Bundespatentgericht:
Beschluss vom 30. Januar 2003
Aktenzeichen: 14 W (pat) 27/02
(BPatG: Beschluss v. 30.01.2003, Az.: 14 W (pat) 27/02)
Tenor
Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse C01B des Deutschen Patent- und Markenamts vom 20. Dezember 2001 aufgehoben und das Patent erteilt.
B e z e i c h n u n g: Verfahren zum Blähen von Vermiculit.
A n m e l d e t a g: 16. Juni 2000.
Die innere Priorität der Anmeldung vom 31. Mai 2000 ist in Anspruch genommen (Aktenzeichen der Erstanmeldung: 100 26 811.0)
Der Erteilung liegen folgende Unterlagen zugrunde:
Patentansprüche 1 bis 3, eingegangen am 23. August 2001 mit eingetragenen redaktionellen Änderungen im Anspruch 2, Beschreibung, Seiten 1, 2, 3, und 5, eingegangen am 11. November 2002, Beschreibung Seiten 4, 6 bis 8, eingegangen am 16. Juni 2000 mit vom Senat eingetragenen redaktionellen Änderungen auf den Seiten 2 und 6, Figuren 1 bis 5 eingegangen am 16. Juni 2000.
Gründe
I Mit Beschluss vom 20. Dezember 2001 hat die Prüfungsstelle für Klasse C 01 B des Deutschen Patent- und Markenamts die Patentanmeldung mit der Bezeichnung
"Vorrichtung und Verfahren zum Blähen von Vermiculit"
zurückgewiesen.
Dem Beschluss liegen die am 23. August 2001 eingereichten Ansprüche 1 bis 3 zugrunde, die wie folgt lauten:
1. Verfahren zum Blähen von körnigem Roh-Vermiculit im Flugstrom einer Flamme unter Einleitung eines sauerstoffhaltigen Gases in diese Flamme, dadurch gekennzeichnet, dass als sauerstoffhaltiges Gas Sauerstoff oder sauerstoffangereicherte Luft eingesetzt wird, wobei der Sauerstoff oder die sauerstoffangereicherte Luft durch mindestens eine Unterschalldüse axial in die Flamme eingeleitet werden.
2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Austrittsgeschwindigkeit des Sauerstoffes oder der sauerstoffangereicherten Luft aus der Unterschalldüse 5 m/sec. bis 100 m/sec. beträgt.
3. Verfahren nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass die sauerstoffangereicherte Luft mindestens 50 Vol% Sauerstoff enthält.
Die Zurückweisung ist im wesentlichen damit begründet, dass der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 nicht neu sei. Der einzige Unterschied gegenüber der nicht vorveröffentlichten, gemäß § 3 Abs. 2 PatG als Stand der Technik zu wertenden Anmeldung
(1) DE 198 54 390 A1 bestehe bezüglich der beanspruchten Herstellung von Vermiculit im Ersatz von Roh-Perlit durch Roh-Vermiculit. In diesem Unterschied könne nichts neues gesehen werden, da es sich um ein einheitliches Fachgebiet handle und beiden Verfahren eine einheitliche Aufgabe zugrunde liege, die mit identischen Mitteln gelöst werde. Bei Kenntnis des bekannten Herstellungsverfahrens lese der Fachmann somit zwanglos das beanspruchte Verfahren mit. Der geltende Anspruch 1 sei damit nicht gewährbar. Das gleiche gelte bezüglich der Ansprüche 2 und 3.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin, mit der sie ihr Patentbegehren mit den dem angegriffenen Beschluss zugrunde liegenden Patentansprüchen 1 bis 3, einer hieran angepassten Beschreibung sowie Figuren weiterverfolgt. Die Druckschrift (1) gehöre zum Stand der Technik als sogenanntes "älteres Recht" und offenbare ein Verfahren zur Herstellung von Perlit-Granulat aus Rohperlit, wogegen der Anspruch 1 der vorliegenden Anmeldung auf ein Verfahren zur Herstellung von geblähtem Vermiculit aus Roh-Vermiculit gerichtet sei. Wesentliche Merkmale eines Herstellungsverfahrens seien Ausgangsmaterial, Arbeitsweise und Endprodukt. Ein Verfahren sei neu, wenn es sich in Ausgangsstoffen oder Arbeitsweise vom bekannten Verfahren unterscheide. Da die Ausgangsstoffe in beiden Verfahren unterschiedlich seien, sei das Herstellungsverfahren nach Anspruch 1 damit gegenüber (1) neu im Sinne von § 3 PatG.
Die Anmelderin stellt sinngemäß den Antrag, den Beschluss vom 20. Dezember 2001 aufzuheben und das Patent im Umfang der mit Schriftsatz vom 21. August 2001 eingereichten Ansprüche 1 bis 3 zu erteilen mit folgenden Unterlagen: Patentansprüche 1 bis 3 vom 21. August 2001, eingegangen am 23. August 2001, Beschreibung Seiten 1, 2, 3, und 5, eingegangen am 11. November 2002, Beschreibung Seiten 4, 6 bis 8, eingegangen am 16. Juni 2000, Figuren 1 bis 5 eingegangen am 16. Juni 2000.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II Die Beschwerde ist zulässig und führt zu dem im Tenor angegebenen Ergebnis.
1. Die geltenden Ansprüche sind zulässig. Die Ansprüche 1 bis 3 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 6 bis 8.
2. Die beanspruchte Verfahren zum Blähen von körnigem Roh-Vermiculit ist neu.
Der Anspruch 1 betrifft ein Verfahren zum Blähen von körnigem Roh-Vermiculit mit den Merkmalen:
- Blähen des Roh-Vermiculits im Flugstrom einer Flamme,
- unter Einleitung von Sauerstoff oder sauerstoffangereicherter Luft in diese Flamme - durch mindestens eine Unterschalldüse axial in die Flamme.
Aus der älteren Anmeldung (1), die am Prioritätstag der vorliegenden Anmeldung veröffentlicht wurde und deshalb als Stand des Technik gemäß § 3 Abs. 2 PatG zu berücksichtigen ist, geht ein Verfahren zum Blähen von Rohperlit hervor, dessen Verfahrensmaßnahmen den Maßnahmen des geltenden Anspruchs 1 entsprechen ((1) Anspruch 5). Wie im angegriffenen Beschluss festgestellt, unterscheidet sich damit das beanspruchte Herstellungsverfahren vom Verfahren gemäß (1) nur durch den Einsatz von Roh-Vermiculit anstelle des bei (1) verwendeten Rohperlits. Damit wird beim Verfahren gemäß Anspruch 1 ein von (1) verschiedener Ausgangsstoff, nämlich körniger Roh-Vermiculit eingesetzt. Vermiculit ist gleich Perlit zwar ein Silikat. Beim Vermiculit handelt es sich aber um ein glimmerartiges Schichtsilikat im Gegensatz zum Perlit, einem kaum Kristalle und nur wenig Wasser enthaltenden Gesteinsglas. Dem Fachmann, einem Chemiker oder Chemieingenieur mit Kenntnissen in anorganischer Chemie, speziell der Silikatchemie, ist geläufig, dass sowohl Vermiculit als auch Perlit thermisch expandiert bzw. gebläht werden können. Auf Grund der unterschiedlichen Beschaffenheit der beiden Silikate wird er aber den Vermiculit nicht mit dem Perlit gleichsetzen. Nachdem auch in der die Anspruchsfassung erläuternden Beschreibung von (1) ausschließlich von Perlit als Ausgangsstoff die Rede ist, ist für den Fachmann bei (1) gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 auch nur ein Verfahren mit diesem Ausgangsstoff der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Da der Fachmann, wie dargelegt, die deutlichen Unterschiede der beiden Silikate kennt, wird er damit den Ausgangsstoff Vermiculit nicht als selbstverständlich oder nahezu unerlässlich ergänzen oder bei der Lektüre von (1) ohne weiteres erkennen und in Gedanken mitlesen (BGH Elektrische Steckverbindung Mitt 95, 220).
Das Verfahren gemäß Anspruch 1 ist damit gegenüber (1) neu. Es ist auch gegenüber dem weiteren von der Prüfungsstelle genannten Stand der Technik
(2) US 4 512 736
(3) US 4 347 155 neu. Diese Druckschriften betreffen zwar Verfahren zum Expandieren von Perlit oder Vorrichtungen zum Expandieren von Perlit oder Vermiculit im Flugstrom einer Flamme ((2) Anspruch 1, (3) Anspruch 1). Eine Einleitung von Sauerstoff oder sauerstoffangereicherter Luft durch mindestens eine Unterschalldüse in die Flamme ist dabei aber nicht vorgesehen. Diese Maßnahme ist auch der in der Beschreibungseinleitung der vorliegenden Anmeldung genannten Druckschrift DE 32 29 995 C1 nicht zu entnehmen.
3. Das Verfahren zum Blähen von körnigem Roh-Vermiculit nach dem geltenden Patentanspruch 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Der Anmeldung liegt nach S 2 Z 12-14 der geltenden Beschreibung die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren zur Blähung von Roh-Vermiculit zur Verfügung zu stellen, das es erlaubt, den Durchsatz von Roh-Vermiculit zu erhöhen und den spezifischen Energiebedarf zu senken.
Wie vorstehend erläutert, konnte der Fachmann dabei von Blähverfahren ausgehen, bei denen das Blähgut im Flugstrom einer Flamme unter Einleitung von Luft expandiert wird ((2) Anspruch 1, (3) Anspruch 1). In keiner der Druckschriften findet sich ein Hinweis, die anmeldungsgemäße Aufgabe gemäß dem geltenden Anspruch 1 dadurch zu lösen, dass Sauerstoff oder sauerstoffangereicherte Luft durch mindestens eine Unterschalldüse axial in die Flamme eingeleitet wird. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ergibt sich damit für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik. Der Fachmann musste vielmehr erfinderisch tätig werden, um die anmeldungsgemäße Aufgabe durch Bereitstellung des Verfahrens nach Anspruch 1 zu lösen.
4. Nachdem die gewerbliche Anwendbarkeit des Verfahrens nach Anspruch 1 außer Zweifel steht, weist das Verfahren nach Anspruch 1 alle Kriterien der Patentfähigkeit auf.
Der Anspruch 1 ist daher gewährbar.
5. Die Ansprüche 2 und 3 betreffen besondere Ausführungsformen des Verfahrens nach Anspruch 1, welche nicht platt selbstverständlich sind. Diese Ansprüche sind somit mit dem Anspruch 1 gewährbar.
Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben und das nachgesuchte Patent im nunmehr beanspruchten Umfang zu erteilen, nachdem auch eine angepasste Beschreibung vorliegt sowie die vom Deutschen Patent- und Markenamt durchgeführte Recherche keine Mängel erkennen lässt.
Wagner Harrer Feuerlein Gerster Ko
BPatG:
Beschluss v. 30.01.2003
Az: 14 W (pat) 27/02
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