Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 24. Juni 1994
Aktenzeichen: 6 U 230/93

(OLG Köln: Urteil v. 24.06.1994, Az.: 6 U 230/93)

1. Wirbt ein Optikerfachgeschäft für seine Produkte mit einer Anzeige, in der die Angabe "über 50%" groß herausgestellt wird, besteht die Gefahr relevanter Irreführung, wenn für den flüchtigen Leser offen bleibt, worauf sich die Prozentzahl bezieht und ernsthafte Zuordnungsmöglichkeiten bestehen, die dem tatsächlichen Angebot nicht entsprechen. Ein nicht unerheblicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise bringt derartige "Prozentaussagen" in der Werbung bevorzugt mit Preisen und bei der Werbung eines Optikers in erster Linie mit Komplettbrillen in Verbindung. Erstreckt sich die "über 50%-Aussage lediglich auf Sonnengläser aus Kunststoff, nicht hingegen auch auf Brillengestelle, verstößt eine solche Werbung eindeutiger klarstellender Hinweise gegen § 3 UWG. 2. Zur Frage der Beseitigung der Irreführungsgefahr bei Blickfangwerbung durch erläuternde und aufklärende Angaben in einer Werbeanzeige.

Tatbestand

Beide Parteien betreiben Optikfachgeschäfte in Köln.

Im K. S.anzeiger vom 1. April 1993 erschien eine Werbeanzeige

der Beklagten, die auf der linken Seite in Großdruck quer zum

übrigen Text die Aussage "über 50 %" aufweist. Etwa in der Mitte

der Anzeige befindet sich die Abbildung eines Frauengesichtes mit

Sonnenbrille. Unter diesem Bild steht ebenfalls in Großdruck der

Hinweis "A. optik". Der Anzeigentext beginnt mit der drucktechnisch

hervorgehobenen Aussage: "Óber 50 % sparen Sie bei farbigen

Sonnengläsern* aus Kunststoff. UV-Schutz inklusive". Ein wenig

unterhalb dieses Textes befindet sich die ebenfalls drucktechnisch

hervorgehobene Aussage: "Paar nur 38,00 DM über 50 % reduziert".

Wegen der weiteren Ausgestaltung der Anzeige wird auf die im

Urteilstenor wiedergegebene Fotokopie Bezug genommen.

Mit Schreiben ihrer Prozeßbevollmächtigten mahnte die Klägerin

die Beklagte hinsichtlich dieser Anzeige ab, da sie deren

Ausgestaltung für irreführend hält. Die Beklagte lehnte die

geforderte Abgabe einer strafbewehrten

Unterlassungsverpflichtungserklärung ab.

Die Klägerin hat die Ansicht verteten, die Werbeanzeige sei

irreführend im Sinne von § 3 UWG. Hierzu hat sie behauptet, durch

das blickfangmäßige Herausstellen des Textteiles "über 50 %" gehe

ein nicht unerheblicher Teil der Verbraucher davon aus, es werde

eine allgemeine Preisherabsetzung von über 50 % angekündigt.

Auch durch den drucktechnisch hervorgehobenen Textteil "Óber 50

% sparen Sie bei farbigen Sonnengläsern* aus Kunststoff. UV-Schutz

inklusive" werde insbesondere durch die Verbindung mit dem

abgebildeten Frauengesicht mit kompletter Sonnenbrille suggeriert,

es handele sich bei dieser Anzeige um das Angebot einer besonders

günstigen kompletten Sonnenbrille. Umgangssprachlich sei es üblich,

eine Brille als "Gläser" zu bezeichnen. In Verbindung mit der

weiteren Werbeaussage "Paar nur 38,00 DM über 50 % reduziert"

ergebe sich bei flüchtiger Betrachtungsweise für den

Durchnittsleser dann der Eindruck, er könne eine komplette Brille

für 38,00 DM kaufen.

Sie hat darüber hinaus die Auffassung vertreten, die

blickfangmäßige Ankündigung "über 50 %" in Verbindung mit dem Foto

und dem kleiner gedruckten Werbetext sei auch deshalb irreführend,

weil der Leser durch den Blickfang "über 50 %" zunächst angelockt

werde, sich mit dem Angebot näher zu befassen, und erst bei

genauerer Betrachtung feststelle, daß lediglich Brillengläser für

38,00 DM verkauft würden, so daß die Aussage "über 50 %" nicht das

hielte, was sie auf den ersten Blick verspreche.

Die Klägerin hat schließlich behauptet, der Durchschnittsleser

beurteile die Anzeige nur oberflächlich nach dem vermittelten

Gesamteindruck, der vorliegend insbesondere durch die Kombination

des übergroß hervorgehobenen Textteils "über 50 %", dem Foto eines

Frauengesichtes mit kompletter Sonnenbrille sowie der Aussage "Óber

50 % sparen Sie bei farbigen Sonnengläsern aus Kunststoff.

UV-Schutz inklusive" entscheidend geprägt werde.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines vom Gericht

für jeden Fall der Zuwiderhandlung unter Ausschluß der Einrede des

Fortsetzungszusammenhanges festzusetzenden Ordnungsgeldes bis

500.000,00 DM zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu

Wettbewerbszwecken, wie nachstehend wiedergegeben, mit dem

besonders herausgestellten Textteil, der auffällig groß und

senkrecht gedruckt ist "über 50 %" in Verbindung mit einem

herausgestellten Textteil "Óber 50 % sparen Sie bei farbigen

Sonnengläsern* aus Kunststoff. UV-Schutz inklusive." Sowie "Paar

nur 38,-- DM über 50 % reduziert" in Verbindung mit dem Foto eines

Frauengesichtes mit Sonnenbrille, zu werben: (Es folgt eine Kopie

der im Urteilstenor wiedergegebenen Anzeige).

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat geltendgemacht, die beanstandete Anzeige sei eindeutig

und klar, so daß eine Fehlvorstellung des Publikums ausgeschlossen

sei. Die beworbene Preisreduzierung beziehe sich danach nur auf

Sonnengläser, und zwar nur auf solche aus Kunststoff, nicht aber

auf komplette Sonnenbrillen.

Die Blickfangangabe "über 50 %" werde vom Leser lediglich in

Verbindung mit dem herausgestellten Textteil "Óber 50 % sparen Sie

bei farbigen Sonnengläsern* aus Kunststoff. UV-Schutz inklusive."

und "Paar nur 38,00 DM über 50 % reduziert" gelesen.

Durch diese Aussagen sei eindeutig klargestellt, daß sich die

Reduzierung nicht auf das Brillengestell beziehe. Wenn aber

eindeutig Sonnengläser angeboten würden, käme auch ein nicht

unerheblicher Teil der angesprochenen Verbraucher nicht auf die

Idee, daß es sich um das Angebot von kompletten Sonnenbrillen

handele. Darüber hinaus werde blickfangmäßig hervorgehoben, daß

sich dieses Angebot nur auf ein "Paar" beziehe; hiermit könnten

nicht die Brillengestelle gemeint sein.

Die Abbildung eines Frauengesichtes mit Sonnenbrille führe zu

keiner Fehlvorstellung des Publikums, da dieses in dieser Abbildung

keinen Hinweis auf ein konkretes Angebot sehe. Bei einer Vielzahl

von werblichen Darstellungen werde ein komplettes Produkt

abgebildet, auch wenn nur für Teile geworben würde.

Weiterhin hat die Beklagte die Ansicht vertreten, die

blickfangmäßige Angabe "über 50 %" in Verbindung mit dem

Firmennamen "A. Optik" sowie der Abbildung einer weiblichen Person,

die eine Sonnenbrille trage, sei aus sich heraus gar nicht

verständlich. Insoweit sei der flüchtige Durchschnittsbetrachter

gezwungen, die ebenfalls blickfangmäßig hervorgehobene Textaussage

zu lesen, aus der sich jedoch ergebe, daß sich die Preisreduzierung

nur auf Sonnengläser beziehe.

Schließlich sei, da mit zutreffenden Behauptungen geworben

werde, zur Feststellung einer Irreführung des Verkehrs eine

wesentlich höhere Quote erforderlich, als üblicherweise für eine

Täuschung im Sinne des § 3 UWG notwendig sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen

Vorbringens beider Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der

wechselseitigen Schriftsätze verwiesen.

Durch Urteil vom 29. Juli 1993 hat die 1. Kammer für

Handelssachen des Landgerichts Köln der Klage stattgegeben. Die

Entscheidung ist im wesentlichen damit begründet, eine Irreführung

im Sinne von § 3 UWG werde durch die Blickfangangaben in der

streitgegenständlichen Werbung hervorgerufen; der weitere Text sei

nicht in hinreichendem Maße aufklärend. Wegen der weiteren

Einzelheiten der Urteilsbegründung wird auf die Entscheidungsgründe

des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen das ihr am 18. August 1993 zugestellte Urteil hat die

Beklagte mit einem am Montag, den 20. September 1993 bei Gericht

eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach

entsprechender Fristverlängerung mit einem am 19. November 1993 bei

Gericht eingegangenen Schriftsatz rechtzeitig begründet.

Die Beklagte vertieft und ergänzt ihr erstinstanzliches

Vorbringen. Sie vertritt die Ansicht, auch wenn der "Einstieg" in

die streitgegenständliche Anzeige durch die besonders

herausgestellten Angaben "A. Optik" und "über 50 %" sowie die

Abbildung eines Kopfes einer jungen Frau mit Sonnenbrille erfolge,

sei damit nicht klargestellt, was es mit der Prozentzahl auf sich

habe. Der Leser der Anzeige könnte mit dieser Information nichts

anfangen, wenn die Anzeige keinen weiteren Text enthielte. Er

könnte lediglich spekulieren, ob hiermit die Prozentzahl der Käufer

bei ihr - der Beklagten -, der Prozentsatz der Brillenträger oder

der Prozentsatz einer Preisreduzierung gemeint sei.

Die streitgegenständliche Werbung sei daher darauf angelegt, daß

sich der Betrachter notwendigerweise mit dem weiteren Text der

Anzeige beschäftigen müsse. In diesem Text sei jedoch

blickfangmäßig mit den Angaben "Óber 50 % sparen Sie bei farbigen

Sonnengläsern* aus Kunststoff. UV-Schutz inklusive" und "Paar nur

38,00 DM" klargestellt, daß lediglich Sonnengläser aus Kunststoff

entsprechend reduziert seien. Diese Information sei nicht nur

vollständig, sie sei auch wahr und unmißverständlich. Der Leser,

der die Textangabe "Óber 50 % sparen Sie bei farbigen

Sonnengläsern* aus Kunststoff ..." sehe, werde gleichzeitig auf die

drucktechnisch hervorgehobene und besonders plazierte Angabe "Paar

nur 38,00 DM" aufmerksam. Da aber Brillen üblicherweise nicht

paarweise angeboten würden, könne sich der gesamte Text nur auf die

Brillengläser beziehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens der

Beklagten wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 19. November

1993 Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Köln vom

29.07.1993 - 81 O 89/93 - die Klage abzuweisen;

ihr - der Beklagten - für den Fall der Anordnung einer

Sicherheitsleistung zu gestatten, diese auch durch Bürgschaft einer

deutschen Großbank, öffentlichen Sparkasse oder Genossenschaftsbank

zu erbringen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß

sie Verurteilung der Beklagten begehre, es zu unterlassen, im

geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken mit dem Hinweis "über

50 %" zu werben wie nachstehend wiedergegeben: (Es folgt die im

Urteilstenor wiedergegebene Kopie der Anzeige).

im Falle einer Sicherheitsleistung ihr - der Klägerin - zu

gestatten, die Sicherheit auch in Form der Bürgschaft einer

deutschen Großbank oder öffentlichen Sparkasse zu erbringen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und vertieft und

ergänzend ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Sie vertritt die Ansicht, der "Einstieg" in die Anzeige erfolge

über die Firmenbezeichnung "A. Optik", die Aussage "über 50 %"

sowie über die Abbildung des Kopfes einer jungen Frau mit

Sonnenbrille und dem Anfangstext "Óber 50 % sparen Sie ...".

Hierzu behauptet sie, zumindest ein nicht unbeachtlicher Teil

der angesprochenen Verbraucher erwarte aufgrund dieser Aussagen,

daß Sonnenbrillen - wie die abgebildete Brille - über 50 % im Preis

reduziert seien.

Sie vertritt die Auffassung, der gesamte Text der Anzeige biete

keine hinreichende Aufklärung, um dieses spontane Verständnis des

Verbrauchers zu entkräften. Schon wegen der Bedeutungsvielfalt des

Begriffs "Sonnenglas" komme dem weiterführenden Text "Óber 50 %

sparen Sie bei farbigen Sonnengläsern* aus Kunststoff. UV-Schutz

inklusive." keine Aufklärung zu; vielmehr werde hierdurch der

Eindruck erweckt, es handele sich um komplette Brillen. Dieser

Eindruck werde durch das abgebildete Frauengesicht mit kompletter

Brille unterstrichen.

Selbst der Verbraucher, der den Werbetext weiterlese, werde

durch den letzten Teil des Fließtextes "Sie haben bereits eine

Fassung€ Auch gut ..." darin bestärkt, daß sich die Aussagen zuvor

auf komplette Brillen bezögen.

Bei der streitgegenständlichen Werbeanzeige handele es sich um

einen klassischen Fall der Blickfangwerbung, bei der es bereits

ausreiche, daß der interessierte Leser angelockt werde, sich mit

dem Angebot näher zu befassen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens der

Klägerin wird auf die Berufungserwiderung vom 10.01.1994 Bezug

genommen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig; sie hat jedoch in der Sache keinen

Erfolg.

Das Unterlassungsbegehren der Klägerin ist gemäß § 3 UWG

begründet, denn die konkrete Ausgestaltung der

streitgegenständlichen Werbeanzeige ist irreführend im Sinne dieser

Vorschrift.

Das Landgericht hat zutreffend festgestellt, daß die Werbung in

ihrer konkreten Form bei einem nicht unerheblichen Teil der

angesprochenen Verkehrskreise den Eindruck hervorruft, die

angekündigte Ersparnis von "über 50 %" beziehe sich nicht nur auf

Sonnengläser aus Kunststoff, sondern darüber hinaus auf komplette

Sonnenbrillen.

Dies kann der Senat, dessen Mitglieder zu den von der

streitbefangenen Werbung angesprochenen Verkehrskreisen gehören, in

Óbereinstimmung mit der Kammer des Landgerichts aus eigener

Sachkunde und Lebenserfahrung feststellen, zumal es sich bei den

beworbenen Gegenständen um solche des täglichen Bedarfs

handelt.

Der Gesamteindruck der beanstandeten Werbung wird entscheidend

durch die fast 1/3 der Anzeige ausfüllende, überdimensional

großgeschriebene und durch drucktechnische Gestaltung

Aufmerksamkeit erregende Ankündigung "über 50 %", durch die

ebenfalls blickfangartig herausgestellte, fettgedruckte

Firmenangabe "A. optik" und durch die Abbildung des Kopfes einer

jungen Frau mit Sonnenbrille geprägt. Von dem Erfahrungssatz

ausgehend, daß Werbeankündigungen nur selten aufmerksam gelesen,

vielmehr vom Durchschnittspublikum in der Regel nur oberflächlich

nach ihrem Gesamteindruck, insbesondere nach dem sogenannten

Blickfang beurteilt werden (BGH GRUR 1989, 434, 436 -

"Gewinnspiel"; BGH GRUR 1987, 45, 47 - "Sommerpreiswerbung"

m.w.N.), wirken schon die drei genannten Blickfangangaben bei

isolierter Beurteilung ohne Rücksicht auf den übrigen Inhalt der

Ankündigung irreführend.

Zwar wird durch die Angabe "über 50 %" - worauf die Beklagte

auch in der Berufungsinstanz hinweist - nicht klargestellt, worauf

sich diese Prozentzahl bezieht; ein nicht unerheblicher Teil der

angesprochenen Verbraucher setzt jedoch eine derartige

Prozentangabe in der Werbung mit Preisen in Verbindung, weil die

Preiswerbung mit Prozentangaben weit verbreitet ist und das

Interesse des Verbrauchers bei derartigen Werbeanzeigen in erster

Linie auf die Preisgestaltung des mit dieser Anzeige beworbenen

Produktes gerichtet ist. Sieht aber ein nicht unerheblicher Teil

der Leser der streitbefangenen Anzeige die überdimensional

herausgestellte Angabe "über 50 %" als Werbung für eine

Preisreduzierung an, erwartet er aufgrund der Kombination der drei

Blickfangangaben, daß sich diese Preisreduzierung auf komplette

Brillen bezieht, da es sich - wie sich aus dem Blickfang "A. Optik"

ergibt - um die Werbung eines Optikerfachgeschäfts handelt. Der

Verbraucher ist nämlich gewohnt, in erster Linie vollständige

Brillen - bestehend aus Gestell und Gläsern - beim Optiker zu

erwerben; derartig komplette Brillen sieht er auch als Hauptprodukt

des Optikereinzelhandels an.

Durch die Abbildung des Frauenkopfes mit Sonnenbrille wird

dieser Eindruck beim flüchtigen Betrachter noch verstärkt, da das

Produkt, auf das er die angepriesene Preisreduzierung bezieht, auf

der Abbildung vollständig wiedergegeben ist. Dabei kann in diesem

Zusammenhang dahinstehen, ob der flüchtige Verbraucher durch die

Abbildung einer Sonnenbrille seine Erwartung hinsichtlich der

Preisreduzierung insoweit einschränkt, daß sich das Angebot nicht

auf alle Brillen sondern nur auf Sonnenbrillen erstreckt;

jedenfalls wird er durch die Abbildung in seiner Auffassung

bestärkt, daß sich das Angebot auf komplette (Sonnen-)Brillen

bezieht.

Sollte der Verbraucher - veranlaßt durch die Abbildung - zu der

Auffassung gelangen, das Angebot beziehe sich nur auf

Sonnenbrillen, so wird er noch vielmehr geneigt sein, das Angebot

auf komplette Sonnenbrillen zu beziehen, da Sonnenbrillen ganz

überwiegend nur komplett mit Gestell und Gläsern angeboten und

dementsprechend von den Käufern erworben werden.

Da die von der Beklagten in der streitgegenständlichen Anzeige

beworbene Preisreduzierung tatsächlich aber nur für Sonnengläser

und nicht für die Brillengestelle gilt, sind die drei

Blickfangangaben, durch die die Aufmerksamkeit des Publikums

erweckt wird, in ihrer Gesamtheit bei isolierter Beurteilung ohne

Rücksicht auf den übrigen Inhalt der Ankündigung irreführend. Ob

der weitere Inhalt der Anzeige die Blickfangangaben richtig stellt,

hat grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, insbesondere, wenn die

klarstellenden Hinweise den flüchtigen Betrachtern nicht auffallen

(BGH GRUR 1962, 411 - "Watti"; BGH GRUR 1971, 516 -"Brockhaus

Enzyklopädie").

Zwar ist für die Feststellung einer irreführenden Werbung nicht

stets von einer isolierten Betrachtung des Blickfangs auszugehen;

es können besondere Umstände vorliegen, die einen Leser

veranlassen, vom Gesamtinhalt der Werbung Kenntnis zu nehmen, so

daß eine Irreführung entfällt (Baumbach/Hefermehl,

Wettbewerbsrecht, 17. Aufl., § 3 UWG Rdnr. 38; OLG Hamm WRP 1982,

593 - "Brillen-Chic zum Nulltarif"). Im Streitfall ist jedoch auch

der weitere Werbetext nicht geeignet, die irrige Auffassung eines

nicht unbeachtlichen Teils der Verbraucher, komplette Sonnenbrillen

seien über 50 % reduziert, auszuräumen.

Wenn sich der Verbraucher über die genannten Blickfangangaben

hinaus mit der Anzeige beschäftigt, fällt sein Augenmerk in erster

Linie auf die drucktechnisch hervorgehobene Aussage zu Beginn des

Anzeigentextes "Óber 50 % sparen Sie bei farbigen Sonnengläsern*

aus Kunststoff. UV-Schutz inklusive". Die ersten Worte dieser

Werbeaussage "Óber 50 % sparen Sie ... " werden aber den flüchtigen

Betrachter der Anzeige sogar noch in seiner Auffassung bestärken,

daß es sich um eine Preisreduzierung für Brillen oder Sonnenbrillen

handelt. Allein die Verwendung des Begriffs "Sonnengläser" in der

darauffolgenden Zeile ist - sofern sie vom flüchtigen Verbraucher

überhaupt wahrgenommen wird - nicht in hinreichender Weise

aufklärend. Hierbei kann es dahinstehen, ob der Begriff

"Sonnengläser" nicht eindeutig ist, weil das Wort "Glas", wie die

Klägerin geltend macht, auch als Synonym für "Brille" verwendet

wird. Jedenfalls wird ein nicht unerheblicher Teil der Verbraucher,

der aufgrund der Blickfangangaben zu der irrigen Auffassung gelangt

ist, die 50 %ige Preisreduzierung beziehe sich ganz allgemein auf

komplette Brillen, durch den Hinweis auf farbige Sonnengläser aus

Kunststoff in dem Werbetext zu der unzutreffenden Auffassung

gelangen, die Preisreduzierung beziehe sich nicht nur auf optische

Brillen mit ungetöntem Glas, sondern darüber hinaus auch auf solche

Brillen mit farbigen Sonnengläsern und UV-Schutz oder auf solche

mit Gläsern aus Kunststoff. Auch dieser Teil der Verbraucher wird

in seiner Erwartung enttäuscht, da tatsächlich nur die so

angebotenen Gläser entsprechend im Preis reduziert sind.

Schließlich gibt auch der "Sternchenhinweis" hinter dem Wort

"Sonnengläsern", der grundsätzlich durch klarstellende Fußnoten die

Irreführungsgefahr entfallen lassen kann (OLG Stuttgart WRP 1984,

170 - "Sternchenwerbung"), keine nähere Aufklärung, da in der

Fußnote nur dargestellt ist, auf welche Gläserstärke, welche

Farbtönungen und welche Durchmesser der Gläser sich dieses Angebot

bezieht. Eine derartige Beschreibung der verwendeten Gläserstärken

und Farbtönungen ist aber auch erforderlich, wenn eine

Komplettbrille beworben wird.

Lediglich der im weiteren Fließtext - allerdings ebenfalls

drucktechnisch hervorgehobene - Hinweis "Paar nur 38,00 DM" könnte

ein Hinweis dafür sein, daß nicht komplette Brillen, sondern nur

Brillengläser beworben werden, da üblicherweise Brillen nicht

paarweise erworben werden. Aber auch dieser Hinweis reicht in der

konkreten Aufmachung der streitgegenständlichen Anzeige - soweit er

vom Verbraucher überhaupt gelesen wird - nicht aus, um die bereits

begründete Irreführung zu entkräften. Diejenigen Verbraucher, die

diesen Teil der Anzeige überhaupt noch lesen, werden auch den in

derselben Zeile stehenden - etwas weniger hervorgehobenen - Hinweis

"über 50 % reduziert" wahrnehmen. Da diese Verbraucher schon durch

die bereits angeführten - blickfangmäßigen - Aussagen zu der

Erkenntnis gelangt sind, daß komplette Sonnenbrillen (oder

komplette Brillen) über 50 % reduziert sind, werden sie diese

weitere Auslobung dahin verstehen, daß sie daneben auch die Gläser

allein zu dieser Preisreduzierung erwerben können, wenn sie ihr

altes Brillengestell weiter verwenden möchten. In dieser Auffassung

würden diese Verbraucher sogar noch bestärkt, wenn sie den weiteren

Fließtext lesen, in dem unter anderem ausgeführt wird "Sie haben

bereits eine Fassung€ Auch gut. Wir setzen Ihnen die neuen Gläser

... gerne in Ihr altes Brillengestell ein".

Schließlich wird auch der Hinweis am Ende des Fließtextes

"A.-optik. Brillen für alle" den Verbraucher in seinem schon durch

die Blickfangangaben hervorgerufenen Eindruck bestärken, daß sich

die beworbene Preisreduzierung auf komplette Brillen bezieht.

Somit ist der gesamte Text der Werbeanzeige nicht geeignet, die

einmal durch die Blickfangangaben hervorgerufene Irreführung der

Verbraucher zu entkräften.

Diese Irreführung der Verbraucher ist auch relevant im Sinne von

§ 3 UWG. Preisreduzierungen von "über 50 %" sind geeignet,

Kaufinteressenten anzulocken und ihre wirtschaftlichen Entschlüsse

positiv zu beeinflussen. § 3 UWG bezweckt die Vermeidung der Gefahr

eines durch Täuschung erreichten, noch vor dem Kaufentschluß

liegenden Anlockens. Hierbei reicht es in rechtlicher Hinsicht aus,

wenn die in Rede stehende Angabe "irgendwie" von Bedeutung für die

Interessenten ist, so daß es genügt, wenn festgestellt wird, daß

die betreffende Aussage in die Óberlegung, ob man sich der

beworbenen Ware zuwenden soll, einbezogen wird, und daß sie dabei

positiv wirkt (BGH GRUR 1981, 71, 73 - "Lübecker Marzipan";

Baumbach/Hefermehl a.a.O. § 3 UWG Rdnr. 89 m.w.N.).

Die Mitglieder des erkennenden Senats, die den angesprochenen

Verkehrskreisen angehören, können auch hinsichtlich der

wettbewerblichen Relevanz aus eigener Sachkunde feststellen, daß

die Kombination der blickfangmäßigen Angaben "über 50 %", der

Hinweis auf einen Optikerfachhandel und die Darstellung eines

Frauengesichts mit Sonnenbrille diese Voraussetzungen erfüllen.

Soweit die Beklagte einwendet, das Landgericht sei von einem

unzutreffenden Leitbild des Verbrauchers ausgegangen, findet diese

Auffassung in der von ihr zitierten Entscheidung des EuGH (Slg

1984, 1299 ff - "Bocksbeutel") keine Stütze. Bei der zitierten

Textstelle (a.a.O. S. 1306) wird lediglich die Auffassung eines

Prozeßbeteiligten wiedergegeben, die sich der Europäische

Gerichtshof jedoch nicht zu eigen gemacht hat. Der Gerichtshof

selbst hat sich im Urteil nicht zum Leitbild des Verbrauchers

geäußert, so daß der Senat keine Veranlassung sieht, von der

gefestigten Rechtsprechung, daß es vorliegend auf die Sichtweise

des flüchtigen Durchschnittsverbraucher ankommt, abzuweichen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Soweit die Klägerin im Berufungsrechtszug den Antrag auf

Unterlassungsverurteilung neugefaßt hat, liegt hierin keine

teilweise Klagerücknahme oder Klageänderung, sondern lediglich eine

bessere Anpassung an die konkrete Verletzungsform.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht

nach §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die nach § 546 Abs. 2 ZPO

festzusetzende Beschwer der Beklagten entspricht dem Wert ihres

Unterliegens im Rechtsstreit.






OLG Köln:
Urteil v. 24.06.1994
Az: 6 U 230/93


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/b5be8c1a58d0/OLG-Koeln_Urteil_vom_24-Juni-1994_Az_6-U-230-93




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