Oberlandesgericht Karlsruhe:
Beschluss vom 29. März 2006
Aktenzeichen: 11 W 67/05
(OLG Karlsruhe: Beschluss v. 29.03.2006, Az.: 11 W 67/05)
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 04.07.2005 - 8 O 607/04 - abgeändert wie folgt:
Aufgrund des Beschlusses des Landgerichts Karlsruhe vom 24.03.2005 sind an Kosten zu erstatten: 1.030,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 14.04.2005 von dem Kläger an die Beklagte.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Beschwerdewert wird auf 412,00 Euro festgesetzt.
4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger begehrte im vorliegenden Verfahren von der Beklagten Zahlung von 8.000,00 Euro nebst Zinsen. Im Protokoll der mündlichen Verhandlung wird festgestellt, dass nach ausgiebiger Erörterung des Sach- und Streitstandes der Beklagtenvertreter erklärt: "Für den Fall, dass der Kläger seine Klage zurücknehmen sollte, ist die Beklagte bereit, an ihn außergerichtlich weitere Euro 1.000,00 zu bezahlen." Im Anschluss daran ist die Klagerücknahme durch den Klägervertreter protokolliert. Mit Gerichtsbeschluss sind dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits nach der Klagerücknahme auferlegt worden. Die Beklagte begehrt in ihrem Kostenfestsetzungsantrag die Festsetzung einer Einigungsgebühr, die die Rechtspflegerin mit Beschluss vom 04.07.2005 festsetzte, da es sich um eine vereinbarte Klagerücknahme handele. Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde des Klägers, der den Anfall einer Einigungsgebühr bestreitet, da ein Vertrag oder eine Vereinbarung nicht zu Stande gekommen sei, ausschlaggebend für die Rücknahme seien die gerichtlichen Erörterungen der Erfolgsaussichten gewesen, es liege ein konkludenter Verzicht auf Erstattung von Vergleichskosten vor, der Kläger habe die außergerichtliche Zahlung nur ausgelobt. Die Beklagte ist der Beschwerde entgegengetreten. Das Landgericht hat ihr mit Beschluss vom 26.09.2005 nicht abgeholfen.II.
1. Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg. Der Beklagten ist zu Unrecht eine Einigungsgebühr gemäß Ziffern 1000, 1003 VV-RVG zuerkannt worden. Die Festsetzung einer Einigungsgebühr erfordert nämlich die Protokollierung einer Vereinbarung entsprechend §§ 160 Abs. 3 Ziff. 1, 162 Abs. 1 ZPO (OLG Nürnberg, Anwaltsblatt 2006, 145 f.). Dass aus dieser Vereinbarung eine Zwangsvollstreckung stattfinden kann, ist nicht erforderlich (vgl. OLG Koblenz FamRZ 2001, 737 f.). Eine protokollierte Vereinbarung liegt nicht vor.
a) Entgegen der Auffassung des Klägers ist eine Vereinbarung im Sinne von Ziffer 1000 VV-RVG von den Parteien hier getroffen worden. Das Angebot des Klägers zur außergerichtlichen Zahlung von 1000,00 Euro bei Klagerücknahme stellt mangels öffentlicher Bekanntmachung keine Auslobung im Sinne von § 657 BGB dar (vgl. Seiler in Münchener Kommentar, BGB, 4. Auflage, § 657 Rdnr. 12; Palandt-Sprau, BGB, 65. Auflage, § 657 Rdnr. 3), sondern einen annahmebedürftigen Vertragsantrag, den der Kläger durch die umgehende Rücknahme der Klage konkludent angenommen hat.
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 23 BRAGO zur Entstehung einer Vergleichsgebühr genügte eine derartige Vereinbarung nicht, um den Anfall einer Vergleichsgebühr zu begründen. Danach erforderte die Festsetzung einer anwaltlichen Vergleichsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren, dass die Parteien einen als Vollstreckungstitel tauglichen Vergleich nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO haben protokollieren lassen (BGH NJW 2002, 3713 f.). Zur Begründung führte der Bundesgerichtshof aus, die Festsetzung der von der unterlegenen an die obsiegende Partei zu erstattende Kosten in dem dafür vorgesehenen Verfahren nach §§ 103, 104 ZPO erfordere -schon im Interesse der Rechtssicherheit -klare praktikable Berechnungsgrundlagen. Dies gelte auch und gerade für die zur Festsetzung angemeldeten Anwaltsgebühren. Bei einer Streitbeilegung, bei der es nicht zur Protokollierung eines gerichtlichen Vergleichs komme, sondern die durch einseitige Prozesshandlungen der Parteien erreicht werde, liege es oftmals nicht klar zu Tage, ob die gewählte Handlungsform auf einem Konsens beruht, der die Voraussetzung eines materiellrechtlichen Vergleichs im Sinne des § 779 BGB erfülle. Dementsprechend müsse die Klärung dieser nicht immer einfach zu beantwortenden Rechtsfrage der Interpretation des Kostenbeamten vorbehalten bleiben, was zur Folge hätte, dass das Kostenrisiko von prozessleitenden Entscheidungen der Parteien, die auf Gesprächen vor Gericht beruhten, letztlich im Ungewissen läge. Dies würde dem berechtigten und schutzwürdigen Interesse derjenigen Partei, die sich zur Kostenübernahme bereit erklärt habe, zuwider laufen, den Umfang der sie treffenden Last zuverlässig abschätzen zu können.
Das Oberlandesgericht Koblenz hat sich für eine Entscheidung in Familiensachen dieser Rechtsprechung angeschlossen, sie allerdings nachvollziehbar dahingehend eingeschränkt, dass bei Beendigung des Prozesses durch einvernehmliche Vereinbarung, die als Prozesshandlung wirksam protokolliert worden sei, auch dann eine Vergleichsgebühr anfalle, wenn aus dieser Vereinbarung keine Zwangsvollstreckung stattfinden könne (FamRZ 2005, 737 f.). Zumindest die letzten genannten Anforderungen sind auch nach der Neuregelung der Einigungsgebühr im RVG für die Festsetzung einer Einigungsgebühr weiterhin aufrecht zu erhalten. Allerdings soll nach der Begründung des Gesetzgebers die Einigungsgebühr die bis dahin geltende Vergleichsgebühr des § 23 BRAGO ersetzen und gleichzeitig erweitern. Während die Vergleichsgebühr des § 23 BRAGO durch Verweisung auf § 779 BGB ein gegenseitiges Nachgeben voraussetzte, soll die Einigungsgebühr jegliche vertragliche Beilegung eines Streits der Parteien honorieren, lediglich mit Ausnahme eines vollständigen Anerkenntnisses eines Anspruchs oder eines vollständigen Verzichts auf einen Anspruch. Durch den Wegfall der Voraussetzung des gegenseitigen Nachgebens soll insbesondere der in der Vergangenheit häufige Streit darüber vermieden werden, welche Abreden noch und welche nicht mehr als gegenseitiges Nachgeben zu bewerten waren. Darüber hinaus ist die Einigungsgebühr wie die bisherige Vergleichsgebühr eine Erfolgsgebühr, sie soll auch den Erfolg honorieren, die Gerichte durch gütliche Beilegung eines Rechtsstreits zu entlasten (vgl. LAG Düsseldorf, JurBüro 2005, 639; OLG Koblenz MDR 2006, 237). Daraus wird in Rechtsprechung und Literatur teilweise der Schluss gezogen, dass für den Anfall der Einigungsgebühr lediglich die Mitwirkung des Rechtsanwalts an einer Einigung erforderlich sei, die auch in der Abgabe verfahrensbeendender Prozesserklärungen wie beispielsweise der teilweisen Anerkennung einer Klageforderung und der Klagerücknahme im übrigen liegen kann (OLG Koblenz, MDR 2006, 237). So geht das vorgenannte Oberlandesgericht davon aus, dass die Einigungsgebühr auch dann entstehen kann, wenn wechselseitige Klageanträge zurückgenommen werden. Erforderlich sei nur die Mitwirkung des Rechtsanwalts an einer Einigung, die auch in der Abgabe verfahrensbeendender Prozesserklärungen bestehen könne. Auch das Oberlandesgericht Nürnberg geht davon aus, dass eine Einigungsgebühr festgesetzt werden kann, auch wenn im Protokoll der mündlichen Verhandlung nicht förmlich zum Ausdruck komme, dass sich die Parteien im Wege des gegenseitigen Nachgebens geeinigt hätten, diese Einigung nicht in eine förmliche Vereinbarung, sondern in eine teilweise Antragsrücknahme der Kindesmutter "gegossen" worden sei. Maßgeblich sei allein, ob es zu einer auch mündlich möglichen Einigung der Parteien gekommen sei (vgl. OLG Nürnberg, JurBüro 2005, 190 ff.). Auch in der Literatur wird teilweise vertreten, dass auch Absprachen über die Verfahrensgestaltung die Einigungsgebühr auslösen können, unter der Voraussetzung dass sie vertragsgemäß getroffen würden und das Verfahren nicht nur vereinfachten, sondern beendigten und damit Streit oder Ungewissheit beseitigen wie bei einer vereinbarten Klage bzw. Antragsrücknahme, für den Fall, dass der Beklagte sofort einen Teilbetrag zahle oder eine andere Leistung erbringe (Gerold/Schmidt/ v. Eicken, RVG, 16. Aufl., VV 1000 Rn.68).
Damit wird aber das Kostenfestsetzungsverfahren im Gegensatz zu den vom Bundesgerichtshof oben formulierten Anforderungen erneut mit der oft rechtlich oder auch tatsächlich schwierigen Klärung der Frage belastet, ob und welche ggfs. mündliche -Vereinbarung zwischen den Parteien die entsprechenden Prozesshandlungen ausgelöst hat. Dies zeigt besonders der vorliegende Fall, in dem seitens des Klägers argumentiert wird, eine Einigung sei nicht zustande gekommen, da es sich lediglich um eine Auslobung gehandelt habe. Von klaren, praktikablen Berechnungsgrundlagen sowohl für die Partei als auch für den Rechtspfleger kann in solchen Fällen keine Rede sein. Es erscheint daher geboten, trotz des seitens des Gesetzgebers erweiterten Anwendungsbereiches der Einigungsgebühr die bisher erforderlichen Förmlichkeiten im Sinne einer protokollierten Vereinbarung auch weiterhin zu fordern, um sowohl für die rechtsuchenden Parteien als auch den Rechtspfleger im Kostenfestsetzungsverfahren die notwendige rechtliche Klarheit zu schaffen.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, der Beschwerdewert wurde nach der Höhe der im Streit stehenden Prozesskosten festgesetzt.
2. Gemäß § 574 Abs. 2 S. 2 ZPO war die Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen.
OLG Karlsruhe:
Beschluss v. 29.03.2006
Az: 11 W 67/05
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