Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 24. November 1998
Aktenzeichen: 4 U 128/98
(OLG Hamm: Urteil v. 24.11.1998, Az.: 4 U 128/98)
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das am 12. März 1998 verkündete Urteil der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Hagen wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar und beschwert den Beklagten mit 20.000,00 DM (zugleich Streitwert für das Berufungsverfahren).
Tatbestand
Die Klägerin vertritt als Körperschaft öffentlichen Rechts die beruflichen Interessen der im Bereich der Oberfinanzdirektion N bestellten Steuerberater und Steuerbevollmächtigten sowie der in diesem Bereich anerkannten Steuerberatungsgesellschaften. Der Beklagte ist deutscher Staatsangehöriger. Er betreibt in O ein Kontierungsbüro und hat in den Niederlanden die berufliche Qualifikation eines "Belasting Adviseur" erreicht. Er ist Mitglied eines "W", der in L/Niederlande ein Büro gemietet hat, in dem die Angehörigen dieses Verbandes ihre Tätigkeit als Belastingadviseure nachgehen. Als der Beklagte diesem Verband beitrat, waren nach seiner Behauptung 50 derartige Belastingadviseure Mitglieder des Verbandes; nach Darstellung der Klägerin sind das heute 90 nahezu ausnahmslos deutsche Staatsangehörige, die von L aus Tätigkeiten als Belastingadviseure ausüben.
Im vorliegenden Verfahren beanstandet die Klägerin, daß der Beklagte für die Firma X GmbH in B die Bilanz erstellt und mit dem Titel "Steuerberater" unterschrieben habe. Da der Beklagte nicht zum Kreis der in §§ 3, 4 StBerG genannten Personen gehöre, die zur Steuerrechtshilfe befugt seien, dürfe er auch keine Bilanzen erstellen.
Die Klägerin hat beantragt,
dem Beklagten bei Strafandrohung zu verbieten,
a) Steuerrechtshilfe durch das Erstellen von Bilanzen zu
leisten,
b) zu Wettbewerbszwecken in Zeitschriften, Rundschreiben
oder sonstigen Publikationen Steuerrechtshilfe, ins-
besondere das Erstellen von Bilanzen, anzubieten.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Landgericht hat durch Urteil vom 12. März 1998 dem Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln verboten,
Steuerrechtshilfe durch das Erstellen von Bilanzen zu leisten.
Wegen des weiter verlangten Bewerbungsverbotes hat es die Klage abgewiesen, weil insoweit die Klägerin keine entsprechende Tathandlung des Beklagten nachgewiesen habe.
Wegen des Inhaltes des Urteils im einzelnen wird auf Bl. 69 ff. d.A. verwiesen.
Gegen dieses Urteil hat der Beklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt, mit der er sein Klageabweisungsbegehren aus erster Instanz wegen des ausgesprochenen Verbotes weiterverfolgt.
Unter Ergänzung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrages erhebt der Beklagte zunächst die Einrede der Verjährung. Zwar sei die Klägerin nach ihrem Vortrag erst am 13. Juni 1997 durch ihr Mitglied K über die hier in Rede stehende Tathandlung des Beklagten, nämlich die Bilanzerstellung für die Firma X GmbH, informiert worden. Die Klägerin müsse sich aber zurechnen lassen, daß ihr Mitglied selbst bereits spätestens am 12. Februar 1997 von sämtlichen Tatumständen Kenntnis erlangt habe, was sich die Klägerin zurechnen lassen müsse.
Darüber hinaus fehle es schon an einem Verstoß des Beklagten gegen das Steuerberatungsgesetz. Denn der Beklagte habe auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland keine Steuerrechtshilfe durch das Erstellen von Bilanzen geleistet. Er habe die Bilanzen allein in den Niederlanden erstellt. Dort sei ihm eine solche Tätigkeit aber gestattet. Der Beklagte erbringe seine Dienstleistung, nämlich die Erstellung von Bilanzen, ausschließlich auf dem Gebiet der Niederlande, wo er die Bilanzen auch endgültig fertigstelle. Erst die fertiggestellte Bilanz erreiche wieder den Geltungsbereich des Steuerberatungsgesetzes. Für bereits erstellte Bilanzen gelte das Steuerberatungsgesetz aber nicht.
Zumindest sei er nach den Grundsätzen der Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 59, 60 EG-Vertrag berechtigt, in den Niederlanden für deutsche Staatsangehörige Bilanzen zu erstellen. Es handele sich auch nicht um eine Umgehung des Steuerberatungsgesetzes, sondern er mache lediglich von der ihm zustehenden Niederlassungsfreiheit sowie von der im Vertrag festgelegten Dienstleistungsfreiheit Gebrauch.
Schließlich bestehe ein Unterlassungsanspruch auch dann nicht, wenn man zu einer Anwendung des Steuerberatungsgesetzes auf die vom Beklagten in den Niederlanden erbrachten Dienstleistungen komme. Der Beklagte könne sich auch in diesem Zusammenhang auf die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 59, 60 EG-Vertrag berufen. Auch wenn gemäß Art. 60 Abs. 3 EG-Vertrag die Freiheit der Dienstleistung durch allgemeine Berufsausübungsregelungen beschränkt werden könne, so sei dies jedoch nur dann zulässig, wenn die Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit sachlich geboten seien. Dies sei jedoch nicht der Fall, wenn das Steuerberatungsgesetz die Erstellung von Bilanzen bestimmten Berufsgruppen vorbehalte. Der Gesetzgeber habe selbst nach den Regelungen des HGB jedem Kaufmann freigestellt, seine Bilanzen selbst zu erstellen oder sich hierbei der Hilfe Dritter zu bedienen. Dann scheide der Gesichtspunkt der Qualitätssicherung aber aus, um die Erstellung der Bilanzen bestimmten Berufsgruppen vorzubehalten.
Der Beklagte beantragt,
unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils des Landgerichts Hagen vom 12. März 1998 die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Klägerin beantragt unter Ergänzung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des Inhaltes der Parteivorträge im einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Gründe
Die Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das Landgericht hat das ausgeurteilte Verbot zu Recht ausgesprochen.
Die Klägerin ist klagebefugt im Sinne des § 13 Abs. 2 Ziff. 2 UWG. Die Kammern der freien Berufe werden in ständiger Rechtsprechung als klagebefugt im Sinne dieser Vorschrift angesehen (BGH GRUR 1987, 444 - Laufende Buchführung). Als Körperschaft des öffentlichen Rechts für die steuerberatenden Berufe kann bei der Klägerin auch ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß ihr eine ausreichende Anzahl von Mitgliedern im Sinne des § 13 Abs. 2 Ziff. 2 UWG angehört.
Das beantragte und ausgesprochene Verbot, Steuerrechtshilfe durch das Erstellen von Bilanzen zu leisten, ist auch begründet. Gemäß § 5 Abs. 1 StBerG ist dem Beklagten Hilfeleistung in Steuersachen verboten, wozu auch die Erstellung von Bilanzen gehört. Denn der Beklagte gehört nicht zu den in §§ 3, 4 StBerG genannten Personen, die solche Hilfeleistungen in Steuersachen allein erbringen dürfen.
Unstreitig hat der Beklagte Bilanzen erstellt. Allein der Umstand, daß der Beklagte diese Bilanzen in Holland gefertigt hat, macht sie noch nicht zu einer im Ausland erbrachten Leistung, für die das Steuerberatungsgesetz nicht gilt.
Entscheidend ist insoweit allein, daß der Beklagte die erstellte Bilanz seinem - deutschen - Kunden zur Vorlage beim Finanzamt zur Verfügung gestellt hat, er auch in Deutschland, nämlich in O, ein Büro betreibt und auch hier ansässig ist. Von dieser tatsächlichen Ausgestaltung her handelt es sich tatsächlich nicht um einen grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr, so daß sich der Beklagte auch nicht auf die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 59 EGV berufen kann (vgl. für einen vergleichbaren Fall Senatsurteil vom 25. Juni 1996 4 U 12/96). Von der tatsächlichen Ausgestaltung her liegt eine reine Inlandstätigkeit vor, was nicht dadurch ausgeschlossen werden kann, daß sich der Dienstleistende zur Abfassung seiner Dienstleistung ins Ausland begibt. Die steuerliche Büroorganisation des Beklagten in den Niederlanden reicht nicht aus, um dies als berufliche Niederlassung des Beklagten, etwa im Sinne des Art. 52 EGV, ansehen zu können, von der aus der Beklagte dann grenzüberschreitende Dienstleistungen in Deutschland erbringen kann (zur Abgrenzung von Niederlassung und Dienstleistungserbringung vgl. auch EuGH DB 1996, 35). Vielmehr dient die Einrichtung des Büros in den Niederlanden erkennbar nur dem Zweck, formal eine grenzüberschreitende Tätigkeit darstellen zu können, während in der Sache eine bloße Inlandstätigkeit vorliegt.
Darüber hinaus würde es dem Beklagten auch nichts nützen, wenn man entgegen den obigen Ausführungen zu seinen Gunsten die beanstandete Bilanzerstellung als von den Niederlanden aus erbracht ansehen würde, mit der Folge, daß der Beklagte die Dienstleistungsfreiheit nach dem EG-Vertrag prinzipiell für sich in Anspruch nehmen könnte. Denn nach Art. 60 Abs. 3 EGV wird die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 59 EGV nur unter den Voraussetzungen gewährt, die der Empfängerstaat für seine eigenen Angehörigen vorschreibt. Wie der Europäische Gerichtshof bereits mehrfach betont hat (vgl. EuGH E 79, 399 Knors; EuGH E 74, 1299 van Binsbergen), dürfen Inländer Art. 59 ff. EGV nicht dazu mißbrauchen, sich den nationalen Vorschriften über die Berufsausbildung und Berufsausübung zu entziehen. Für einen solchen Mißbrauch spricht es hier, wenn der Beklagte sich einer Büroorganisation in Holland anschließt, obwohl das Schwergewicht seiner beratenden Tätigkeit in Deutschland liegt.
Unabhängig von diesem Mißbrauchsgesichtspunkt kann der Beklagte sich auf die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 59 EGV gemäß Art. 60 Abs. 3 EGV aber schon deshalb hier nicht berufen, weil er eben nicht die Qualifikation hat, die in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Steuerberatungsgesetz erforderlich ist, um Hilfeleistungen in Steuersachen, wozu eben auch die Bilanzerstellung gehört, erbringen zu dürfen.
Nach Art. 60 Abs. 3 EGV ist die Freiheit der Dienstleistung durch die allgemeinen Berufsausübungsregeln prinzipiell beschränkbar (BFH Stbg 1994, 503 mit ausführlicher Darstellung der Rechtsprechung des EuGH). Der Europäische Gerichtshof macht in dieser Hinsicht nur die Einschränkung, daß die Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit sachlich geboten sein müssen (EuGH E 91 I S. 4221 Säger; 92 I S. 3351 Ramrath). Vor allem aber müssen ausländische Berechtigungen zu der entsprechenden Tätigkeit anerkannt und auf ihre Gleichwertigkeit mit den inländischen Berufsvoraussetzungen überprüft werden (EuGH E 91 I S. 2357 Vlassopoulou). Beide Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Daß die Hilfeleistung in Steuersachen nach § 3 StBerG bestimmten Berufsgruppen vorbehalten ist, liegt im Allgemeininteresse (vgl. BFH Stbg 1994, 503). Eine Befreiung nach § 3 StBerG kann der Beklagte nicht für sich beanspruchen, nur weil er in den Niederlanden Hilfe in Steuersachen leisten darf. Insoweit werden auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes der freien Dienstleistung Grenzen gesetzt, wenn ein Mitgliedsstaat bestimmte Dienstleistungen in sachlich vertretbarer Weise allgemein an bestimmte Erbringungsvoraussetzungen knüpft (EuGH NJW 1988, 887). Da der Beklagte keine vergleichbaren Qualifikationen vorweisen kann, wie sie nach dem Steuerberatungsgesetz erforderlich sind, um in der Bundesrepublik Deutschland Hilfeleistungen in Steuersachen erbringen zu dürfen, also auch Bilanzen erstellen zu dürfen, ist dem Beklagten eine solche Tätigkeit auch unter dem Gesichtspunkt der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 59 EGV in der Bundesrepublik Deutschland verwehrt.
Der Beklagte kann sich gegenüber diesem ausgesprochenen Verbot auch nicht darauf berufen, daß der zugrundeliegende Verstoß bereits verjährt sei. Die Klägerin macht hier einen eigenen Anspruch geltend, § 13 Abs. 2 Ziff. 2 UWG, so daß es auf ihre eigene Kenntnis für den Verjährungsbeginn ankommt, § 21 UWG. Ihre Mitglieder können auch nicht als Wissensvertreter angesehen werden, deren Kenntnis sich die Klägerin zurechnen lassen müßte. Denn diese Mitglieder sind nicht von der Klägerin entsprechend beauftragt worden, für sie die Einhaltung der Regelungen des Steuerberatungsgesetzes zu überwachen. Vor einer Inanspruchnahme noch nach Jahr und Tag ist der Beklagte durch die 3jährige Verjährungsfrist des § 21 UWG geschützt. Solange muß eben ein Täter mit einer Tatverfolgung in jedem Falle rechnen.
Ohnehin kommt eine Verjährung hier schon deshalb nicht in Betracht, weil sich der Beklagte nach wie vor berühmt, die beanstandete Leistung, nämlich die Erstellung von Bilanzen, erbringen zu dürfen, so daß er auf jeden Fall unter dem Gesichtspunkt der Erstbegehungsgefahr haftet.
Der Tenor des angefochtenen Urteils geht auch nicht zu weit. Daß sich das Verbot nur auf die Bundesrepublik Deutschland erstreckt, ergibt sich schon aus den Grenzen der deutschen Gerichtsbarkeit. Auch hier wollte das Landgericht dem Beklagten erkennbar nicht verbieten, in Holland für holländische Kunden Bilanzen zu erstellen. Nur deutschen Kunden darf er diese Dienstleistung nicht erbringen, weil er dazu nicht die Voraussetzungen nach dem Steuerberatungsgesetz erfüllt. Dieser Verbotsumfang wird im vollen Umfange von § 1 UWG in Verbindung mit dem Steuerberatungsgesetz gedeckt. Es handelt sich bei dem Steuerberatungsgesetz um wertbezogene Vorschriften, bei denen ein Verstoß zugleich auch die Wettbewerbswidrigkeit dieses Verhaltens begründet (Köhler/Piper, UWG, § 1 Rdz. 335 m.w.N.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Ziff. 10 ZPO.
OLG Hamm:
Urteil v. 24.11.1998
Az: 4 U 128/98
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