wiederholt entschieden hat, kann, solange keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung erlassen worden sind, der Gleichheitssatz nur dadurch gewahrt werden, dass die Vergünstigungen, die die Mitglieder der begünstigten Gruppe erhalten, auf die Mitglieder der benachteiligten Gruppe erstreckt werden. In einem derartigen Fall ist das nationale Gericht gehalten, eine diskriminierende nationale Bestimmung außer Anwendung zu lassen, ohne dass es ihre vorherige Aufhebung durch den Gesetzgeber beantragen oder abwarten müsste, und auf die Mitglieder der benachteiligten Gruppe eben die Regelung anzuwenden, die für die Mitglieder der anderen Gruppe gilt €" (aaO Rn. 39 m.w.N.).
aa) Der Senat neigt aus den oben unter a) genannten Gründen dazu, dass § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG insoweit gegen Art. 43 und 48 EG-Vertrag verstößt als in § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG Sitz und Geschäftsleitung der Organgesellschaft im Inland als Voraussetzung einer Organschaft normiert sind. Stattdessen dürften auch Organgesellschaften mit Sitz und Geschäftsleitung in einem anderen EU-Staat aus den unter a) genannten Gründen in den Anwendungsbereich einer Verlustverrechnung über die Grenze fallen (glA Kolbe in Herrmann/Heuer/Raupach, Komm. zum KStG, § 14 Anm. 12; Kleinert/Nagler/Rehm, DB 2005, 1869 [1872]; Kleinert/Nagler, DB 2005, 2791 [2792]; Balmes/Brück/Ribbrock, BB 2005, 966 [969]; Herzig/Wagner, DStR 2006, 1 [9]; Altrichter-Herzberg/Nuernberger, GmbHR 2006, 466; Witt, FR 2009, 1045 [1047]).
47bb) Bei gemeinschaftsrechtskonformer Anwendung der §§ 14 ff. KStG dürfte auch das Erfordernis eines Gewinnabführungsvertrags in § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG gegen Art. 43 und 48 EG-Vertrag verstoßen, da ein Gewinnabführungsvertrag vielfach wohl nicht "über die Grenze" möglich ist. Diese Frage kann allerdings dahingestellt bleiben, da sie letztlich nicht entscheidungserheblich ist.
Nach übereinstimmender Auffassung der deutschen steuerrechtlichen Literatur ist der Abschluss eines Ergebnisabführungsvertrags handelsrechtlich weitgehend nur bei nationalen Sachverhalten möglich, auch wenn dabei unterschiedliche Angaben dazu gemacht werden, inwieweit derartige Verträge in anderen EU-Staaten möglich sind (vgl. zur Möglichkeit des Abschlusses eines Gewinnabführungsvertrags in anderen EU-Staaten Grotherr, FR 1995, 1 [2 u. 11] und StuW 1995, 124 [125 u. 149], wonach Portugal als einziges anderes Mitgliedsland handelsrechtlich den Vertragskonzern durch Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags kennt; ebenso Herzig/Wagner, DB 2005, 1 [5]; vgl. ferner Scheunemann, IStR 2006, 145 [146]; Scheunemann, Grenzüberschreitende konsolidierte Konzernbesteuerung, 2005, S. 121 ff., wonach ein derartiger Vertrag in Portugal und Österreich möglich sei; Witt, FR 2009, 1045 [1048], wonach ein derartiger Vertrag in Portugal, Österreich und Slowenien möglich sei).
Der Senat geht aufgrund der o.g. Literatur davon aus, dass ein Gewinnabführungsvertrag "über die Grenze" zwischen einer deutschen Muttergesellschaft und einer italienischen Tochtergesellschaft gesellschaftsrechtlich nicht möglich ist. Diese rechtliche Würdigung deckt sich mit der Rechtsauffassung, die beide Beteiligte im Streitfall bis zur mündlichen Verhandlung vortrugen. Bis zu dieser Verhandlung trugen die Beteiligten übereinstimmend vor, ein Gewinnabführungsvertrag mit italienischen Tochtergesellschaften sei deutschen Muttergesellschaften gesellschaftsrechtlich nicht möglich. Fundierte Zweifel an dieser Wertung machte der Beklagte auch in der mündlichen Verhandlung nicht geltend. Stattdessen berief er sich darauf, es sei nach dem Amtsermittlungsgrundsatz Aufgabe des erkennenden Senats, den genauen Inhalt des italienischen Gesellschaftsrechts festzustellen. Er selbst habe insoweit bisher keine Ermittlungen angestellt.
Darüber hinaus dürfte ein etwaiger Gewinnabführungsvertrag italienischen Rechts wohl nicht gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG als "Gewinnabführungsvertrag im Sinne des § 291 Abs. 1 AktG" zu qualifizieren sein, da das italienische Gesellschaftsrecht - selbst wenn es einen Gewinnabführungsvertrag kennen sollte - vermutlich nicht dem deutschen Aktiengesetz entspricht.
Sofern die o.g. Darstellung der steuerrechtlichen Literatur sich nicht als völlig unzutreffend erweist, dürfte das Erfordernis eines Gewinnabführungsvertrags i.S.d. § 291 Abs. 1 AktG als Voraussetzung einer körperschaftsteuerlichen Organschaft nach § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG insoweit zu einer versteckten Diskriminierung grenzüberschreitender Sachverhalte führen, als hierdurch jegliche Verlustberücksichtigung ausländischer Tochtergesellschaften ausgeschlossen ist (ebenso Kolbe in Herrmann/Heuer/Raupach, Komm. zum KStG, § 14 Anm. 12; Englisch, IStR 2006, 22 [23]; Kleinert/Nagler/Rehm, DB 2005, 1869; Hey, GmbHR 2006, 113 [118]; Linn/Reichl/Wittkowski, BB 2006, 630 [631]; Herzig/Wagner, DStR 2006, 1 [9]; Herzig/Wagner, DB 2005, 1 [5]; Saß, DB 2006, 123 [126 f.]; Witt, FR 2008, 1045 [1048]; Sedemund/Sterner, DStZ 2006, 29 [33 f.]; aA Thiel, DB 2004, 2603 [2605]). Um einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit zu vermeiden, ist der Gesetzgeber gehalten, steuerrechtliche Regelungen nur an solche zivilrechtlichen Tatbestandsmerkmale anzuknüpfen, die den Dienstleistungsverkehr nicht übermäßig beschränken (vgl. hierzu allgemein EuGH-Urteil vom 28.04.1998 - Rs- C-118/96 - Safir, FR 1998, 514 m. Anm. Dautzenberg).
52cc) Gleichwohl können selbst definitive Verluste ausländischer Tochtergesellschaften nicht ohne Weiteres vom Einkommen einer deutschen Muttergesellschaft abgezogen werden, sondern allenfalls dann, wenn sich diese Muttergesellschaft rechtsverbindlich zur Übernahme der Verluste der Tochtergesellschaft verpflichtet hat.
aaa) Art. 43 und 48 EG-Vertrag gebieten eine Gleichbehandlung ausländischer Tochtergesellschaften nur unter vergleichbaren Bedingungen, unter denen inländische Tochtergesellschaften zum Verlustabzug berechtigt sind. Der EuGH hat dies in dem Urteil vom 13.12.2005 C -446/03 ("Marks & Spencer" Rn. 59, IStR 2006, 19) in die Worte gefasst, dass eine Regelung, "die es einer gebietsansässigen Muttergesellschaft allgemein verwehrt, von ihrem steuerpflichtigen Gewinn Verluste abzuziehen, die einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft dort entstanden sind, während sie einen solchen Abzug für Verluste einer gebietsansässigen Tochtergesellschaft zulässt" ggf. gegen Art. 43 und 48 EG verstößt (Unterstreichung hinzugefügt). Der Senat entnimmt dem Gebot der Gleichbehandlung von in- und ausländischen Tochtergesellschaften, dass ein Verlustabzug über die Grenze dabei an diejenigen Voraussetzungen der §§ 14 ff. KStG geknüpft ist, die nicht gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen.
bbb) Da ein Gewinnabführungsvertrag "über die Grenze" im Sinne des § 291 Abs. 1 des deutschen Aktiengesetzes in vielen EU-Staaten wohl nicht möglich ist, kann der Verlustabzug wohl nicht an das Erfordernis eines derartigen Vertrags geknüpft werden (vgl. oben b bb). Gleichwohl kann dieses Tatbestandsmerkmal für die Frage einer Verrechnung der Verluste einer Tochtergesellschaft mit Gewinnen der Muttergesellschaft bei Tochtergesellschaften in anderen EU-Staaten nicht völlig außer Betracht bleiben ( aA Herzig/Wagner, DStR 2006, 1 [9]; Saß, DB 2006, 123 [126]; Altrichter-Herzberg/Nuernberger, GmbHR 2006, 466 [467 f.]; Scheunemann, IStR 2006, 145 [147]; Pache/Englert, IStR 2007, 844 [849]).
§ 14 Abs. 1 Satz 1 KStG lässt eine Gewinn- und Verlustverrechnung auf der Ebene einer Aktiengesellschaft als Organträger nur dann zu, wenn zwischen Organträger und Organgesellschaft für die Dauer von mindestens 5 Jahren ein Gewinnabführungsvertrag i.S.d. § 291 Abs. 1 AktG abgeschlossen und tatsächlich durchgeführt wird. Zwingende Rechtsfolge eines derartigen Gewinnabführungsvertrags ist nach § 302 Abs. 1 AktG eine rechtsverbindliche Verpflichtung des Organträgers zur Übernahme der Verluste der Organgesellschaft.
Soweit eine andere Gesellschaft Organgesellschaft ist, setzt eine körperschaftsteuerliche Organschaft nach § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG ebenfalls zwingend die Vereinbarung einer Verlustübernahme entsprechend § 302 AktG voraus. Der BFH sieht die Verpflichtung zur Verlustübernahme als so bedeutsam an, dass er eine Organschaft bei rein nationalen Sachverhalten nur dann anerkennt, wenn ausdrücklich eine Verlustübernahme vereinbart wurde. Die Tatsache, dass sich eine Verpflichtung zur Verlustübernahme auch ohne entsprechende Vereinbarung ggf. aus zivilrechtlicher Judikatur ergibt, genügt dagegen nach der BFH-Rechtsprechung nicht, um die Voraussetzungen der Organschaft zu erfüllen (BFH-Urteil vom 22.02.2006 I R 74/05, BFH/NV 2006, 1513 m.w.N.).
57Der erkennende Senat erachtet die rechtliche Verpflichtung zur Verlustübernahme aus den vorgenannten Gründen als unerlässliche Voraussetzung einer körperschaftsteuerlichen Organschaft (vgl. zum Erfordernis der Verlustübernahme als Rechtfertigungsgrund des innerkonzernlichen Verlustausgleichs Grotherr, FR 1995, 1 [4 u. 13]; Neumann in Gosch, Komm. zum KStG, 2. Aufl. 2009, § 14 Rn. 170; aA etwa Herzig, FR 2009, 1037 [1039 f.]; Witt, FR 2009, 1045 [1046] m.w.N.), die auch für einen Verlustabzug über die Grenze vorliegen muss. Das Tatbestandsmerkmal "Gewinnabführungsvertrag" in § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG, das kraft Gesetzes nach § 302 AktG eine Verpflichtung zur Verlustübernahme impliziert, und die Verlustübernahmeverpflichtung entsprechend § 302 AktG in § 17 Satz 2 KStG sind im Wege der geltungserhaltenden Reduktion dahingehend normerhaltend zu reduzieren, dass bei grenzüberschreitenden Sachverhalten stattdessen eine rechtliche Verpflichtung der Muttergesellschaft zur Übernahme der Verluste ihrer Tochtergesellschaft erforderlich ist.
(1) Wenn Verluste einer in einem anderen EU-Staat ansässigen Tochtergesellschaft im Sinne der oben zu a) zitierten EuGH-Rechtsprechung definitiv sind, kommt ein Verlustabzug bei der Muttergesellschaft deshalb nur dann in Betracht, wenn sich die Muttergesellschaft vor Beginn der "grenzüberschreitenden Organschaft" rechtsverbindlich für eine Dauer von mindestens 5 Jahren zur Übernahme der Verluste der Tochtergesellschaft verpflichtet hat. Auch müssen die in §§ 14 ff. KStG vorgesehenen Beteiligungsverhältnisse vorliegen. Nur unter diesen Voraussetzungen ist die in einem anderen EU-Staat ansässige Tochtergesellschaft in einer gleichen Situation wie eine inländische Organgesellschaft (ebenso Frotscher in Frotscher/Maas, KStG, § 14 Rn. 15c; Nippert in Birk/Pöllath/Sänger (Hrsg.), Forum Steuerrecht, 2004, 71, 82 ff. [97 i.V.m. 79]; Wernsmann/Nippert, FR 2006, 153 [161]; Thömmes, IWB 2005 Fach 11a S. 938 [940 aE]; Englisch, IStR 2006, 22 [23 aE]; vgl. auch Balmes/Brück/ Ribbrock, BB 2006, 186 [189]; aA Scheunemann, IStR 2006, 145 [147]; ebenfalls aA Kleinert/Nagler/Rehm, DB 2005, 1869 und Nagler/Kleinert, DB 2005, 855 [856], die für eine grenzüberschreitende Organschaft den Abschluss eines - zivilrechtlich unwirksamen - Ergebnisabführungsvertrags "über die Grenze" und dessen tatsächliche Durchführung zu Inlandskonditionen fordern; ebenso Hey, GmbHR 2006, 113 [119]; vgl. zu den praktischen Schwierigkeiten, ein Konzernverhältnis so auszugestalten, dass es dem Abschluss eines Gewinnabführungsvertrags "über die Grenze" gleicht Linn/Reichl/Wittkowski, BB 2006, 630 [632] sowie Neumann in Gosch, Komm. zum KStG, 2. Aufl. 2009, § 14 Rn. 411 f.). Eine derartige Verlustübernahmeverpflichtung, durch die die ausländische Tochtergesellschaft einen rechtlichen Vorteil erlangt, kann rechtswirksam auch mit einem ausländischen Unternehmen abgeschlossen werden (Nippert in Birk/Pöllath/Sänger (Hrsg.), Forum Steuerrecht, 2004, 71, 82 ff. [97 i.V.m. 79]).
(2) Das Gebot der geltungserhaltenden Reduktion EU-rechtswidriger Bestimmungen schließt es nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der sich der erkennende Senat anschließt, nicht aus, bei Auslandssachverhalten an Tatbestandsmerkmale anzuknüpfen, die nicht ausdrücklich im deutschen Gesetzestext genannt sind, soweit hierdurch ein Verstoß gegen europäisches Gemeinschaftsrecht vermieden wird.
So war eine satzungsmäßige Vermögensbindung (§ 61 Abs. 1 AO) bei einer staatlich beaufsichtigten Stiftung eines anderen EU-Mitgliedstaats nach § 62 AO a.F. nur dann entbehrlich, wenn die ausländische Stiftungsaufsicht dem (Mindest-)Standard der Stiftungsaufsicht der deutschen Bundesländer entsprach (BFH-Urteil vom 20.12.2006 I R 94/02, BFH/NV 2007, 805 "Stauffer"), obwohl der Gesetzestext des § 62 AO a.F. derartige Mindestanforderungen nicht erwähnte.
Ebenso war § 50a Abs. 4 Satz 5 und 6 EStG in der im Jahr 1993 geltenden Fassung trotz der vorbehaltlosen tatbestandlichen Orientierung an der geleisteten Bruttovergütung innerhalb der EU grundsätzlich weiterhin anzuwenden. Im Wege der geltungserhaltenden Reduktion war diese Vorschrift nur dann nicht anzuwenden, wenn der beschränkt Steuerpflichtige Ausgaben hatte, die unmittelbar mit der betreffenden wirtschaftlichen Tätigkeit zusammenhingen und diese dem Vergütungsschuldner mitgeteilt hatte (BFH-Urteil vom 24.04.2007 I R 39/04, BStBl. II 2008, 95 "Scorpio" unter IV.5.b der Gründe), obwohl diese Differenzierung ebenfalls aus dem Wortlaut der Norm nicht zu entnehmen war.
Außerdem führte der Anwendungsvorrang gemeinschaftsrechtlichen Primärrechts nicht zu einer völligen Nichtanwendung der §§ 7 ff. Außensteuergesetz (AStG) a.F.; vielmehr waren die gemeinschaftsrechtlichen Erfordernisse in diese Normen "hineinzulesen" und §§ 7 ff. AStG a.F. gemeinschaftsrechtskonform zu "interpretieren" (BFH-Urteil vom 21.10.2009 I R 114/08 "Columbus Container Services", DStR 2010, 37).
Nach diesen Maßstäben ist im Wege geltungserhaltender Reduktion der §§ 14 Abs. 1 Satz 1 und 17 KStG das in jenen Vorschriften zumindest mittelbar enthaltene Erfordernis der rechtlich verbindlichen Verlustübernahmeverpflichtung auch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten als Tatbestandsvoraussetzung für eine Verlustverrechnung "über die Grenze" maßgeblich.
64(3) Darüber hinaus kommt eine Organschaft "über die Grenze" nach Ansicht des erkennenden Senats insoweit nicht in Betracht, als eine Muttergesellschaft Verluste der ausländischen Tochtergesellschaft nicht zeitnah durch Zufuhr von Eigenkapital ausgleicht, sondern - zunächst - Fremdkapital in Form eines Gesellschafterdarlehns zur Verfügung stellt, auch wenn dieses später durch Darlehnsverzicht in Eigenkapital umgewandelt wird.
Bei bloßer Darlehnsgewährung besteht schon zivilrechtlich ein so großer Unterschied gegenüber den in §§ 14 ff. KStG geregelten Sachverhalten, dass eine Verlustverrechnung auf der Ebene der Muttergesellschaft nicht auf ein aus EU-rechtlichen Gründen bestehendes Gleichbehandlungsgebot gestützt werden kann. Selbst bei kapitalersetzenden Darlehen handelt es sich um eigenständige Schuldverhältnisse, die von der Beteiligung als solche zu unterscheiden sind (BFH-Urteil vom 14.01.2009 I R 52/08, BStBl. II 2009, 674).
dd) Im Streitfall hat die Klägerin sich nicht zur Übernahme der Verluste ihrer italienischen Tochtergesellschaften verpflichtet. Vielmehr hat sie diesen Gesellschaften - ohne entsprechende rechtliche Verpflichtung - "freiwillig" Kapital in Form von Eigen- und Fremdkapital zur Verfügung gestellt.
Dass die Klägerin sich faktisch zur Zufuhr von Eigenkapital und/oder Gewährung von Gesellschafterdarlehn verpflichtet sah, um ihren guten Ruf nicht zu gefährden und eine Insolvenz oder eine von der italienischen €aufsicht veranlasste Schließung ihrer Tochtergesellschaften zu vermeiden, führt nicht zu einem anderen Ergebnis € Derartige "faktische Verpflichtungen" können auch bei rein nationalen Sachverhalten keine körperschaftsteuerliche Organschaft begründen.
ee) Soweit in der Literatur hingegen geltend gemacht wird, die Grundsätze des EuGH-Urteils "Marks & Spencer" könnten in Deutschland in keinem Fall zu einer Verlustverrechnung "über die Grenze" führen, da Liquidationsverluste nach deutschem Recht nicht vom Einkommen des Organträgers abzuziehen seien und bei allen anderen Sachverhalten, bei denen Verluste der Tochtergesellschaft aufgrund von Abzugsverboten des Ansässigkeitsstaats "definitiv" würden, ein vergleichbarer Inlandsfall fehle (so Dötsch/Pung, Der Konzern 2006, 130 [133]), vermag dies jedenfalls für den im Streitfall maßgeblichen Fall der Liquidation einer ausländischen Tochtergesellschaft nicht zu überzeugen.
Zwar mag ein Ergebnisabführungsvertrag im Rahmen eines Organschaftsverhältnisses dahingehend auszulegen sein, dass er nur auf die Abführung des Gewinns einer Erwerbsgesellschaft gerichtet ist und deshalb nicht zur Abführung eines Liquidationsgewinns führt (so BFH-Urteil vom 18.10.1967 I 262/63, BStBl. II 1968, 105). Hieraus mag auch folgen, dass Verluste aus der Phase einer Liquidation nicht von der Organschaft erfasst werden und deshalb nach deutschem Steuerrecht dem Organträger nicht zuzurechnen sind (so Dötsch/ Pung, aaO.).
Aus der Tatsache, dass etwaige Liquidationsverluste ggf. im Rahmen einer Organschaft weder nach nationalem Recht noch grenzüberschreitend zu berücksichtigen sind, folgt jedoch nicht, dass Verluste aus der aktiven Erwerbstätigkeit der Organgesellschaft ebenfalls dem Organträger nicht zugerechnet würden. Derartige Verluste aus der aktiven Tätigkeit einer Tochtergesellschaft sind nach deutschem Steuerrecht gemäß §§ 14 ff. KStG auch dann phasengleich dem Organträger zuzurechnen, wenn es später zu einer Liquidation der Tochtergesellschaft kommt.
Grenzüberschreitend dürften Verluste aus der aktiven Tätigkeit einer ausländischen Tochtergesellschaft nach Ansicht des erkennenden Senats aus den oben zu a) und b) aa), bb) und cc) genannten Gründen ggf. nach den Grundsätzen des Urteils "Marks & Spencer" dann der Muttergesellschaft zuzurechnen sein, wenn diese Verluste (z.B.) infolge einer Liquidation "definitiv" werden und im Staat der Tochtergesellschaft nicht mehr berücksichtigt werden können (glA Frotscher in Frotscher/Maas, KStG, § 14 Rn. 15c).
723. Da die Verluste der italienischen Tochtergesellschaften im Streitfall nicht mit den Gewinnen der Klägerin verrechnet werden können, bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob eine etwaige Verlustverrechnung bereits in den Streitjahren als Verlustentstehungsjahren zu erfolgen hätte oder erst in dem Jahr, in dem eine "Finalität" der Verluste feststeht (vgl. zu dieser Frage Gosch, BFH/PR 2008, 302 [303] und 490; Heger, jurisPR-SteuerR 47/2008 Anm. 1 - D; Mayr, BB 2008, 1816 [1818 f.]; Scheunemann, IStR 2006, 145 [151 f.]; Homburg, IStR 2009, 350 [352] m.w.N.).
Ebenso kann offen bleiben, ob eine "Finalität" der Verluste bereits mit Beginn der Liquidation eingetreten ist, da nach dem Vortrag der Klägerin in der Liquidationsphase nicht mit ins Gewicht fallenden Gewinnen zu rechnen ist, die die bereits entstandenen Verluste ausgleichen könnten oder ob - wie der Beklagte annimmt - für die Feststellung einer "Finalität" der Verluste zunächst die Liquidation der italienischen Tochtergesellschaften beendet sein muss. Es kann weiterhin dahingestellt bleiben, ob die Ergebnisse der Liquidationsphase sich überhaupt auf die für eine etwaige "grenzüberschreitende Organschaft" maßgeblichen Verluste auswirken können (vgl. hierzu oben III. 2 b ee).
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
Die Zulassung der Revision folgt aus § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und zur Fortbildung des Rechts. Die Frage, ob und ggf. wann und unter welchen Voraussetzungen Verluste ausländischer Tochtergesellschaften im Rahmen einer "grenzüberschreitenden Organschaft" entgegen dem Wortlaut der §§ 14 ff. KStG aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen bei der Muttergesellschaft zum Abzug zuzulassen sind, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt.
Niedersächsisches FG:
Urteil v. 11.02.2010
Az: 6 K 406/08
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/b48df3f19e4f/Niedersaechsisches-FG_Urteil_vom_11-Februar-2010_Az_6-K-406-08