Finanzgericht Kassel:
Urteil vom 7. Oktober 2010
Aktenzeichen: 13 K 716/09

(FG Kassel: Urteil v. 07.10.2010, Az.: 13 K 716/09)

Tenor

1. Der Bescheid vom 16.02.2009 wird aufgehoben. Die Beklagtewird verpflichtet, die Klägerin wieder als Steuerberaterin zubestellen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist hinsichtlich der erstattungsfähigen Kostenvorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durchSicherheitsleistung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abwenden,wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in dieserHöhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin erstrebt mit ihrer vorliegenden Klage ihre Wiederbestellung als Steuerberaterin.

Mit Schreiben vom 14.09.2004, bei der beklagten Steuerberaterkammer am 20.09.2004 eingegangen, verzichtete die Klägerin auf ihre Bestellung als Steuerberaterin. Als Grund gab sie an, dass sie sich seit dem 26.11.2003 in Untersuchungshaft befinde und nicht absehbar sei, wann sie ihren Beruf wieder ausüben könne.

Hintergrund war ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin wegen des Verdachts der Untreue. Mit Urteil des Landgerichts W. vom 15.12.2004 wurde die Klägerin wegen Untreue in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Der Verurteilung lagen Untreuehandlungen der Klägerin zum Nachteil von Fondsanlegern zu Grunde. Das Strafgericht wertete das Verhalten als (fremdnützige) Untreue. Aufgrund des Geständnisses der Klägerin einerseits, aber andererseits aufgrund des hohen entstandenen Schadens in Höhe von rund 3,6 Mio. DM verurteilte das Strafgericht die Klägerin zu der oben genannten Gesamtfreiheitsstrafe.

Am 07.10.2008 stellt die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Wiederbestellung als Steuerberaterin.

Mit Bescheid vom 16.02.2009 lehnte die Beklagte die beantragte Wiederbestellung gemäß §§ 48 Abs. 1 Nr. 1, 48 Abs. 2, 40 Abs. 2 Nr. 1 Steuerberatungsgesetz €StBerG- ab. Nach Auffassung der Beklagten liegen bei der Klägerin keine geordneten wirtschaftlichen Verhältnisse vor. Ausweislich des Schlussberichts des Insolvenzverwalters seien im Insolvenzverfahren Forderung in Höhe von 2.983.037,55 € festgestellt worden. Eine verteilungsfähige Masse sei in Höhe von 54.633,19 € vorhanden. Trotz Widerspruchs der Klägerin gegen einen Großteil der festgestellten Forderungen sei es den Gläubigern möglich, bis zum Ablauf der sogenannten Wohlverhaltensphase Klage zu erheben. Dies sei immer noch möglich. Zu geordneten Vermögensverhältnissen gehöre es, dass die Gläubiger in absehbarer Zeit tatsächlich befriedigt werden. Hiervon könne vorliegend nicht ausgegangen werden. Im Übrigen könne die Klägerin über ihr Vermögen nicht frei verfügen. Die bloße Möglichkeit, die schlechte wirtschaftliche Situation im Rahmen eines Restschuldbefreiungsverfahrens zu bereinigen, habe noch nicht zur Folge, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse vorliegend trotz der unbeglichenen Forderungen als geordnet zu betrachten wären. Frühestens nach Ablauf der sog. Wohlverhaltensphase am 16.03.2011 könne von geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen ausgegangen werden.

Unabhängig hiervon sei der Antrag auf Wiederbestellung abzulehnen, da die Klägerin auf ihre Bestellung als Steuerberaterin nach Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens verzichtet habe und im Rahmen dieses berufsgerichtlichen Verfahrens eine Ausschließung aus dem Beruf zu erwarten gewesen sei. Nicht maßgeblich sei die innere Motivation für den Verzicht auf die Bestellung. § 48 Abs. 1 Nr. 1 StBerG stelle ausschließlich auf den äußeren Umstand, d.h. Verzicht auf die Bestellung nach Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens, bei dem eine Ausschließung aus den Beruf zu erwarten sei, ab. Das gegen die Klägerin im Juni 2004 bei dem Landgericht F. eingeleitete berufsgerichtliche Ermittlungsverfahren sei aufgrund des Verzichts der Klägerin vom 20.09.2004 eingestellt worden. Unter Zugrundelegung der Angaben aus dem Urteil des Landgerichts W. vom 15.12.2004, dessen Gründe die Steuerberaterkammer als bindend ansehe, sei davon auszugehen, dass die Klägerin aus dem Beruf ausgeschlossen worden wäre, wenn sie nicht auf ihre Bestellung verzichtet hätte. Die Feststellungen des Urteils des Landgerichts W. ließen mit Blick auf den ganz erheblichen Untreueschaden keine andere Wertung zu. Entsprechend könne eine Wiederbestellung nicht vor Ablauf von acht Jahren seit dem Verzicht auf die Bestellung erfolgen. Eine Wiederbestellung komme daher frühestens ab dem 20.09.2012 in Betracht.

Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie ihr Ziel der Wiederbestellung unter Vertiefung ihres außergerichtlichen Vorbringens weiterverfolgt.

Zahlreichen festgestellten Forderungen - so die Klägerin - habe sie hinsichtlich deren festgestellten deliktischen Charakters widersprochen. Gegen Forderungen in Höhe von 59.000,- € habe sie keinen Widerspruch eingelegt. Aktuell habe sie 59.000,- € erbracht. Sie erziele seit 2007 ein durchschnittliches jährliches Einkommen in Höhe von 50.000,- bis 55.000 €.

Zwar sei es zutreffend, dass Forderungen in Höhe von 2,9 Mio. € aus unerlaubter Handlung durch den Insolvenzverwalter anerkannt wurden. Nach dem Widerspruch der Klägerin hiergegen habe jedoch lediglich eine Gläubigerin Klage auf Feststellung zur Tabelle erhoben. Hierbei handele es sich allerdings um den recht geringfügigen Betrag in Höhe von 2.313,04 €. Auch soweit dieser Betrag an der Restschuldbefreiung nicht teilnehme, könne die Klägerin diesen Betrag ohne weiteres begleichen. Mit weiteren Klagen auf Feststellung zur Tabelle sei nicht zu rechnen.

Mit Ankündigung der Restschuldbefreiung mit Beschluss des Amtsgerichts F. vom 11.05.2009 nach Ablauf des so genannten Wohlverhaltensphase am 16.03.2011 und Aufhebung des Insolvenzverfahrens mit Beschluss vom 12.11.2009 sei von geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen auszugehen. Nach der finanzgerichtlichen Rechtsprechung (Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 16.12. 2008, 2 K 2084/08) liege nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens und Ankündigung der Restschuldbefreiung - wie vorliegend - der gesetzliche Vermutungstatbestand des Vermögensverfalls nach dem StBerG nicht mehr vor. Auch die Zivilrechtsprechung (BGH NJW 2005, 1271 betreffend einen Rechtsanwalt) vertrete diese Rechtsauffassung.

Soweit die Beklagte die Versagung der Wiederbestellung auf § 48 Abs. 1 Nr. 1 StBerG stütze, sei dies ebenfalls nicht durchschlagend; denn die Norm sei nicht anwendbar, da gegen die Klägerin im Zeitpunkt ihres Verzichts auf die Zulassung noch kein berufsgerichtliches Verfahren eingeleitet gewesen sei. Die Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht F. hatte nämlich im Zeitpunkt des Verzichts noch keine Anschuldigungsschrift bei Gericht eingereicht. Im Übrigen wäre kein Ausschluss aus dem Beruf zu erwarten gewesen. Im Urteil des Landgerichts W. sei gerade kein Berufsverbot als Nebenstrafe verhängt worden, was gemäß § 70 StGB theoretisch möglich gewesen wäre. Das Landgericht W. habe sich davon leiten lassen, dass es um eine fremdnützige Untreue gegangen sei; die Klägerin habe sich persönlich nicht bereichert. Die Verhängung eines Berufsverbots als Nebenstrafe sei nicht in Betracht gezogen worden. Bei der strafrechtlichen Tat habe die Klägerin nicht als Steuerberaterin, sondern als Geschäftsführerin eines Unternehmens gehandelt.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 16.02.2009 aufzuheben und diese zu verpflichten, die Klägerin wieder als Steuerberaterin zu bestellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die beklagte Steuerberaterkammer hält auch im gerichtlichen Verfahren an ihrer außergerichtlichen Rechtsauffassung fest.

Auch nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens und Ankündigung der Restschuldbefreiung könne nicht von geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen ausgegangen werden. Denn vorliegend sei zu berücksichtigen - und darin unterscheide sich der Fall von demjenigen des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz -, dass der Insolvenzverwalter Forderungen in Höhe von über 2,9 Mio. € aus unerlaubten Handlungen anerkannt habe. Gegen den Widerspruch der Klägerin hiergegen könnten die Gläubiger noch bis zum Ablauf der sog. Wohlverhaltens

phase Klage erheben. Mögliche Klagen stünden daher noch bis zum 15.03.2011 im Raum. Bei Erfolg solcher Klagen nähmen die betreffenden Forderungen an der Restschuldbefreiung nicht teil, so dass insoweit nicht von geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen ausgegangen werden könne.

Angesichts der Tatsache, dass bereits eine Feststellungsklage erfolgreich erhoben worden sei, sei es nicht mehr nur noch theoretisch denkbar, dass auch anderer Gläubiger entsprechende Klagen erheben würden.

Zwar mag die Rechtsansicht der Klägerin zutreffend sein, dass die Staatsanwaltschaft mangels Einreichung einer Anschuldigungsschrift noch kein berufsgerichtliches Verfahren im Sinne des § 114 StBerG eröffnet hatte. Dies sei jedoch nur ein formales Argument. Der hinter der Vorschrift des § 48 Abs. 1 Nr. 1 StBerG stehende Rechtsgedanke besitze dessen ungeachtet weiterhin Geltung. Die Klägerin habe erheblich gegen ihre Pflichten als Steuerberaterin verstoßen. Angesichts des von der Klägerin verursachten und bis heute nicht behobenen Millionenschadens wäre eine Ausschließung aus dem Beruf in Betracht gekommen. Dies sei nach der Rechtsprechung bei Delikten wie Betrug, Untreue und Unterschlagung der Fall. Durch den Verzicht auf die Bestellung sei dem berufsgerichtlichen Verfahren die Grundlage entzogen worden. In diesem Fall sei eine besonders sorgfältige Prüfung der Voraussetzung des § 40 Abs. 2 StBerG angezeigt. Durch ihre Handlungsweise habe die Klägerin gezeigt, dass sie den Berufspflichten eines Steuerberaters nicht genüge. Bis heute habe die Klägerin keine Einsicht in ihr Fehlverhalten gezeigt.

Wegen Einzelheiten des jeweiligen Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Die einschlägigen Verwaltungsakten lagen dem Gericht vor.

Gründe

Die Klage ist begründet.

Die Versagung der Wiederbestellung der Klägerin als Steuerberaterin verletzt diese in ihren Rechten, da im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Voraussetzungen für eine Wiederbestellung nach §§ 48 Abs. 1 Nr. 1, 45 Abs. 1 Nr. 2, 48 Abs. 2, 40 Abs. 2 StBerG vorlagen.

Bei Verpflichtungsklagen ist der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung hinsichtlich der Sach- und Rechtslage dann maßgeblich, wenn der Erlass einer gebundenen Entscheidung begehrt wird (von Groll in Gräber, FGO, 7.Aufl. § 101 Tz. 6 mit Rechtsprechungsnachweisen). Der Wortlaut des § 48 Abs. 1 Nr. 1 StBerG scheint zwar für eine Ermessensentscheidung zu sprechen (€können wiederbestellt werden"). Dies ist jedoch missverständlich; denn wie auch ein Rechtsanspruch auf Bestellung nach bestandener Prüfung besteht, besteht ein solcher bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen auf Wiederbestellung (Gehre/Koslowski, Steuerberatungsgesetz, 6.Auflage 2009, § 48 Tz. 3).

Soweit die Steuerberaterkammer die Versagung der Wiederbestellung mit fehlenden geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen begründet, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens am 12.11.2009 und Ankündigung der Restschuldbefreiung mit Beschluss vom 11.05.2009 liegen keine ungeordneten wirtschaftlichen Verhältnisse mehr vor.

Mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens entfällt die Vermutung des Vermögensverfalls (§ 46 Abs. 2 Nr. 4 HS 2 StBerG). Einen gleichwohl vorliegenden Vermögensverfall vermag der Senat nicht festzustellen. So hat der Bundesgerichtshof - BGH - Senat für Anwaltssachen (AnwZ (B) 40/04, NJW 2005, 1271) am 07.12.2004 betreffend die Wiederbestellung eines Rechtsanwaltes entschieden, dass ein Schuldner, der ein Insolvenzverfahren und anschließend mit Erfolg ein Restschuldbefreiungsverfahren durchlaufen hat - ohne dass die Gläubiger befriedigt worden sind - keine Verbindlichkeit mehr habe. Dies genüge zur (Wieder-) Herstellung geordneter Vermögensverhältnisse. Der BGH hat dies im ersten Leitsatz des Urteils wie folgt formuliert: Ist über das Vermögen eines früheren Rechtsanwalts ein Insolvenzverfahren durchgeführt und mit dessen Aufhebung dem Schuldner die Restschuldbefreiung angekündigt worden, kann während der sogenannten Wohlverhaltensphase ein Antrag auf Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft grundsätzlich nicht mit der Begründung abgelehnt werden, es seien geordnete Vermögensverhältnisse noch nicht wiederhergestellt.

Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz hat sich dem unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung für den Bereich der Steuerberater angeschlossen (Urteil vom 16.12.2008, 2 K 2084/08, EFG 2009, 687). Durch die bloße Ankündigung habe sich die spätere Möglichkeit der Restschuldbefreiung im Sinne einer konkreten Aussicht derart verdichtet, dass bereits mit dieser von einer Konsolidierung der wirtschaftlichen Verhältnisse tatsächlich auszugehen ist. Auch das Niedersächsische Finanzgericht hält geordnete wirtschaftliche Verhältnisse für gegeben, wenn die Restschuldbefreiung angekündigt wurde (Urteil vom 29.05.2008, 6 K 433/07, juris). Der erkennende Senat versteht auch den Beschluss des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 17.12.2009 VII B 71/09, juris, (dort insbesondere Tz. 8) in diesem Sinne.

Zwar unterscheiden sich die dargestellten Fällen des BGH und der finanzgerichtlichen Rechtsprechung vom vorliegenden Fall dahingehend, dass - soweit der BGH-Fall betroffen ist - in § 7 Nr.9 Bundesrechtsanwaltsordnung €BRAO- die Zulassung dann zu versagen ist, wenn sich der Bewerber im Vermögensverfall befindet. Dieser Wortlaut entspricht demjenigen in § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG betreffend den Widerruf der Zulassung, wohingegen der Wortlaut des § 40 Abs. 2 Nr. 1 StBerG nicht von €Vermögensverfall€ spricht, sondern von €geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen€. Sowohl der BGH als auch die zitierte finanzgerichtliche Rechtsprechung verwenden diese Begriffe jedoch synonym. Der erkennende Senat folgt dem: geordnete wirtschaftliche Verhältnisse liegen dann vor, wenn sich der Steuerberater nicht im Vermögensverfall befindet; keine geordneten wirtschaftlichen Verhältnisse liegen (umgekehrt) dann vor, wenn ein Vermögensverfall gegeben ist.

Der Senat hat erwogen, ob von diesem Grundsatz dann eine Ausnahme zu machen ist, wenn -trotz Ankündigung der Restschuldbefreiung - in einem atypischen Fall von einer €Verdichtung€ (vgl. zitiertes Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz) einer konkreten Aussicht auf Restschuldbefreiung (noch) nicht gesprochen werden kann. Ein solcher atypische Fall könnte dann vorliegen, wenn ein Großteil der vom Insolvenzverwalter zur Tabelle angemeldeten Forderungen (mutmaßlich) solche aus unerlaubter Handlung sind, die € bei Widerspruch des Schuldners und entsprechender gerichtlicher Feststellung auf Antrag der Gläubiger - an der Restschuldbefreiung gemäß § 302 Nr. 1 Insolvenzordnung €InsO- nicht teilnehmen. Eine solche Konstellation könnte vorliegend gegeben sein. Der Senat hält gleichwohl eine solche Ausnahmesituation vorliegend für nicht gegeben. Zwar weist die Beklagte zutreffend darauf hin, dass bis zum Ende der Wohlverhaltensphase (vgl. hierzu Sinz in Uhlenbruck, InsO, 13. Auflage 2010, § 184 Tz. 3) Feststellungsklage (auch begrenzt auf den deliktischen Charakter der Forderung) erhoben werden kann. Bei Erfolg dieser Feststellungsklage(n) sähe sich die Klägerin vorliegend erheblichen Forderungen ausgesetzt, die nicht an der Restschuldbefreiung teilnähmen. Der Senat hält jedoch allein diese M ö g l i c h k e i t, solche Klagen noch zu erheben, für nicht geeignet, um abweichend von oben dargestellten Grundsätzen von nicht geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen auszugehen. Im hier entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung waren - soweit ersichtlich - keine solchen Klagen erhoben oder auch nur angekündigt worden. Ob tatsächlich Feststellungsklagen erhoben werden und ob diese erfolgreich sein werden, ist offen. Der Senat hält daher weder die Spekulation der Beklagten, dass aufgrund einer bereits erfolgreich erhobenen Feststellungsklage noch mit weiteren entsprechende Klagen zu rechnen sei, ebenso wenig für zielführend wie die Spekulation der Klägerin, dass aufgrund des langen Zeitablaufs nicht mit weiteren Feststellungsklagen zu rechnen sei. Mangels Anhängigkeit solcher Klagen oder eines konkreten Inaussichtstellens entsprechender Klagen kann allein die theoretische Möglichkeit der Erhebung von Feststellungsklagen der Klägerin im jetzigen Zeitpunkt nicht zum Nachteil gereichen. Der Senat kann daher offenlassen, wie zu entscheiden wäre, wenn entsprechende Klagen bereits anhängig wären.

Nicht geordnete wirtschaftlichen Verhältnisse können daher nicht festgestellt werden.

Der Senat teilt auch nicht die Rechtsauffassung der Beklagten, dass die achtjährige Sperrfrist des § 48 Abs. 1 Nr. 1 StBerG vorliegend anzuwenden sei.

Nach dieser Bestimmung kann die Wiederbestellung nicht vor Ablauf von acht Jahren erfolgen, wenn auf die Bestellung nach Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens verzichtet wurde. Dies gilt dann nicht, wenn eine Ausschließung aus dem Beruf nicht zu erwarten war.

Vorliegend wurde eine Anschuldigungsschrift nicht erstellt. Nach Verzicht auf die Bestellung wurde das eingeleitete und aufgrund des anhängigen Strafverfahrens ausgesetzte Ermittlungsverfahren der Generalstaatsanwaltschaft gemäß §§ 170 Abs. 2 StPO, 153 StBerG eingestellt. Der Wortlaut des § 48 Abs. 1 Nr. 1 StBerG verlangt ausdrücklich einen Verzicht n a c h Einleitung des berufsgerichtlichen Verfahrens. Ein solches Verfahren wird nach § 114 StBerG durch Einreichen einer Anschuldigungsschrift der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht eingeleitet. Daran fehlt es vorliegend.

Der Senat sieht auch angesichts des eindeutigen Wortlauts der Norm keinen Raum für eine analoge Anwendung bei einem Verzicht auf die Bestellung v o r Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens. Erst nach Einleitung des berufsgerichtlichen Verfahrens durch Einreichen der Anschuldigungsschrift haben sich die berufsrechtlichen Vorwürfe so konkretisiert, dass der Gesetzgeber Handlungsbedarf für das Wiederbestellungsverfahren sah, wenn der Steuerberater dem berufsgerichtlichen Verfahren durch Verzicht auf die Bestellung die Grundlage entziehen will.

Soweit die Beklagte im gerichtlichen Verfahren die Auffassung vertritt, auch nach § 48 Abs. 2 i.V.m. § 40 Abs. 2 Nr. 4 StBerG komme eine Wiederbestellung nicht in Betracht, da sich die Klägerin so verhalten habe, dass die Besorgnis begründet sei, sie werde den Berufspflichten als Steuerberaterin nicht genügen und dies auf die im Strafurteil des Landgerichts W. festgestellten Taten stützt, vermag der Senat dem ebenfalls nicht zu folgen.

Zwar knüpfte die Prognose des § 40 Abs. 2 Nr. 4 StBerG an ein Verhalten in der Vergangenheit an. Der Senat vermag zunächst zwar nicht der Auffassung der Klägerin zu folgen, dass die im Strafurteil festgestellten Taten in keinem Zusammenhang mit der Tätigkeit als Steuerberaterin gestanden hätten. Die Klägerin handelte zwar als Geschäftsführerin einer Gesellschaft; dass sie diese Position begleitete, steht nach Überzeugung des Senats jedoch im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Ausbildung/Tätigkeit als Steuerberaterin. Zuzugeben ist der Klägerin allerdings, dass es sich nicht um eine €klassische€ Steuerberatung handelte. Zuzugeben ist der Beklagten auch, dass eine besonders sorgfältige Prüfung der Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 StBerG dann angebracht ist, wenn auf eine Bestellung verzichtet wurde, um einem berufsgerichtlichen Verfahren die Grundlage zu entziehen (vgl. Gehre/Koslowski, a.a.O., § 48 Tz. 5).

Dass vorliegend einem berufsgerichtlichen Verfahren die Grundlage entzogen werden sollte, erscheint naheliegend. Aus oben dargestellten Gründen ist jedoch die achtjährige Sperrfrist des § 48 Abs. 1 Nr. 1 StBerG nicht unmittelbar einschlägig. Diese Sperrfrist kann daher auch nicht ohne weiteres als zeitliche Schranke bei der Prüfung des § 40 Abs. 2 Nr. 4 StBerG dergestalt zugrunde gelegt werden, dass erst nach Ablauf dieser Frist eine Wiederbestellung erfolgen kann. Eine solche Handhabung würde die - hier nicht einschlägige - Sperrfrist des § 48 Abs. 1 Nr. 1 StBerG faktisch im Rahmen des § 40 Abs. 2 Nr. 4 StBerG wieder aufleben lassen. Ein solcher Automatismus besteht indes nicht. Unabhängig von § 48 Abs. 1 Nr. 1 StBerG unterliegt § 40 Abs. 2 Nr. 4 StBerG hinsichtlich der Frage, ob und wann wiederbestellt werden kann, einer eigenständige Prüfung unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles. Diese Prüfung kann zu dem Ergebnis kommen, dass eine achtjährige Sperrfrist angemessen ist; zwingend ist dies nicht. Aufgrund ihres anderen rechtlichen Ausgangspunkts hat die Beklagten eine solche eigenständige Prüfung nicht vorgenommen.

Im Gegensatz zu § 37 Abs. 3 Nr. 1 StBerG a.F. (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 25.02.1986 VII R 76/83, BFH/NV 1986, 497) handelt es sich bei § 40 Abs. 2 Nr. 4 StBerG nicht mehr um eine Ermessensvorschrift. Das Gericht ist daher nicht mehr gemäß § 102 FGO auf die Kontrolle einer ordnungsgemäßen Ermessensausübung begrenzt. Die ordnungsgemäße Anwendung der Norm ist daher in vollem Umfang gerichtlich nachprüfbar.

Welche €Wartefrist€ nach einer strafrechtlichen Verurteilung angemessen ist, hängt von den jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalles ab. So hat der BFH (Urteil von 25.02. 1986 a.a.O.) bei einer Verurteilung eines Steuerberaters wegen gemeinschaftlicher Untreue und gemeinschaftlichen Betruges zu einer Gesamtheitfreiheitsstrafe von vier Jahren es nicht als ermessensfehlerhaft angesehen, wenn eine Wiederbestellung nicht vor Ablauf von zehn Jahren zwischen Tat und Verwaltungsentscheidung erfolgt. Das Finanzgericht Hamburg (Urteil vom 24.05.1996, V 146/95, juris) hat bei einem vergleichbaren Fall einen Zeitraum von acht Jahren seit Rechtskraft des Urteils als nicht unangemessen angesehen.

Entscheidend für die Prognoseentscheidung ist im Wesentlichen der Zeitablauf: je länger die Tat zurückliegt, die Bedenken in die Zuverlässigkeit und Verlässlichkeit des Steuerberaters bekundet haben, wird es um so erforderlicher, zu überdenken, ob die negative Prognose fortbestehen kann oder nicht (FG Hamburg a.a.O.). Der erkennende Senat teilt diese Auffassung.

Vorliegend lagen zwischen der Tat im Jahr 2001 und der mündlichen Verhandlung im vorliegenden Rechtsstreit neun Jahre, zwischen strafrechtlicher Verurteilung und mündlicher Verhandlung sechs Jahre. In dieser Zeit hat sich die Klägerin nichts mehr zu Schulden kommen lassen. Unter Berücksichtigung dieser Umstände vermag der Senat eine Besorgnis nicht mehr zu erkennen, die Klägerin werde in Zukunft den Berufspflichten einer Steuerberaterin nicht genügen. Der Senat verkennt hierbei nicht, dass der Verurteilung der Klägerin zu einer nicht unerheblichen Freiheitsstrafe Taten zugrunde lagen, die zwar nicht direkt, jedoch mittelbar mit der Tätigkeit eines Steuerberaters in Zusammenhang standen, und dass ein erheblicher Schaden entstanden ist. Andererseits ist eine nicht unerhebliche Zeit inzwischen verstrichen, ohne dass weitere Beanstandungen bekannt wurden.

Unter Abwägung dieser Gesichtspunkte hält der Senat die Versagung der Bestellung zum jetzigen Zeitpunkt für rechtsfehlerhaft, so dass die Klage auf Verpflichtung zur Bestellung der Klägerin als Steuerberaterin begründet ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs.1 FGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 151 FGO i.V.m. 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Senat lässt die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu.






FG Kassel:
Urteil v. 07.10.2010
Az: 13 K 716/09


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/b6eede4647b9/FG-Kassel_Urteil_vom_7-Oktober-2010_Az_13-K-716-09




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share