Oberlandesgericht Köln:
Beschluss vom 23. Februar 2011
Aktenzeichen: 2 Wx 41/11
(OLG Köln: Beschluss v. 23.02.2011, Az.: 2 Wx 41/11)
1. Wenn gegen die Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds durch die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft eine Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage erhoben wird, hat die Gesellschaft nicht die Möglichkeit, zur Vermeidung der mit der Rückwirkung einer stattgebenden Entscheidung verbundenen Risiken das gewählte Aufsichtsratsmitglied durch das Registergericht analog § 104 Abs. 2 AktG aufschiebend bedingt bestellen zu lassen. Eine derartige Ausweitung der Bestellungsmöglichkeiten ist dem Gesetzgeber vorbehalten.
2. Jedenfalls dannn, wenn das Registergericht einem vorsorglich gestellten Antrag auf Ergänzung des Aufsichtsrates nach § 104 Abs. 2 AktG nicht stattgeben will, ist eine Anhörung oder Benachrichtigung der bislang nicht am Verfahren beteiligten Aktionäre der Gesellschaft nach § 7 Abs. 2 und 4 FamFG entbehrlich.
Tenor
Die Beschwerde des Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Registergerichts - Bonn vom 21. Dezember 2010 - HR B 4148 - wird zurückgewiesen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beteiligte zu 2) zu tragen.
Die Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligte zu 1) (im Folgenden auch: Gesellschaft) ist eine im Handelsregister B des Amtsgerichts Bonn eingetragene Aktiengesellschaft, die durch ihren Vorstand, den Beteiligten zu 2), gesetzlich vertreten wird. Die Beteiligte zu 4) ist eine ihrer Aktionärinnen. In der Hauptversammlung vom 20. Mai 2010 ist der Beteiligte zu 3) mit einer Mehrheit von 83,42% der Aktien, für die gültige Stimmen abgegeben wurden, gegen die Stimmen der Beteiligten zu 4) zum Mitglied des Aufsichtsrates der Gesellschaft gewählt worden. Die Wahl erfolgte für die Zeit bis zur Beendigung der Hauptversammlung, die über die Entlastung der Aufsichtsratsmitglieder für das Geschäftsjahr 2014 beschließt. In einer nach der Hauptversammlung stattfindenden Sitzung des Aufsichtsrates der Gesellschaft ist der Beteiligte zu 3) zum Vorsitzenden des Aufsichtsrates gewählt worden. Die Beteiligte zu 4) hat gegen mehrere Beschlüsse der Hauptversammlung und auch gegen die Wahl des Beteiligten zu 3) bei dem Landgericht Köln eine Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage eingereicht. Wegen der Einzelheiten des Prozessvortrages in diesem Verfahren (Az. 82 O 12/10 Landgericht Köln) wird auf die in Kopie zu den Akten gereichte Klageschrift der Beteiligten zu 4) (Bl. 1602 ff d.A.) und der Klageerwiderung der Beteiligten zu 1) (Bl. 1634 ff. d.A.) verwiesen. Die Anfechtung der Wahl des Beteiligten zu 3) wird sowohl auf formelle Fehler - insbesondere Informationsmängel in der Hauptversammlung und Verletzungen des Auskunftsrechtes - gestützt als auch darauf, dass dem Beteiligten zu 3) Pflichtverstöße vorzuwerfen seien, die seiner Wiederwahl entgegenstünden.
Mit einem am 1. Oktober 2010 bei dem Amtsgericht Bonn eingegangenen Schriftsatz (Bl. 1571 ff. d.A.) hat der Beteiligte zu 2) beantragt,
den Beteiligten zu 3), Herrn E. C. zum Mitglied des Aufsichtsrates der Beteiligten zu 1) zu bestellen, aufschiebend bedingt durch die rechtskräftige, stattgebende Entscheidung über die vor dem Landgericht Köln anhängige Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklage betreffend seine Wahl durch die Hauptversammlung am 20. Mai 2010 (Landgericht Köln, Az. 82 O 12/10), hilfsweise unbedingt, und zwar mit Wirkung ab dem Zeitpunkt der Ausfertigung des beantragten Beschlusses der gerichtlichen Bestellung bis zum Ende der nächsten Hauptversammlung, die auf die rechtskräftige, stattgebende Entscheidung über die vorgenannte Klage folgt.
Dem Antrag war eine schriftliche Einverständniserklärung des Beteiligten zu 3) beigefügt (Bl. 1598 d.A.). Der Beteiligte zu 2) hat den Antrag wie folgt begründet: Im Fall, dass der von der Beteiligten zu 4) erhobenen Anfechtungsklage stattgegeben werde, werde der Beteiligte zu 3) das Aufsichtsratsmandat rückwirkend auf den Zeitpunkt der Bestellung wieder verlieren. Nach (noch) herrschender Meinung sei damit seine Stimmabgabe in allen in der Zwischenzeit gefassten Beschlüssen des Aufsichtsrates unwirksam. Hierdurch entstehe eine für die Gesellschaft unzumutbare Rechtsunsicherheit. Daher sei eine gerichtliche Bestellung des Beteiligten zu 3) für den Fall einer erfolgreichen Anfechtungsklage bereits jetzt erforderlich, da er bei einer Beschlussfassung des Aufsichtsrates dann seine Stimme als zwar nicht als gewähltes, wohl aber als gerichtlich bestelltes Mitglied abgegeben habe. Die Voraussetzungen des § 104 Abs. 2 AktG seien hier gegeben, da - unter der genannten Bedingung einer letztlich erfolgreichen Anfechtungsklage - dem Aufsichtsrat seit mehr als drei Monaten nicht die nach Gesetz oder der Satzung der Gesellschaft erforderliche Anzahl von Mitgliedern angehört haben werde. Zumindest sei § 104 Abs. 2 AktG in Fällen der vorliegenden Art analog anzuwenden.
Bei dem Beteiligten zu 3) handele es sich um eine für die Bestellung zum Aufsichtsratsmitglied taugliche Person. Insbesondere seien die von der Beteiligten zu 4) angeführten Pflichtenverstöße nur ins Blaue hinein behauptet. Dass die Staatsanwaltschaft gegen den Beteiligten zu 3) wegen Verdachts der Untreue ermittle, sei für die Wahrnehmung eines Aufsichtsratsmandates für die Beteiligte zu 1) ohne Relevanz, da die im Ermittlungsverfahren geprüften Vorwürfe allein im Zusammenhang mit der früheren Tätigkeit des Beteiligten zu 3) als Gesellschafter einer in L. ansässigen Privatbank stünden; das Ermittlungsverfahren sei der Hauptversammlung überdies bekannt gewesen.
Eine unzulässige Einschränkung des gerichtlichen Ermessensspielraumes, wie ihn der Senat im Beschluss vom 29. März 2007 (2 Wx 4/07, FGPrax 2007, 143 = ZIP 2008, 508; Bl. 1232 ff. d.A.) angenommen habe, entstehe durch den Antrag auf aufschiebend bedingte Bestellung nicht. Denn der Ermessensspielraum des Gerichts sei ohnehin dahingehend auf Null reduziert, dass eine andere Person als der von der Hauptversammlung mit Mehrheit gewählte Beteiligte zu 3) nicht bestellt werden könne. Sollten Zweifel an der Geeignetheit der gewählten Person bestehen, so werde das Gericht hierzu die erforderlichen Feststellungen treffen müssen.
Gegen eine analoge oder direkte Anwendung des § 104 Abs. 2 AktG könne nicht eingewendet werden, dass hierdurch das Anfechtungsverfahren unterlaufen werden, da beide Verfahren unterschiedliche Zielen dienten. Jedenfalls könne es auch nicht Zweck der Anfechtungsklage sein, rechtliche Unsicherheit in Bezug auf die Wirksamkeit von Beschlüssen des Aufsichtsrates zu schaffen.
Für den Fall, dass das Gericht die aufschiebend bedingte Bestellung unter dem Gesichtspunkt ablehnen wolle, dass hierdurch die Wirkung der Anfechtungsklage auch für die Zeit nach dessen rechtskräftiger Entscheidung bis zur nächsten Hauptversammlung unzulässig unterlaufen werde, hat der Beteiligte zu 2) beantragt,
hilfsweise die aufschiebend bedingte gerichtliche Bestellung mit Wirkung ab dem Zeitpunkt der Ausfertigung des beantragten Beschlusses der gerichtlichen Bestellung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Anfechtungs- und Nichtigkeitsverfahrens vorzunehmen.
Die Beteiligte zu 4) hat beantragt, die Anträge zurückzuweisen. Sie macht sich die Argumentation des Senats in seinen Beschlüssen vom 29. März 2007 (2 Wx 4/07, a.a.O.) und vom 21. April 2009 (2 Wx 32/09; Bl. 1467 ff. d.A.) zu eigen. Dass der Gesetzgeber die durch die Rückwirkung der erfolgreichen Anfechtungsklage erzeugte Rechtsunsicherheit bewusst in Kauf genommen habe, zeige sich deutlich daran, dass er eine Änderung auch nicht aus Anlass der Verabschiedung des ARUG vorgenommen habe. In der Sache sei auch der Beteiligte zu 3) jedenfalls nicht geeignet, das Aufsichtsratsmandat wahrzunehmen, so dass aus diesem Grund das Gericht keinesfalls den Beteiligten zu 3) bestellen dürfe.
Wegen der weiteren Einzelheiten der rechtlichen Argumentation und des tatsächlichen Vortrags erster Instanz wird auf die Schriftsätze der Beteiligten zu 1) und 4) (Bl. 1571 ff., 1671 ff., 1692 ff. und 1788 ff. d.A.) nebst Anlagen verwiesen.
Das Amtsgericht hat die Anträge des Beteiligten zu 2) mit Beschluss vom 21. Dezember 2010, erlassen am 22. Dezember 2010, zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen auf die vom Senat in den Beschlüssen vom 29. März 2007 und 21. April 2009 bereits ausgeführten rechtlichen Erwägungen Bezug genommen. Wegen der Einzelheiten der Beschlussbegründung wird auf Bl. 1808 ff. Bezug genommen. Der Beschluss ist den Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 1) und 2) am 27. Dezember 2010 zugestellt worden (Bl. 1817 d.A.). Hiergegen richtet sich die am 17. Januar 2011 bei dem Amtsgericht Bonn eingegangene Beschwerde des Beteiligten zu 2), mit der er seinen erstinstanzlichen Vortrag wiederholt und vertieft. Wegen der Einzelheiten wird auf die Beschwerdeschrift Bl. 1819 ff. Bezug genommen. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 9. Februar 2011 der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten zu 1) und 4) seit Antragstellung am 1. Oktober 2010 gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Registerakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere innerhalb der in § 63 Abs. 1 FamFG bestimmten Frist eingelegt. Der Beteiligte zu 2) ist nach § 59 Abs. 2 FamFG beschwerdebefugt, da das Amtsgericht den von ihm gestellten Antrag zurückgewiesen hat.
Die Beschwerde ist jedoch in der Sache nicht begründet. Zu Recht hat das Amtsgericht den Antrag des Beteiligten zu 2) auf aufschiebend bedingte Bestellung des Beteiligten zu 3) zum Mitglied des Aufsichtsrates der Gesellschaft zurückgewiesen. Die Voraussetzungen einer Anordnung nach § 104 Abs. 2 AktG liegen nicht vor.
1.
Der Aufsichtsrat der Gesellschaft hat nach § 11 Abs. 1 ihrer derzeit gültigen Satzung aus neun Mitgliedern zu bestehen. Der derzeit gewählte Aufsichtsrat besteht aus neun Mitgliedern, einschließlich des Beteiligten zu 3). Dies ergibt sich zwar nicht aus dem Vortrag des Antragstellers, wohl aber aus den vom Senat von Amts wegen eingesehenen, von der Gesellschaft zum Handelsregister eingereichten Urkunden, insbesondere der Satzung in der Fassung vom 20. Mai 2010 und 14. Februar 2011 sowie der Liste der Aufsichtsratsmitglieder vom 21. Mai 2010 (Bl. 1870 ff d.A.). Im Ausgangspunkt zutreffend ist es daher, dass im Fall einer erfolgreichen Anfechtung der Wahl des Beteiligten zu 3) der Aufsichtsrat nicht mehr die nach der Satzung erforderliche Anzahl von Mitgliedern aufweisen würde.
2.
Eine gerichtliche Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern kommt jedoch nur dann in Betracht, wenn der Aufsichtsrat im Zeitpunkt der Entscheidung über den Bestellungsantrag nicht die nach Gesetz oder Satzung erforderliche Anzahl von Mitgliedern aufweist. Nicht ausreichend ist es, dass sich eine derartige Vakanz in der Zukunft - wenn auch mit Rückwirkung (vgl. zur Rückwirkung einer Anfechtungsklage in diesen Fällen nur Schmidt/Lutter/Schwab, AktG, 2. Aufl. 2010, § 252 Rn. 3) - ergeben mag. § 104 Abs. 2 AktG ist weder direkt noch analog auf den hier gegebenen Fall anzuwenden.
a) § 104 Abs. 2 AktG setzt schon nach seinem Wortlaut eine bereits bestehende, nicht erst eine zukünftig (möglicherweise) eintretende Vakanz im Aufsichtsrat voraus. Eine solche bereits bestehende Vakanz liegt hier nicht vor. Solange nicht der Wahlbeschluss rechtskräftig erfolgreich angefochten ist, gilt das Aufsichtsratsmitglied, dessen Wahl angefochten worden ist, als ordnungsgemäß bestellt (allgM; vgl. nur MüKo-Habersack, AktG, 3. Aufl. 2008, § 101 Rn. 68; Schmidt/Lutter/Schwab, a.a.O., § 252 Rn. 3). Für eine Nichtigkeit der Bestellung des Beteiligten zu 3) nach § 241 Nr. 1 oder 2, § 250 AktG liegen keine Anhaltspunkte vor. Derzeit ist daher der Aufsichtsrat der Beteiligten zu 1) als mit einer satzungsgemäßen Anzahl von Mitgliedern besetzt zu betrachten.
Unabhängig davon, ob der Vorstand bei sich abzeichnender Vakanz einen vorsorglichen Ergänzungsantrag stellen darf, kann jedenfalls eine Entscheidung über den Antrag erst dann ergehen, wenn eine Vakanz tatsächlich eingetreten ist (vgl. MüKo-Habersack, a.a.O., § 104 Rn. 14; Schmidt/Lutter/Drygala, a.a.O., § 104 Rn. 14, 16) und - außer im Falle der Dringlichkeit - drei Monate angedauert hat. Dies dient im Allgemeinen dazu, dem eigentlich zuständigen Bestellungsorgan Gelegenheit zu geben, den Aufsichtsrat nach eigenen Vorstellungen zu ergänzen (vgl. hierzu Schmidt/Lutter/Drygala, a.a.O., Rn. 14). Obwohl eine solche Ergänzung durch das zuständige Organ der Hauptversammlung in den Fällen einer anhängigen Anfechtungsklage vor einer Entscheidung des Anfechtungsverfahrens nicht in Betracht kommt, kann hier nichts anderes gelten. § 104 AktG unterscheidet nicht zwischen verschiedenen Ursachen der Vakanz. Ebenso wenig, wie daher bei absehbarer schwerer Erkrankung oder einer absehbaren dauerhaften Verhinderung eines Aufsichtsratsmitglieds aus anderen Gründen eine vorsorgliche Ergänzung durch das Gericht erfolgen dürfte, kann daher bei einer aufgrund einer (möglicherweise!) erfolgreichen Anfechtungsklage erst zukünftig eintretenden Vakanz eine vorsorgliche Ergänzung durch gerichtlichen Beschluss erfolgen. Derzeit ist somit eine gerichtliche Bestellung des Beteiligten zu 3) nicht möglich, und zwar weder aufschiebend bedingt noch unbedingt; weder bis zur nächsten Hauptversammlung nach rechtskräftigem Abschluss des Anfechtungsverfahren, noch entsprechend dem Hilfsantrag bis zum rechtskräftigen Abschluss des Anfechtungsverfahrens.
b) Auch eine analoge Anwendung des § 104 Abs. 2 AktG kommt hier nicht in Betracht. Der Senat hat hierzu in seinem Beschluss vom 29. März 2007 - 2 Wx 4/07 - (Bl. 1232 ff d.A.), auf den wegen der Einzelheiten der Argumentation Bezug genommen wird, ausgeführt, dass weder eine planwidrige Regelungslücke noch eine Vergleichbarkeit der Tatbestände vorliege. Hieran hält der Senat auch unter Berücksichtigung der Antragsbegründung des Beteiligten zu 2) fest. Dass eine von dem Beteiligten zu 2) angenommene Regelungslücke jedenfalls nicht planwidrig ist, wird bestätigt durch den Umstand, dass der Gesetzgeber auch die Verabschiedung des Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG; BGBl I, S. 2479) nicht zum Anlass genommen hat, das Problem der Rückwirkung einer erfolgreichen Anfechtungsklage zu regeln. Die Problematik der Rückwirkung einer erfolgreichen Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage gegen Beschlüsse der Hauptversammlung gem. den § 241 ff. AktG ist dem Gesetzgeber schon länger bekannt. Er hat daher durch das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts vom 22. September 2005 (BGBl I, S. 2802) das Freigabeverfahren nach § 246a AktG geschaffen. In der Folgezeit hat sich jedoch herausgestellt, dass diese Änderung nicht ausreichte, um die mit "räuberischen Aktionärsklagen" verbundenen Probleme zu beheben. Der Gesetzgeber hat sich daher im Rahmen des ARUG erneut der Thematik angenommen. Zugleich mit der Umsetzung der Aktionärsrichtlinie sollten die Regelungen zum Freigabeverfahren präzisiert und ergänzt werden (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung, BT-Drs. 16/11642, Seiten 1 und 20 f.). Unter anderem wurde das Verfahren in die Zuständigkeit des Oberlandesgerichtes gegeben und eine Unanfechtbarkeit des Beschlusses über den Freigabeantrag eingeführt. Dabei rechnete auch der Gesetzgeber damit, dass sich durch diese Maßnahmen, welche vor allem eintragungspflichtige Beschlüsse betreffen, nicht alle mit der Anfechtungsklage verbundenen Problemlagen beseitigen lassen. Eine umfassende Reform des Beschlussmängelrechts wurde jedoch einem späteren Gesetzentwurf vorbehalten (vgl. den Beratungsbericht und die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drs. 16/13098, Seite 35, wo die im Rahmen des ARUG beschlossenen Maßnahmen als "Sofortmaßnahmen" bzw. als "erster Schritt" bezeichnet werden). Somit hat der Gesetzgeber eine Regelung der ihm bekannten Problematik der Rückwirkung von Anfechtungsklage derzeit bewusst unterlassen und insbesondere weder das Freigabeverfahren auf die Klagen gem. den §§ 250 f. AktG erstreckt, noch - was ohne weiteres möglich gewesen wäre - den Anwendungsbereich des § 104 AktG erweitert. Auch der Referentenentwurf für ein Gesetz zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2011; abzurufen unter http://www.bmj.bund.de/Themen//Handels- und Wirtschaftsrecht/ Gesellschaftsrecht) enthält wiederum nur eine punktuelle Änderung im Bereich der Beschlussmängelklagen.
Wenn nunmehr das Gericht anstelle des Gesetzgebers, der die Rückwirkungsproblematik gesehen hat, eine Vorschrift (hier: § 104 Abs. 2 AktG) mit dem Ergebnis entsprechend anwendete, dass die gesetzlich vorgesehene Rückwirkung einer Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklage jedenfalls tatsächlich beseitigt wird, würde es die Grenzen einer rechtlich zulässigen Analogie verlassen und anstelle des insoweit zuständigen Gesetzgebers eine Regelung treffen. Bei dieser Sachlage kann von einer planungswidrigen Regelungslücke nicht ausgegangen werden.
Unabhängig hiervon fehlt es auch an einer vergleichbaren Interessenlage. Auch hierzu nimmt der Senat auf seine Ausführungen im Beschluss vom 29. März 2007 Bezug. Hiervon abzuweichen besteht kein Anlass. § 104 AktG hat nicht den Sinn, die Rückwirkung einer Anfechtungsklage der Sache nach zu beseitigen. Richtig ist zwar der Einwand des Antragstellers, es sei nicht Zweck der Anfechtungsklage, rechtliche Unsicherheit in Bezug auf die Wirksamkeit von Beschlüssen des Aufsichtsrates zu schaffen. Die rechtliche Unsicherheit ist sicher nicht (legitimer) Zweck einer Anfechtungsklage, wohl aber deren durch den Gesetzgeber und Teile der Literatur in Kauf genommene Folge.
Die Nichtanwendbarkeit des § 104 AktG auf Fälle der vorliegenden Art gilt unabhängig davon, dass der Beteiligte zu 3) hier auch Vorsitzender des Aufsichtsrates ist und daher die Wirkungen einer erfolgreichen Anfechtungsklage für die Beteiligte zu 1) besonders gravierend wären. Die Wahl zum Vorsitzenden des Aufsichtsrates beruht auf einem internen Organisationsakt des Aufsichtsrates; hiervon kann die Frage der Anwendbarkeit oder Nichtanwendbarkeit eines Gesetzes nicht abhängen.
c) Ebenso hält der Senat an seiner bereits im Beschluss vom 29. März 2007 - 2 Wx 4/07 - dargelegten Auffassung fest, dass eine aufschiebend bedingte Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern das Registergericht in unzulässiger Weise in seinem Auswahlermessen beeinträchtigen würde. Auch der Antragsteller räumt ein, dass die aus der Rückwirkung der Anfechtungsklage resultierende Problematik rückwirkend unwirksamer Aufsichtsratsbeschlüsse nur dadurch auszuräumen ist, dass gerade diejenige Person gerichtlich bestellt wird, deren Wahl angefochten ist. Der Antragsteller rechtfertigt dies jedoch damit, dass ohnehin eine Ermessenreduzierung auf Null dahingehend vorliege, dass zwingend das von der Mehrheit der Hauptversammlung gewählte Mitglied auch gerichtlich bestellt werden müsse. Die Annahme einer derartigen Ermessensreduzierung, die zu einem Automatismus bei der gerichtlichen Bestellung führen würde, wird aber vom Senat schon im Grundsatz nicht geteilt. Das Gericht hat bei der Ergänzung des Aufsichtsrates seine Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen, welches neben den gesetzlichen Kriterien des § 104 Abs. 4 AktG vor allem an den Interessen des Unternehmens auszurichten ist (vgl. OLG München, FGPrax 2006, 228, 229; Schmidt/Lutter/Drygala, a.a.O., § 104 Rn. 9; MüKo-Habersack, a.a.O., § 104 Rn. 31). Dabei ist die Willensäußerung von Organen der Gesellschaft - hier der Wahl durch die Hauptversammlung - zwar ein gewichtiges, keineswegs aber das einzige Kriterium. Eine von der Wahlentscheidung abweichende gerichtliche Entscheidung kann z.B. dann in Betracht kommen, wenn im gerichtlichen Verfahren eine (hervorragend geeignete) Person vorgeschlagen wird, die zum Zeitpunkt der Hauptversammlung noch gar nicht zur Wahl stand und daher auch bei der Wahl nicht berücksichtigt werden konnte, oder wenn umgekehrt eine gewählte Person zwischenzeitlich die persönliche Eignung verloren hat. Selbst dann, wenn die Anfechtungsklage auf rein formelle Gründe gestützt wird, die auf die persönliche Eignung des Gewählten ohne Einfluss sind, kann daher eine Ermessensreduzierung auf Null nicht angenommen werden.
Jedenfalls aber dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Anfechtungsklage inzidenter auch mit Pflichtverletzungen des betroffenen Aufsichtsratsmitglieds begründet wird, aus denen auf eine mangelnde Eignung des Kandidaten auch für die zukünftige Tätigkeit infolge einer Interessenkollision geschlossen werden kann, kann die These von der Ermessensreduzierung auf Null nicht aufrecht erhalten werden (so auch Vetter/van Laak, ZIP 2008, 1806, 1812; vgl. zum Interessenkonflikt als Anfechtungsgrund und als Ermessenskriterium bei der gerichtlichen Bestellung: OLG Schleswig, BB 2004, 1187; Schmidt/Lutter/Schwab, a.a.O., § 251 Rn. 1; Schmidt/Lutter/Drygala, a.a.O., § 104 Rn. 9). Denn entweder wird die Anfechtungsklage abgewiesen, dann wird aber auch die aufschiebend bedingte Bestellung gegenstandslos. Oder der Anfechtungsklage wird stattgegeben: in diesem Fall würde sich die gerichtliche Bestellung des ursprünglich Gewählten im Nachhinein gerade als ermessensfehlerhaft erweisen. Es wäre dann eine Person gerichtlich zum Aufsichtsrat bestellt, dessen infolge von Pflichtverletzungen und Interessenkollisionen mangelnde Eignung das mit der Anfechtungsklage befasste Gericht gerade bestätigt hätte.
Aus diesem Dilemma führt auch nicht heraus, wenn man annimmt, dass das Registergericht im Verfahren nach § 104 AktG die persönliche Eignung des Gewählten und vorgeschlagenen Kandidaten zuvor zu überprüfen habe. Zum einen widerspricht der Antragsteller mit der Annahme einer Ermittlungspflicht des Registergerichts nach § 26 FamFG seiner zuvor aufgestellten These einer stets vorliegenden Ermessensreduzierung auf Null. Zum zweiten führt auch dies nicht zu einer Lösung des Problems: gerade dann, wenn das Registergericht eine fehlende persönliche Eignung des Vorgeschlagenen ermittelt, und deshalb ein Erfolg der auf dieselben Gründe gestützten Anfechtungsklage wahrscheinlich ist - mit der weiteren Folge, dass auch eine Vakanz im Aufsichtsrat wahrscheinlich ist - wäre das Registergericht gehindert, der drohenden Vakanz durch gerichtliche Bestellung des Vorgeschlagenen entgegen zu wirken. Das Registergericht kann den Gewählten daher nur dann bestellen, wenn sich seine persönliche Eignung erwiesen hat. Dann aber wäre auch eine hierauf gestützte Anfechtungsklage abzuweisen und eine gerichtliche Bestellung daher letztlich nicht notwendig.
Auf die Gefahr widersprechender Entscheidungen zwischen Registergericht und Prozessgericht wurde weiter oben bereits hingewiesen. Hiergegen kann nicht eingewandt werden, die Bestellungsentscheidung des Registergerichts entfalte materielle Rechtskraft mit der Folge, dass auch das Prozessgericht der Anfechtungsklage anschließend von der persönlichen Eignung des gerichtlich Bestellten ausgehen müsse (so aber Fett/Theusinger, AG 2010, 425, 431). Dabei mag die Frage dahinstehen, inwieweit ein Bestellungsbeschluss nach § 104 AktG neben seiner statusbegründenden Wirkung überhaupt materielle Rechtskraft entfalten kann (beides verwechselnd offenbar Fett/Theusinger, a.a.O.). Jedenfalls würde aber nur der Beschlusstenor in materielle Rechtskraft erwachsen können, nicht aber einzelne Elemente seiner Begründung, wie hier eventuelle Darlegungen zur persönlichen Eignung der bestellten Person durch das Registergericht (vgl. BGH NJW 2003, 3058, 3059; NJW 2008, 2716; Keidel/Engelhardt, FamFG, 16. Aufl. 2009, § 45 Rn. 7; Bahrenfuss/Rüntz, FamFG, 2009, § 45 Rn. 7).
d) Der Senat verkennt nicht, dass durch die fehlende Möglichkeit einer vorsorglichen Ergänzung des Aufsichtsrates für die betroffenen Gesellschaften Rechtsunsicherheit entsteht. Diese liegt darin begründet, dass bis zum Abschluss des Verfahrens über die Anfechtung unsicher ist, ob bereits gefasste Beschlüsse des Aufsichtsrates, bei denen es auf die Stimme des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds ankam, Bestand haben werden oder nicht. Diesem Problem kann und muss aber nach Ansicht des Senats auf andere Art und Weise begegnet werden. In Betracht kommt hier (neben einer Gesetzesänderung) auch, dass die Stimmabgabe des Aufsichtsratsmitglieds, dessen Wahl angefochten ist, auch bei erfolgreicher Anfechtungsklage weiterhin als gültig angesehen wird, wie dies in der Literatur zum Teil bereits vertreten wird (vgl. etwa Schmidt/Lutter/Drygala, a.a.O., § 101 Rn. 35 ff., der die "Lehre vom fehlerhaften Organ" auf den fehlerhaft besetzten Aufsichtsrat anwenden will mit der Folge, dass die Stimmabgabe der Mitglieder des Aufsichtsrates weiterhin als wirksam angesehen wird). Soweit der Antragsteller anführt, durch eine seinem Antrag stattgebende Entscheidung des Senats könne diese in der Sache sinnvolle, im Vordringen befindliche Auffassung untermauert werden, kann der Senat dieser Argumentation nicht folgen. Zum einen kann eine derartige rechtspolitische Erwägung wie die Unterstützung einer bestimmten Literaturmeinung nicht die Grenzen der zulässigen Gesetzesauslegung erweitern, die hier mit der entsprechenden Anwendung des § 104 Abs. 2 AktG überschritten wäre. Zum anderen würde jedoch eine stattgebende Entscheidung keineswegs die vorzitierte Literaturmeinung untermauern und stützen, sondern vielmehr überflüssig machen. Könnte und müsste in jedem Fall der Anfechtungsklage gegen einen Wahlbeschluss der Gewählte auf Antrag hin gerichtlich bestellt werden, bedürfte es der Lehre vom fehlerhaften Organ nicht mehr, um die Wirksamkeit der bis zur Entscheidung über die Anfechtungsklage getroffenen Beschlüsse des Aufsichtsrates sicherzustellen.
3.
Der Senat hat im Verfahren davon abgesehen, weitere Aktionäre der Gesellschaft nach § 7 Abs. 2 und 4 FamFG als Beteiligte hinzuzuziehen oder von der Einleitung des Verfahrens zu benachrichtigen (vgl. zu der Frage, ob deren Rechte unmittelbar betroffen sind: Fett/Theusinger, AG 2010, 425, 433 ff.). Jedenfalls dann, wenn der Antrag auf gerichtliche Ergänzung des Aufsichtsrates abgewiesen wird, erscheint dies zur Wahrung der Rechte der übrigen Aktionäre nicht erforderlich. Soweit die Aktionäre ebenso wie die Beteiligte zu 4) gegen die Wahl des Beteiligten zu 3) gestimmt haben, wird ihrer Ablehnung des Beteiligten zu 3) als Aufsichtsratsmitglied mit dem vorliegenden Beschluss entsprochen. Soweit andere Aktionäre für den Beteiligten zu 3) gestimmt haben, wird diese Wahlentscheidung durch eine unterlassene gerichtliche Bestellung nicht beeinträchtigt. Die Organisationsgewalt der Hauptversammlung wird durch die vorliegende gerichtliche Entscheidung weder übergangen noch außer Kraft gesetzt.
4.
Die Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss war nach § 70 Abs. 2 FamFG zuzulassen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Senat mit der vorliegenden Entscheidung von der Entscheidung des OLG München vom 18. Januar 2006 - 7 U 3729/05 abweicht, wie der Antragsteller meint, oder ob dem ein nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde lag, wie die Beteiligte zu 4) anführt. Die Rechtsfrage, ob eine aufschiebend bedingte Bestellung von noch dem Aufsichtsrat angehörenden Mitgliedern in Betracht kommt, ist von grundsätzlicher Bedeutung. Anfechtungsklagen gegen den Wahlbeschluss einer Hauptversammlung zur Bestellung eines Aufsichtsratsmitglieds können in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen auftreten. Diese Anfechtungsklagen bringen stets die oben beschriebene Unsicherheit über die Wirksamkeit derjenigen bis zur rechtskräftigen Entscheidung gefassten Beschlüsse des Aufsichtsrates mit sich, bei welchen es auf die Stimme desjenigen ankommt, dessen Wahl angefochten ist. Dies kann für das betroffene Unternehmen zu oft jahrelang andauernden Unsicherheiten führen, ob auf der Grundlage dieser Aufsichtsratsbeschlüsse unternehmerische Entscheidungen gefasst und/oder umgesetzt werden sollten. Die Frage, ob diese Unsicherheiten durch eine gerichtliche Bestellung eines Aufsichtsratsmitglieds aufgefangen werden können, ist daher für die betroffenen Verkehrskreise von erheblichem Gewicht (vgl. zu den vorstehenden Kriterien für die Annahme einer grundsätzlichen Bedeutung BGH NJW 2003, 65, 68 und 1943, 1944 f.; Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 16. Aufl. 2009, § 70 Rn. 21; Bahrenfuss/Joachim, FamFG, 2009, § 70 Rn. 5).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.
Der Geschäftswert wird auf 15.000,00 Euro festgesetzt (entsprechend der Wertfestsetzung im Verfahren 2 Wx 4/07).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde gegeben. Sie ist binnen einer Frist von einem Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe dieses Beschlusses durch Einreichung einer in deutscher Sprache abgefassten und unterschriebenen Beschwerdeschrift eines beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalts beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe (Postanschrift: Bundesgerichtshof, 76125 Karlsruhe) einzulegen.
Die Rechtsbeschwerdeschrift muss die Bezeichnung des Beschlusses, gegen den die Rechtsbeschwerde gerichtet wird, und die Erklärung enthalten, dass gegen diesen Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt wird.
Sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, ist die Rechtsbeschwerde binnen einer Frist von einem Monat zu begründen; diese Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe dieses Beschlusses und kann auf Antrag durch den Vorsitzenden des Rechtsbeschwerdegerichts (Bundesgerichtshof) verlängert werden.
Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss enthalten:
die Erklärung, inwieweit der Beschluss angefochten und dessen Aufhebung beantragt wird (Rechtsbeschwerdeanträge), die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe, und zwar
die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt; soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.
OLG Köln:
Beschluss v. 23.02.2011
Az: 2 Wx 41/11
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