Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 15. September 2008
Aktenzeichen: AnwZ (B) 67/07
(BGH: Beschluss v. 15.09.2008, Az.: AnwZ (B) 67/07)
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des 2. Senats des Thüringer Anwaltsgerichtshofs vom 16. Juli 2007 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Mit Bescheid vom 23. Oktober 2006 widerrief die Antragsgegnerin die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO wegen Vermögensverfalls, weil der Antragsteller mit vier Haftbefehlen zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung und wegen der am 15. Juni 2005 abgegebenen eidesstattlichen Versicherung im Schuldnerverzeichnis eingetragen sei. Den Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Anwaltsgerichtshof zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers, deren Zurückweisung die Antragsgegnerin beantragt.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 BRAO), bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg.
1. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind. Zutreffend hat der Anwaltsgerichtshof die Voraussetzungen eines Vermögensverfalls zum maßgeblichen Zeitpunkt des Widerrufsbescheids als belegt angesehen, weil der Antragsteller damals aufgrund der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung und den zuvor erlassenen vier Haftbefehlen zur Erzwingung der Abgabe dieser Versicherung im Schuldnerverzeichnis (§ 915 ZPO) eingetragen war; damit wurde der Vermögensverfall nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 (2. Halbsatz) BRAO gesetzlich vermutet. Für eine Widerlegung der Vermutung oder auch nur für eine nachträgliche Konsolidierung der Vermögensverhältnisse des Antragstellers, die zu berücksichtigen wäre (Senat, BGHZ 75, 356; 84, 149), ist nichts ersichtlich. Der Antragsteller hat vielmehr vor dem Anwaltsgerichtshof Schulden im Umfang von 1,5 Mio. € bei monatlichen Einkünften von bis zu 2.300 € brutto eingeräumt und bestreitet den Vermögensverfall selbst auch im Beschwerdeverfahren nicht. Er wird auch durch das am 12. Oktober 2007 eröffnete Insolvenzverfahren über das Vermögen des Antragstellers weiterhin gesetzlich vermutet.
2. Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist von einem Widerruf auch nicht deshalb abzusehen, weil die Interessen der Rechtsuchenden trotz des eingetretenen Vermögensverfalls nicht gefährdet wären.
a) Ein solcher Fall liegt nach der Rechtsprechung des Senats ausnahmsweise nur vor, wenn der betroffene Rechtsanwalt seine einzelanwaltliche Tätigkeit vollständig und nachhaltig aufgibt, seine anwaltliche Tätigkeit nur noch (dazu: Senat, Beschl. v. 17. September 2007, AnwZ (B) 75/06, AnwBl. 2008, 66, 67) für eine Rechtsanwaltssozietät ausübt und mit dieser rechtlich abgesicherte Maßnahmen verabredet, die eine Gefährdung der Mandanten effektiv verhindern (Senat, Beschl. v. 18. Oktober 2004, AnwZ (B) 43/03, NJW 2005, 511; Beschl. v. 5. Dezember 2005, AnwZ (B) 13/05, NJW-RR 2006, 559, 560). Denn nur so lässt sich die Einhaltung der verabredeten Maßnahmen zum Schutz der Mandanten dauerhaft und nachhaltig sicherstellen.
b) Diese Voraussetzungen lagen und liegen hier nicht vor.
aa) Allerdings wird der Antragsteller, wie er vor dem Senat dargelegt hat, jetzt am Standort G. seiner Arbeitgeberein nicht mehr allein, sondern nur noch unter Aufsicht des am Standort G. tätigen Mitglieds der - überörtlichen - Sozietät tätig. Er erscheint nicht mehr auf dem Briefkopf der Sozietät. Über Mandatsgespräche habe er lückenlose Aktenvermerke zu erstellen. Akten, die von ihm geführt werden, würden im wöchentlichen Rhythmus mit dem örtlichen Mitglied der Sozietät oder den anderen Mitgliedern der Sozietät besprochen, von denen er Aufträge erhalte und bei denen nach den Angaben des Antragstellers auch die Führung der Akten verbleibt.
bb) Das genügt aber nicht, um eine Gefährdung der Rechtsuchenden auszuschließen.
(1) An dem Standort, an dem der Antragsteller eingesetzt wird, ist nur ein Mitglied der Sozietät ansässig. Die übrigen Mitglieder betreuen die anderen Standorte der Sozietät und stehen für eine mehr als nur aktenmäßige Beaufsichtigung des Antragstellers nicht zur Verfügung. Damit liegt es, worauf der Anwaltsgerichtshof mit Recht hingewiesen hat, nicht anders, als wenn der Antragsteller bei einem Einzelanwalt angestellt wäre. Eine solche Form der anwaltlichen Tätigkeit vermag aber nach ständiger Rechtsprechung des Senats eine Gefährdung der Rechtsuchenden in der Regel nicht auszuschließen. Der angestellte Rechtsanwalt hat nämlich bei Fortbestand seiner Zulassung jederzeit die Möglichkeit, wieder selbstständig in eigener Praxis oder nebenher auf eigene Rechnung tätig zu werden (Senat, Beschl. v. 18. Oktober 2004, AnwZ (B) 43/03, NJW 2005, 511). Ein Einzelanwalt kann aus Urlaubs-, Krankheits- oder dienstlichen Gründen ortsabwesend sein und ist deshalb außerstande, eine effektive Kontrolle des betroffenen Rechtsanwalts zu gewährleisten (Senat, Beschl. v. 5. Dezember 2005, AnwZ (B) 13/05, NJW-RR 2006, 559, 560; Beschl. v. 5. Dezember 2005, AnwZ (B) 14/05, AnwBl. 2006, 281; Beschl. v. 3. Juli 2006, AnwZ (B) 28/05, juris; a. M. Römermann, AnwBl. 2006, 237, 238).
(2) Anders kann es in solchen Fällen nur liegen, wenn der betroffene Rechtsanwalt von sich aus mit einem anderen Rechtsanwalt eine effektive Kontrolle vereinbart und auch tatsächlich sicherstellt (Senat, Beschl. v. 25. Juni 2007, AnwZ (B) 101/05, NJW 2007, 2924, 2925, Tz. 9) oder wenn der betroffene Rechtsanwalt Mandantengelder erhalten und gerade auch in bedrängten Verhältnissen von jeglicher Gefährdung freigehalten hat (Senat, Beschl. v. 26. März 2007, AnwZ (B) 23/06, juris). Eine solche Fallgestaltung liegt aber nicht vor. Die hier getroffenen Vorkehrungen lassen eine Gefährdung der Rechtsuchenden auch nicht in vergleichbar sicherer Weise ausgeschlossen erscheinen. Ob das Insolvenzverfahren mit einer Restschuldbefreiung enden wird, ist derzeit nicht absehbar. Die Verpflichtung zur Anfertigung von Aktenvermerken über Mandantengespräche und die wöchentliche Besprechung der Akten führten nicht zu einer ausreichend engen tatsächlichen Überwachung und können deshalb Verstöße gegen die Absprachen und eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden nicht verhindern. Das wäre nur mit zusätzlichen Maßnahmen zu erreichen. Solche zusätzlichen Maßnahmen waren in den Fällen, in denen der Senat eine fortbestehende Gefährdung der Rechtsuchenden verneint hat, ergriffen worden. Derartige Maßnahmen hat der Antragsteller aber nicht vorgetragen. Weder besteht eine hinreichende Überwachung - Im Urlaubs- und sonstigen Vertretungsfall gibt es nach den Ausführungen des Antragstellers in der mündlichen Verhandlung nur eine stichprobenweise Kontrolle. - noch sind Maßnahmen vereinbart, die eine Einhaltung der arbeitsvertraglichen Verpflichtungen sicherstellen.
c) Auch der von dem Antragsteller vorgenommene Vergleich mit der Rechtsprechung der Finanzgerichte zur Entziehung der Zulassung der Steuerberater und der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zur Entziehung der Zulassung als Wirtschaftsprüfer führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung.
aa) Der Widerruf auch der Zulassung als Steuerberater ist nach § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG ausgeschlossen, wenn die Interessen der Auftraggeber nicht gefährdet sind. Die Finanzgerichte stellen an den Ausschluss der Gefährdung dieselben Anforderungen wie der Senat (BFH, BFH/NV 2001, 69, 70). So hat der Bundesfinanzhof unter ähnlichen Voraussetzungen wie der Senat (Beschl. v. 18. Oktober 2004, AnwZ (B) 43/03, NJW 2005, 511) eine Gefährdung von Mandanteninteressen verneint (BFHE 169, 286, 289 f.). Auch nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs genügt für die Annahme eines solchen Ausnahmefalls aber nicht die Eingehung eines Anstellungsverhältnisses (BFHE 204, 563, 570). Entscheidend ist auch bei Steuerberatern, dass eine Gefährdung nach den im konkreten Einzelfall getroffenen Maßnahmen effektiv ausgeschlossen ist (BFH, BFH/NV 2000, 992, 994).
bb) Auch von dem Widerruf der Zulassung als Wirtschaftsprüfer nach § 20 Abs. 2 Nr. 5 WiPrO in der bis zum Ablauf des 5. September 2007 geltenden Fassung (heute § 20 Abs. 4 Satz 4 WiPrO) war abzusehen, wenn durch den Vermögensverfall die Interessen der Auftraggeber oder anderer Personen nicht gefährdet waren. Diese Ausnahme wird von den Verwaltungsgerichten (BVerwGE 124, 110, 121 ff.) ähnlich ausgelegt wie die korrespondierende Vorschrift der Bundesrechtsanwaltsordnung. Davon ist der Gesetzgeber bei der Neufassung der Vorschrift durch das Berufsaufsichtsreformgesetz vom 3. September 2007 (BGBl. I S. 2178) auch ausgegangen (Begründung des Regierungsentwurfs in BT-Drucks 16/2858 S. 24). Das Oberverwaltungsgericht Münster hat allerdings entschieden, dass eine solche Ausnahme dann gegeben ist, wenn der Wirtschaftsprüfer von einem anderen Wirtschaftsprüfer überwacht wird (AnwBl. 2005, 72, 73 bestätigt durch BVerwGE 124, 110 aaO). Das hilft dem Antragsteller indessen nicht. Das Oberverwaltungsgericht Münster hat diese Überwachung als "Vier-Augen-Prinzip" bezeichnet. Dieses Vier-Augen-Prinzip ist in § 44 Abs. 2 WiPrO gesetzlich definiert (BVerwGE 124, 110, 124). Es liegt danach vor, wenn für einen bei Wirtschaftsprüfern oder Wirtschaftsprüfungsgesellschaften angestellten Wirtschaftsprüfer eine Mitzeichnung durch einen anderen Wirtschaftsprüfer vereinbart ist. Übertragen auf den Beruf des Rechtsanwalts wäre eine Gefährdung der Rechtsuchenden dann nur auszuschließen, wenn der betroffene Rechtsanwalt für seine anwaltliche Tätigkeit der Mitzeichnung eines anderen Rechtsanwalts bedürfte. Ob das den Besonderheiten des Rechtsanwaltsberufs gerecht würde, ist zweifelhaft, weil der Rechtsanwalt dann nicht mehr als unabhängig anzusehen sein könnte (vgl. dazu Senat, Beschl. v. 5. Dezember 2005, AnwZ (B) 14/05, AnwBl. 2006, 281) und die Bundesrechtsanwaltsordnung eine solche Form der Berufsausübung - anders als § 44 Abs. 2 WiPrO für Wirtschaftsprüfer - nicht ausdrücklich zulässt. Die Frage bedarf aber keiner Entscheidung. Eine solche Form der Überwachung macht der Antragsteller nicht geltend.
Ganter Ernemann Schmidt-Räntsch Schaal Wosgien Hauger Stüer Vorinstanz:
AGH Jena, Entscheidung vom 16.07.2007 - AGH 10/06 -
BGH:
Beschluss v. 15.09.2008
Az: AnwZ (B) 67/07
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/b6ceb9b3c452/BGH_Beschluss_vom_15-September-2008_Az_AnwZ-B-67-07