Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg:
Beschluss vom 9. Oktober 2014
Aktenzeichen: OVG 5 N 35.14
(OVG Berlin-Brandenburg: Beschluss v. 09.10.2014, Az.: OVG 5 N 35.14)
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 3. Juni 2014 wird abgelehnt.
Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt der Kläger.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der habilitierte Kläger ist als außerplanmäßiger Professor für Alte und Allgemeingeschichte an der Beklagten tätig. Ihm steht auf dem Server der Beklagten eine Webseite zur Verfügung, auf der er im Jahr 2012 eine zum Herunterladen geeignete pdf-Datei des Werkes €Mein Kampf€ von Adolf Hitler €als Referenztext zu einem Einleitungskommentar in die Gesamtpublikation€ einstellte. Nachdem das Bayerische Staatsministerium für Finanzen als Rechteinhaber des Werks der Beklagten wegen der Internetveröffentlichung am 13. Dezember 2013 €mit allen möglichen rechtlichen Schritten€ gedroht hatte, entfernte diese noch am selben Tag einen (den Zugriff auf das Werk €Mein Kampf€ betreffenden) Teil der Webseite des Klägers und setzte diesen davon in Kenntnis. Unter dem 16. Dezember 2013 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass seine Webseite wiederhergestellt sei, die in Rede stehende pdf-Datei sich aber nicht mehr auf dem Server befinde und im Fall ihrer erneuten Einstellung durch den Kläger dessen Webseite dauerhaft gesperrt würde. Die dagegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 3. Juni 2014 ab.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Er genügt bereits nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, wonach es dem Rechtsmittelführer obliegt, innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. €Darlegung€ ist dabei im Sinne von €Erläutern€ und €Erklären€ zu verstehen und erfordert dementsprechend in Bezug auf zumindest einen der Zulassungstatbestände des § 124 Abs. 2 VwGO eine Durchdringung und Aufarbeitung des Falles in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht am Maßstab der angefochtenen Entscheidung. Insoweit muss der jeweilige Antragsteller zunächst zweifelsfrei kundtun, aus welchen der in § 124 Abs. 2 VwGO genannten Gründen er die Zulassung der Berufung begehrt. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, das Vorbringen des Rechtsmittelführers daraufhin zu überprüfen, ob und ggfs. inwieweit es einem Zulassungsgrund oder möglicherweise auch mehreren in Betracht kommenden Zulassungsgründen zugeordnet werden kann. Zudem muss der Antragsteller bezogen auf den jeweiligen Zulassungsgrund substantiiert erläutern, warum die Zulassung der Berufung geboten ist (vgl. ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschlüsse vom 21. August 2012 - OVG 5 N 18.11 -, vom 23. Juli 2012 - OVG 5 N 23.11 - und vom 14. Oktober 2011 - OVG 5 N 2.09 -). Diesen Darlegungserfordernissen genügt das Vorbringen des Klägers nicht. Die Zulassungsgründe lassen sich aus der Antragsschrift auch nicht herauslesen. Der Vortrag in der Antragsbegründung ist vielmehr im Stil einer Berufungsbegründung gehalten. Die Darlegungsobliegenheiten des Rechtsmittelführers im Zulassungsverfahren sind jedoch andere; sie unterliegen - dem Beschleunigungs- und Entlastungszweck des vorgelagerten Zulassungsverfahrens entsprechend - einem vergleichbaren Maßstab wie diejenigen im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesverwaltungsgericht gem. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO (zu den Mindestanforderungen an die Beschwerdebegründung vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 -, juris Rdnr. 5).
Ungeachtet dessen wäre der Antrag auch unbegründet. Denn selbst wenn man zu Gunsten des Klägers unterstellt, dass er die Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sowie eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) geltend machen wollte, lägen diese unter Zugrundelegung der innerhalb der Zweimonatsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO eingegangenen Zulassungsbegründung nicht vor.
Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind anzunehmen, wenn ein in der erstinstanzlichen Entscheidung enthaltener einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Das ist hier nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mangels Rechtsschutzinteresses als unzulässig angesehen, weil es dem Kläger mit seiner Klage nicht primär um die Abwehr der Verletzung seines subjektiven Grundrechts, sondern vor allem um die Beseitigung eines objektiv gesetzeswidriges Verhalten der Beklagten gehe. Der Einwand des Klägers, er habe €persönlich einen Klageerfolg im Wege einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage€ erzielen wollen und damit eine €individuell-persönliche Klage€ erhoben, zieht die Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht in Zweifel, weil die gewählte Klageart weder eine Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO noch ein Rechtsschutzbedürfnis zu ersetzen vermag. Selbst wenn man diese anders sähe, wäre die Entscheidung des Verwaltungsgerichts jedenfalls im Ergebnis richtig. Das Verwaltungsgericht hat nämlich ergänzend darauf hingewiesen, dass die Klage auch in der Sache ohne Erfolg geblieben wäre. Dem Senat ist es unbenommen, diese Auffassung des Verwaltungsgerichts im Rahmen des Zulassungsvorbringens des Klägers auf seine Richtigkeit hin zu überprüfen, weil dieser bereits in der ersten Instanz Gelegenheit hatte, sich zur Begründetheit seiner Klage zu äußern.
Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts habe die Beklagte die pdf-Datei zu Recht entfernt, um wegen der durch die Publikation des Werkes eintretenden Urheberrechtsverletzung nicht in Anspruch genommen zu werden. Insbesondere könne sich der Kläger nicht auf die in §§ 51 ff. UrhG normierten Urheberrechtsschranken stützen, weil keine dieser Vorschriften es erlaube, ein urheberrechtlich geschütztes Werk €in allen seinen Teilen€ der Öffentlichkeit €zugänglich zu machen€.
Der Vorhalt des Klägers, das Verwaltungsgericht habe nicht beachtet, dass sich die Zulässigkeit einer kompletten Veröffentlichung des Werkes €als Referenzdatei einer sie durchgehend einschließenden, in größeren Sinnabschnitten vorgehende Kurzkommentierung€ im Rahmen seines Projekts S 37 aus § 51 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UrhG ergebe, verfängt nicht. Nach der von dem Kläger herangezogenen Vorschrift können zum Zwecke des Zitats zwar einzelne Werke nach der Veröffentlichung in ein selbständiges wissenschaftliches Werk zur Erläuterung des Inhalts aufgenommen werden. Ein derartiges Vorgehen setzt jedoch wegen des auch dabei zu beachtenden Zitatzwecks stets voraus, dass nicht nur eine innere Verbindung zwischen dem eigenen und dem aufgenommenen fremden Werk hergestellt wird, sondern das Zitat als Belegstelle oder Erörterungsgrundlage für selbständige Ausführungen des Zitierenden dient (vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 30. November 2011 - I ZR 212/10 -. juris Rdnr. 28). Eine solche dienende Funktion hat das Verwaltungsgericht nachvollziehbar mit der Begründung verneint, dass der Kläger nach eigener Darstellung lediglich €ein neues Hilfsmittel für die Bewältigung der Lektüre des Werks€ zur Verfügung stehen wolle und es ihm darum gehe, potentiellen Lesern die vollständige Lektüre €in freier Wahl interessierender Abschnitte€ zu ermöglichen. Dem setzt der Kläger in seinem Zulassungsantrag nichts Substanziiertes entgegen. Sein Hinweis auf den wissenschaftlichen Charakter seines Projekts S 37 rechtfertigt nicht den Schluss, dass die vollständige Wiedergabe des urheberrechtlich geschützten Werkes den Schutz der Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG genießt. Der Grundrechtsschutz erstreckt sich nicht zwingend auf jeden einzelnen Bestandteil einer im Kern als wissenschaftlich einzuordnenden Arbeit (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 17. Februar 2000 - 1 BvR 484/99 -, juris Rdnr. 5), zumal nicht auf solche, die - wie hier - das urheberrechtlich geschützte geistige Eigentum anderer in unvereinbarer Weise berühren.
Soweit der Kläger rügt, das Verwaltungsgericht vertrete die rechtsstaatswidrige Auffassung, dass die €Abstellung€ einer Webseite ohne vorhergehendes Anhörungs- und Erörterungsverfahren zulässig sei, vermag er damit nicht durchzudringen. Die von der Beklagten erlassenen Ausführungsvorschriften zur Nutzung einer auf ihrem Server betriebenen Webseite (Ausführungsvorschriften zur Nutzung eines tubIT-Benutzerkontos, Stand 10.12.2012) sehen unter Absatz 5 für den Fall, dass von einer in ihrem Verantwortungsbereich befindlichen Webseite rechtswidrige Inhalte verlinkt werden oder die Webseite selbst einen rechtswidrigen Inhalt enthält, eine Unterrichtung des Nutzers verbunden mit der Aufforderung vor, die entsprechenden Referenzen oder Inhalte unverzüglich zu entfernen. Zugleich bestimmt Abs. 5, dass die Beklagte bis zur Änderung durch den Nutzer oder einer hinreichenden Klärung der Rechtslage die Webpräsenz sperren kann. Damit hat die Beklagte im Rahmen der ihr nach § 2 Abs. 1 BerlHG zustehenden Selbstverwaltung ein Verfahren festgelegt, das sowohl eine Anhörung des betroffenen Nutzers als auch eine Erörterung der Rechtslage ermöglicht. Der Kläger stellt selbst nicht in Abrede, dass er noch am 13. Dezember 2013 von der Beklagten über die (teilweise) Sperrung seiner Webseite unterrichtet und ihm damit Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt worden ist. Dass dies nicht vor dem Ergreifen der streitigen Maßnahme geschehen ist, ist angesichts der durch die Drohung des Bayerischen Staatsministeriums für Finanzen und der erheblichen Rechtsfolgen der Urheberrechtsverletzung nach §§ 97 ff. UrhG für die Beklagte gegebenen Eilbedürftigkeit nahe liegend und unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten - wie die Ausnahme von der Anhörungspflicht nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG bei Gefahr im Verzug und die Heilung eines Verstoßes durch die Nachholung einer Anhörung nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG zeigen - rechtsstaatlich unbedenklich. Anders als der Kläger meint, vermag die Beklagte ihm das Recht zur Benutzung der Webseite auch nicht beliebig zu entziehen. Ein solches Vorgehen setzt nach Abs. 5 der Ausführungsvorschriften eine rechtswidrige Nutzung der Webseite voraus, die von dem Kläger mit Blick auf die Urheberrechtsverletzung nicht ernsthaft in Zweifel gezogen worden ist und ein Einschreiten der Beklagten rechtfertigt (siehe im Übrigen die Befugnis der Hochschulleitung in § 56 Abs. 3 BerlHG, rechtswidrige Maßnahmen mit aufschiebender Wirkung zu beanstanden oder aufzuheben).
Schließlich liegt ein Verfahrensmangel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO nicht darin, dass das Verwaltungsgericht die in den Verwaltungsakten befindlichen, gegen den Kläger von anderer Seite erhobenen Vorwürfe nicht in einer mündlichen Verhandlung erörtert hat. Der Kläger hat gemäß § 101 Abs. 2 VwGO auf eine mündliche Verhandlung und damit auf ein Rechtsgespräch verzichtet (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 27. Mai 2003 - BVerwG 9 BN 3.03 -, juris Rdnr. 18). Das Verwaltungsgericht hat auch unter dem Gesichtspunkt der Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG keinen Anlass gehabt, dem Kläger die in Rede stehenden Vorwürfe vorab mitzuteilen, da es diese der Entscheidung nicht zu Grunde gelegt hat (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 27. August 2003 - BVerwG 6 B 32.03 u.a. -, juris Rdnr. 10). Letzteres vermag der Kläger nicht mit seiner subjektiven Einschätzung in Frage zu stellen, dass sich die gerichtlichen Ausführungen eines ironischen und ihm gegenüber deutlich distanzierten Stils befleißigten. Derartiges lässt sich auch nicht nur ansatzweise der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung entnehmen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
OVG Berlin-Brandenburg:
Beschluss v. 09.10.2014
Az: OVG 5 N 35.14
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