Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 22. September 2009
Aktenzeichen: Xa ZB 36/08
(BGH: Beschluss v. 22.09.2009, Az.: Xa ZB 36/08)
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Rechtsbeschwerdeführerin wird der Beschluss des 6. Senats (Technischen Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts vom 29. Juli 2008 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Patentgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 50.000 €
Gründe
I. Die Rechtsbeschwerdeführerin ist Inhaberin des deutschen Patents 199 14 504 (Streitpatents), das einen "hydraulischen Schwingungsdämpfer mit einstellbarer Dämpfungskraft" betrifft. Das Streitpatent umfasst neun Patentansprüche. Patentanspruch 1 lautet:
"Hydraulischer Schwingungsdämpfer mit einstellbarer Dämpfungskraft, der einen Zylinder (2) aufweist, in welchen ein öliges Fluid eingefüllt ist, einen gleitbeweglich in dem Zylinder (2) angeordneten Kolben (5), eine Kolbenstange (6), deren eines Ende mit dem Kolben (5) verbunden ist, und deren anderes Ende nach außerhalb des Zylinders (2) verläuft, einen Hauptfluidkanal (16, 17, 18) und einen Hilfsfluidkanal (34a, 35a, 37a, 40), die beide mit dem Zylinder (2) verbunden sind, und in denen ein öliges Fluid infolge der Gleitbewegung des Kolbens fließt, ein Dämpfungsventil (34) des Vorsteuertyps, welches in dem Hauptfluidkanal angeordnet ist, eine feste Öffnung (34a), die in dem Hilfsfluidkanal angeordnet ist, und ein Drucksteuerventil (A), wobei der Druck zwischen der festen Öffnung (34a) des Hilfsfluidkanals und dem Drucksteuerventil (A) als Vorsteuerdruck für das Dämpfungsventil (34) des Vorsteuertyps dient, dadurch gekennzeichnet, dass das Drucksteuerventil (A) ein Magnetsteuerventil (26) mit einem Plungerkolben (46) aufweist, der gemäß eines Schubes einer Magnetspule (55) bewegbar ist und direkt den Druck zum Öffnen eines Plattenventils (48) in Übereinstimmung mit der Bewegung des Plungerkolbens (46) steuert."
Patentanspruch 5 lautet:
"Hydraulischer Schwingungsdämpfer mit einstellbarer Dämpfungskraft, der so aufgebaut ist, dass die Dämpfungskraft eingestellt werden kann, und aufweist:
einen Zylinder (2), in welchen ein öliges Fluid eingefüllt ist;
einen Kolben (5), der gleitbeweglich so in dem Zylinder (2) angeordnet ist, dass darin eine Zylinderkammer ausgebildet wird;
eine Kolbenstange (6), deren eines Ende von dem Kolben (5) aus nach außerhalb des Zylinders (2) verläuft;
einen zwischen dem Zylinder (2) und einem äußeren Zylinder (3) vorgesehenen Vorratsbehälter (4), der zur Aufnahme eines Betriebsfluids vorgesehen ist;
einen ersten Fluidkanal (17, 16, 18), der in dem Zylinder (2) angeordnet ist, um eine Fluidverbindung mit dem Vorratsbehälter (4) zur Verfügung zu stellen;
ein Dämpfungsventil (34) des Vorsteuertyps, welches in dem ersten Fluidkanal (17, 16, 18) zur Erzeugung einer Dämpfungskraft angeordnet ist;
einen zweiten Fluidpfad (34a, 35a, 37a, 40), welcher das Dämpfungsventil (34) des Vorsteuertyps umgeht und einen Vorsteuerdruck für das Dämpfungsventil des Vorsteuertyps zur Verfügung stellt;
und ein Drucksteuerventil (A), welches in dem zweiten Fluidpfad angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, dass das Drucksteuerventil (A) einen gemäß dem Schub einer Magnetspule (55) bewegbaren Plungerkolben (46) aufweist, wobei das Drucksteuerventil (A) den Vorsteuerdruck des Dämpfungsventils (34) des Vorsteuertyps steuert, durch direktes Verändern des Drucks zum Öffnen eines Plattenventils (48) entsprechend der Bewegung des Plungerkolbens (46)."
Die Einsprechende hat geltend gemacht, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 sei nicht neu. Alle Merkmale seien durch die europäische Patentschrift 0 490 262 (E1) sowie durch die deutsche Offenlegungsschrift 40 24 920 (E2) vorweggenommen. Dies gelte auch für Patentanspruch 5, der gegenüber Patentanspruch 1 nur unwesentliche Unterschiede aufweise.
Die Patentinhaberin hat zunächst die Teilung des Patents nach § 60 PatG erklärt. Später hat sie geänderte Patentansprüche 1 gemäß Haupt- und Hilfsantrag vorgelegt. Sie hat beantragt, das Patent in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten, und zwar auf der Grundlage des als Hauptantrag beigefügten geänderten Patentanspruchs 1, hilfsweise auf der Grundlage des als Hilfsantrag beigefügten geänderten Anspruchs 1. Sodann hat sie die gestellten Anträge "der guten Ordnung halber" klargestellt. Sie hat beantragt, das Patent in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten, und zwar auf der Grundlage der zunächst eingereichten Patentansprüche 1 gemäß Hauptantrag bzw. Hilfsantrag zusammen mit den Patentansprüchen 2 bis 9 sowie den übrigen Unterlagen des Patents in der erteilten Fassung.
Das Patentgericht hat das Streitpatent widerrufen.
Mit der - nicht zugelassenen - Rechtsbeschwerde rügt die Patentinhaberin, der angefochtene Beschluss beruhe auf einer Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör; außerdem sei die Entscheidung nicht mit Gründen versehen.
II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, weil die Patentinhaberin Rechtsbeschwerdegründe des § 100 Abs. 3 Nr. 3 und Nr. 6 PatG geltend macht. Sie hat auch in der Sache Erfolg.
1. Das Patentgericht hat ausgeführt, es könne dahinstehen, ob die Patentansprüche 1 bis 4 nach Haupt- und Hilfsantrag patentfähig seien, weil jedenfalls dem hydraulischen Schwingungsdämpfer nach dem erteilten und auch im Hilfsantrag identisch enthaltenen, nebengeordneten Patentanspruch 5 die Patentfähigkeit mangels Neuheit fehle. Alle Merkmale dieses Anspruchs seien aus der europäischen Patentschrift 0 490 262 bereits bekannt. Die übrigen Patentansprüche fielen notwendigerweise zusammen mit dem nicht bestandsfähigen Patentanspruch 5.
2. Die Rechtsbeschwerde sieht eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör darin, dass das Patentgericht seiner Hinweispflicht nicht nachgekommen sei. Die Patentansprüche 1 und 5 seien im Verfahrensverlauf stets parallel behandelt worden, da ihr Gegenstand weitgehend identisch sei. Es sei offensichtlich gewesen, dass das von der Patentinhaberin zur Abgrenzung zu den Entgegenhaltungen E1 und E2 gemäß Haupt- und Hilfsantrag jeweils aufgenommene zusätzliche Merkmal in gleicher Weise wie in Patentanspruch 1 in dem nebengeordneten Patentanspruch 5 habe ergänzt werden sollen. Selbst ohne ausdrückliche Bezugnahme sei dies als stillschweigend gewollt anzusehen gewesen. Vor diesem Hintergrund hätte es dem Patentgericht jedenfalls oblegen, für eine entsprechende Klarstellung Sorge zu tragen. Die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör sei entscheidungserheblich, da nicht auszuschließen sei, dass die angefochtene Entscheidung zugunsten der Patentinhaberin ausgefallen wäre, wenn das Patentgericht die in Patentanspruch 1 vorgenommene Ergänzung auch im Rahmen der Prüfung des Patentanspruchs 5 mitberücksichtigt hätte.
Einen nach § 100 Abs. 3 Nr. 6 PatG zu berücksichtigenden Begründungsmangel sieht die Rechtsbeschwerde darin, dass das Patentgericht es habe dahinstehen lassen, ob die selbständigen Patentansprüche 1 bis 4 nach Haupt- und Hilfsantrag patentfähig seien. Damit sei das Rechtsschutzbegehren der Patentinhaberin nicht vollständig beschieden worden. Ein Begründungsmangel liege im Übrigen auch insoweit vor, als das Bundespatentgericht auf eine rein formale Betrachtung abgestellt habe, indem es lediglich den Wortlaut des nebengeordneten Patentanspruchs 5 wiederholt und mit denjenigen Bezugszeichen versehen habe, die der Entgegenhaltung E1 zu entnehmen seien. Dies stelle keine nachvollziehbare Begründung dar.
3. Die Rüge der Rechtsbeschwerde, der angefochtene Beschluss verletze den Anspruch der Patentinhaberin auf rechtliches Gehör, weil das Patentgericht seinen Hinweispflichten nicht nachgekommen sei, ist begründet.
Der Rechtsbeschwerdegrund des § 100 Abs. 3 Nr. 3 PatG trägt der Bedeutung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) für ein rechtsstaatliches Verfahren Rechnung, in dem jeder Verfahrensbeteiligte seine Rechte wirksam wahrnehmen kann. Dies setzt voraus, dass das Gericht das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis nimmt und auf seine sachlichrechtliche und verfahrensrechtliche Entscheidungserheblichkeit prüft und ferner keine Erkenntnisse verwertet, zu denen die Verfahrensbeteiligten sich nicht äußern konnten (BGHZ 173, 47 Tz. 30 - Informationsübermittlungsverfahren II; Sen.Beschl. v. 11.6.2002 - X ZB 27/01, GRUR 2002, 957 - Zahnstruktur, m.w.N.).
Der Anspruch eines Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör ist verletzt, wenn entscheidungserhebliches Vorbringen nicht berücksichtigt wird, ohne dass dies in den Vorschriften des Verfahrensrechts eine Stütze findet. So verhält es sich mit den Ergänzungen des Patentanspruchs 1, die die Patentinhaberin vorgenommen hat, um Bedenken gegen die Patentfähigkeit des Gegenstands dieses Patentanspruchs in der Fassung des erteilten Patents Rechnung zu tragen.
Das Patentgericht durfte nicht annehmen, die Patentinhaberin wolle den Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der Fassung ihres Haupt- und Hilfsantrags nur für den Fall verteidigen, dass sich auch der Gegenstand des Patentanspruchs 5 in der Fassung des erteilten Patents als rechtsbeständig erweise. Es hätte daher vor seiner Entscheidung klären müssen, in welchem Umfang die Patentinhaberin das Streitpatent verteidigen wollte.
Nach § 21 PatG darf ein Patent nur insoweit widerrufen werden, als die Widerrufsgründe reichen (BGHZ 173, 47 Tz. 19 - Informationsübermittlungsverfahren II). Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschl. v. 26.9.1996 - X ZB 18/95, GRUR 1997, 120, 122 - elektrisches Speicherheizgerät; BGHZ 173, 47 Tz. 22 - Informationsübermittlungsverfahren II) bei der Beurteilung der Patentfähigkeit auch im Einspruchsverfahren der Antrag des Patentinhabers maßgeblich; beantragt er, das Patent in beschränktem Umfang mit einem bestimmten Anspruchssatz aufrechtzuerhalten, so rechtfertigt es den Widerruf des Patents, wenn sich auch nur der Gegenstand eines Patentanspruchs aus dem Anspruchssatz als nicht patentfähig erweist. Dabei darf jedoch nicht am Wortlaut der gestellten Anträge gehaftet werden. Vielmehr ist zur Auslegung des Antrags das gesamte Vorbringen des Patentinhabers zu berücksichtigen (BGHZ 173, 47 Tz. 23 - Informationsübermittlungsverfahren II). Sofern sich aus der Fassung des Antrags oder dem zu seiner Begründung Vorgebrachten Zweifel an dem prozessualen Begehren ergeben, hat das Patentgericht auf eine Klarstellung hinzuwirken, in welchem Umfang der Patentinhaber das Patent (hilfsweise) verteidigen will.
Solche Zweifel mussten sich hier dem Patentgericht aufdrängen. Aus dem zunächst gestellten Antrag ergab sich, dass es der Patentinhaberin darum ging, die zur Aufrechterhaltung des Streitpatents möglicherweise notwendigen Ergänzungen der Patentansprüche vorzunehmen. Dass diese Ergänzungen nur Patentanspruch 1 und nicht auch den nahezu wortgleichen Patentanspruch 5 betreffen sollten, lag mangels irgendwelcher Ausführungen oder sonstiger Anhaltspunkte hierfür so fern, dass das Patentgericht bereits aus diesem Grunde Veranlassung gehabt hätte, eine Klärung herbeizuführen. Hinzu kommt, dass die Patentinhaberin mit einem Antrag, bei dem Patentanspruch 5 unverändert blieb, die Gefahr begründete, den Widerruf des Streitpatents insgesamt auszulösen, was sie mit der geänderten Fassung von Patentanspruch 1 ersichtlich gerade verhindern wollte. Hierfür gab es keinen plausiblen Grund. Bei dieser Sachlage war das Patentgericht, erst recht vor dem Hintergrund, dass seine Entscheidung über den Einspruch grundsätzlich nicht mehr anfechtbar ist, gehalten, für eine Klarstellung des Gewollten zu sorgen.
Hieran ändert sich nichts dadurch, dass die weitgehende Übereinstimmung von Patentanspruch 1 und 5 im Verfahren bereits erörtert worden war, indem die Einsprechende in der Einspruchsbegründung dargelegt hatte, dass im Hinblick auf die sehr geringen Unterschiede zwischen Patentanspruch 1 und 5, die sie in einer Tabelle gegenübergestellt hatte, auch Patentanspruch 5 aus denselben Gründen wie Patentanspruch 1 nicht patentfähig sei. Auch wenn ein Gesichtspunkt von einer Partei eingeführt worden ist, besteht eine Hinweispflicht des Gerichts, wenn die andere Partei aufgrund eines erkennbaren Missverständnisses oder Rechtsirrtums hierauf nicht eingeht (BGH, Urt. v. 7.12.2000 - I ZR 179/98, NJW 2001, 2548). Dies war hier der Fall. Das prozessuale Verhalten der Patentinhaberin ließ nur den Schluss zu, dass sie Patentanspruch 5 und seine weitgehende sachliche Übereinstimmung mit Patentanspruch 1 aus den Augen verloren hatte. Eine andere sinnvolle Erklärung für das Verhalten der Patentinhaberin ist nicht erkennbar.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 109 PatG.
IV. Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht für erforderlich gehalten.
Meier-Beck Keukenschrijver Mühlens Berger Bacher Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 29.07.2008 - 6 W (pat) 327/06 -
BGH:
Beschluss v. 22.09.2009
Az: Xa ZB 36/08
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