Bundespatentgericht:
Beschluss vom 12. Januar 2009
Aktenzeichen: 11 W (pat) 29/04
(BPatG: Beschluss v. 12.01.2009, Az.: 11 W (pat) 29/04)
Tenor
Auf die Beschwerde der Patentinhaberin wird der Beschluss der Patentabteilung 1.45 des Deutschen Patentund Markenamts vom 4. März 2004 aufgehoben und das Patent mit den Patentansprüchen 1 bis 25 und der Beschreibung vom 12. Januar 2009 sowie den Zeichnungen gemäß Patentschrift beschränkt aufrechterhalten.
Gründe
I.
Das Deutsche Patentund Markenamt hat die Erteilung des auf der Anmeldung vom 12. März 1999 beruhenden Patents 199 11 175 mit der Bezeichnung "Verfahren zur Entsorgung gefährlicher oder hochenergetischer Materialien sowie Vorrichtung zur Durchführung dieses Verfahrens" am 8. November 2001 veröffentlicht.
Gegen das Patent ist von der S... GmbH & Co. KG, in ..., Einspruch erhoben worden und zwar gestützt auf Widerrufsgründe der mangelhaften Offenbarung und der fehlenden Patentfähigkeit, wobei sich die Einsprechende in ihrem Vortrag im Einzelnen auf folgende Druckschriften als Entgegenhaltungen berufen hat:
(D1) US 5 582 119 A
(D2) DE 197 31 027 C1
(D3) DE 195 21 204 C1
(D4) DE 38 19 699 C1
(D5) DE 35 27 730 C1, nachdem im Erteilungsverfahren bereits die Druckschriften
(P1) EP 0 075 899 B1 und (P2) WO 97/43 594 A1 berücksichtigt worden waren.
Nachträglich ist für die Einsprechende mit dem Schriftsatz ihrer patentamtlichen Vertreter vom 13. Januar 2003 noch der Widerrufsgrund der widerrechtlichen Entnahme geltend gemacht und dazu
(D6) die erste Seite des "Zusammenarbeitsvertrages" zwischen der E... KG (identisch mit der Patentinhaberin) und der S... GmbH & Co. KG (Einsprechenden) vom 16. Januar 1997 sowie die zwei technischen Zeichnungen aus dem Unternehmen der Einsprechenden
(D7a) "Regenerativer Sprengreaktor mit wärmespeichernden Körpern", CWF-200-C, Bearb. 24. April 1997, Zeichnungsnummer SM-2.312.97, und
(D7b) "Sprengkammer mit Füllkörpern für Sprengstoffe und Munition" CWF-200, Bearb. 10. Februar 1997, Zeichnungsnummer SM-2.297.97 vorgelegt worden. Gleichzeitig ist aber vorgetragen worden, nach wie vor sei der Widerruf des angegriffenen Patents wegen fehlender Patentfähigkeit gerechtfertigt, und in diesem Zusammenhang werde ferner auf die Druckschrift
(D8) DE 196 06 945 C1 verwiesen.
Die Patentabteilung 1.45 des Deutschen Patentund Markenamts hat das Patent durch Beschluss vom 4. März 2004 wegen widerrechtlicher Entnahme widerrufen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, der Einspruchsgrund der widerrechtlichen Entnahme, der von der Einsprechenden nach Ablauf der Einspruchsfrist geltend gemacht worden sei, werde als entscheidungserheblich angesehen und daher -gemäß der BGH-Entscheidung "Aluminium-Trihydroxid" GRUR 1995, 333 -als zulässig in das Verfahren eingeführt. Die Erfindung sei ausreichend offenbart und gewerblich anwendbar. Neuheit sei gegeben und der Gegenstand des Streitpatents sei auch erfinderisch. Die Einsprechende habe mit ihrer Eingabe vom 13. Januar 2003 dargelegt, dass der Gegenstand des Streitpatents eine durch die Einsprechende entwickelte und durch die Patentinhaberin als Generalunternehmer im Rahmen einer Ausschreibung exklusiv angebotene Anlage darstelle. Die beiden Zeichnungen 7a und 7b, die in Klärungsgesprächen mit der Patentinhaberin als Konzeption von der Einsprechenden vorgeschlagen worden seien, enthielten alle Merkmale der Ansprüche 1 und 11 und somit den wesentlichen Inhalt des Streitpatents. Es sei schlüssig und glaubhaft dokumentiert, dass die Erfindung im Besitz der Einsprechenden, nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich und eine Weitergabe an Dritte ausgeschlossen war. Den vorgetragenen Tatsachen habe die Patentinhaberin nicht widersprochen, so dass die angebotene Zeugeneinvernahme nicht erforderlich gewesen sei.
Die Patentinhaberin hat gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt. Sie trägt vor, den überzeugenden Ausführungen des Patentamts zur materiellen Schutzfähigkeit des Streitpatents schließe sie sich an. Sie bestreite aber den gesamten, die angebliche widerrechtliche Entnahme betreffenden Tatsachenvortrag der Einsprechenden. In der mündlichen Verhandlung hat sie neue Patentansprüche vorgelegt und vertritt die Ansicht, das Patent sei jedenfalls auf diese Weise gewährbar.
Sie beantragt, den angefochtenen Beschluss des Patentamts aufzuheben und das Patent mit den Patentansprüchen 1 bis 25 und der Beschreibung vom 12. Januar 2009 sowie den Zeichnungen gemäß Patentschrift beschränkt aufrechtzuerhalten.
Die geltenden Patentansprüche 1 und 11 lauten:
1. Verfahren zur Entsorgung von Munition, bei dem diese in einem druckfesten Gehäuse unter kontrollierten Bedingungen zur Auslösung einer Explosion gebracht wird, deren Endprodukte ungefährlich sind, dadurch gekennzeichnet, daß die Munition bei einer Temperatur, die unterhalb der Zündtemperatur liegt, mit einem Schüttgut vermischt wird, mit dem zusammen sie ein Wanderbett (16) bildet, wobei die Explosion in einem gewissen Abstand von der Oberfläche im Inneren des Wanderbetts (16), wo die Temperatur die Zündtemperatur erreicht, ausgelöst wird.
11. Vorrichtung zur Entsorgung von Munition mit einem druckfesten Gehäuse, in dem die Munition unter kontrollierten Bedingungen zur Auslösung einer Explosion bringbar ist, deren Endprodukte ungefährlich sind, dadurch gekennzeichnet, daß in dem Gehäuse (2) ein sich von oben nach unten bewegendes Wanderbett (16) im dynamischen Gleichgewicht zwischen der Zufuhr eines Schüttgutes und der Munition einerseits und dem Austrag einer Mischung aus Schüttgut und der Explosion entstammenden Reststoffen andererseits ausgebildet ist, wobei in der Nähe der Einlassöffnung (14) für die Munition eine Temperatur herrscht, die unter der Zündtemperatur liegt, und wobei eine Einrichtung (18) vorgesehen ist, welche dafür sorgt, daß die Explosion erst in einem gewissen Abstand von der Oberfläche im Inneren des Wanderbettes (16) ausgelöst wird, indem dort die Zündtemperatur erreicht wird.
Der Senat hat im Mai 2008 Kenntnis erhalten, dass über das Vermögen der Einsprechenden durch Beschluss des Amtsgerichts Aachen -Az. 19 IN 770/01 -am 12. November 2002 das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Auf Anfrage des Senats hat der Insolvenzverwalter die Aufnahme des Verfahrens ausdrücklich abgelehnt. Die Patentinhaberin hat erklärt, das Verfahren aufzunehmen.
Nach den Ermittlungen des Senats ist die Gesellschaft der Einsprechenden ebenso wie die ihrer Komplementärin aufgelöst und im Handelsregister gelöscht (HRA 3625 und HRA 3794 des Handelsregisters A des Amtsgerichts Aachen). Der Liquidator (früherer Kommanditist und Geschäftsführer) H... ist -jedenfalls in Deutschland -nicht auffindbar und soll nach Aussage des Insolvenzverwalters in Polen verstorben sein.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Amtsund Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist begründet. Das Patent wird antragsgemäß beschränkt aufrechterhalten.
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Entscheidung der Patentabteilung über die Widerrufsgründe mangelnder Offenbarung (§ 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG), fehlender Patentfähigkeit (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG), insbesondere erfinderischer Tätigkeit (§§ 1 Abs. 1, 4 PatG) sowie widerrechtlicher Entnahme (§ 21 Abs. 1 Nr. 3 PatG).
1.
Der Einspruch ist zulässig, weil er gemäß § 59 Abs. 1 PatG innerhalb der Einspruchsfrist erhoben, auf die Widerrufsgründe mangelhafter Offenbarung (§ 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG) und fehlender Patentfähigkeit (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG) gestützt und mit dem Vortrag der Tatsachen im Einzelnen substantiiert ist.
Die nachträgliche, verspätete Ausdehnung des Einspruchs auf den Widerrufsgrund der widerrechtlichen Entnahme (§ 21 Abs. 1 Nr. 3 PatG) ist aber unzulässig (§ 59 Abs. 1 Satz 5 PatG). Der Einsprechende bleibt an die bis zum Ablauf der Einspruchsfrist geltend gemachten Einspruchsgründe gebunden (vgl. Schulte, Patentgesetz, 8. Aufl. 2008, § 59 Rdn. 198).
2.
Das mit dem Einspruch angegriffene Patent ist rechtsfehlerhaft wegen widerrechtlicher Entnahme gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 3 PatG i. V. m. §§ 59 Abs. 1, 61 Abs. 1 Satz 1 PatG widerrufen worden.
a) Nach der grundlegend in der Verfahrenspraxis bedeutsamen Entscheidung "Aluminium-Trihydroxid" des Bundesgerichtshofes vom 10. Januar 1995 (GRUR 1995, 333, 335 -337) darf die Patentabteilung (erstinstanzlich) bei zulässigem Einspruch zwar grundsätzlich jeden weiteren, von der Einsprechenden noch nicht oder nicht in zulässiger Weise geltend gemachten Widerrufsgrund -also auch den der widerrechtlichen Entnahme -von Amts wegen einführen oder aufgreifen und auf dieser Grundlage das Patent widerrufen (vgl. z. B. Schulte a. a. O. Rdn. 202; Benkard, Patentgesetz, 10. Aufl. 2006, § 59 Rdn. 62; zuvor BPatG BlPMZ 1991, 72, 74 f. -Kamille, dagegen noch offengelassen BGH GRUR 1993, 651, 652 unter III.3.a) -Tetraploide Kamille).
aa) Diese höchstrichterliche Grundsatzentscheidung (BGH GRUR 1995, 333 ff. -Aluminium-Trihydroxid) erscheint aber zu weitgehend, weil sie mit derselben Begründung ausnahmslos alle Widerrufsgründe nach § 21 Abs. 1 PatG dem Untersuchungsgrundsatz zur Wahrung der öffentlichen Interessen unterwirft, ohne den Besonderheiten des Widerrufsgrundes der widerrechtlichen Entnahme -den es im europäischen Patentrecht nicht gibt (vgl. Art. 100 EPÜ) -Rechnung zu tragen. Der BGH hat dem Patentamt -das muss dann auch für erstinstanzliche Entscheidungen des Patentgerichts nach § 147 Abs. 3 PatG a. F., jetzt nach § 61 Abs. 2 PatG gelten (vgl. BPatGE 47, 141, 144 -Aktivkohlefilter) -ausdrücklich eine im Rahmen des § 21 PatG weite Prüfungsbefugnis im Einspruchsverfahren eingeräumt. Das Patentamt soll nicht daran gehindert sein, einen anderen als den vom Einsprechenden zulässig geltend gemachten Widerrufsgrund von Amts wegen zu prüfen und das Patent gegebenenfalls aus diesem Grund zu widerrufen (GRUR 1995, 336). Die uneingeschränkte Prüfungskompetenz des Patentamts, die unabhängig von den Gründen des Einsprechenden alle Widerrufsgründe umfasst, wird jedoch mit Zwecken des Einspruchs begründet, die auf die widerrechtliche Entnahme nicht zutreffen (vgl. dazu: Winterfeldt, VPP-Rundbrief Nr. 2/1996, 37, 41 ff.; Kraßer, Patentrecht, 6. Aufl. 2009, S. 374, 597, 598 f., 604).
bb) So handelt es sich bei dem Einspruch wegen widerrechtlicher Entnahme gerade nicht um einen Rechtsbehelf, welcher der Öffentlichkeit zur Verfügung steht und in Wahrnehmung der öffentlichen Interessen dazu dient, nicht patentfähige Schutzrechte von Amts wegen zu beseitigen. Vielmehr kann der Widerrufsgrund der widerrechtlichen Entnahme gemäß § 59 Abs. 1 PatG -im Falle der Nichtigkeitsklage ebenso gemäß § 81 Abs. 3 PatG -nicht von jedem, sondern nur vom Verletzten geltend gemacht werden und bezweckt auch nicht die Nachprüfung der Patentfähigkeit, sondern nur den Schutz des Erfinderrechts (vgl. Kraßer, a.
a. O.; Kraßer, Erfinderrecht und widerrechtliche Entnahme in: Festschrift für Hubmann, 1985, S. 224 f., 228 f.; Kraßer, "Vindikation" im Patentrecht und rei vindicatio in: Festschrift für Frhr. v. Gamm, 1990, S. 408 -410, 418; Winterfeldta.
a. O. S. 42; Benkard a. a. O. § 59 Rdn. 2). Das Einspruchsverfahren wegen widerrechtlicher Entnahme findet nicht im öffentlichen Interesse, sondern ausschließlich im Interesse des allein einspruchsberechtigten Verletzten, also dem Erfinder oder Erfindungsbesitzer, statt, dem nach erfolgreichem Einspruch und Widerruf des Patents aus diesem Grunde oder nach Verzicht auf das Patent das Nachanmelderecht mit Entnahmepriorität gemäß § 7 Abs. 2 PatG zusteht (vgl. Kraßer, Patentrecht, a. a. O. S. 374 f., 595; BGH GRUR 2001, 46 -Abdeckrostverriegelung).
cc) Das Patent soll nach § 21 Abs. 1 Nr. 3 PatG im Falle der widerrechtlichen Entnahme nicht deshalb widerrufen werden, weil der Patentgegenstand nicht schutzfähig ist, sondern weil es einem Nichtberechtigten erteilt wurde, und das Nachanmelderecht für den Verletzten vorteilhafter als die Patentvindikation gemäß § 8 PatG sein kann (vgl. BGH GRUR 1996, 42, 44 -Lichtfleck; Kraßer a. a. O. S. 372, 375). Das Recht auf das Patent steht zwar dem Erfinder oder seinem Rechtsnachfolger zu (§ 6 PatG), das Patentamt darf die sachliche Berechtigung des Anmelders aber im Erteilungsverfahren nicht nachprüfen, sondern muss die Erfinderbenennung (§ 37 PatG) genügen lassen und hat -nach dem Anmelderprinzip -von der Berechtigung des Anmelders auszugehen, § 7 Abs. 1 PatG (vgl. Schulte a. a. O. § 7 Rdn. 5). Mit diesem Anspruch des Anmelders auf Patenterteilung wird eine mögliche Beeinträchtigung des Rechts auf das Patent in Kauf genommen, um das Patentamt zu entlasten (vgl. Kraßer in Fs. für Frhr. v. Gamm S. 406 -409). Dem Berechtigten bleibt es dann nach der Patenterteilung allerdings selbst überlassen, seine Rechte wegen widerrechtlicher Entnahme mit den gesetzlich vorgesehenen Rechtsbehelfen durchzusetzen, entweder mit dem Einspruch gemäß § 59 Abs. 1 i. V. m. § 21 Abs. 1 Nr. 3 PatG, der Nichtigkeitsklage gemäß § 81 i. V. m. §§ 22, 21 Abs. 1 Nr. 3 PatG oder der sog. Vindikationsklage gemäß § 8 PatG.
dd) Der Widerrufsgrund der widerrechtlichen Entnahme nützt auch nicht mittelbar einem öffentlichen Interesse. Der Senat teilt die mittlerweile herrschende Rechtsansicht, dass im Bereich des Einspruchsverfahrens wegen widerrechtlicher Entnahme die Patentfähigkeit der den Gegenstand des angegriffenen Patents bildenden Erfindung nicht erneut zu prüfen ist (Kraßer, Patentrecht, a. a. O. S. 374 f.; Busse, Patentgesetz, 6. Aufl. 2003, § 21 Rdn. 78; Benkard a. a. O. § 21 Rdn. 23; Schulte a. a. O. § 21 Rdn. 48; Niedlich, Widerrechtliche Entnahme, VPP-Rundbrief Nr. 4/2001, 122, 125 ff.; Winterfeldt, VPP-Rundbrief Nr. 3/2006, 82, 87; in Betracht gezogen, aber einer zukünftigen Entscheidung vorbehalten BGH GRUR 2007, 996, 997 = BlPMZ 2008, 16, 17 f. -Angussvorrichtung für Spritzgießwerkzeuge). Zwar trifft es zu, dass im Prinzip nur eine patentfähige Erfindung entnommen werden kann. Die Prüfung und Entscheidung der Patentfähigkeit als Voraussetzung der widerrechtlichen Entnahme bedeutete jedoch insbesondere, dass insoweit von Amts wegen nicht geltend gemachte Widerrufsgründe zur Grundlage eines Widerrufs herangezogen werden können, die dem Verletzten entgegen Sinn und Zweck des Widerrufsgrundes der widerrechtlichen Entnahme, mit dem lediglich sein Individualinteresse der Berechtigung durchgesetzt werden soll, die Wahrnehmung von Interessen der Allgemeinheit aufdrängte und sein Nachanmelderecht vereitelte (vgl. Kraßer a. a. O.; Schulte a. a. O.; Busse a. a. O.). Hierfür gibt es keinen rechtfertigenden Grund, zumal die Patentfähigkeit in der Nachanmeldung ohnehin noch einmal geprüft wird, gegebenenfalls sogar noch mit neugefaßten Patentansprüchen im Rahmen der ursprünglichen Offenbarung (vg. BGH a. a. O. -Lichtfleck).
Da nach seiner Bedeutung und Funktion der Einspruch wegen widerrechtlicher Entnahme somit keine öffentlichen Interessen vertritt, gibt es keinen Grund, ein Einspruchsverfahren mit dem Widerrufsgrund der widerrechtlichen Entnahme außerhalb einer zulässigen Geltendmachung des Verletzten nach dem Untersuchungsgrundsatz von Amts wegen zu betreiben, anzuwenden. Das Einspruchsverfahren hinsichtlich widerrechtlicher Entnahme muss nach Ansicht des Senats daher der Dispositionsmaxime und dem Verhandlungsgrundsatz überlassen bleiben, zumal die wesentlichen Tatsachen ohnehin nur vom Verletzten beigebracht werden können (vgl. dazu: Thomas/Putzo, ZPO, 29. Aufl. 2008, Einl. I Rdn. 1 -5; Kraßer Fs. für Frhr. v. Gamm a. a. O. S. 409 f. unter III. 3.).
ee) Die Rechtsansicht, dass der Widerrufsgrund der widerrechtlichen Entnahme nicht durch das Patentamt von Amts wegen eingeführt, aufgenommen oder nach Ausscheiden des Einsprechenden weiterverfolgt werden darf, ist auch keineswegs neu, sondern war im Patentrecht offenbar von Anfang an die herrschende Lehre (vgl. Kent, Das Patentgesetz vom 7. April 1891, Kommentar, Band I, Berlin 1906, § 3 Nr. 69: "Der Schutz des durch die Patentanmeldung Verletzten findet im Patenterteilungsverfahren nur auf erhobenen Einspruch statt; von Amts wegen darf eine solche Verletzung nicht berücksichtigt werden."; Engel. Die Prüfungsbefugnis der Patentabteilung und des Bundespatentgerichts im Einspruchsund Einspruchsbeschwerdeverfahren in Festschrift für Nirk, 1992, S. 195, 201, 203, 205 m. w. Nachw.; Zitat in BGH GRUR 1995, 333, 336 li. Sp. -Aluminium-Trihydroxid).
b) Außerdem hält der Senat die Berücksichtigung verspäteten Vorbringens der Einsprechenden aus der unzulässigen Geltendmachung der widerrechtlichen Entnahme von Amts wegen und die dementsprechende Begründung des Widerrufs für einen Verstoß gegen die Antragsbindung gemäß § 308 ZPO, die grundsätzlich auch im patentamtlichen Einspruchsverfahren entsprechend gilt (vgl. Schultea.
a. O. Einl. Rdn. 6, 8, § 59 Rdn. 188, 191). Denn der Grund des Widerrufs gehört bei der widerrechtlichen Entnahme zur Entscheidung, wie sich aus den Bestimmungen über die Rechtsfolgen nach § 7 Abs. 2 PatG und § 8 Satz 4 PatG eindeutig ergibt, und ist daher auch -ggf. konkludenter -Inhalt des Antrags eines zulässig auf widerrechtliche Entnahme gestützten Einspruchs (vgl. dazu: BGH GRUR 2007, 996 = BlPMZ 2008, 16, 17 -Angussvorrichtung für Spritzgießwerkzeuge; BGH GRUR 2001, 46 -Abdeckrostverriegelung; Kraßer, Patentrecht, a. a. O. S.
374, 598 a. E., 599 a. A.; 604). Liegt demgemäß -in Folge des unzulässig vorgebrachten Einspruchsgrundes -aber kein berücksichtigungsfähiger Antrag vor, darf auch kein Widerruf wegen widerrechtlicher Entnahme ergehen.
c) Aber selbst nach dem Ermessensmaßstab der von ihr ausdrücklich herangezogenen Entscheidung "Aluminium-Trihydroxid" des BGH hätte die Patentabteilung das Einspruchsverfahren nicht von Amts wegen auf die Prüfung und Entscheidung wegen des Widerrufsgrundes der widerrechtlichen Entnahme ausdehnen dürfen.
Der BGH (GRUR 1995, 333, 337) verlangt nämlich ein pflichtgemäßes Ermessen, ob weitere Widerrufsgründe von Amts wegen in das Verfahren einbezogen und auf Grund dieser Gründe das Patent widerrufen wird. Er weist besonders darauf hin, dass bei der Entscheidung, solche Gründe von Amts wegen aufzugreifen, zu berücksichtigen ist, dass eine Behinderung des Wettbewerbs durch zu Unrecht erteilte Patente möglichst vermieden werden soll. Dabei müsse den Beteiligten selbstverständlich ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden.
Die Verfahrensweise der Patentabteilung entsprach jedoch offensichtlich nicht einem noch pflichtgemäßen Ermessen. Die Patentabteilung hätte beachten müssen, dass die Wahrnehmung eines Individualinteresses, das nur der Verletzte geltend machen kann, es aber verfristet und somit nicht rechtswirksam getan hat, mit einer vom Patentamt von Amts wegen zu übernehmenden Aufgabe kaum vereinbar erscheinen kann.
Zudem dient der Widerrufsgrund der widerrechtlichen Entnahme nicht dazu, im Allgemeininteresse zu Unrecht erteilte Patente zu beseitigen. Im Rahmen der widerrechtlichen Entnahme ist -wie oben ausgeführt -die Patentfähigkeit nämlich gar nicht zu prüfen. Der Einspruch wegen widerrechtlicher Entnahme zielt regelmäßig auch nicht auf die endgültige Vernichtung des Patents, sondern letztlich auf die Nachanmeldung mit Entnahmepriorität gemäß § 7 Abs. 2 PatG im Falle des Widerrufs oder auf die sog. Vindikation nach § 8 PatG im Falle der Aufrechterhaltung des Patents.
Des Weiteren beruht der durch Beschluss ausgesprochene Widerruf wegen widerrechtlicher Entnahme auf der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, weil die Patentinhaberin mit dem ungewöhnlichen Aufgreifen dieses von der Einsprechenden verspätet vorgebrachten Widerrufsgrundes ohne einen verfahrensleitenden Hinweis analog § 139 Abs. 2 ZPO nicht zu rechnen brauchte. Insbesondere ist der Patentinhaberin der -einen neuen Einspruchsgrund enthaltende -Schriftsatz vom 13. Januar 2003 nicht einmal zugestellt, sondern nur formlos übersandt worden (vgl. aber Einspruchsrichtlinien des DPMA vom 26. Juni 2002 unter IV. 2. "Zustellung von Schriftsätzen" in BlPMZ 2002, 269, 273).
Infolgedessen durfte die Patentabteilung den von der Einsprechenden zu einer widerrechtlichen Entnahme erstmals im Schriftsatz vom 13. Januar 2003 vorgetragenen Sachverhalt auch nicht überraschend im Widerrufsbeschluss als unstreitig werten. Die Anwendung der Geständnisfiktion durch Nichtbestreiten widerspricht übrigens auch der Inanspruchnahme der Prüfungskompetenz von Amts wegen. Denn § 138 Abs. 3 ZPO gilt nur im Rahmen des Beibringungsgrundsatzes, jedoch nicht im Bereich des Untersuchungsgrundsatzes (vgl. Thomas/Putzo a. a. O. § 138 Rdn. 13, 14).
d) Auch materiellrechtlich begegnet die Feststellung der Patentabteilung im angefochtenen Beschluss Bedenken, es liege ein Sachverhalt der widerrechtlichen Entnahme gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 3 PatG vor.
Nähere Ausführungen erübrigen sich hier. Allerdings wird lediglich darauf hingewiesen, dass die Einsprechende bereits ihren Erfindungsbesitz nicht schlüssig vorgetragen hat. Denn die beiden technischen Zeichnungen D7a und D7b sind zwar firmenmäßig mit "S..." gekennzeichnet, wiesen aber seitlich links am Rand folgenden -von der Einsprechenden offenbar gebilligten -Vermerk auf:
"Für diese Vorlage behält sich H...l bzw. S... GmbH & Co. KG die Rechte aus der Urheberund Patenterteilung oder eines anderen gewerblichen Schutzrechtes vor. ..."
Schriftsätzlich hat die Einsprechende vorgetragen, Herr M. könne nicht bestreiten, dass er mit den Ideen von Herrn H... (S...) sehr vertraut gewesen sei. Die auf den Zeichnungen vorhandenen Aufdrucke belegten die Widerrechtlichkeit der Entnahme. Dort behalte sich Herr H... alle Rechte vor.
Da H... nicht mit der Einsprechenden identisch und die Inanspruchnahme durch die Einsprechende nicht dargelegt worden ist, ergibt sich der Erfindungsbesitz der Einsprechenden daraus nicht.
e) Im Übrigen ist eine Entscheidung der Patentabteilung wegen der -ihr damals nicht bekannten -zuvor am 12. November 2002 erfolgten Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Einsprechenden unzulässig ergangen.
Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurde das Einspruchsverfahren gemäß § 240 ZPO, der in den justizförmigen Verfahren des Patentamts analog angewandt wird, unterbrochen (vgl. Schulte a. a. O. Einl. Rdn. 178, 179, 341, 342; Benkard a. a. O. § 59 Rdn. 53 d). Dennoch ergangene Entscheidungen sind zwar wirksam, aber anfechtbar (vgl. Thomas/Putzo a. a. O. § 249 Rdn. 9; Schultea. a. O. Einl. Rdn. 344).
Der angefochtene Beschluss der Patentabteilung begründet seine Entscheidung mit dem Vortrag aus dem Schriftsatz vom 13. Januar 2003, welcher der Einsprechenden entgegen dem äußeren Anschein nicht zugerechnet werden kann. Die Anwälte der Einsprechenden handelten zu dieser Zeit ohne Vertretungsvollmacht, weil ihre Vollmacht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 117 Abs. 1 InsO bereits erloschen war. Da die Verwaltungsund Verfügungsbefugnis mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Insolvenzverwalter übergegangen war (§ 80 InsO), wären auch Verfahrenserklärungen der Einsprechenden selbst gemäß § 81 InsO unwirksam gewesen.
3. Die gemäß § 240 ZPO eingetretene Unterbrechung des Einspruchsverfahrens endete gemäß § 85 Abs. 2 InsO, nachdem der Insolvenzverwalter im Mai 2008 die Aufnahme des Einspruchsbeschwerdeverfahrens abgelehnt hatte, mit der Erklärung der Patentinhaberin im August 2008, dass sie das Verfahren aufnimmt.
Der Senat setzt das Einspruchsbeschwerdeverfahren analog § 61 Abs. 1 Satz 2 PatG ohne die Einsprechende fort. Nachdem der Insolvenzverwalter die Aufnahme des Verfahrens abgelehnt hat, die Gesellschaft der Einsprechenden im Handelsregister gelöscht worden ist, der damalige Geschäftsführer und Liquidator verschollen oder sogar verstorben ist und ein Rechtsnachfolger nicht ermittelt werden konnte, ist davon auszugehen, dass der Einspruch mit der Einsprechenden entfallen ist. Diese Situation erscheint rechtlich mit der Rücknahme des Einspruchs vergleichbar, wenn die Patentinhaberin Beschwerde eingelegt hat (vgl. BPatGE 1, 78 f.; Schulte a. a. O. § 59 Rdn. 247; Beschluss des 12. Senats vom 19. Januar 2009 -Az. 12 W (pat) 366/03 -Scherenhubtisch).
Die Fortsetzung des Verfahrens gemäß § 61 Abs. 1 Satz 2 PatG analog umfasst jedoch nicht den Widerrufsgrund der widerrechtlichen Entnahme, und zwar nicht nur deshalb, weil die Patentabteilung diesen rechtsfehlerhaft als entscheidungserheblich angesehen hat, sondern auch, weil die Regelung der Verfahrensfortführung ohne den Einsprechenden im Bereich der widerrechtlichen Entnahme nicht anwendbar ist.
Wie der Senat bereits oben ausgeführt hat, kann der Widerrufsgrund der widerrechtlichen Entnahme, der nur vom Verletzten geltend gemacht werden darf und nur in dessen Individualinteresse, nicht aber im öffentlichen Interesse liegt, nicht ohne Vorliegen eines (auch) insoweit zulässigen Einspruchs von Amts wegen aufgenommen, verfolgt oder fortgeführt werden.
Bei der Einführung der Regelung der Verfahrensfortsetzung ohne den Einsprechenden in § 35c Abs. 1 Satz 2 PatG a. F. durch das Gemeinschaftspatentgesetz vom 26. Juli 1979 (BlPMZ 1979, 266, 272), die mit § 61 Abs. 1 Satz 2 PatG übereinstimmt, ist an den Sonderfall der widerrechtlichen Entnahme offenbar nicht gedacht worden. Der Gesetzgeber hat die Fortführung des Einspruchsverfahrens im Falle der Rücknahme des Einspruchs vorgesehen, da sich die Verfahrensweise, das vom Einsprechenden mitgeteilte Material im Falle seines Ausscheidens im allgemeinen Interesse von Amts wegen zu berücksichtigen, bewährt habe. Dadurch werde zugleich eine weitgehende Anpassung an die im europäischen Patentrecht geregelte -fakultative -Fortsetzung des Verfahrens vorgenommen (vgl. Begründung zum Gemeinschaftspatentgesetz zu § 35c in BlPMZ 1979, 276, 287). Das europäische Patentrecht kennt jedoch die widerrechtliche Entnahme als Widerrufsoder Einspruchsgrund nicht (vgl. Schulte a. a. O. § 21 Rdn. 2, 3, 9, 40, § 59 Rdn. 5). "Das auch im allgemeinen Interesse liegende Einspruchsverfahren" (vgl. Begr. GPatG BlPMZ 1979, 287) kann sich somit lediglich auf patenthinderndes Material im Zusammenhang mit dem Widerrufsgrund nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG, aber nicht auf eine vormals durch den ausgeschiedenen Einsprechenden geltend gemachte widerrechtliche Entnahme beziehen. Dies erlaubt die einschränkende Auslegung des § 61 Abs. 1 Satz 2 PatG, die Fortsetzung des Einspruchsverfahrens hinsichtlich widerrechtlicher Entnahme auszuschließen.
Der Bundesgerichtshof hat -soweit ersichtlich -zu dieser Frage noch keine Entscheidung getroffen. In einem obiter dictum in seiner "Lichtfleck"-Entscheidung vom 16. Dezember 1993 (GRUR 1996, 42, 44) hat er aber deutlich auf seine tendenzielle Rechtsansicht hingewiesen, dass trotz des Wortlauts des § 61 Abs. 1 Satz 2 PatG, der nicht zwischen den einzelnen Widerrufsgründen unterscheide, der Widerrufsgrund des § 21 Abs. 1 Nr. 3 PatG nicht berücksichtigt werden könne, wenn der Verletzte seinen Einspruch zurücknehme. Im Falle der Rücknahme seines Einspruchs zeige der Verletzte nämlich, dass er kein Interesse mehr an einer Sachentscheidung über den Widerruf des Patents habe. Wenn ausschließlich die widerrechtliche Entnahme Gegenstand des Einspruchsverfahrens gewesen sei, möge dieser Interessenwegfall des Verletzten eine Ausnahme von der dem Interesse der Allgemeinheit dienenden Regelung des § 61 Abs. 1 Satz 2 PatG auch rechtfertigen, weil eine Prüfung der sachlichen Patentberechtigung nur auf Antrag als Verletzten stattfinde.
Der erkennende Senat hält seine in der "Aktivkohle"-Entscheidung vom 14. Juli 2003 geäußerten, aber nicht entscheidungserheblichen Bedenken nicht aufrecht (BPatGE 47, 141, 143).
Die für das Verfahren vor dem Patentamt geltenden Einspruchsrichtlinien ordnen bereits seit denen vom 22. März 1982 an (vgl. BlPMZ 1982, 142, 145; 2002, 269, 275; 2007, 49, 56):
"Bei Zurücknahme (Rücknahme) eines Einspruchs, in dem (eine) widerrechtliche Entnahme geltend gemacht ist, kann dieser nicht von Amts wegen nachgegangen werden, da nur der Verletzte zu ihrer Geltendmachung berechtigt ist."
Die herrschende Rechtsauffassung geht zutreffend davon aus, dass entgegen dem Wortlaut des § 61 Abs. 1 Satz 2 PatG das Einspruchsverfahren nicht mehr mit der Prüfung der widerrechtlichen Entnahme fortgesetzt werden darf, wenn der Verletzte seinen Einspruch zurückgenommen hat (vgl. BPatGE 36, 213; Kraßer, Patentrecht a. a. O. S. 606; Schulte a. a. O. § 21 Rdn. 42; Benkard a. a. O. § 21 Rdn. 18; Busse a. a. O. § 21 Rdn. 38).
Ebenso muss auch die Fortsetzung eines Einspruchsverfahrens von Amts wegen ausgeschlossen sein, wenn und soweit der Verletzte seine Rechte wegen widerrechtlicher Entnahme aus anderen Gründen nicht selbst im eigenen Interesse verfolgen kann, insbesondere weil er ohne Rechtsnachfolger erloschen ist.
Die Reichweite des Untersuchungsgrundsatzes nach § 61 Abs. 1 Satz 2 PatG kann jedoch nicht anders bemessen werden als die erstinstanzliche Prüfungskompetenz über einen zulässigen Einspruch hinaus. Wenn der BGH in seiner "Aluminium-Trihydroxid"-Entscheidung (GRUR 1995, 333, 335) aus der Regelung des § 61 Abs. 1 Satz 2 PatG die Beschränkung der Dispositionsmaxime und den unbegrenzten Untersuchungsgrundsatz hinsichtlich sämtlicher Widerrufsgründe entnimmt und daraus die weite erstinstanzliche Prüfungsbefugnis im gesamten Rahmen des § 21 Abs. 1 PatG ableitet, trifft dies nach Ansicht des Senats auf die widerrechtliche Entnahme gerade nicht zu.
Demnach kann auch der Senat eine widerrechtliche Entnahme nicht prüfen und über sie entscheiden. Der angefochtene, den Widerruf wegen widerrechtlicher Entnahme aussprechende Beschluss der Patentabteilung ist aufzuheben.
Der Senat hat lediglich über die zulässig geltend gemachten Widerrufsgründe des § 21 Abs. 1 Nr. 1 und 2 PatG zu entscheiden, und zwar gemäß § 61 Abs. 1 Satz 2 PatG auch nach Wegfall der Einsprechenden.
4.
Der geltende Patentanspruch 1 betrifft ein Verfahren zur Entsorgung von Munition, bei dem diese in einem druckfesten Gehäuse unter kontrollierten Bedingungen zur Auslösung einer Explosion gebracht wird, deren Endprodukte ungefährlich sind, sowie eine Vorrichtung zur Entsorgung von Munition mit einemdruckfesten Gehäuse, in dem die Munition unter kontrollierten Bedingungen zur Auslösung einer Explosion bringbar ist, deren Endprodukte ungefährlich sind.
Zur Entsorgung von Sprengstoffen oder Explosivstoffen ist es bekannt, diese in ein druckfestes Gehäuse einzubringen und dort kontrolliert zur Detonation zu bringen (WO 97/43594 A1). Bei diesen bekannten Vorrichtungen bzw. Verfahren wird als nachteilig gesehen, dass die Entsorgung nur chargenweise stattfinden könne und der Ablauf der Reaktion schwer steuerbar sei (vgl. Abs. 0003 der Patentschrift).
Aus D1 (= US 5 582 119 A) sind ein Verfahren und eine Vorrichtung bekannt, bei dem bzw. der explosive Abfall in einem druckfesten Gehäuse zur Explosion gebracht wird. Im unteren Bereich des Innenraums des Gehäuses befindet sich ein Bett aus granularem Material, das insgesamt auf eine Temperatur gebracht wird, welche der Zündtemperatur entspricht. Der explosive Abfall (z. B. Artilleriemunition) fällt durch eine Einlassöffnung in den Innenraum des Gehäuses, wo er auf oder in das heiße Bett trifft und bei Berührung mit diesem explodiert (vgl. dort Sp. 4, Z. 60 bis 63 und Sp. 8, Z. 28 bis 47).
Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, sowohl ein Verfahren der eingangs genannten Art so fortzubilden, dass ein kontinuierlicher Betrieb möglich und der Ablauf der Reaktion gut kontrollierbar ist (vgl. Abs. [0005] der Patentschrift), als auch eine Vorrichtung der eingangs genannten Art so auszugestalten, dass sie kontinuierlich betrieben und die Entsorgungsreaktion gut kontrolliert werden kann (vgl. Abs. [0014] der Patentschrift).
Als Fachmann ist ein Maschinenbauingenieur (FH) der Fachrichtung Umweltverfahrenstechnik anzusehen, der sich erfahren mit Reaktoren für die Entsorgung von Gefahrgut, insbesondere von Sprengstoffen und Munition befasst.
5.
Der Einspruchsgrund nach § 21 Abs. 1 Ziffer 2 (mangelnde Deutlichkeit und unvollständige Lehre) ist nicht gegeben.
Die Bedeutung des in den Ansprüchen 1 und 11 verwendeten strittigen Begriffs "Wanderbett" erschließt sich dem Fachmann aus Absatz [0007], demgemäß die zu entsorgenden Materialien gemeinsam mit dem Schüttgut in das druckfeste Gehäuse eingegeben werden, wo sich im dynamischen Gleichgewicht ein Wanderbett ausbildet. Dieses behält zwar seine äußerlich erkennbare Gestalt im Wesentlichen kontinuierlich bei; die nähere Betrachtung zeigt dabei jedoch, dass die Materialien, aus denen sich das Wanderbett bildet, kontinuierlich in Bewegung sind. Somit durchläuft das Schüttgut zusammen mit dem zu entsorgenden Material kontinuierlich den Behälter. Dies wird auch durch das im Abs. [0034] vorgestellte Beispiel untermauert.
Dem Fachmann ist bekannt, wie dem Entmischen von (fest/fest) Schüttgütern in Behältern entgegengewirkt werden kann. Es gehört nämlich zum seinem Wissen, dass durch das Verhindern eines Schüttgutkegels beim Einfüllen des Materials und durch entsprechende Behältergestaltung (Rauheit und Neigung der Behälterwandung), die einen Kernfluss im Behälter verhindert, der Entmischung vorgebeugt werden kann. Durch den Einsatz ihm bekannter Kühlungsvorrichtungen, wie sie beispielsweise Gegenstand des Anspruchs 24 sind, ist auch der Einsatz von Elastomeren (Anspruch 22) in einer Schicht des Gehäuses bei Verfahrenstemperaturen von über 700¡C möglich. Bei komprimierten Fluiden (Anspruch 23), z. B. Luft, sind diese Verfahrenstemperaturen ebenfalls unbedenklich.
Somit ist die Erfindung so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
6. Der Einspruchsgrund nach § 21 Abs. 1 Ziffer 1 (mangelnde Patentfähigkeit) ist ebenfalls nicht gegeben.
a) Die geltende Ansprüche 1 und 11 sind zulässig, da sie sich aus den erteilten Unterlagen und den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen herleiteten.
Hierbei sind die Merkmale des Oberbegriffs der Ansprüche 1 bzw. 11 an folgenden Stellen offenbart: ursprünglicher und erteilter Anspruch 1 bzw. 11, ursprüngliche S. 1, Z. 8 und 25 sowie Sp. 1, Z. 3 und 15 der PS ("Entsorgung von Munition") und ursprüngliche S. 9, Z. 28 bis 31 sowie Sp. 4, Z. 64 bis 66 der PS ("Auslösung einer Explosion").
Die Merkmale des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 1 sind an folgenden Stellen offenbart: ursprünglicher und erteilter Anspruch 1 i. V. m. S. 9, Z. 17 bis 23 der Anmeldeunterlagen und Sp. 4, Z. 53 -59 der PS ("die Munition bei einer Temperatur, die unterhalb der Zündtemperatur liegt, mit einem Schüttgut vermischt wird") und weiterhin ursprüngliche S. 9, Z. 26 bis 31 und Sp. 4, Z. 59 bis 66 der PS ("Explosion ausgelöst wird" und "wo die Temperatur die Zündtemperatur erreicht").
Die Merkmale des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 11 sind an folgenden Stellen offenbart: ursprünglicher und erteilter Anspruch 11 i. V. m. S. 10, Z. 4 bis 8 der Anmeldeunterlagen und Sp. 5, Z. 7 bis 10 der PS ("der Explosion entstammenden Reststoffen"), ursprüngliche S. 9, Z. 21 bis 23 und Sp. 4, Z. 56 bis 59 der PS ("wobei in der Nähe der Einlassöffnung für die Munition eine Temperatur herrscht, die unter der Zündtemperatur liegt"), S. 9, Z. 26 bis 31 der Anmeldeunterlagen und Sp. 4, Z. 61 bis 66 der PS ("die Explosion erst in einem gewissen Abstand von der Oberfläche im Inneren des Wanderbettes (16) ausgelöst wird, indem dort die Zündtemperatur erreicht wird").
b) Das Verfahren zur Entsorgung von Munition nach dem geltenden Anspruch 1 ist neu, da in keiner der Entgegenhaltungen das Merkmal offenbart ist, wonach die Munition bei einer Temperatur, die unterhalb der Zündtemperatur liegt, mit einem Schüttgut vermischt wird.
Auch die Vorrichtung zur Entsorgung von Munition nach dem geltenden Anspruch 11 ist neu, da in keiner der Entgegenhaltungen das Merkmal offenbart ist, wonach in dem Gehäuse ein sich von oben nach unten bewegendes Wanderbett im dynamischen Gleichgewicht zwischen der Zufuhr eines Schüttgutes und der Munition einerseits und dem Austrag einer Mischung aus Schüttgut und der Explosion entstammenden Reststoffen andererseits ausgebildet ist.
c) Das Verfahren zur Entsorgung von Munition nach dem geltenden Anspruch 1 und die Vorrichtung nach dem geltenden Anspruch 11 beruhen auf einer erfinderischen Tätigkeit. Aus dem dem Gegenstand des Anspruchs 1 am nächsten kommenden Stand der Technik nach der Druckschrift D1, Sp. 2, Z. 19 -33, ist es bekannt, zur Entsorgung von Munition diese in einem druckfesten Gehäuse zur Explosion zu bringen. Hierbei wird die Munition in einen Behälter eingebracht in dem sich ein auf Zündtemperatur erhitztes granulares Material befindet, in welches die Munition eingebettet werden kann. Da das explosive Material durch den Kontakt mit dem erhitzten Granulat zur Explosion gebracht wird (vgl. Sp. 2, Z. 24 bis 33) und das Material ummittelbar nach Kontakt mit den Granulat auf Zündtemperatur gebracht wird (vgl. Sp. 4, Z. 29 bis 33), kann diesem Stand der Technik keine Anregung entnommen werden, hiervon abzuweichen und die Munition vor dem Zünden bei einer Temperatur, die unterhalb der Zündtemperatur liegt, mit dem Granulat zu vermischen. Laut Abstract lehrt diese Schrift zwar das Granulat aus dem Behälter zu entnehmen und intermittierend oder kontinuierlich zu recyceln und zurückzuführen (vgl. auch, Sp. 3, Z. 12 bis 16 oder Sp. 4, Z. 60 bis 63). Zum Austragen des Materials ist jedoch lediglich eine intermittierende Vorgehensweise offenbart, da nach Sp. 8, Z. 58 -61 der Behälter erst nach 8 Stunden Verfahrensdauer geöffnet wird. Allein durch ein kontinuierliches Zurückführen des Granulats wird jedoch kein Wanderbett aus Munition und Schüttgut ausgebildet. Dies ist auch nicht angeregt, denn die Ausbildung eines Wanderbetts bedingt nicht nur eine kontinuierliche Zufuhr des Granulats und der Munition, sondern auch einen kontinuierlichen Austrag des Materials. Ein kontinuierlicher Austrag ist mit dem Verfahren bzw. der Vorrichtung nach D1 jedoch praktisch nicht durchführbar, denn mit dem Verfahren bzw. der Vorrichtung sollen explosive Materialien, z. B. auch Granaten, entsorgt werden (vgl. Sp. 1, Z. 9 -12 und Sp. 8, Z. 28), was mit einer Granulatfüllung von etwa 15 % bis 35 % (vorzugsweise 20 %) des gesamten Behältervolumens erfolgen soll (vgl. Sp. 7, Z. 32 bis 37). Bei einer solch geringen Granulatfüllung muss jedoch der Behälter im Betrieb geschlossen sein, da sonst der Explosionsdruck aus dem Behälter austreten und Anlagenteile beschädigen würde. Somit ist weder die Ausbildung eines Wanderbetts aus Munition und Schüttgut nach Anspruch 1 noch das Wanderbett im dynamischen Gleichgewicht zwischen der Zufuhr eines Schüttgutes und der Munition einerseits und dem Austrag einer Mischung aus Schüttgut und den Reststoffen der Explosion andererseits nach Anspruch 11 angeregt. Da nach der Druckschrift D1 das gesamte Granulat auf Zündtemperatur gebracht wird (vgl. Sp. 2, Z. 25 -26) und auch eine konstante Temperaturverteilung aufweisen soll (vgl. Sp. 5, Z. 45 bis 50), ist dieser Schrift kein Hinweis zu entnehmen, das Verfahren nach Anspruch 1 so zu führen, bzw. eine Einrichtung nach (Anspruch 11) vorzusehen, welches bzw. welche dafür sorgt, dass die Explosion erst in einem gewissen Abstand von der Oberfläche im Inneren des Wanderbettes ausgelöst wird, indem erst dort die Zündtemperatur erreicht wird.
In D4 ist beschrieben ein Wanderbett aus zu entsorgendem Material und Schüttgut auszubilden (vgl. insb. Sp. 2, Z. 24 bis 39). Mit diesem Verfahren bzw. dieser Vorrichtung sollen jedoch Kunststoffe und Teile organischen Sondermülls entsorgt werden, was ohne Explosion erfolgt, und daher auch keine plötzlichen Kräfteschwankungen auf die Behälterwandung ausgeübt werden. Deshalb zieht der Fachmann, der Munition entsorgen will, diese Druckschrift nicht in Betracht.
Doch selbst wenn der Fachmann in einer dennoch vorgenommenen Zusammenschau der Schriften D1 und D4 zu einem druckfesten Gehäuse käme, in dem ein Wanderbett aus Munition und Schüttgut ausgebildet wäre, könnte er hieraus keine Anregung entnehmen, die Munition bei einer Temperatur die unterhalb der Zündtemperatur liegt, mit einem Schüttgut zu vermischen, mit dem zusammen sie ein Wanderbett bildet, wie es nach dem geltenden Anspruch 1 gemäß Streitpatents vorgesehen ist. Nach D4, Sp. 2, Z. 30 -39, ist nämlich vorgesehen, das zu entsorgende Gut mit einem aufgeheizten Wärmeträger zu vermischen, wobei die Entgasung bzw. die Verkokung sofort einsetzt und somit -wie der Fachmann ohne Weiteres erkennt -der aufgeheizte Wärmeträger bereits eine Temperatur entsprechend bzw. oberhalb der Zündtemperatur aufweisen muss. Aus dieser Zusammenschau ist auch keine Anregung für das Merkmal des geltenden Anspruchs 11 zu entnehmen, wonach eine Einrichtung vorgesehen ist, welche dafür sorgt, dass die Explosion erst in einem gewissen Abstand von der Oberfläche im Inneren des Wanderbettes ausgelöst wird, indem dort die Zündtemperatur erreicht wird, denn nach D1 soll das gesamte Granulat auf Zündtemperatur gebracht werden (vgl. Sp. 2, Z. 25 -26) sowie eine konstante Temperaturverteilung aufweisen (vgl. Sp. 5, Z. 47) und nach D4 soll, die Reaktion, wie bereits oben ausgeführt, sofort beim Kontakt mit dem aufgeheizten Wärmeträger einsetzen.
Die anderen Entgegenhaltungen (D2, D3, D5, D8, P1, P2) liegen ferner, da ihnen schon die Mischung von Munition und Schüttgut fehlt, weshalb auch hieraus weder ein Hinweis auf die Ausbildung eines Wanderbetts aus Munition und Schüttgut nach Anspruch 1 noch auf das Wanderbett nach Anspruch 11 zu entnehmen sind.
Da die Gegenstände der Ansprüche 1 und 11 in der beschränkten Fassung zweifelsfrei auch gewerblich anwendbar sind, sind die geltenden Ansprüche 1 und 11 patentfähig.
d) Dies gilt auch für die hierauf rückbezogenen Ansprüche 2 bis 10 bzw. 11 bis 25, die jeweils vorteilhafte Ausgestaltungen des Verfahrens nach dem geltenden Anspruch 1 bzw. der Vorrichtung nach dem geltenden Anspruch 11 zum Inhalt haben.
Dr. Maier v. Zglinitzki Dr. Fritze Rothe Fa/Bb
BPatG:
Beschluss v. 12.01.2009
Az: 11 W (pat) 29/04
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/b7207686b055/BPatG_Beschluss_vom_12-Januar-2009_Az_11-W-pat-29-04