Sozialgericht Bayreuth:
Beschluss vom 18. April 2011
Aktenzeichen: S 10 SF 107/10 E
(SG Bayreuth: Beschluss v. 18.04.2011, Az.: S 10 SF 107/10 E)
Tenor
I. Die Erinnerung vom 15. Juli 2010 gegen denKostenfestsetzungsbeschluss vom 13. Juli 2010 wird als unbegründetzurückgewiesen.
II. Die Beschwerde wird zugelassen.
Gründe
A.
Streitig ist nur die Berücksichtigung der hälftigen Beratungshilfegebühr gem. Ziff. 2503 Abs. 2 Satz 1 VV RVG bei den Gebühren eines anschließenden Verfahrens I. Instanz vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit.
I.
Eine Bedarfsgemeinschaft, bestehend aus einem Ehepaar und dessen volljähriger Tochter, stand in laufenden Leistungsbeziehungen nach dem SGB II zu dem örtlich zuständigen Leistungsträger.
Wegen rückständiger Stromkosten war bereits im Jahr 2008 ein Verfahren vor dem Sozialgericht Bayreuth anhängig gewesen, in dem ein gegen den Leistungsträger nach dem SGB II klagendes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft von dem mit dem Erinnerungsführer eine Bürogemeinschaft bildenden Rechtsanwalt vertreten wurde. In einem weiteren Verfahren gegen den Leistungsträger nach dem SGB II (bezüglich der nachträglich leistungsmindernden Berücksichtigung der Einkommensteuererstattung für das Jahr 2006) hatte der Erinnerungsführer selbst die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft anwaltlich vertreten.
Zuletzt waren zum Erörterungstermin vor der 13. Kammer des Sozialgerichts Bayreuth am 25.2.2010 (ab 10.00 Uhr beginnend im 15-Minuten-Abstand) noch 20 Verfahren der gleichen Parteien bezüglich der Höhe der vom Leistungsträger zu gewährenden Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II geladen, die jedoch formlos gleichzeitig von 10.00 Uhr bis 14.00 Uhr verhandelt wurden. Eines dieser Verfahren ist das vorliegende, für das ebenfalls Prozesskostenhilfe bewilligt und der Erinnerungsführer seiner Mandantschaft beigeordnet wurde.
II.
Mit angefochtenem Kostenfestsetzungsbeschluss 13.7.2010 bewilligte die Kostenbeamtin Verfahrens-, Termins- und Einigungsgebühr sowie Fahrkosten/Abwesenheitsgeld, Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer antragsgemäß, brachte aber gem. Ziff. 2503 Abs. 2 VV RVG die Gebühr für die im Vorverfahren erhaltene Beratungshilfe zur Hälfte von den angefallenen Gebühren in Abzug.
Hiergegen richtet sich die am 15.7.2010 eingelegte Erinnerung mit der lapidaren Begründung, die von der Kostenbeamtin angewandte Anrechnungsvorschrift finde keine Anwendung.
Die Kostenbeamtin hat nach Überprüfung ihrer Festsetzung dem Erinnerungsbegehr unter Hinweis auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung nicht abgeholfen und den Vorgang der zuständigen Kostenrichterin vorgelegt.
B.
Die gem. §§ 56, 45 RVG erfolgte Anrufung des Gerichts ist zulässig, jedoch in der Sache nicht begründet. I.
Die dem Anwalt aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung wird gem. § 55 RVG auf Antrag des Rechtsanwalts von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Gerichts des ersten Rechtszuges festgesetzt. Der Vergütungsanspruch bestimmt sich hier gem. § 48 Abs. 1 RVG nach dem Beschluss, durch den Prozesskostenhilfe bewilligt und der Rechtsanwalt seiner Mandantschaft beigeordnet worden ist.
In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz - wie hier wegen Nichtvorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen des § 197a SGG - nicht anzuwenden ist, entstehen gem. § 3 RVG Betragsrahmengebühren. Bei Rahmengebühren bestimmt gem. § 14 RVG der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Dies ist vorliegend aber bei den drei vom Erinnerungsführer zur Festsetzung in Höhe jeweils der Mittelgebühr angegebenen Gebühren nicht der Fall, so dass sie von der Kostenbeamtin zutreffend der Berechnung der von der Staatskasse zu erstattenden Beträge zugrunde gelegt wurden.
II.
Die Kostenbeamtin hat aber auch zutreffend gem. Ziff. 2503 Abs. 2 Satz 1 VV RVG die dem Erinnerungsführer im Wege der Beratungshilfe für das Vorverfahren bewilligte Geschäftsgebühr zur Hälfte auf die im nachfolgenden Klageverfahren angefallenen Gebühren angerechnet.
1. Ausgangspunkt der Prüfung sind die Ziffern 3103 und 2503 Abs. 2 Satz 1 VV RVG.
a. Nach Ziff. 3102 beträgt die Verfahrensgebühr für Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG), zwischen 40 und 460 EUR; ist aber eine Tätigkeit desselben Anwalts in derselben Angelegenheit im Verwaltungsverfahren oder im weiteren, der Nachprüfung des Verwaltungsakts dienenden Verwaltungsverfahren vorausgegangen, beträgt die Verfahrensgebühr nach Ziff. 3103 VV RVG (nur noch) 20 bis 320 EUR.
Da vorliegend der Erinnerungsführer seine Mandantin bereits im Widerspruchsverfahren in derselben Angelegenheit vertreten hat, bestimmt sich die Verfahrensgebühr im erstinstanzlichen Verfahren nach Ziff. 3103 VV RVG und damit dem niedrigeren Gebührenrahmen. Dies hat der Erinnerungsführer zu Recht selbst seinem Gebührenansatz zugrunde gelegt und dem ist von der Kostenbeamtin auch in vollem Umfang entsprochen worden.
Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Landessozialgerichts (Beschluss vom 4.11.2010, Az.: L 15 B 617/08 SB KO) stünde dem Erinnerungsführer bei Anwendung der Ziff 2503 VV RVG die Verfahrensgebühr nur aus dem höheren Gebührenrahmen zu (statt der Mittelgebühr von 170 EUR müsste die Mittelgebühr von 250 EUR und damit 80 EUR mehr vergütet werden). Dies wäre vorliegend jedoch nicht möglich, weil nach §§ 3, 14 RVG kostenrechtlich nicht mehr vergütet werden kann als vom Antragsteller verlangt wurde. Der Erinnerungsführer hat hier die Mittelgebühr aus der Ziff. 3103 VV RVG in Höhe von 170 EUR verlangt und durch die Kostenfestsetzung der Kostenbeamtin auch erhalten. Seine Erinnerung wäre demzufolge als unbegründet abzuweisen. Vorliegend kann dies aber dahinstehen, weil die Kammer der Rechtsauffassung des Bayerischen Landessozialgerichts nicht folgt.
b. Entscheidungserheblich ist neben der Ziff. 3103 VV RVG vorliegend auch die Ziff. 2503 VV RVG. Nach deren Absatz 1 entsteht diese Geschäftsgebühr im Rahmen der Beratungshilfe in Höhe des Festbetrages von 70 EUR für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information. Nach Absatz 2 Satz 1 ist diese Gebühr auf die Gebühren für ein anschließendes Verfahren zur Hälfte anzurechnen.
Da sich die Kostenfestsetzung auf das dem Widerspruchsverfahren unmittelbar nachgehende erstinstanzliche Verfahren bezieht, liegen hier die Tatbestandsvoraussetzungen der Ziff. 2503 Abs. 2 Satz 1 VV RVG vor mit der Folge, dass die im Widerspruchsverfahren aus der Staatskasse gewährte Geschäftsgebühr auf die im erstinstanzlichen Verfahren dem Grunde nach angefallene Verfahrensgebühr nach Ziff. 3103 VV RVG hälftig anzurechnen ist. Auch insoweit begegnet demnach die angefochtene Kostenentscheidung keinen Bedenken.
2. Einer Interpretation des Vergütungsverzeichnisses entgegen seinem ausdrücklichen Wortlaut im Sinne der og Rechtsprechung des Bayerischen Landessozialgerichts vermag die Kammer unter Anwendung der üblichen Auslegungskriterien (s. nachstehend III. bis VI.) nicht näher zu treten. Auch Anhaltspunkte für eine Verfassungswidrigkeit sind nicht zu erkennen (s. nachstehend VIII.).
Eine Gesetzeslücke, die im Wege der Rechtsprechung geschlossen werden könnte, besteht nicht. Zur Ausfüllung von Regelungslücken sind die Richter nur berufen, wenn das Gesetz mit Absicht schweigt, weil es der Rechtsprechung überlassen wollte, das Recht zu finden, oder das Schweigen des Gesetzes auf einem Versehen oder darauf beruht, dass sich der nicht geregelte Tatbestand erst nach Erlass des Gesetzes durch eine Veränderung der Lebensverhältnisse ergeben hat (vgl BSG U v 10.5.1995, Az.: 1 RK 20/94 = BSGE 76, 109 ff). Weder liegt hier ein absichtliches oder versehentliches Schweigen des Gesetzes vor noch ist nach Inkrafttreten des RVG eine Gesetzeslücke durch eine Änderung tatsächlicher Umstände eingetreten.
III.
Zunächst wendet das Gericht die grammatikalische Auslegung an, mit der anhand der vom Normgeber verwendeten Formulierungen versucht wird, den genauen Inhalt der Norm zu erkennen, also die Bedeutung vom Wortsinn her zu erforschen. Dabei ist neben dem alltäglichen Sprachgebrauch auch die übliche Bedeutung in der Rechtssprache und die Bedeutung des Wortes in anderen Gesetzen zu berücksichtigen.
Unter Anwendung dieser Auslegungsmethode ist festzuhalten, dass die beiden streitbefangenen Normen hinsichtlich ihrer Wortwahl in der Alltags- wie in der Rechtssprache jeweils unmissverständlich und eindeutig sind - und zwar sowohl hinsichtlich der jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen wie auch der jeweiligen Rechtsfolgen.
Sprachlich fällt allerdings auf, dass Ziff. 3103 VV RVG keine - wie es das Bayer. Landessozialgericht (aaO) bezeichnet - "Kürzung" der Verfahrensgebühr enthält, sondern für ausdrücklich genannte Ausnahme-Tatbestandsmerkmale eine andere Rechtsfolge vorsieht als in den Regelfällen der Ziff. 3102 VV RVG. Zur besseren Verständlichkeit mag hier so formuliert werden, dass es in erstinstanzlichen sozialgerichtlichen Verfahren zwei verschiedene Verfahrensgebühren mit unterschiedlichen Tatbestandsvoraussetzungen gibt. Welche Verfahrensgebühr im konkreten Einzelfall zum Tragen kommt, bestimmt sich nach der Subsumption des konkreten Sachverhalts unter die jeweiligen Tatbestandsmerkmale.
Auch Ziff. 2503 Abs. 2 Satz 1 VV RVG spricht nicht von einer "Kürzung", sondern einer "Anrechnung". Schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch handelt es sich also nicht um eine Verminderung oder eine Beschränkung eines Anspruchs, sondern es wird bei einer Anrechnung etwas anderes, außerhalb Geschehenes in das Aktuelle mit einbezogen; es wird eine im Vorverfahren angefallene Gebühr teilweise mit einbezogen in die im anschließenden Gerichtsverfahren angefallenen Gebühren. Als terminus technicus meint -Anrechnung- eine kraft Gesetzes von selbst (also ohne Vornahme einer Aufrechnung) eintretende Verrechnung bestimmter Beträge mit dem Ergebnis einer einheitlichen Forderung in Höhe des Saldos. Die im Vorverfahren aus der Staatskasse gewährte Geschäftsgebühr ist also von Gesetzes wegen automatisch zur Hälfte bei den im Klageverfahren konkret angefallenen Gebühren schuldtilgend zu berücksichtigen.
IV.
Im Wege der systematischen Auslegung wird versucht, die zu interpretierenden Normen im Zusammenhang mit den anderen Vorschriften des Abschnitts oder des gesamten Gesetzestextes zu sehen und in Einklang zu bringen.
1. Hier ergibt sich, dass die Anrechnungsnorm der Ziff 2503 VV RVG im Teil 2 der VV RVG steht, der außergerichtliche Tätigkeiten einschließlich der Vertretung im Verwaltungsverfahren mit Ausnahme der in §§ 34-36 RVG genannten Sachverhalte betrifft. Der letzte und 5. Abschnitt dieses Teils regelt nach seiner Vorbemerkung 2.5. abschließend die Gebühren, die im Rahmen der Beratungshilfe entstehen können. Zu dieser abschließenden Regelung gehört auch, dass und in welchem Umfang staatliche Sozialhilfe (in Form der Beratungshilfe) auch in die Gebühren eines anschließendes Verfahren hineinwirkt - und zwar unabhängig davon, ob für dieses anschließende Verfahren ebenfalls staatliche Sozialhilfe gewährt wird oder nicht.
Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber im Falle der staatlichen Finanzierung in Ziff. 2503 VV RVG für das Verwaltungsverfahren - anders als bei der von der vermögenden Partei eigenfinanzierten Geschäftsgebühr der Ziff. 2400 VV RVG - keine Rahmengebühr mit einer Mittelgebühr von 240 EUR vorsieht, sondern einen pauschalen Festbetrag von 70 EUR, mit dem unabhängig von den Kriterien des § 14 RVG die anwaltliche Tätigkeit "ohne Wenn und Aber" abgegolten ist. In den Fällen staatlicher Unterstützung ist die Geschäftsgebühr vom Normgeber also signifikant zugunsten der Länderkassen gestaltet: die Geschäftsgebühr ist zum einen deutlich niedriger als die der Ziff. 2400 VV RVG und sie ist zum anderen - ebenfalls abweichend von Ziff. 2400 VV RVG - auf die Gebühren eines nachfolgenden Verwaltungs- oder Gerichtsverfahrens zur Hälfte anzurechnen.
2. Die Ziff. 3103 VV RVG steht dagegen in einem anderen der fünf Teile des Vergütungsverzeichnisses, nämlich im Teil 3, der die Gebühren für Gerichtsverfahren in Zivilsachen, in Verfahren der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten, in Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz und in ähnlichen Verfahren regelt. Abschnitt 1 dieses 3. Teiles enthält die Gebühren, die in den von diesem Teil erfassten Rechtsgebieten im ersten Rechtszug anfallen (können) und dem Anwalt von seiner vermögenden Partei zu vergüten sind. Hier sind für Verfahren vor den Sozialgerichten, die nach § 3 RVG abzurechnen sind, ausnahmsweise und abweichend von den sonstigen Regelungen drei gesonderte Gebühren ausgeworfen: zwei Arten von Verfahrensgebühren und eine Terminsgebühr. Bereits oben im Zusammenhang mit der grammatikalischen Prüfung wurde darauf hingewiesen, dass die beiden Verfahrensgebühren unterschiedliche und einander ausschließende Tatbestandsvoraussetzungen haben und ansonsten gleichberechtigt neben einander stehen. Sie sind die Regelgebühren, die dem Marktwert des Rechtsanwalts entsprechen. Dies gilt insbesondere ebenfalls unabhängig davon, ob für dieses erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt wurde oder nicht. Auf keine der beiden Verfahrensgebühren wird eine Geschäftsgebühr iS der Ziff. 2400 VV RVG angerechnet.
Damit steht auch die Systematik der beiden als miteinander unvereinbar angesehenen Normen der gleichzeitigen Anwendung nicht entgegen, wie der Erinnerungsführer wohl meint. Denn von ihrer Systematik her ist Ziff. 2503 VV RVG eine lex specialis im Verhältnis zu anderen Gebührentatbeständen, insbesondere denen des 1. Abschnitts des 3. Teils des Vergütungsverzeichnisses wie auch der Ziff 3103 VV RVG, und vermag die Höhe der konkret festzusetzenden Gebühren des nachfolgenden Verfahrens im normativ angeordneten Umfang kraft Gesetzes zu modifizieren.
V.
Ein Anhaltspunkt, dass eine "vermutlich auf einem gesetzgeberischen Versehen beruhende doppelte Kürzung wegen Vorbefassung des Rechtsanwalts" (BayLSG, B v 4.3.2011, Az.: L 15 SF 11/09 B, S.6) besteht, ergibt sich auch nicht aus der historischen Auslegung. Diese fragt insbesondere nach der geschichtlichen Entwicklung der Rechtsnorm. Hat sich die Norm zB aus einem bereits früher bestehenden Gesetz oder Rechtsgrundsatz entwickelt, so ist dieses zu berücksichtigen. Ein Unterfall der historischen Auslegung ist die sog genetische Auslegung, die nach dem ursprünglichen Willen des Gesetzgebers bei Erlass der Norm bzw des Gesetzes fragt. Die Interpretation einer Rechtsnorm soll nicht dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers widersprechen. Dabei wird der Wille des Gesetzgebers in den Gesetzesmaterialien und den Motiven deutlich.
1. Hier ist zunächst festzuhalten, dass die Anrechnungsvorschrift der Ziff. 2503 Abs. 2 Satz 1 VV RVG wort- und inhaltsgleich aus der Norm des § 132 BRAGO übernommen wurde. Diese Norm sah in ihrem Absatz 2 für die in § 118 bezeichneten Tätigkeiten im Rahmen der Beratungshilfe ebenfalls eine Festbetragsgebühr von (damals) 110 Deutsche Mark vor und bestimmte in ihrem Satz 2: "Auf die Gebühren für ein anschließendes gerichtliches oder behördliches Verfahren ist diese Gebühr zur Hälfte anzurechnen." Es ist demnach die bereits früher langjährig bestandene und bewährte lex specialis (für die Fälle staatlicher Finanzierung des Anwaltshonorars) unter Geltung des RVG und des darauf fußenden VV unverändert beibehalten worden.
2. Die beiden erstinstanzlichen Verfahrensgebühren der Ziff. 3102 und 3103 VV RVG sind dagegen erst durch das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz zum 1.7.2004 entstanden. Insbesondere die Regelung der Ziff. 3103 VV RVG ist insofern ein Novum, als § 116 BRAGO die Berücksichtigung einer Tätigkeit des Anwalts im Vorverfahren bei der Bemessung der Gerichtsgebühr(en) nicht kannte.
Bei der Regelung der Anwaltshonorare wollte der Gesetzgeber ausdrücklich keine lineare Anpassung vornehmen, bei der die jahrzehntelangen Einzelregelungen erhalten geblieben und lediglich "nach oben angepasst" worden wären. Sondern der Gesetzgeber wollte dem Rechnung tragen, dass sich die Art und Weise der anwaltlichen Tätigkeit im Lauf der Jahrzehnte grundlegend geändert und ihren Schwerpunkt weg von der Tätigkeit bei Gericht hin zu außergerichtlichen Tätigkeitsformen verlagert hat. Er hat daher eine völlig neue Struktur der anwaltlichen Vergütung entworfen, die sehr stark auf Art und Umfang der konkreten anwaltlichen Aktivität ausgerichtet ist. Diese auf ein völlig neues Fundament gestellte Vergütungsstruktur soll dem anwaltlichen Aufwand für das konkrete Mandat entsprechen. Deshalb ist es folgerichtig, wenn typische Sachverhalte, die zu einer Minderung des anwaltlichen Aufwands führen, auch nur zu niedrigeren Gebühren führen - und zwar unabhängig davon, ob der anwaltliche Aufwand vom Mandanten selbst vergütet oder von der Staatskasse entschädigt wird.
VI.
Die wohl wesentlichste Auslegungsmethode ist die teleologische Auslegung. Dabei wird die Bedeutung der Norm nach ihrem Sinn und Zweck erforscht. Entscheidend sind die Zielrichtung und der Schutzzweck der Norm.
Nach der Interpretation fast aller Medien dient das KostRModG dazu, nach langjähriger Stagnation nun die Einnahmen der Rechtsanwälte anzuheben. Bei einer solchen Darstellung wurden aber Ursache und Wirkung außer Acht gelassen. Richtig ist, dass die über lange Jahre hinweg gleichgebliebene Vergütung der Rechtsanwälte Anlass und Motiv für ein gesetzgeberisches Handeln gewesen sind. Richtig ist auch, dass durch dieses gesetzgeberische Handeln eine Neuordnung der Rechtsanwaltsvergütung (neben der des GKG und der des JVEG) erfolgte. Richtig ist aber nicht, dass durch diese Neuordnung ausschließlich die Anwälte begünstigt und deren Einkommen generell deutlich angehoben wurden. Das Gericht stützt sich bei dieser Feststellung auf die in den Materialien zum Ausdruck gekommenen Überlegungen und Intentionen des Gesetzgebers:
Bei der zweiten und dritten Lesung des KostRModG im Bundestag am 12.2.2004 (Plenarprotokoll 15/91, Anlage 3 zu Tagesordnungspunkt 10, S. 8154 - 8159) haben sich CHRISTOPH STRÄSSER (SPD), ANDREAS SCHMIDT (Mülheim) (CDU/CSU), HANS-CHRISTIAN STRÖBELE (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), RAINER FUNKE (FDP) und die Bundesjustizministerin BRIGITTE ZYPRIES geäußert.
So verwies SCHMIDT darauf, dass die Steigerung der Mehreinnahmen der Anwaltschaft "moderat" erfolge und ergänzte weiter:
"Es ist ein Gebot der Ehrlichkeit, zuzugeben, dass die strukturellen Änderungen im Vergütungssystem dazu führen werden, dass die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte je nach Tätigkeitsschwerpunkten von der Reform unterschiedlich profitieren werden."
Dass bei der Vertretung des Personenkreises des § 183 SGG und insbesondere bei Anwendung der Ziffern 3102 und 3103 VV RVG Anwälte weniger verdienen als in sonstigen Verfahren, ist vom Gesetzgeber sehr wohl gesehen und auch ebenso gewollt worden wie die Anrechnung der Geschäftsgebühr nach Ziff. 2503 Abs. 2 Satz 1 VV RVG. Hierzu meinte Rechtsanwalt (sic!) STRÖBELE etwa:
"Die vielen Wünsche nach weiteren Verbesserungen müssen leider zurückstehen. Wir haben zahlreiche Briefe mit Änderungsvorstellungen erhalten. Viele sind vernünftig, tatsächlich wünschenswert oder jedenfalls überlegenswert. Nur einige Beispiele: Ein Berliner Fachanwalt für Sozialrecht weist mich auf ein drohendes "Unrecht" hin, wenn dort sowie im verwaltungsrechtlichen Verfahren die Vorverfahrens- auf die Gebühr im Klageverfahren angerechnet wird, statt die Gebühren insgesamt anzuheben. Der Präsident des Deutschen Anwaltvereins hat darauf hingewiesen, dass die -Gebührenordnung als Ganzes in Frage gestellt werden- könnte und der erzielte -Kompromiss scheitern- könnte, wollte man jetzt einzelne -Übelstände- noch begradigen. Er hat Recht, wir haben in mehreren abschließenden Runden versucht, das eine oder andere doch noch aufzugreifen und anders zu regeln. Es stellte sich schnell heraus: Jede Fraktion hat andere Prioritäten. Änderungen wären mit Kosten verbunden, die Länder sind misstrauisch, der Kompromiss würde aufgeschnürt, es gäbe vielleicht eine neue Anhörung und schon wäre der Terminplan nicht mehr zu halten. Deshalb bleibt nur: Nicht mehr dran rühren, bloß nicht das Konsenspaket wieder öffnen."
Und auch RAINER FUNKE stellt heraus:
"Kompromisse haben die Eigenschaft, dass man nicht mit allem zufrieden sein kann und gegebenenfalls auch Nachbesserungen notwendig sind. Mir ist jedoch bewusst, dass ein Aufschnüren des Gesamtpaketes auch negative Folgen für positiv erkannte Regelungen mit sich bringen könnte. Deswegen hat die FDP-Fraktion auch in den Vorberatungen dieser Paketlösung zugestimmt." Und er weist des weiteren darauf hin, dass "in einem funktionierenden Rechtsstaat für jeden Bürger der Zugang zu den Gerichten ohne zu hohe Kostenbelastung möglich sein muss. Hinsichtlich der Rechtsanwaltsvergütung begrüßen wir die strukturellen Veränderungen. Wir wissen, dass einige Anwälte hiervon auch negativ betroffen sind. Wir werden dies genau beobachten und, falls dies zu nicht mehr vertretbaren Belastungen führt, Änderungsvorschläge einbringen. Alles in allem halten wir dieses Kostenrechtsmodernisierungsgesetz für gelungen und stimmen diesem Gesetz zu."
Dies gilt in besonderem Maß für den Personenkreis des § 183 SGG, für den nicht nur "traditionell" niedrigere Kosten vorgesehen sind, wie Hinne im Vorwort zu seiner Schrift "Anwaltsvergütung im Sozialrecht" meint, sondern dahinter standen bereits bei Inkrafttreten des SGG sozialstaatliche Erwägungen; der Personenkreis des § 183 SGG wendet sich an die Sozialgerichtsbarkeit zum einen in für ihn existentiellen Fragen insbesondere der gesetzlichen Sozialversicherung und zum anderen in einer finanziellen Situation, die uU zwar nicht mehr zur Prozesskostenhilfe berechtigt, aber gleichwohl nicht üppig ist (s. ausführlicher hierzu Meyer-Ladewig (Leitherer), SGG, 9. Aufl., Vorbem vor § 183). Diese Privilegierung des Personenkreises des § 183 SGG ist auch im KostRModG erhalten geblieben und zwar nicht nur bezüglich der Gerichtskosten, sondern gerade und auch im Bereich der Anwaltsvergütung (wie dies etwa die Ziff. 3102 und 3103 VV RVG zeigen, die den Schutz des nicht-armen Honorarschuldners im Auge haben, nicht die Interessen der Anwaltschaft).
Eine schlichte Nichtanwendung der Ziff. 3103 VV RVG in Fällen der Ziff. 2503 VV RVG begünstigt ausschließlich die Anwälte, belastet aber die Mandantschaft und vor allem in den sehr häufigen Fällen der Prozesskostenhilfebewilligungen die Länderkassen. Eine Begründung für eine solche einseitige Interessenabwägung ist nicht ersichtlich. Sie wäre aber dringend erforderlich im Hinblick auf die in den Gesetzesmaterialien immer wieder sehr deutlich zum Ausdruck gekommenen Überlegungen des Gesetzgebers: So hat bereits der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Herr PROF. DR. WOLFGANG BÖHMER in seiner zu Protokoll des Bundesrats vom 19.12.2003 (Plenarprotokoll 795, Anlage 10 zu Punkt 28 der Tagesordnung, S. 514 f) gegebenen Erklärung eindringlich darauf hingewiesen, dass die Länderkassen bei hoher Arbeitslosigkeit und insgesamt niedrigeren Löhnen und Gehältern vermehrt durch Prozesskostenhilfe belastet werden, und zieht das Fazit:
"Die Justiz ist ein Verlustgeschäft, wenn man sie rein unter dem Gesichtspunkt von Einnahmen und Ausgaben betrachtet. Das ist grundsätzlich richtig; denn die Justiz ist eine öffentliche Aufgabe, die auch dann wahrgenommen werden muss, wenn sie sich nicht selbst trägt. Unser Anliegen muss es jedoch sein, diese "Unterdeckung" in Grenzen zu halten."
In der späteren Bundesrats-Sitzung vom 12.3.2004 (Plenarprotokoll Nr. 797, S. 64 f) hatte der hessische Staatsminister der Justiz DR. CHRISTAN WAGNER sich unmittelbar vor der anschließenden Beschlussfassung des Bundesrates zu dem Gesetz zu Wort gemeldet und nochmals sehr deutlich zu bedenken gegeben:
"Die Reform des Justizkostenrechts ist - darin sind wir alle uns einig - überfällig. Seit zehn Jahren hat es keine wesentlichen Änderungen gegeben. Sowohl die Rechtsanwalts- als auch die Gerichtsgebühren befinden sich noch auf dem Stande des Jahres 1994. Dies hat bei den Rechtsanwälten dazu geführt, dass sie bei steigenden Kosten mit gleich bleibenden Einnahmen auskommen. Aber, meine Damen und Herren - im Wesentlichen deshalb habe ich mich zu Wort gemeldet -, das gleiche Problem haben die Bundesländer. Auch hier ist der Aufwand, sind die Ausgaben erheblich gestiegen, ohne dass es eine entsprechende Einnahmesteigerung gegeben hätte. Es ist daher angezeigt, die sowohl bei den Rechtsanwälten als auch bei den Ländern größer werdende Finanzierungslücke zu schließen. Das heute dem Bundesrat im zweiten Durchgang vorliegende Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts dient diesem Zweck. Der (ursprüngliche) Regierungsentwurf hätte die Länder sogar noch stärker belastet, als dies in der Vergangenheit ohnehin der Fall war. Auf Grund der durch die Gewährung von Prozesskostenhilfe entstehenden Belastungen wird die Anhebung der Rechtsanwaltsgebühren teilweise von den Justizhaushalten der Länder mitfinanziert; das muss man klar und deutlich sagen, weil diese Sachverhalte und dieser Zusammenhang häufig übersehen werden. Darüber hinaus werden andere Ressorts - auch das ist von der Bundesregierung zunächst nicht berücksichtigt worden -, zB die Sozialministerien im Hinblick auf die Anhebung der Sachverständigengebühren, mit erheblichen Kosten belastet. Vor diesem Hintergrund haben sich die Justizminister aller Bundesländer auf ihrer letzten Konferenz geschlossen gegen den Entwurf der Bundesregierung ausgesprochen. Meine Damen und Herren, ich betone, dass sich der Kompromiss aus Ländersicht am Rande des Vertretbaren bewegt, wegen des dringenden Reformbedarfs beim Kostenrecht aber gerade noch mitgetragen wird. Nachdrücklich werbe ich deshalb für den Gesetzentwurf in seiner modifizierten Fassung. Den Interessen aller Betroffenen - der Rechtsanwälte, der Sachverständigen, der Zeugen und, wenn auch nur begrenzt, der Länder - ist Rechnung getragen."
VII.
Zusammenfassend ergibt sich demnach, dass der Gesetzgeber sehr wohl darum wusste und es auch wollte, dass nicht allein eine Anhebung der Anwaltseinkommen erfolgen soll, sondern dass in besonderem Maße auch die Situation der Länderkassen Berücksichtigung finden muss und über die Ziff. 2503 VV RVG auch im Bereich der Sozialgerichtsbarkeit Berücksichtigung fand. Es ist seit der Einführung der Prozesskostenhilfe als einer Leistungsart der öffentlichen Sozialhilfe (wie auch schon im früheren "Armenrecht") unbestrittener Usus des Gesetzgebers, dass die Länderkasse für dieselbe Angelegenheit stets niedrigere Beträge entschädigt als sie der vermögende Mandant zu vergüten hat. Auch eine Art "Besitzstand" bezüglich der Höhe des Anwaltshonorars in dem Sinne gibt es nicht, dass der Anwalt bei einer Abrechnung nach dem KostRModG stets einen höheren Betrag erhalten müsste als bei der Abrechnung der gleichen Angelegenheit nach dem bisherigen Recht der BRAGO; dies ergibt sich unschwer daraus, dass die Vergütungsstruktur als solche geändert und nicht das bisherige Recht um einen bestimmten Prozentsatz linear fortgeschrieben wurde. Zugunsten der auch unter Geltung des KostRModG kostenrechtlich besonders zu berücksichtigenden Klageparteien aus dem Personenkreis des § 183 SGG wurde die Interessenabwägung ebenfalls zu Lasten der Anwaltschaft getroffen, indem die zwei Verfahrensgebühren der Ziff. 3102 und 3103 VV RVG "sehenden Auges" eingeführt wurden. Es kann nach alledem bei diesem Regelungssystem offensichtlich weder von einer "doppelten Kürzung (der Gebühren) wegen Vorbefassung des Anwalts mit der Angelegenheit" die Rede sein noch von einem "vermutlich auf einem gesetzgeberischen Versehen" beruhenden bedauerlichen Irrtum des Gesetzgebers. Ziff. 3103 VV RVG beruht sehr wohl auf der Berücksichtigung der Vorbefassung und der daher gegebenen Synergie-Effekte, also einer Arbeitserleichterung für die Anwälte und stellt die Regelbemessung, mithin den Marktwert des Anwalts dar; Ziff. 2503 VV RVG betrifft dagegen die Regelung des öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses des Anwalts zur Staatskasse und deren Einstehen für die Anwaltskosten im Wege der Sozialhilfe; hier wird in bestimmten Fällen von der Staatskasse eben nicht die Regelgebühr entschädigt, sondern ein Abschlag von 35 EUR pauschal vorgenommen. Die unterschiedlichen Beträge nach Ziff. 3102, 3103 und 2503 Abs. 2 Ziff. 1 VV RVG beruhen auf unterschiedlichen Motiven und werden unterschiedlichen Sachverhalten gerecht.
Gerichte haben die Politik zu kontrollieren, wie es die Gewaltenteilung will. Aber sie sind weder berechtigt noch befugt, ihre eigene Meinung contra legem an die des Gesetzgebers zu setzen, der im Falle des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes sehr wohl sorgfältig jeweils das Für und Wider abgewogen und einen allseits akzeptierten (auch von der Anwaltschaft akzeptierten) Modus vivendi und Interessenausgleich gefunden hat. Hierzu mag auf die Rede der Bundesministerin der Justiz BRIGITTE ZYPRIES vom 12.2.2004 vor dem Deutschen Bundestag (Rdnr 35 aaO) verwiesen werden:
"Wie bei allen großen Reformen liegen auch beim Kostenrechtsmodernisierungsgesetz intensive Diskussionen hinter uns. Ich nenne die Stichworte Rechtsanwaltsvergütung und künftige Bemessung der Gerichtsgebühren. In beiden Fällen haben wir mit den Ländern sowie den verschiedenen Verbänden und Interessengruppen intensiv um eine faire Lösung gerungen.
Wir haben die verschiedenen Interessen ausbalanciert in einem Regierungsentwurf und einem wortgleich von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages eingebrachten Entwurf. Die hierbei erzielte breite Übereinstimmung hat die zügige Beratung erst möglich gemacht.
Lassen Sie mich noch einmal die Schwerpunkte des Gesetzentwurfs zusammenfassen. Das neue Rechtsanwaltsvergütungsrecht sieht insbesondere vor: Es gibt Vereinfachung, weil erstens die Beweisgebühr bei gleichzeitiger Erhöhung der Verfahrens- und der Terminsgebühr wegfällt und wir zweitens die Gebühren- und Auslagentatbestände in einem Vergütungsverzeichnis zusammenstellen.
Erstmalig sind wichtige anwaltliche Tätigkeiten wie Mediation, Hilfeleistung in Steuersachen und Zeugenbeistand erfasst! Wir kommen zu einer leistungsorientierten Ausgestaltung, zum Beispiel für die Anwaltstätigkeiten im Rahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, des Bußgeldverfahrens und der Pflichtverteidigung.
Die Justizhaushalte der Länder werden durch die Neuregelungen nicht belastet. Wir kommen damit einem eindringlichen Wunsch der Länder nach, ohne unsere gemeinsame Verantwortung für einen für die Bürgerinnen und Bürger bezahlbaren Rechtsschutz aus den Augen zu verlieren."
Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der verschiedenen Auslegungsmethoden kann eine Interpretation contra legem nicht einseitig zu Gunsten der Anwaltschaft vorgenommen werden. Aus den Materialien geht hervor, dass auch das RVG mit seinem Vergütungsverzeichnis eine fragile Kompromisslösung für Rechtsanwälte, Rechtsschutzsuchende und Länderkassen darstellt. Diesen mühsam errungenen Konsens zugunsten nur einer Interessengruppe einseitig abzuändern steht nicht in der Kompetenz der Justiz.
VIII.
Verfassungsrechtliche Bedenken, die zu einer Korrektur durch die Justiz führen müssten, bestehen nach Ansicht der Kammer nicht, wenn die Ziff. 2503 Abs. 2 Satz 1 VV RVG und Ziff. 3103 VV RVG dem Wortlaut entsprechend zusammen angewandt werden. Die unterschiedliche Einkommenssituation des Anwalts kommt infolge des Zusammenspiels zweier verschiedener Gebührensysteme zustande: einmal die Einnahmen des Anwalts, der auf zivilrechtlicher Basis eine vermögende Partei iS des § 183 SGG vertritt, und zum anderen die Einnahmen des Anwalts, die ihm bei gleichartigen Mandaten im Wege staatlicher Sozialhilfe zufließen.
1. Ein verfassungsrechtlich relevantes Missverhältnis, wonach ein Rechtsanwalt bei kumulativer Anwendung der Ziff. 2503 und 3103 VV RVG Verfahrens- und Geschäftsgebühr in Höhe des gleichen Betrages erhält wie wenn er seine Mandantschaft im Vorverfahren nicht vertreten und nur die Verfahrensgebühr nach Ziff. 3102 VV RVG verdient hätte, sieht die Kammer nicht.
Hier ist zunächst zu bemerken, dass in einem Gerichtsverfahren I. Instanz auch beim Personenkreis des § 183 SGG für den Rechtsanwalt in der Regel nie nur eine Verfahrensgebühr anfällt, sondern regelhaft auch eine (fiktive) Terminsgebühr und/oder meist zusätzlich Erfolgsgebühren wie Vergleichs- und Einigungsgebühren. Die im Wege der Beratungshilfe gewährte Geschäftsgebühr ist nach Ziff. 2503 Abs. 2 Satz 1 VV RVG aber nicht (nur) auf die Verfahrensgebühr, sondern auf alle Gebühren des nachfolgenden Gerichtsverfahrens zur Hälfte anzurechnen; insofern relativiert sich die Einbeziehung der Beratungshilfegebühr in die Gebühren des nachfolgenden Gerichtsverfahrens in den Fällen staatlicher Sozialhilfe doch sehr. Bei der Frage eines verfassungsrechtlich relevanten Missverhältnisses zwischen Arbeitsaufwand und Honorar ist von durchschnittlichen, üblichen Sachverhalten auszugehen. Es erscheint wenig zielführend, nur einen einzigen Berechnungsschritt aus der Ermittlung der üblichen Gesamtgebühren zu betrachten und nur daraus den Schluss einer fehlenden adäquaten und damit verfassungswidrigen Vergütung zu ziehen.
Im übrigen trifft es nach dem klaren und unmissverständlichen Wortlaut der Ziff. 2503 Abs. 2 Satz 1 VV RVG gerade nicht zu, dass der Rechtsanwalt für seine Tätigkeit im Vorverfahren keine Honorierung erhält; denn es wird die Beratungshilfe-Geschäftsgebühr eben nur zu Hälfte und nicht, etwa wie früher unter Geltung des § 118 Abs. 2 Satz 1 BRAGO, zur Gänze auf die anschließenden Gerichtsgebühren angerechnet.
Ferner ist in die diesbezüglichen Überlegungen auch einzubeziehen, dass die Regelung der Ziff. 2503 Abs. 2 Satz 1 VV RVG eine Sondervorschrift ist, die nur das öffentlich-rechtliche Verhältnis des Rechtsanwalts zur Staatskasse regelt, nicht das zivilrechtliche Rechtsverhältnis zum vermögenden Mandanten. Angesichts der oben dargestellten Interessenkollision Rechtsanwalt - Mandantschaft - Staatskasse muss dieser Umstand in die Prüfung einer Verfassungswidrigkeit ebenfalls mit einbezogen werden. Und dies gilt umso mehr, als der Gesetzgeber bereits seit längerem an einem Prozesskostenbegrenzungsgesetz arbeitet, also einen entsprechenden Regelungsbedarf sieht!
2. Was die Sonderregelung für den Personenkreis des § 183 SGG anbelangt, ist hier zunächst in Erinnerung zu rufen, dass die im Vergleich zu sonstigen Mandanten grundsätzlich geringere Vergütung der Anwaltschaft in Angelegenheiten des Personenkreises nach § 183 SGG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. Wie das BVerfG in seiner Entscheidung vom 17.10.1990 (Az.: 1 BvR 283/85) sehr ausführlich und überzeugend dargelegt hat, verletzt die zugunsten des Personenkreises nach § 183 SGG eingeführte Kostenbegrenzung und damit die im Vergleich niedrigeren Einnahmen die Rechtsanwälte nicht in ihrer durch Art. 12 GG geschützten Berufsfreiheit. Gleiches gilt für die niedrigeren Gebühren bei einem Tätigwerden im Rahmen staatlicher Sozialhilfe (dh bei Beratungs- und Prozesskostenhilfe). Unter Beachtung der vom BVerfG entwickelten Grundsätze ist vorliegend weder die Berufswahlfreiheit des Erinnerungsführers eingeschränkt noch seine Berufsausübungsfreiheit.
3. Das Recht der freien Berufswahl ist durch die genannten Normen, die sich als Eingriff in das Vermögen des Erinnerungsführers auswirken, offensichtlich nicht tangiert.
Es ist durch diese Normen dem Erinnerungsführer aber auch die Ausübung seines Anwaltsberufes per se nicht deshalb unzulässigerweise erschwert, weil er auch in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit im Rahmen von Verfahrens- und Prozesskostenhilfe weniger verdient als bei der Vertretung einer vermögenden Partei. Die vom Erinnerungsführer gerügte normative Regelung der Ziff. 2503, 3103 VV RVG ist vielmehr durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt und genügt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
a. Es ist gerichtsbekannt, dass der Erinnerungsführer in vielen sozialgerichtlichen Prozessen auftritt und auch Fachanwalt für Sozialrecht ist. Ausweislich seines Briefkopfes firmiert er daneben aber auch als Fachanwalt für Medizinrecht, was auf einen erheblichen Anteil seiner Tätigkeit in diesem Rechtsbereich hinweist. Zudem nennt er als "Tätigkeitsschwerpunkte" gerade nicht pauschal das Sozialrecht, sondern "Zivilrecht, Strafrecht, Familienrecht und Rentenrecht" und der Schwerpunkt seiner Interessen liegt auf dem Arbeitsrecht und dem Privaten Baurecht. Ferner ist er nach dem Bayerischen Schlichtungsgesetz als Gütestelle zugelassen und wirkt auch als Dozent bei der Kolping Akademie Bamberg. Angesichts dessen erscheint eine nahezu ausschließliche Tätigkeit des Erinnerungsführers im Sozialrecht (und hier in Mandaten iS des § 183 SGG) fernliegend.
Letztlich bedarf dies aber keiner Vertiefung, denn es kann (worauf das LSG Niedersachsen-Bremen in seiner Entscheidung vom 18.5.2004 - Az.: L 12 B 3/03 RJ hingewiesen hat) nicht übersehen werden, dass die Spezialisierung von Rechtsanwälten und die verstärkte Herausbildung von Fachanwälten einen Vorgang darstellt, der insgesamt von der Anwaltschaft ausgegangen ist, von dieser organisiert wird und eine Möglichkeit, aber keine Verpflichtung des einzelnen Anwalts darstellt. Die Entscheidung für oder gegen eine gesetzlich mögliche Spezialisierung bleibt uneingeschränkt dem einzelnen Rechtsanwalt überlassen. Die Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) bezeichnet den Rechtsanwalt als unabhängigen Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten (§ 3 Abs. 1 BRAO); innerhalb dieses umfassenden Berufsbildes ist der Rechtsanwalt frei, welche Mandate er übernimmt und inwieweit er sich auf bestimmte Rechtsgebiete spezialisieren will. Er ist insbesondere auch durch nichts gehindert, über eine Mischkalkulation Einfluss auf die Höhe seiner Einnahmen zu nehmen.
b. Das sozialpolitische Ziel des Gesetzgebers, die Kosten der Verfahren iS des § 183 SGG nicht nur durch den Verzicht auf Gerichtskosten zu begrenzen, sondern auch durch eine niedrigere Vergütung der Rechtsanwälte, entspricht einer vernünftigen Erwägung des Gemeinwohls, die die Regelungen der Berufsausübung grundsätzlich rechtfertigen kann. Bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise ist der Gesetzgeber zutreffend davon ausgegangen, dass in Verfahren iS des § 183 SGG regelmäßig Bürger beteiligt sind, die durch ein hohes Prozessrisiko besonders belastet würden und sich nur deshalb von der Geltendmachung ihrer Rechte abhalten lassen könnten. Der generelle niedrigere Ansatz der Anwaltsgebühren bei Betragsrahmengebühren führt für den zu schützenden Personenkreis zu einer Minderung des Kostenrisikos und ist damit geeignet, die legitimen Intentionen des Gesetzgebers durchzusetzen.
Die Berücksichtigung der Tätigkeit des Anwalts bereits im Vorverfahren (in vorliegendem Verfahren also der Tatbestand der Ziff. 3103 VV RVG) ist jedoch einem anderen Gesichtspunkt geschuldet: Mit dem KostRModG hat der Gesetzgeber eine völlig neue Struktur der Anwaltsvergütung geschaffen, in das er zwar die Kostenprivilegierung des Personenkreises nach § 183 SGG übernommen hat, in der er aber auch in den Fällen nach § 183 SGG die Honorierung des Rechtsanwalts nunmehr sehr stark an dessen Tätigkeit im konkreten Einzelfall bindet; hier ist es dann nur konsequent, wenn in einem solchen System Synergie-Effekte durch Vorbefassung auch gebührenrechtlich generell in der nachfolgenden Verfahrensebene mit einbezogen werden (Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG). Beim vermögenden Personenkreis des § 183 SGG erfolgt per saldo eine niedrigere Einbeziehung der Synergieeffekte als 50 % der (gegenüber § 116 BRAGO analog angehobenen) Geschäftsgebühr; soweit die öffentliche Hand einzutreten hat, wird die gesetzliche Gebühr abweichend durch eine besondere Festgebühr wie auch durch eine pauschalierte Einbeziehung in die nachfolgend entstandenen Gebühren bestimmt.
c. Bezüglich des Rechtsverhältnisses des Rechtsanwalts zur Staatskasse ist nochmals darauf hinzuweisen, dass zwischen Rechtsanwalt und Staat kein Vertragsverhältnis besteht. Der Rechtsanwalt schließt mit der Staatskasse gerade keinen zivilrechtlichen Vertrag über eine Vergütung entsprechend seinem Marktwert oder einer uU darüber hinausgehenden Honorarvereinbarung, sondern er wird für seine Anwaltstätigkeit - ähnlich wie ein Sachverständiger nach dem JVEG - durch den Staat pauschaliert "entschädigt". Höhe und Umfang des Vergütungsanspruchs gegenüber der Staatskasse sind für den Rechtsanwalt (anders als bei Rahmengebühren) in keiner Weise disponibel. So wird im Rahmen der Beratungshilfe die Geschäftsgebühr auch ausschließlich in Höhe eines Festbetrages von 70,- EUR gewährt wird, mit dem sämtliche Aktivitäten des Anwalts abgegolten sind, die aber auch bei einem in der Praxis leider häufig anzutreffenden Minimum anwaltlicher Tätigkeit (wie etwa bloßer Einlegung eines Widerspruchs ohne Begründung oder sonstige Stellungnahmen) nicht gekürzt wird. Dass bei der Inanspruchnahme der Dienste eines Rechtsanwalts auf Kosten der Staatskasse dessen öffentlich-rechtlicher Entschädigungsanspruch gegen die Staatskasse generell niedriger ist als es der zivilrechtliche Vergütungsanspruch gegenüber einer vermögenden Partei wäre, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (s. BVerfG, aaO). Bei der Ausübung seiner Tätigkeit im Rahmen seiner Beiordnung erfährt der Anwalt wohl eine finanzielle Einschränkung gegenüber seiner Stellung auf dem allgemeinen Markt. Dem steht aber gegenüber die Erleichterung seiner Tätigkeit bei der Bearbeitung seines Mandats: Denn zum einen hat das Gericht eine Vorprüfung der Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung bzw Rechtsverteidigung vorzunehmen, so dass sich schon zu einem frühen Zeitpunkt der Prozessstoff klärt. Zum anderen erhält der Rechtsanwalt in diesem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis einen solventen Schuldner, bei dem keine Gebührenausfälle auftreten und der ohne kosten- und zeitintensive Beitreibungsmaßnahmen des Anwalts und damit für diesen ressourcenschonend dessen gesetzlichen Entschädigungsanspruch zeitnah begleicht. Auch diese Gesichtspunkte sind mit in die Prüfung einzubeziehen, ob die Anwaltschaft durch die vorliegend angegriffenen gesetzlichen Regelungen in Fällen der Prozesskostenhilfeabrechnung in verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbarer Weise in ihrer Berufsausübung beeinträchtigt sind!
Hinzukommt, dass mit Beratungs- und Prozesskostenhilfe unbemittelten Parteien in einer besonderen Bedarfssituation geholfen wird, die gegenüber der des Personenkreises des § 183 SGG noch deutlich verschärft ist. Diese Last kann nicht ausschließlich von den Länderkassen getragen werden, zumal dies ansonsten wohl einer "Beratungsindustrie" Vorschub leisten würde, obwohl es nicht Aufgabe des Staates ist, die Anwaltschaft zu finanzieren, sondern mit Mitteln der Sozialhilfe den bedürftigen Bürgern Zugang zur Justiz zu ermöglichen. In besonderem Maße wurde durch die angegriffenen Regelungen der langjährigen und wohl auch in Zukunft wenig veränderten wirtschaftlichen Situation der Bundesrepublik Deutschland Rechnung getragen, die einerseits durch hohe Arbeitslosigkeit und damit verbundene Einkommens- und Vermögenslosigkeit und andererseits durch (wie die Materialien zeigen) sehr knappe Staatsfinanzen geprägt ist. Ferner wird zu bedenken gegeben, dass die Einkommens- und Vermögenssituation auch ausdrücklich Bemessungskriterium für die Höhe der Gebühr nach § 14 RVG und damit vom Anwalt auch bei vermögenden Mandanten zu beachten ist.
In einer Gesamtschau und Abwägung aller dieser Gesichtspunkte sind die Einschnitte bei den Einnahmen der Rechtsanwälte in den Fällen, in denen eine Partei aus dem Personenkreis des § 183 SGG zur Finanzierung ihres Verfahrens zusätzlich auf staatliche Sozialhilfe angewiesen ist, unter dem Gesichtspunkt des Art. 12 GG nicht unangemessen und als verfassungsrechtlich gedeckt hinzunehmen.
4. Eine Überprüfung der angegriffenen Kostenentscheidung und ihrer Rechtsgrundlagen am Maßstab des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) führt zu keinem anderen Ergebnis, denn die verfahrensgegenständlichen Rechtsgrundlagen sind nicht willkürlich, sondern beruhen - wie vorstehend erwähnt - auf sachlich vertretbaren Gründen.
Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet es, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Dem Gesetzgeber ist damit aber nicht jede Differenzierung verwehrt. Ihm kommt im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit für die Abgrenzung der begünstigten Personenkreise vielmehr ein weiter Gestaltungsspielraum zu (stRspr, BVerfG). Ob die normative Regelung der Ziff 2503, 3103 VV RVG dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG entspricht, hängt davon ab, ob für die getroffene Differenzierung Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestanden, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen konnten. Dieses gilt sowohl für den Umfang der Leistung als auch für die Höhe der Leistung und ist in Fällen der vorliegenden Art uneingeschränkt zu bejahen. Insoweit wird nochmals darauf hingewiesen, dass der Staat als Leistungsträger der staatlichen Sozialhilfe in Form von Beratungshilfe und Prozesskostenhilfe entsprechend seinem reduzierten Leistungsvermögen auch die von ihm gewährten Leistungen reduzieren und dem Leistungsvermögen anpassen kann. Zugunsten der Länderkassen und aus deren beengten Finanzlage heraus wurden nicht nur die Ausgaben für das Anwaltshonorar bei Beratungs- und Prozesskostenhilfe lediglich sehr "moderat" angehoben, sondern auch bei den Gerichtskosten wie auch der Entschädigung für Zeugen und Sachverständigen. Und auch darüber hinaus (außerhalb des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes) wurden und werden auch alle anderen Ausgabenbereiche der öffentlichen Hand sehr gestrafft und gemindert - bis hin zu den Personalausgaben für die Justiz! Es kann also insbesondere nicht die Rede davon sein, dass allein den Rechtsanwälten bei der Vertretung von Mandanten aus dem Personenkreis des § 183 SGG mit Beratungs- und Prozesskostenhilfe ein besonderes Opfer durch die Sonderregelung abverlangt würde; diese Opfer müssen auch alle Bürger in den verschiedensten Bereichen erbringen.
5. Abschließend ist nur noch kurz auf die Entscheidung des BVerfG vom 17.10.1990 (Az.: 1 BvR 283/85) hinzuweisen, in der das Gericht deutlich machte, dass selbst eine Regelung der Berufsausübung, die (hier wegen unangemessen niedriger Entschädigung aus der Staatskasse) nicht mehr dem Gebot der Verhältnismäßigkeit genügt, gleichwohl noch nicht ohne weiteres verfassungswidrig ist. Denn dem Gesetzgeber steht bei komplexen, in der Entwicklung begriffenen Sachverhalten ein zeitlicher Anpassungsspielraum zu. Dies hat auch RAINER FUNKE (oben Rdnr. 41) bereits deutlich zum Ausdruck gebracht, wenn er eine Beobachtung der neuen Gesetzeswirklichkeit und einen sich daraus ggfs ergebenden gesetzgeberischen Handlungsbedarf ausdrücklich ankündigt.
6. Da nach alledem die Kammer keinen Anhalt für eine Verfassungswidrigkeit der §§ 3, 2 RVG iVm Ziff. 2503 Abs. 2 Satz 1 und Ziff. 3103 VV RVG sieht, besteht keine Veranlassung zu einer Richtervorlage gem. Art. 100 Abs. 1 GG.
IX. Somit begegnet die Regelung der Ziff. 2503 Abs. 2 Satz 1, 3103 VV RVG in der expressis verbis vorliegenden Fassung keinen Bedenken. Demnach ist der Erinnerungsführer durch die angefochtene Kostenfestsetzung nicht zu Unrecht belastet, da diese Kostenfestsetzung nach Maßgabe geltenden Rechts erfolgt ist. Die Erinnerung des Erinnerungsführers war demnach nicht erfolgreich. Es war deshalb zu entscheiden wie geschehen.
Das Verfahren über die Erinnerung ist gem. § 56 Abs. 2 Satz 2 RVG gebührenfrei. Kosten werden nach § 56 Abs 2 Satz 3 RVG nicht erstattet.
Streitgegenstand ist ein Betrag von 35,- EUR zzgl. MWSt. Die demnach an sich nicht statthafte Beschwerde war aber zuzulassen, weil das Gericht von der Rechtsprechung des Bayerischen Landessozialgerichts abweicht.
SG Bayreuth:
Beschluss v. 18.04.2011
Az: S 10 SF 107/10 E
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/b4e5cb70e38f/SG-Bayreuth_Beschluss_vom_18-April-2011_Az_S-10-SF-107-10-E