Bundespatentgericht:
Urteil vom 9. August 2000
Aktenzeichen: 3 Ni 32/99
(BPatG: Urteil v. 09.08.2000, Az.: 3 Ni 32/99)
Tenor
Das europäische Patent 0 531 321 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland dadurch teilweise für nichtig erklärt, daß die Patentansprüche 1 und 2 folgende Fassung erhalten, auf welche die Patentansprüche 3 bis 23 zurückbezogen sind:
"1. Scheibenbremse für Fahrzeuge, insbesondere Straßenfahrzeuge, mit einem eine Bremsscheibe (1) übergreifenden Bremssattel (2), der einseitig eine Zuspannvorrichtung mit einem um eine zur Ebene der Bremsscheibe (1) parallel verlaufende Drehachse schwenkbaren Nockenhebel (4) aufweist, dessen Nocken in Bewegungsrichtung wenigstens annähernd rechtwinklig zur Ebene der Bremsscheibe (1) mit Stellspindeln (7,8) gekoppelt ist, die sich wenigstens annähernd rechtwinklig zur Ebene der Bremsscheibe (1) erstrecken und die verstellbar mit einem von dem Nocken bewegbaren Zwischenteil verschraubt sind, wobei das Zwischenteil als eine zur Ebene der Bremsscheibe (1) parallel verlaufende Traverse (6) ausgebildet ist, deren jedes Ende mit einer Stellspindel (7,8) verschraubt ist, und wobei die beiden Stellspindeln (7,8) durch eine Gleichlaufeinrichtung (Zahnriemen 12, Zahnrad 70) drehfest miteinander gekoppelt sind, und gegen deren bremsscheibenseitiges Ende sich ein relativ zum Bremssattel (2) quer zur Bremsscheibe (1) verschieblicher Bremsbelag (10) abstützt, und wobei zum Justieren des Lösespiels ein vom Schwenkhub des Nockenhebels (4) betätigter Drehantrieb (14,14',14'') für die Stellspindeln (7,8) vorgesehen ist, dadurch gekennzeichnet, daß der Drehantrieb (14,14',14'') im wesentlichen in einer wenigstens bremsscheibenabgewandt offenen Axialbohrung der Stellspindel (7) angeordnet und ein Abtriebsteil (34,34',34'') des Drehantriebes (14,14'14'') relativ undrehbar, aber axialverschieblich mit der Stellspindel (7) gekoppelt ist.
2. Scheibenbremse nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß nur eine der Stellspindeln (7) unmittelbar mit einem vom Nockenhebel (4) über einen Schwenkantrieb (Antreibhebel 15, Anschlagstift 17) antreibbaren Drehantrieb (14, 14',14'') gekoppelt ist und die Gleichlaufeinrichtung (Zahnriemen 12, Zahnrad 70) als Drehantrieb für die andere Stellspindel (8) dient."
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin und die Beklagte .
Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 13.000,-DM und für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 39.000,- DM vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 15. Mai 1991 angemeldeten und ua mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 531 321 (Streitpatent), für das die Prioritäten der deutschen Patentanmeldungen 40 18 227 vom 7. Juni 1990 und 40 34 165 vom 26. Oktober 1990 in Anspruch genommen worden sind. Das Streitpatent betrifft eine Scheibenbremse für Fahrzeuge und umfaßt 23 Patentansprüche. Patentanspruch 1 hat in der erteilten Fassung folgenden Wortlaut:
"1. Scheibenbremse für Fahrzeuge, insbesondere Straßenfahrzeuge, mit einem eine Bremsscheibe (1) übergreifenden Bremssattel (2), der einseitig eine Zuspannvorrichtung mit einem um eine zur Ebene der Bremsscheibe (1) parallel verlaufende Drehachse schwenkbaren Nockenhebel (4) aufweist, dessen Nocken in Bewegungsrichtung wenigstens annähernd rechtwinklig zur Ebene der Bremsscheibe (1) mit wenigstens einer Stellspindel (7,8) gekoppelt ist, die sich wenigstens annähernd rechtwinklig zur Ebene der Bremsscheibe (1) erstreckt und die verstellbar mit dem Nocken oder einem von diesem bewegbaren Zwischenteil (Traverse 6) verschraubt ist und gegen deren bremsscheibenseitiges Ende sich ein relativ zum Bremssattel (2) quer zur Bremsscheibe (1) verschieblicher Bremsbelag (10) abstützt, und wobei zum Justieren des Lösespiels ein vom Schwenkhub des Nockenhebels (4) betätigter Drehantrieb (14,14',14'') für die Stellspindel (7,8) vorgesehen ist, dadurch gekennzeichnet, daß der Drehantrieb (14,14',14'') im wesentlichen in einer axialen, wenigstens bremsscheibenabgewandt offenen Ausnehmung der Stellspindel (7) angeordnet und ein Abtriebsteil (34,34',34'') des Drehantriebes (14,14'14'') relativ undrehbar, aber axialverschieblich mit der Stellspindel (7) gekoppelt ist."
Wegen des Wortlauts der auf Patentanspruch 1 mittelbar oder unmittelbar zurückbezogenen Patentansprüche 2 bis 23 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
Die Klägerin macht geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig, weil er nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Zur Begründung beruft sie sich auf die Druckschriften NK 3 US-PS 3 482 665, NK 4 DE 36 10 569 A1, NK 5 DE 37 16 202 A1, NK 6 US-PS 3 837 437 und NK 7 DE 35 36 562 A1.
Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 531 321 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte eine neue Fassung der Patentansprüche 1 und 2 überreicht und erklärt, daß sie das Streitpatent bezüglich dieser Patentansprüche nur noch in diesem Umfang verteidige, wobei sich die erteilten Patentansprüche 3 bis 23 auf die neuen Patentansprüche 1 und 2 zurückbeziehen sollen. Wegen des Wortlauts der neuen Patentansprüche wird auf den Urteilstenor verwiesen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen das Streitpatent im verteidigten Umfang richtet.
Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und hält das Streitpatent für patentfähig.
Gründe
Die zulässige Klage führt zur teilweisen Nichtigerklärung in dem Umfang, in dem das Streitpatent nicht mehr verteidigt wird.
Die in der mündlichen Verhandlung erklärte Beschränkung der Patentansprüche 1 und 2 hält sich im Rahmen der ursprünglichen Offenbarung und des erteilten Patents und erweitert weder den Gegenstand noch den Schutzbereich des Streitpatents. Diese Anspruchsfassungen sind daher der Überprüfung auf Patentfähigkeit zugrunde zu legen. Insoweit erweist sich die Klage als unbegründet, denn der Senat konnte nicht feststellen, daß der Gegenstand des Streitpatents in der verteidigten Fassung nicht patentfähig ist (Art II § 6 Abs 1 Nr 1 IntPatÜG, Art 138 Abs 1 lit a EPÜ iVm Art 56 EPÜ).
I.
1) Das Streitpatent betrifft eine Scheibenbremse insbesondere für Straßenfahrzeuge, die Bremssattel, Zuspannvorrichtung, Nockenhebel und damit gekoppelte Stellspindeln mit Drehantrieb aufweist und aus dem Stand der Technik grundsätzlich bekannt ist. Die deutschen Offenlegungsschriften 36 10 569 und 37 16 202 (s Sp 1 Z 37 bis 46) zeigen bereits Scheibenbremsen mit zwei Stellspindeln, die mit einer parallel zur Ebene der Bremsscheibe verlaufenden Traverse verschraubt sind. Die Stellspindeln sind zudem mit einer Gleichlaufeinrichtung ausgestattet, die einen Zahnriemen- oder Kettentrieb aufweisen kann. Die Nachstellung des Lösespiels erfolgt dadurch, daß die Schwenkbewegungen des Nockenhebels in Bewegungen des Zahnriemens umgesetzt werden, was mittels eines Antriebs vom Nockenhebel zu einer Umlenkrolle für den Zahnriemen bzw durch eine am Nockenhebel gehalterte, mit dem Zahnriemen zusammenwirkende, klinkenartige Formfeder erfolgt. Zahnriemen bzw Gleichlaufeinrichtung müssen somit die Kräfte für die gleichzeitige Nachstellung beider Stellspindeln übertragen, wobei Zahnriemen bzw Gleichlaufeinrichtung stark beansprucht werden können.
2) Dem Streitpatent liegt die Aufgabe zugrunde (s S. 1 Z 27 bis 32), eine Scheibenbremse der eingangs genannten Art mit einfachen Mitteln derart auszubilden, daß bei funktionssicherem und -günstigen Nachstellverhalten der Drehantrieb für die Stellspindel montage- und einbauraumgünstig angeordnet und als kompakte Baueinheit ausbildbar ist, wobei bei Vorhandensein eines Gleichlaufgetriebes dieses bzw der Zahnriemen während Nachstellvorgängen von nur mäßigen Beanspruchungen belastet, insbesondere von seiner Funktion als Nachstell-Steuerorgan entlastet wird.
3) Zur Lösung beschreibt Patentanspruch 1 in der verteidigten Fassungeine Scheibenbremse für Fahrzeuge, insbesondere Straßenfahrzeuge, 1. mit einem eine Bremsscheibe übergreifenden Bremssattel, 1.1. der einseitig eine Zuspannvorrichtung aufweist.
2. Die Zuspannvorrichtung hat einen schwenkbaren Nockenhebel, 2.1. dessen Drehachse parallel zur Ebene der Bremsscheibe verläuft.
3. Der Nocken des Nockenhebels ist in Bewegungsrichtung wenigstens annähernd rechtwinklig zur Ebene der Bremsscheibe mit Stellspindeln gekoppelt, wobei 3.1. die Stellspindeln sich wenigstens annähernd rechtwinklig zur Ebene der Bremsscheibe erstrecken und 3.2. verstellbar mit einem von den Nocken bewegbaren Zwischenteil verschraubt sind, wobei 3.2.1. das Zwischenteil als eine zur Ebene der Bremsscheibe parallel verlaufende Traverse ausgebildet ist, deren jedes Ende mit einer Stellspindel verschraubt ist, und 3.2.2. die beiden Stellspindeln durch eine Gleichlaufeinrichtung (Zahnriemen, Zahnrad) drehfest miteinander gekoppelt sind, und 3.3. sich gegen das bremsscheibenseitige Ende der Stellspindel ein relativ zum Bremssattel quer zur Bremsscheibe verschieblicher Bremsbelag abstützt.
4. Zum Justieren des Lösespiels ist ein Drehantrieb für die Stellspindeln vorgesehen, 4.1. der vom Schwenkhub des Nockenhebels betätigt wird.
5. Der Drehantrieb ist im wesentlichen in einer Axialbohrung der Stellspindel angeordnet, wobei 5.1. die Axialbohrung wenigstens bremsscheibenabgewandt offen ist.
6. Ein Abtriebsteil des Drehantriebs ist mit der Stellspindel gekoppelt, 6.1. wobei die Kopplung relativ undrehbar, aber axial verschieblich ist.
II.
1.) Der Gegenstand des verteidigten Patentanspruchs 1 ist neu, was auch die Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht in Abrede gestellt hat. Keine der Entgegenhaltungen zeigt eine Scheibenbremse für Fahrzeuge mit allen Merkmalen des Patentanspruchs 1.
2.) Die Klägerin hat den Senat nicht davon überzeugen können, daß sich der Gegenstand des verteidigten Patentanspruchs für den Fachmann - einen mit der Konstruktion von Scheibenbremsen befaßten Diplomingenieur der Fachrichtung Allgemeiner Maschinenbau, der gute Kenntnisse sowohl der allgemeinen Grundlagen des Scheibenbremsenbaus als auch der gängigen und in der Praxis angewandten Bremsentypen besitzt - in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.
Das Streitpatent geht von der in der deutschen Offenlegungsschrift 36 10 569 oder der deutschen Offenlegungsschrift 37 16 202 beschriebenen Scheibenbremse für Fahrzeuge aus, die jeweils zwei Stellspindeln aufweisen, die mit den Enden einer parallel zur Ebene der Bremsscheibe verlaufenden Traverse verschraubt sind. Diese bekannten Scheibenbremsen sind zur Nachstellung bei überhöhtem Bremshub mit einer Gleichlaufeinrichtung für die beiden Stellspindeln ausgestattet, welche einen die Stellspindeln koppelnden Zahnriemen- oder Kettenantrieb aufweisen. Bei beiden Ausführungen muß der Zahnriemen die Kräfte für die gleichzeitige Nachstellung beider Stellspindeln übertragen, wodurch dieser hoch beansprucht wird.
Generelles Ziel des Streitpatents ist eine Verbesserung oder Fortentwicklung der aus den auf die Patentinhaberin zurückgehenden deutschen Offenlegungsschriften bekannten Verschleißnachstellvorrichtungen, wobei die in der Aufgabe (S 2, Abs 3) genannten Einzelforderungen erfüllt werden sollen.
Zur Erreichung dieses Ziels ist beim Patentgegenstand die Unterbringung des Drehantriebs im wesentlichen in einer wenigstens bremsscheibenabgewandt offenen Axialbohrung der Stellspindel sowie eine relativ undrehbare, aber axialverschiebliche Koppelung des Drehantriebes mit der Stellspindel vorgesehen.
Der im Verfahren befindliche Stand der Technik legt es dem Fachmann aber nicht nahe, den Drehantrieb für die Stellspindel im wesentlichen in einer bremsscheibenabgewandt offenen Axialbohrung der Stellspindel anzuordnen. Allein durch diese Maßnahme wird bereits erreicht, daß der Drehantrieb gemäß den Forderungen in der Aufgabenstellung montage- und einbauraumgünstig angeordnet und als kompakte Baueinheit ausgebildet ist, da diese Maßnahme eine einfache Montage bzw Demontage des Drehantriebes als kompakte Baueinheit von der bremsscheibenabgewandten Seite her aus der Stellspindel ermöglicht.
Aus der deutschen Offenlegungsschrift 36 10 569 ist eine Scheibenbremse bekannt, die die wesentlichen Merkmale des Oberbegriffs des Patentanspruchs 1 aufweist. Zum Einstellen des Lösespiels der Bremsbacken ist eine Gewindehülse 28 mit einem innenliegendem Gewinde vorgesehen, die mit einer Gewindespindel 22 mit Außengewinde zusammenwirkt. Der Antrieb zum gegenseitigen Verdrehen von Gewindehülse und -spindel erfolgt dabei über die Antriebstrommel 32, die die Gewindehülse und -spindel von außen teilweise übergreift und von einem Zahnriemen 35 angetrieben wird. Damit liegt der Drehantrieb für die Stellspindel ausschließlich außerhalb der Axialbohrung der Stellspindel. Innerhalb der Axialbohrung der Stellspindel ist dagegen ein Druckbolzen 18 zur Kraftübertragung vom Exzenter 7 über die Zwischenplatte 25 auf den Boden 24 der Stellspindel vorgesehen, dh die Axialbohrung der Stellspindel enthält ausschließlich für die Betätigung der Bremsbacke notwendige Teile, die nichts mit dem Drehantrieb für die Stellspindel zu tun haben. Der Fachmann kann der deutschen Offenlegungsschrift 36 10 569 daher keine Anregung in Richtung der streitpatentgemäßen Lösung entnehmen.
Auch aus der deutschen Offenlegungsschrift 37 16 202 ist eine Scheibenbremse bekannt, bei der der Drehantrieb für die Stellspindeln (Gewinderohr 31a, b) über einen Zahnriemen 37 erfolgt, der außen um die Stellspindel herumgeführt wird. Der Antrieb des Zahnriemens erfolgt durch eine am Nockenhebel gehalterte, mit dem Zahnriemen zusammenwirkende, klinkenartige Blattfeder 39, die in der Bremse zentral, zwischen den beiden Stellspindeln angeordnet ist. Dabei weisen die Stellspindeln jeweils freie Axialbohrungen auf, die bremsscheibenabgewandt offen sind. Trotz dieses freien Raumes in den Stellspindeln ist der bekannte Drehantrieb außerhalb der Spindeln angeordnet, so daß die deutsche Offenlegungsschrift 37 16 202 dem Fachmann keinesfalls eine Anregung geben konnte, den Drehantrieb im wesentlichen in der Axialbohrung der Stellspindel anzuordnen.
Aus der US-Patentschrift 3 482 665 ist eine Scheibenbremse bekannt, die sowohl hydraulisch als auch als Feststellbremse betätigt werden kann. Dabei wird für beide Betätigungsarten jeweils eine eigene Spielnachstellung beschrieben. Bei der hydraulischen Betätigung wirkt der hydraulische Druck auf den Kolben 2 und verschiebt diesen in Richtung der Bremsscheibe. Die Spielnachstellung erfolgt bei sich vergrößerndem Abstand zwischen Welle 3 und Kolben 2 und den dadurch bewirkten Zug auf das nicht selbsthemmende Gewinde zwischen der Nachstellhülse 7 und dem Nachstellbolzen 6. Diese Spielnachstellung bei der hydraulischen Betätigung der bekannten Scheibenbremse hat keinerlei konstruktive Ähnlichkeit mit der des Streitpatents, da bei dieser Art der Nachstellung schon kein eigener Drehantrieb einer Stellspindel vorgesehen ist, der vom Schwenkhub eines Nockenhebels betätigt wird. Sie vermag daher dem Fachmann mangels jeglichen Vorbildes auch keine Anregung in Richtung der streitpatentgemäßen Lehre zu geben.
Die Spielnachstellung bei der Betätigung der Feststellbremse erfolgt über den Nachstellhebel 8, der - angetrieben durch die Bewegung des Betätigungshebels 4 für die Feststellbremse - die Nachstellhülse 7 verdreht und damit die Einheit Bolzen 6/Hülse 7 verlängert. Diese Art der Spielnachstellung weist einen Drehantrieb für die Nachstell-Hülse 7 auf, der außen an der Hülse 7 und damit am äußeren Umfang der Einhheit Bolzen 6/Hülse 7 angeordnet ist. Der mit der streitpatentgemäßen Stellspindel vergleichbare Nachstellbolzen 6 weist keine erkennbare axiale Ausnehmung auf. Daher kann auch die konstruktive Ausführung der Spielnachstellung bei Betätigung der Feststellbremsen nach der amerikanischen Patentschrift 3 482 665 dem Fachmann keine Anregung vermitteln, den Drehantrieb in einer Axialbohrung der Stellspindel anzuordnen.
Der Vortrag der Klägerin, daß eine Zusammenschau des oben abgehandelten Standes der Technik den Fachmann zum Gegenstand des Streitpatents führe, ohne erfinderisch tätig werden zu müssen, konnte den Senat nicht überzeugen.
Die Klägerin trägt hierzu vor, der Fachmann stelle beim Studium der deutschen Offenlegungsschrift 37 16 202 fest, daß die Stellspindel eine nicht genutzte Ausnehmung aufweise, deren Platz sich für die Unterbringung von Bremsenteilen eigne. Durch den Verweis in der Beschreibungseinleitung auf die deutsche Offenlegungsschrift 36 10 569 ziehe er auch diese Druckschrift in Betracht und stelle dort fest, daß diese in einer axialen Ausnehmung der Spindel bereits einen Teil des Antriebes aufweise. Da die übrige konstruktive Ausgestaltung der Scheibenbremse nach der deutschen Offenlegungsschrift 36 10 569 sehr aufwendig sei, suche er nach einer neuen konstruktiven Lösung, die er ins Innere der Spindel integrieren könne. Dabei stoße er auf die US-Patentschrift 3 482 665, bei der Teile des Drehantriebes bereits innerhalb des Kolbens angeordnet seien. Da die Gewindehülse 28 gemäß der deutschen Offenlegungsschrift 36 10 569 ein dem Kolben 2 nach der US-Patentschrift 3 482 665 äquivalentes Teil darstelle, führe eine Übertragung der bekannten Anordnung der Teile des Drehantriebes innerhalb des Kolbens aus der US-Patentschrift auf die deutsche Offenlegungsschrift 36 10 569 bereits ohne erfinderische Tätigkeit zum Gegenstand des Patentanspruchs 1.
Der Senat ist demgegenüber der Auffassung, daß die nicht genutzte axiale Ausnehmung in der Stellspindel nach der deutschen Offenlegungsschrift 37 16 202 den Fachmann in Zusammenschau mit der deutschen Offenlegungsschrift 36 10 569 lediglich dazu anregen könnte, diesen Raum mit zur Bremskraftübertragung nötigen Teilen zu nutzen. Für eine Unterbringung eines Drehantriebs in einer axialen Ausnehmung einer Stellspindel zum Justieren des Lösespiels findet der Fachmann jedenfalls im gesamten Stand der Technik keinen Hinweis.
Auch bezüglich der Interpretation der Bremse nach der deutschen Offenlegungsschrift 36 10 569 vermag der Senat den Ausführungen der Klägerin nicht zu folgen. Diese bekannte Bremse weist, wie bereits dargelegt, im Innenraum der Spindel 22 keine dem Drehantrieb zugehörenden Teile auf, sondern lediglich Teile wie den Druckbolzen 18, die der Übertragung der Bremskraft dienen.
Auch die Darlegungen der Klägerin bezüglich der US-Patentschrift 3 482 665 sind für den Senat nicht überzeugend, denn deren Kolben 2 ist mit der Gewindehülse 28 nach der deutschen Offenlegungsschrift 36 10 569 nicht vergleichbar. Während der Kolben 2 allein der Beaufschlagung durch ein hydraulisches Medium bei Bremsbetätigung dient, bildet die Gewindehülse 28 lediglich zusammen mit der Gewindespindel 22 eine Spindeleinrichtung, die durch Verschrauben in ihrer Länge einstellbar ist. Funktionsmäßige oder bauliche Übereinstimmungen, die einen Vergleich der Teile begründen könnten, sind nicht erkennbar.
Die Ausführungen der Klägerin zum Naheliegen des Gegenstandes des Streitpatents durch eine Zusammenschau des Standes der Technik können daher nur aus retrospektiver Sicht in Kenntnis des Patentgegenstandes verstanden werden. Ein Naheliegen des Erfindungsgegenstandes kann damit jedenfalls nicht schlüssig begründet werden.
Die beiden übrigen im Verfahren befindlichen Druckschriften wurden in der mündlichen Verhandlung sachlich nicht mehr aufgegriffen, da sie dem Gegenstand des Streitpatents nicht näher kommen als die oben bereits im einzelnen abgehandelten Druckschriften. So ist bei der komplizierten und aufwendigen Konstruktion der Nachstellvorrichtung nach der US-Patentschrift 3 837 437 die Stellspindel bremsscheibenabgewandt geschlossen und der gesamte Drehantrieb um die Stellspindel herum und nicht in einer Axialbohrung der Stellspindel angeordnet. Bei der Scheibenbremse nach der deutschen Offenlegungsschrift 35 36 562 erfolgt der Drehantrieb für die Spindeln über eine auf den Außenumfang einer mit der Stellspindel zusammenwirkende Mutter, so daß der Drehantrieb ebenfalls nicht im wesentlichen in einer Axialbohrung der Stellspindeln angeordnet ist. Somit sind beide Druckschriften mangels jeglichen Hinweises, den Drehantrieb ins Innere der Stellspindel zu verlegen, nicht dazu geeignet, dem Fachmann eine Anregung in Richtung der streitpatentgemäßen Lösung zu geben.
Zusammenfassend ist festzustellen, daß es für den Fachmann nicht nahegelegen haben kann, den Drehantrieb so in einer Axialbohrung der Stellspindel anzuordnen, daß er montagefreundlich und einbauraumgünstig als kompakte Baueinheit aus dieser Ausnehmung entnommen werden kann. Zu dieser Lösung gibt es im gesamten Stand der Technik keinerlei Vorbild und Anregung. Die Drehantriebe der bekannten Spindeln sind vielmehr stets außerhalb der Stellspindeln angeordnet, dies sogar dann, wenn in der Stellspindel freier Raum vorhanden wäre.
Da es auch keine Anzeichen dafür gibt - Entsprechendes wurde von der Klägerin auch nicht vorgetragen -, daß die streitpatentgemäße Lehre sich ohne weiteres aus dem Fachwissen des Fachmannes ergibt, beruht die Lehre nach dem Patentanspruch 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Der Patentanspruch 1 des Streitpatents ist daher im verteidigten Umfang bestandsfähig.
Die weiter angegriffenen Patentansprüche 2 bis 23 haben in Verbindung mit dem Patentanspruch 1 ebenfalls Bestand.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 Abs 2 PatG iVm § 92 Abs 1 ZPO und entspricht dem jeweiligen Obsiegen bzw Unterliegen der Parteien.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 99 Abs 1 PatG iVm § 709 ZPO.
Grüttemann Trüstedt Schmidt-Kolb Sperling Sredl Pr
BPatG:
Urteil v. 09.08.2000
Az: 3 Ni 32/99
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