Oberlandesgericht Köln:
Beschluss vom 24. September 2010
Aktenzeichen: 17 W 190/10
(OLG Köln: Beschluss v. 24.09.2010, Az.: 17 W 190/10)
Ruht das Verfahren mehr als zwei Kalenderjahre, so gilt die weitere Tätigkeit des Rechtsanwaltes nicht als neue Angelegenheit; § 15 Abs. 5 S. 2 RVG ist nicht anwendbar.
Tenor
Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beklagte.
Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren: 530,98 €.
Gründe
I.
Die Klage wurde 2003 erhoben. Noch im selben Jahr wurde auf übereinstimmenden Antrag der Parteien das Ruhen des Verfahrens gemäß § 251 ZPO angeordnet. Während der Ruhenszeit legte die seitens der Beklagten mandatierte Sozietät das Mandat nieder und teilte mit, ihr Sozius wechsele zu einer anderen Kanzlei, von der das Mandat weitergeführt werde. Im Jahre 2008 nahm der Kläger das Verfahren wieder auf, nachdem der BGH eine Grundsatzentscheidung erlassen hatte. Das Landgericht beraumte hieraufhin Termin zur mündlichen Verhandlung an. Da die Beklagte den Klageanspruch nunmehr anerkannte, hob das Landgericht den Termin wieder auf und erließ Anerkenntnisurteil. Auf das Rechtsmittel der Beklagte legte es in der Folge die Kosten des Rechtsstreits unter entsprechender Abänderung des Anerkenntnisurteils in voller Höhe dem Kläger auf.
Ihren Kostenfestsetzungsantrag hat die Beklagte auf der Grundlage des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes gestellt, insgesamt 1.588,65 €. Sie ist der Ansicht, dieses Gesetz sei deshalb anzuwenden, weil die Mandatierung der heutigen Verfahrensbevollmächtigten erst zum 1. April 2005 erfolgt sei, also nach dem Inkrafttreten des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes. Dass dies seine Ursache darin habe, dass Rechtsanwalt L. die Sozietät gewechselt habe, sei nicht von Bedeutung. Dieser habe das Mandat nicht "mitgenommen", sondern das vorherige Mandatsverhältnis sei beendet und ein neues begründet worden. Wollte man das Mandat nach den Sätzen der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung abrechnen, so führe dies zu einer gesetzeswidrigen Gebührenunterschreitung.
Der Kläger meint, der Kostenfestsetzung sei die Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung zugrunde zu legen. Es könne nicht zu seinen Lasten gehen, dass Rechtsanwalt L. das Mandat in die neue Kanzlei "mitgenommen" habe. Es komme allein auf das ursprünglich zu Zeiten der Geltung der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung erteilte Mandat an.
Der Rechtspfleger hat die Festsetzung nach der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung vorgenommen und zur Begründung angeführt, dass bei einem nicht notwendigen Anwaltswechsel nur die (niedrigeren) Gebühren festsetzungsfähig seien, die der Rechtslage zur Zeit der Begründung des Mandates entsprächen. Demgemäß hat er dem Rechtsmittel nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die gemäß § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO i. V. m. § 11 Abs. 1 RpflG statthafte und auch ansonsten unbedenklich zulässige sofortige Beschwerde bleibt in der Sache selbst ohne Erfolg.
Zu Recht hat der Rechtspfleger die Kostenfestsetzung auf der Grundlage der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung vorgenommen.
1.
Nach einhelliger Ansicht in Rechtsprechung (BGH AGS 2006, 323 = NJW 2006, 1525 = RP 2006, 437; s. a. LG Berlin JB 1988, 601) und Literatur (Mayer, in: Gerold/Schmidt u. a., RVG, 19. Aufl., § 60 Rn. 23; N. Schneider in: N. Schneider/Wolf, RVG, 5. Aufl., § 61 Rn. 97; ders. AGS 2004, 221, 223) ist die Festsetzung nach der zur Zeit der Anordnung des Ruhens des Verfahrens oder der Aussetzung geltenden Rechtslage vorzunehmen, wenn das Verfahren erst nach dem Stichtag, an dem die Gesetzesänderung in Kraft getreten ist, wieder aufgenommen wird.
Uneinheitlich wurde bzw. wird allein die Frage beantwortet, ob in einem solchen Fall § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG jedenfalls analog anzuwenden ist, wenn die Unterbrechung mehr als 2 Jahre dauert, so wie vorliegend. Dies hätte zur Folge, dass das weitere Tätigwerden des Anwaltes als neue Angelegenheit gelten würde, so dass die Gebühren ein weiteres Mal anfielen. Zur Begründung wird angeführt, nach solch einer langen Zeit müsse sich der Anwalt in die Sache ebenso intensiv (wieder) einarbeiten, wie bei einem neuen Mandat. Dieser Ansicht sind das OLG Brandenburg, AGS 2009, 432, N. Schneider, AGS 2004, 221, 223; ders., in: Hansens/Braun/Schneider, Praxis des Vergütungsrechts, 2. Aufl., Teil 20, Rn. 37; Mayer, a. a. O. gefolgt.
Nach der Gegenansicht (BGH, a. a. O.; N. Schneider, in: N. Schneider/Wolf, a. a. O.; ders., in: Anm. zu OLG Brandenburg, a. a. O.; Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 251 Rn. 6) ist § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG in Fällen des Ruhens des Verfahrens (ebenso im vergleichbaren Fall der Aussetzung) nicht anwendbar, auch wenn eine Unterbrechung von zwei Kalenderjahren oder mehr vorliegt.
Dieser Meinung ist zu folgen. Der BGH hat zur Begründung ausgeführt, dass der Begriff der Erledigung in § 13 Abs. 5 Satz 2 BRAGO (jetzt: § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG) eine andere Bedeutung habe als in § 16 Satz 2 BRAGO (jetzt: § 8 Abs. 1 Satz 2 RVG). Die in der letztgenannten Vorschrift angeführten Fälle, in denen die Vergütung fällig werde, ohne dass der Auftrag erledigt wäre, stellten keine Erledigung im Sinne des § 13 Abs. 5 Satz 2 BRAGO (jetzt: § 15 Abs. 5, Satz 2 RVG) dar. Sowohl nach dem Gesetzeswortlaut als auch nach den Gesetzesmaterialien (vgl. BT-Drucks. 12/6962, Seite 102) sei für die Festlegung des Zeitpunkts, an dem die Zwei-Jahres-Frist zu laufen beginne, die Erledigung des Auftrages maßgeblich. Der Hinweis in der Gesetzesbegründung, dass der Zeitpunkt der Erledigung die bis dahin entstandenen Gebühren gemäß § 16 BRAGO (jetzt: § 8 RVG) fällig werden lasse, besage nichts Gegenteiliges. § 13 Abs. 5 Satz 2 BRAGO (jetzt: § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG) regele gerade nicht den Fall, dass weder ein neuer Auftrag erteilt noch ein früherer Auftrag erledigt, aber die Angelegenheit mehr als 2 Kalenderjahre von dem Rechtsanwalt nicht mehr bearbeitet wurde. Allein dann sei die erneute Einarbeitung des Anwaltes gesondert zu vergüten. Außerhalb des Anwendungsbereiches der letztgenannten Norm habe der Gesetzgeber keine zusätzlichen Gebührenansprüche schaffen wollen.
Aus alledem folgt, dass für die Berechnung der vom Kläger zu erstattenden Gebühren die Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung maßgeblich ist als dem zur Zeit der Anordnung des Ruhens geltenden Recht. Mit einer gesetzeswidrigen Gebührenunterschreitung hat die vom Rechtspfleger vorgenommene Festsetzung nicht ansatzweise etwas zu tun.
2.
Entgegen der Ansicht der Beklagten ändert ihr Anwaltswechsel nichts daran, dass eine Kostenerstattung auf der Basis des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes nicht in Betracht kommt. Denn die für die Mandatierung der neuen Rechtsanwälte angefallenen Gebühren wären vom Kläger nicht zu erstatten. Nach allgemeiner Ansicht (s. nur: Zöller/Herget, § 91 Rn. 13 "Anwaltswechsel"), der sich der Senat in ständiger Rechtsprechung anschließt, sind Gebühren für einen zweiten Rechtsanwalt gemäß § 91 Abs. 2 Satz 3 ZPO nur dann erstattungsfähig, wenn in der Person des Rechtsanwaltes ein Wechsel eintreten musste. Voraussetzung für die Erstattungsfähigkeit ist es vor allem, dass sowohl die Partei als auch der erste Rechtsanwalt am Wechsel schuldlos sind (OLG Frankfurt, JB 1983, 122; OLG Hamburg JB 1985, 1871; MDR 1998, 928; OLG München JB 1991, 964; Senat, Beschluss vom 20. September 2006 - 17 W 187/06 -). Das ist etwa der Fall beim Tod des Anwaltes, bei dessen Ausscheiden aus der Anwaltschaft oder bei Vorliegen einer Interessenkollision zwischen Mandant und erstem Anwalt (OLG Frankfurt, a. a. O.). Keiner dieser Ausnahmefälle ist vorliegend gegeben.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
OLG Köln:
Beschluss v. 24.09.2010
Az: 17 W 190/10
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