Bundespatentgericht:
Beschluss vom 17. Oktober 2005
Aktenzeichen: 9 W (pat) 342/03

(BPatG: Beschluss v. 17.10.2005, Az.: 9 W (pat) 342/03)

Tenor

Das Patent wird aufrechterhalten.

Gründe

I.

Das Deutsche Patent- und Markenamt hat nach Prüfung das am 11. Dezember 2001 angemeldete Patent mit der Bezeichnung

"Verfahren zur Regelung der Luftmenge in einem Niveauregulierungssystem"

erteilt. Gegen die Patenterteilung richtet sich der Einspruch. Er ist gestützt auf folgende, im Erteilungsverfahren nicht berücksichtigte Druckschriften:

(D1) DE 20 50 831 A

(D2) DE 195 46 730 A1

(D3) Dubbel, Taschenbuch für den Maschinenbau, 18. Auflage, D 9 bis D 16

(D4) Dubbel, Taschenbuch für den Maschinenbau, 18. Auflage, P 23 bis P 31

(D5) DE 199 59 556 C1

(D6) DE 101 22 567 C1 (nachveröffentlicht).

Im Erteilungsverfahren ist lediglich die von der Patentinhaberin ursprünglich zum Stand der Technik genannte, nachveröffentlichte DE 100 55 108 A1 in Betracht gezogen worden.

Die Einsprechende meint, das streitpatentgemäße Verfahren sei gegenüber der nachveröffentlichten (D6) DE 101 22 567 C1 nicht neu. Bei dem darin beschriebenen Verfahren zur Regelung des Speicherdrucks einer geschlossenen Niveauregulierungsanlage gehe es darum, den Soll-Luftdruck im Niveauregulierungssystem ganz allgemein an den Zustand des Kraftfahrzeuges anzupassen. Das darunter auch die Lufttemperatur falle, verstehe sich von selbst. Zudem sei die Temperaturführung des Soll-Luftmassenwertes dem Fachmann aus dieser Druckschrift direkt bekannt. Denn es werde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es aufgrund von Temperaturänderungen vorkommen könne, dass die Ist-Luftmenge (Luftmasse) in dem Drucksystem temperaturabhängig schwanke, obwohl keine Leckage im System vorliege. Sofern diese Temperaturschwankung dazu führe, dass der Ist-Luftdruck von dem als Arbeitsbereich definierten Soll-Luftdruck abweiche, werde dies zu einer temperaturabhängig gesteuerten korrigierenden Regelungstätigkeit unter Zuhilfenahme der Messsignale eines Temperatursensors führen.

Durch Adaption der Merkmale der beiden vorveröffentlichten Druckschriften (D5) DE 199 59 556 C1 und (D1) DE 20 50 831 A, welche beide Niveauregelungssysteme mit einem geschlossenen Drucksystem zeigten, werde dem Fachmann unter Berücksichtigung seines allgemeinen Fachwissen das streitpatentgemäße Verfahren im übrigen nahegelegt.

Die Einsprechende beantragt, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt, das Patent aufrechtzuerhalten.

Außerdem erklärt sie die Teilung des Patents.

Sie tritt dem Einspruchsvorbringen in allen Punkten entgegen. Nach ihrer Meinung ist das streitpatentgemäße Verfahren neu und durch den Stand der Technik nicht nahegelegt.

Der Patentanspruch 1 lautet:

Verfahren zur Regelung der Luftmenge in einem geschlossenen, befüll- und entleerbaren pneumatischen Niveauregulierungssystem eines Fahrzeuges mit mindestens einem Drucksensor, einer Pumpe, mindestens einem Aktuator, mindestens einem Speicherbehälter und einer diese Aggregate verbindenden Schaltung und mindestens einem Niveausensor, wobei der Drucksensor den Luftdruck in den einzelnen Komponenten des Niveauregulierungssystems misst, dadurch gekennzeichnet, dass am Fahrzeug ein Temperatursensor (63) angeordnet ist, der die Umgebungstemperatur des Fahrzeuges misst, dass aus den Luftdrücken in den einzelnen Komponenten (40, 50), dem Fahrzeugniveau und der Umgebungstemperatur die Ist-Luftmasse des Niveauregulierungssystems errechnet wird, dass aus dem Fahrzeugniveau, der Umgebungstemperatur und einer aus diesem Fahrzeugniveau heraus maximalen Niveauänderung eine fahrzeugspezifische Soll-Luftmasse und ein Soll-Luftdruck berechnet wird, dass die Ist-Luftmasse im Niveauregulierungssystem erhöht wird, wenn der Ist-Luftdruck den Soll-Luftdruck unterschreitet unddass die Ist-Luftmasse im Niveauregulierungssystem verringert wird, wenn der Ist-Luftdruck den Soll-Luftdruck überschreitet.

Rückbezogene Patentansprüche 2 bis 8 sind diesem Patentanspruch 1 nachgeordnet.

II.

Der Einspruch ist zulässig; in der Sache hat er allerdings keinen Erfolg.

Das unbestritten gewerblich anwendbare Verfahren ist neu, denn keine der in Betracht gezogenen Druckschriften zeigt ein Verfahren zur Regelung der Luftmenge in einem geschlossenen pneumatischen Fahrzeug-Niveauregulierungssystem, in welchem die Umgebungstemperatur gemessen und unmittelbar in das Verfahren einbezogen wird.

Die prioritätsältere, jedoch nachveröffentlichte (D6) DE 101 22 567 C1 offenbart ein Verfahren zur Regelung des Speicherdrucks eines Druckluftspeichers einer geschlossenen Kraftfahrzeug-Niveauregelanlage unter Zuhilfenahme folgender gegenständlicher Komponenten, welche auch streitpatentgemäß vorhanden sind:

ein Drucksensor 30, eine Pumpe (Kompressor 6), mehrere Aktuatoren (Luftfedern 2ad), ein Speicherbehälter 4 und eine diese Aggregate verbindende Schaltung, vgl insb Fig 1. Ein in der Fig 1 nicht dargestellter Niveausensor dient zur Bestimmung des Volumens der Luftfedern, vgl insb Sp 7 Abs [0027].

Ein Temperatursensor zur Messung der Umgebungstemperatur, wie er beim streitpatentgemäßen Niveauregulierungssystem vorgesehen ist, fehlt hier. Die Umgebungstemperatur ist für das in Rede stehende Verfahren nämlich nicht relevant, denn ausweislich des Anspruchs 1 wird "der Speicherdruck des Druckluftspeichers 4 indirekt über die Bestimmung der Luftmenge L geregelt". Dabei berechnet sich die Luftmenge L abschließend aus der Summe der Drücke in den Luftfedern 2ad und in dem Speicherbehälter 4, multipliziert mit deren jeweiligen Volumina, vgl insb Anspruch 1 iVm Sp 6 Abs [0025]. Auf Basis einer auf diese Weise berechneten Luftmenge L wird der Speicherdruck im Druckluftspeicher 4 innerhalb eines Arbeitsbereiches gehalten, der durch vorgegebene Grenzen definiert ist, vgl insb Anspruch 1 iVm Sp 5/6 Abs [0022].

Die Bestimmung der Umgebungstemperatur ist für dieses Verfahren nicht nur entbehrlich, sondern darauf wird offensichtlich bewusst verzichtet. Denn diesbezüglich ist in Sp 9 Abs [0041] konkret vorgeschlagen, den Auswirkungen täglicher Temperaturschwankungen zwischen -20¡C und +20¡C durch die Wahl eines entsprechend großen Arbeitsbereiches zu begegnen und eben nicht durch die Berücksichtigung der Umgebungstemperatur, wie nach dem Streitpatent.

Vor diesem Hintergrund kann die Auffassung der Einsprechenden, auch ohne unmittelbare Erwähnung eines Temperatursensors sei dieser -für einen Fachmann ohne weiteres ersichtlich- bei dem Verfahren nach (D6) zweifellos notwendig, nicht überzeugen. Als Durchschnittfachmann, an den sich die Offenbarung der (D6) richtet, ist hier ein Maschinenbauingenieur anzusehen, der bei einem Kraftfahrzeughersteller oder -zulieferer mit der Entwicklung von pneumatischen Niveauregelanlagen beschäftigt ist und über eine angemessene Berufserfahrung verfügt. Dieser kennt selbstverständlich die allgemeine Gasgleichung p V = m R T wie sie als Gleichung 2 in (D3) Dubbel, Taschenbuch für den Maschinenbau, 18. Auflage, 6 Stoffthermodynamik, Seite D 9, enthalten ist. Wenn er mit diesem Fachwissen die Druckschrift (D6) unvoreingenommen auswertet, muss er feststellen, dass die Temperaturabhängigkeit der Luft bei dem dortigen Verfahren durch einen genügend groß gewählten Arbeitsbereich kompensiert wird, wie vorstehend dargetan. Insoweit ist ausgeschlossen, dass er in (D6) quasi das Gegenteil dessen, was dort offenbart ist, nämlich keinen Temperatursensor zu verwenden, als selbstverständlich mitliest oder als nahezu unerlässlich ergänzt (BGH Bl PMZ 1995, 319 ff - "Elektrische Steckverbindung").

Ebenfalls prioritätsälter und nachveröffentlicht ist die von der Patentinhaberin ursprünglich zum Stand der Technik genannte DE 100 55 108 A1. Darin ist eine Luftfederung mit geschlossenem Druckluftsystem beschrieben, bei der ein Luftaustausch mit der Umgebung dann erfolgt, wenn die Druckdifferenzen zwischen den einzelnen Komponenten des Druckluftsystems für die gewünschte Niveauänderung nicht ausreichen. Genau dies wird mit dem streitpatentgemäßen Verfahren durch Einbeziehung der Umgebungstemperatur vermieden, was bei der Luftfederung gemäß DE 100 55 108 A1 bereits an dem dort nicht vorhandenen Temperatursensor scheitert. Gegenteiliges hat die Einsprechende nicht vorgetragen.

Aus der vorveröffentlichten (D5) DE 199 59 556 C1 ist eine Niveauregeleinrichtung für Fahrzeuge bekannt, die vorrichtungsmäßig identisch ist mit der in (D6) beschriebenen Niveauregeleinrichtung, vgl insb Fig 1. Ein Temperatursensor ist auch in (D5) nicht vorgesehen. Der Grundgedanke dieser Erfindung ist darauf konzentriert, eine Niveauregelanlage durch schaltungstechnische Lösungen zu vereinfachen, bei denen eine einfache Pumpe zur Anwendung kommt, die Druckmittel nur in einer Richtung fördern kann, vgl insb Sp 1 Z 29-32, Sp 1 Z 57 bis Sp 2 Z 8. Die gesamte Druckschrift befasst sich dementsprechend nur mit den gegenständlichen Ausbildungen der dort offenbarten Niveauregelanlage ohne dabei ein Verfahren erkennen zu lassen, bei dem die Umgebungstemperatur eine Rolle spielt.

Die (D1) DE 20 50 831 A offenbart eine hydropneumatische Niveauregelanlage, bei der ein Niveauregelschalter 10 den Elektromotor 5 einer in zwei Richtungen fördernden Zahnradpumpe 4 ansteuert, vgl insb Fig 1 iVm S 8 Abs 1 ff. Mittels der Zahnradpumpe 4 wird Fluid in die Arbeitsräume 7, 39 von höhenverstellbaren Hubaggregaten 8, usw geleitet, vgl insb Anspruch 1. Dabei soll der mit den Arbeitsräumen und den verbindenden Leitungen ein geschlossenes System bildende Vorratsraum 1, 31 unter einem solchen Arbeitsdruck stehen, dass er für das Hoch- und Abregeln der Federbeine ausreicht, vgl insb Anspruch 1. Ein Temperatursensor ist in der Druckschrift nicht erwähnt. Ebenso wenig geht daraus ein Hinweis auf ein Verfahren hervor, bei dem die Temperaturabhängigkeit der dort lediglich im Druckspeicher enthaltenen Luft berücksichtigt wird.

Eine weitere Niveauregelanlage ist in der (D2) DE 195 46 730 A1 dargestellt. Das in dieser Druckschrift verfolgte Ziel ist, zu große Druckunterschiede zwischen den Luftfederbälgen einer einzelnen Achse zu vermeiden, vgl insb Sp 1 Z 53-58. Dazu ist eine beispielsweise aus Drucksensoren bestehende Prüfeinrichtung mit einem elektronischen Regler 1 vorgesehen, die feststellt, ob eine Geradestellung einer Fahrzeugachse bei einem vorgegebenen maximalen Druckunterschied möglich ist, vgl insb Anspruch 1. Zur kontinuierlichen Höhenerfassung dienen außerdem Höhensensoren 11, 12, vgl insb Fig 1 iVm Sp 2 Z 53-63. Die Angabe in Sp 2 ab Z 34, wonach eine Druckveränderung im jeweiligen Luftfederbalg hervorgerufen werden kann durch den aus dem Gasgesetz bekannten Zusammenhang zwischen Druck, Volumen und Temperatur, geht über das bekannte und mit (D3) nachgewiesene Fachwissen nicht hinaus. In der (D2) DE 195 46 730 A1 bleibt diese Angabe im übrigen ohne Konsequenz, denn ein Temperatursensor ist auch hier nicht vorhanden.

Die noch genannten Textstellen in (D3) und (D4) Dubbel, Taschenbuch für den Maschinenbau, 18. Auflage, Seiten D 10 bis D 16 sowie P 23 bis P 31 dokumentieren lediglich allgemeines Fachwissen, ohne das streitpatentgemäße Verfahren vorwegzunehmen. Dies wurde auch von der Einsprechenden nicht geltend gemacht.

Das streitpatentgemäße Verfahren ist durch den am Anmeldetag bekannten Stand der Technik nicht nahegelegt.

Die Druckschriften (D6) DE 101 22 567 C1 und DE 100 55 108 A1 sind nachveröffentlicht und bleiben daher bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit außer Betracht, PatG § 4 Satz 2.

Die vorangegangene Neuheitsprüfung des übrigen im Verfahren befindlichen Standes der Technik hat ergeben, dass keine der von der fachkundigen Einsprechenden genannten, vorveröffentlichten Duckschriften eine Niveauregelanlage mit einem Temperatursensor zur Messung der Umgebungstemperatur offenbart. Und das, obwohl dem hier zuständigen Durchschnittsfachmann am Anmeldetag des Streitpatents zweifellos die Temperaturabhängigkeit der Luftmasse aus seinem Grundwissen geläufig ist. Nach den Gesetzen der Logik kann ein solcherart dokumentierter Stand der Technik dasjenige, was er nicht zeigt, auch nicht nahe legen. Die gegenteilige Auffassung der Einsprechenden ist daher offensichtlich vom Wissen um das Streitpatent geprägt und kann somit nicht überzeugen.

Das gilt insbesondere für die von der Einsprechenden als naheliegend erachtete Zusammenschau der Druckschriften (D5) DE 199 59 556 C1 und (D1) DE 20 50 831 A. Wie vorstehend erläutert, handelt es sich bei (D5) um eine rein pneumatische Niveauregelanlage, deren Luftmenge im Druckmittelbehälter 4 druckabhängig veränderbar ist, vgl insb Sp 5 ab Z 54. Im Gegensatz dazu ist die Niveauregelanlage nach (D1) hydropneumatisch ausgebildet, wobei die Luftmenge in den membrangeteilten Speicher- oder Ausgleichbehältern konstant ist und in bekannter Weise zum temperaturabhängigen Volumenausgleich des Hydraulikmediums dient, vgl insb S 8 Abs 1 iVm Fig 1. Dementsprechend wird in (D1) auch nicht die Luftmenge im Ausgleichbehälter geregelt, sondern die Höhenlage des Fahrzeugaufbaus gegenüber einer Fahrzeugachse, wozu Flüssigkeit zwischen Ausgleichbehältern und Federbeinen hin und hergepumpt wird. Nach (D1) wird dazu eine in zwei Richtungen fördernde Pumpe 4 verwendet, die jedoch nach der in (D5) angegebenen Aufgabe gerade zu vermeiden ist. Deshalb befasst sich (D5) im wesentlichen mit einer Schaltung, in der eine nur in eine Richtung fördernde Pumpe verwendet werden kann. Vor diesem Hintergrund ist es überaus fraglich, ob ein unvoreingenommener Durchschnittsfachmann zwei Druckschriften mit derart gegensätzlichen Inhalten überhaupt kombinieren würde. Wenn er es dennoch versuchen sollte, würde er mit seiner Fachkenntnis möglicherweise den aus (D1) bekannten Niveausensor 10 mit dem aus (D5) bekannten Drucksensor 30 in einem Verfahren zum Betreiben einer Niveauregelungsanlage verbinden. Damit gelangt er aber in keinem Fall auf naheliegende Weise zur streitpatentgemäßen Einbeziehung der von einem Temperatursensor gemessenen Umgebungstemperatur in ein Verfahren zur Regelung der Luftmenge in einem pneumatischen Niveauregulierungssystem.

Demzufolge hat der Patentanspruch 1 Bestand und mit ihm die rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 8.

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BPatG:
Beschluss v. 17.10.2005
Az: 9 W (pat) 342/03


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