Bundespatentgericht:
Urteil vom 8. Juni 2011
Aktenzeichen: 5 Ni 71/09
(BPatG: Urteil v. 08.06.2011, Az.: 5 Ni 71/09)
Tenor
I. Das europäische Patent 0 340 643 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte war eingetragene Inhaberin des zwischenzeitlich durch Zeitablauf erloschenen, mit Wirkung auch für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 340 643 (Streitpatent), das am 27. April 1989 unter Inanspruchnahme der Priorität der US-amerikanischen Patentanmeldung 183507 vom 3. Mai 1988 angemeldet worden war und vom Deutschen Patentund Markenamt unter der Nummer DE 689 18 326 geführt wird.
Das in der Verfahrenssprache Englisch veröffentlichte Streitpatent trägt die Bezeichnung "Dynamic control menu for a television system or the like" ("Dynamische Steuerungsauswahlfunktion für ein Fernsehsystem oder ähnliches") und umfasst sechs Patentansprüche, die sämtlich mit der Nichtigkeitsklage angegriffen sind.
Patentanspruch 1 in der nach Abschluss des europäischen Einspruchsverfahrens am 4. Juli 2001 veröffentlichten Fassung EP 0 340 643 B2 hat folgenden Wortlaut:
1. Apparatus for use in a television receiver, said apparatus comprising: input means (3, 5, 19) for providing an input signal bearing at least one of audio and video information; signal processor means (25) responsive to said input signal and capable of operating in a plurality of processing modes for processing said input signal to produce an output signal; character generator means (63) for generating a character signal suitable for displaying on a display device a selection menu including said processing modes available for selection by a user; user input means (59) for allowing a user to enter command signals for selecting ones of said processing modes via said selection menu; and characterized by detector means (31, 35) responsive to said input signal for generating a characteristic indicative signal indicating the presence or absence of a particular characteristic of said input signal; and control means (53) coupled to said character generator means for determining which one or more of said plurality of processing modes are included in said selection menu in response to said characteristic indicative signal, said control means limiting the available processing modes displayed in said menu and which can be selected by a user in accordance with the content of said input signal.
In der deutschen Übersetzung lautet Patentanspruch 1 wie folgt:
1. Vorrichtung zur Verwendung in einem Fernsehempfänger, umfassend: Eingabemittel (3, 5, 19) zur Lieferung eines Eingabesignals, das Tonund Bildinformation oder mindestens eins davon enthält; ein Signalverarbeitungsmittel (25), das auf das Eingabesignal anspricht und in der Lage ist, in einer Mehrzahl von Betriebsarten zu arbeiten, um das Eingabesignal zu verarbeiten und ein Ausgabesignal zu erzeugen; ein Zeichengeneratormittel (63) zur Erzeugung eines zur Anzeige auf einer Anzeigevorrichtung geeigneten Zeichensignals, wobei ein Auswahlmenü die Betriebsarten enthält, die dem Benutzer zur Auswahl stehen; ein Benutzereingabemittel (59), das dem Benutzer ermöglicht, Steuersignale zur Auswahl einer der Betriebsarten über das Auswahlmenü einzugeben;
gekennzeichnet durchauf das Eingabesignal ansprechende Erfassungsmittel (31, 35) zum Erzeugen eines spezifischen Angabesignals, das die Anwesenheit oder Abwesenheit eines besonderen Merkmals des Eingabesignals angibt, und ein mit dem Zeichengeneratormittel verbundenes Steuerungsmittel (53) zur Festlegung, welches oder welche der Mehrzahl von Betriebsarten entsprechend dem spezifischen Angabesignal in das Auswahlmenü aufgenommen werden, wobei das Steuerungsmittel die zur Verfügung stehenden, in dem Menü angezeigten Betriebsarten, die der Benutzer auswählen kann, entsprechend dem Inhalt des Eingabesignals begrenzt.
Bezüglich der auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Ansprüche 2 bis 6 wird auf die Streitpatentschrift EP 0 340 643 B2 verwiesen.
Die Klägerin, die von der Beklagten wegen Patentverletzung in Anspruch genommen wird, macht mit ihrer Nichtigkeitsklage geltend, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gehe über den Inhalt der beim Europäischen Patentamt ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus. Darüber hinaus stützt sie ihre Klage auf den Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit, da der Gegenstand des Streitpatents nicht neu sei bzw. nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Zum Stand der Technik verweist die Klägerin auf folgende Dokumente:
D1: DE-OS 2 413 598 D2: US 4,626,892 D3: EP 0 239 760 A2.
Die Klägerin fügt ihrem Klageschriftsatz noch die weiteren Unterlagen bei:
K1 Registerauszug des Deutschen Patentund Markenamts K2 Streitpatent EP 0 340 643 B2 K3 Merkmalsanalyse von Anspruch 1 K4 ursprünglich eingereichte Fassung der Anmeldung EP 0 340 643 A2.
Mit Schriftsatz vom 3. Juni 2011 gibt die Klägerin noch die Anlage K5 Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 13. Januar 2011 zu den Akten.
Die Klägerin beantragt, das europäische Patent EP 0 340 643 B2 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen und hält das Streitpatent in jeder Hinsicht für rechtsbeständig.
Gründe
Die zulässige Klage erweist sich als begründet. Nach Erlöschen des Streitpatents im Laufe des Nichtigkeitsverfahrens besteht das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin fort, da sie aus dem Streitpatent von der Beklagten in Anspruch genommen wird.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in seiner nach Abschluss des Einspruchsverfahrens aufrechterhaltenen Fassung geht über den Inhalt der europäischen Patentanmeldung in ihrer beim Europäischen Patentamt ursprünglich eingereichten Fassung hinaus, Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. c), Art. 123 Abs. 2 EPÜ.
I.
1.
Das Streitpatent betrifft eine Vorrichtung zur Steuerung eines Fernsehempfängers oder ähnlichen Systems, insbesondere eine Steuervorrichtung zur Anzeige von Betriebsanweisungen (vgl. Patentschrift, Spalte 1, Zeilen 3 bis 6). Angesichts bisher bekannter Einstellmenüsysteme, die gleichzeitig mehrere Einstellmöglichkeiten anbieten und von denen eines exemplarisch in der US 4,626,892 (D2) beschrieben ist (vgl. Patentschrift, Spalte 1, Zeilen 6 bis 17), geht die Patentinhaberin davon aus, dass die Anzeige einer oder mehrerer Einstellmöglichkeiten in einem Eingabe-Menü zur Verwirrung führen könne, insbesondere wenn berücksichtigt werde, dass gewöhnlich Eingabesignaleigenschaften von Kanal zu Kanal unterschiedlich seien. Dies treffe insbesondere auf einen Fernsehempfänger zu, der ein Anzeigemenü mit Wahlmöglichkeiten zwischen mehreren Tonverarbeitungsbetriebsarten, wie monophoner oder stereophoner Tonwiedergabe und der Wiedergabe eines zweiten Tonprogramms (beispielsweise in einer zweiten Sprache) stets zur Verfügung stelle, auch wenn das empfangene Fernsehsignal nicht mit stereophoner und/oder zweiter Tonprogramminformation moduliert sei (vgl. Patentschrift, Spalte 1, Zeilen 18 bis 32).
2.
Ausgehend von dieser Problematik hat es sich die Patentinhaberin zur Aufgabe gemacht, die in einem Menü angezeigten Einstellmöglichkeiten in Abhängigkeit von den augenblicklich tatsächlich möglichen Eingabesignaleigenschaften, bspw. in Abhängigkeit vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein eines stereophonen Anteils in einem Audiosignal, dynamisch zu ändern (vgl. Patentschrift, Spalte 1, Zeilen 33 bis 39) und schlägt daher für eine bessere Nutzerführung eine Steuervorrichtung nach Patentanspuch 1 vor, die sich in folgende Merkmale gliedern lässt (mit eingefügten Gliederungszeichen, englische Fassung kursiv darunter):
M1 Vorrichtung zu Verwendung in einem Fernsehempfänger, umfassend:
Apparatus for use in a television receiver, said apparatus comprising:
M2 Eingabemittel (3, 5, 19) zur Lieferung eines Eingabesignals, das Tonund Bildinformation oder mindestens eins davon enthält; input means (3, 5, 19) for providing an input signal bearing at least one of audio and video information;
M3 ein Signalverarbeitungsmittel (25), das auf das Eingabesignal anspricht und in der Lage ist, in einer Mehrzahl von Betriebsarten zu arbeiten, um das Eingabesignal zu verarbeiten und ein Ausgabesignal zu erzeugen; signal processor means (25) responsive to said input signal and capable of operating in a plurality of processing modes for processing said input signal to produce an output signal;
M4 ein Zeichengeneratormittel (63) zur Erzeugung eines zur Anzeige auf einer Anzeigevorrichtung geeigneten Zeichensignals, wobei character generator means (63) for generating a character signal suitable for displaying on a display device a selection menu M4.1 ein Auswahlmenü die Betriebsarten enthält, die dem Benutzer zur Auswahl stehen; including said processing modes available for selection by a user;
M5 ein Benutzereingabemittel (59), das dem Benutzer ermöglicht, Steuersignale zur Auswahl einer der Betriebsarten über das Auswahlmenü einzugeben; user input means (59) for allowing a user to enter command signals for selecting ones of said processing modes via said selection menu;
gekennzeichnet durchand characterized by M6 auf das Eingabesignal ansprechende Erfassungsmittel (31, 35) zum Erzeugen eines spezifischen Angabesignals, das die Anwesenheit oder Abwesenheit eines besonderen Merkmals des Eingabesignals angibt, unddetector means (31, 35) responsive to said input signal for generating a characteristic indicative signal indicating the presence or absence of a particular characteristic of said input signal; and M7 ein mit dem Zeichengeneratormittel verbundenes Steuerungsmittel (53) zur Festlegung, welches oder welche der Mehrzahl von Betriebsarten entsprechend dem spezifischen Angabesignal in das Auswahlmenü aufgenommen werden, wobeicontrol means (53) coupled to said character generator means for determining which one or more of said plurality of processing modes are included in said selection menu in response to said characteristic indicative signal, M8 das Steuerungsmittel die zur Verfügung stehenden, in dem Menü angezeigten Betriebsarten, die der Benutzer auswählen kann, entsprechend dem Inhalt des Eingabesignals begrenzt.
said control means limiting the available processing modes displayed in said menu and which can be selected by a user in accordance with the content of said input signal.
Bezüglich des Wortlauts der auf diesen Anspruch direkt bzw. indirekt rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 6 wird auf die Patentschrift verwiesen.
3.
Die Lehre des Streitpatents richtet sich ihrem sachlichen Inhalt nach an einen Diplomingenieur (FH) der elektrischen Nachrichtentechnik, der mit der Entwicklung einer komfortorientierten Benutzersteuerung von Fernsehempfangsgeräten betraut ist.
4.
Ausgehend vom Fachund Erfahrungswissen dieses Fachmanns legt der Senat nachfolgende, im erteilten Vorrichtungsanspruch 1 enthaltene entscheidungserheblichen Begriffe wie folgt aus:
Unter "Eingabemittel" (input means) im Zusammenhang mit elektrischen Vorrichtungen versteht der Fachmann sowohl geräteextern als auch geräteintern lokalisierte Vorrichtungen, mit denen beliebig ausgelöste "Eingabesignale" (input signals) an eine nachfolgende verarbeitende Vorrichtung ausgegeben werden.
Der Begriff "Eingabesignal" (input signal) ist dem anspruchsgemäßen Wortlaut nach nur hinsichtlich der darin enthaltenen Informationen als Tonund Bildinformation oder mindestens einer davon charakterisiert und damit keinesfalls als auf spezifische Fernsehempfangssignale beschränkt anzusehen.
Den Begriff "Betriebsarten" (processing modes) legt der Senat entsprechend seiner allgemeinen fachlichen Bedeutung dahingehend aus, dass darunter unterscheidbare Arbeitsweisen zu verstehen sind, in die eine Vorrichtung, hier das "Signalverarbeitungsmittel" (signal processor means), zeitweise versetzt werden kann.
In Übereinstimmung mit der Entscheidung des OLG Düsseldorf (vgl. K5) geht der Senat davon aus, dass eine in eine Mehrzahl von Betriebsarten versetzbare Vorrichtung dafür ausgebildet ist, das Eingabesignal einer (durch die aktuelle Betriebsart) bestimmten Verarbeitung zu unterziehen, die gegebenenfalls auch durch einen externen Eingriff festgelegt werden kann, um ein bestimmtes Ausgabesignal zu erzeugen.
Jedoch kann der Begriff "Betriebsart" (processing modes) nicht dem vom Streitpatent ebenfalls verwendeten Begriff "Einstellmöglichkeit" (control choices) gleichgesetzt werden. Denn der Fachmann verknüpft bei fachlicher Lesart des Streitpatents mit dem Begriff "Einstellmöglichkeit" (control choices) nur die Option einer von außen initiierten Einflussnahme auf eine wie auch immer geartete Zustandsänderung eines Gerätes, hier des Fernsehempfängers (bspw. Menüeinstellung). Demgegenüber verbindet der Fachmann mit dem Begriff "Betriebsart" (processing modes) die interne technischphysikalische Arbeitsweise eines Gerätes und, sofern eine Änderung der "Betriebsart" (processing modes) möglich ist, jegliche Änderung seiner Arbeitsweise, die sowohl geräteextern als auch geräteintern, also auch ohne Einstellung oder Eingreifen durch einen Benutzer, veranlasst werden kann. Ein derartiger Vorgang findet sich in der Praxis beispielsweise in Form eines programmierten automatischen Sendersuchlaufes für die zyklische Aktualisierung von empfangbaren Sendern wieder. Diese Auslegung findet ihre Stütze auch in der Beschreibung des Streitpatents. Dort werden beide Begriffe gemäß dem vorstehend dargelegten fachlichen Verständnis verwendet, wobei unter den Begriff "Betriebsarten" (processing modes) bspw. die Audiobetriebsarten Mono, Stereo oder SAP (vgl. Patentschrift Spalte 5, Zeile 36 bis 38; Spalte 10, Zeilen 12 bis 18) fallen und als "Einstellmöglichkeit" (control choices) ausschließlich die Möglichkeit des Benutzers beschrieben wird, Bildund Audiosignaleigenschaften des Fernsehempfängers mittels eines Einstellmenüs auszuwählen (vgl. Patentschrift, Spalte 1, Zeilen 33 bis 35; Spalte 5, Zeile 23 bis Spalte 6, Zeile 2; Spalte 6, Zeilen 8 bis 14 und 40 bis 42; Spalte 7, Zeile 7; Spalte 10, Zeilen 4 bis 9).
Im Lichte der vorstehenden Ausführungen würde zur Überzeugung des Senats ein Fachmann eine sinngemäße Gleichsetzung der beiden Begriffe "Betriebsart" (processing modes) und "Einstellmöglichkeit" (control choices) im Sinne einer technischen Wirkungsgleichheit daher nicht in Erwägung ziehen.
Unter den Begriff "Betriebsarten" (processing modes) fällt entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht die Bereitstellung verschiedener Ausgangssignale durch das Signalverarbeitungsmittel 25, die aufgrund der intern stets gleichbleibenden kausalen Abläufe (die Betriebsarten ändern sich also gerade nicht) zeitgleich generiert und an den Ausgängen des Signalverarbeitungsmittels bereitgestellt werden.
Die weiteren Begrifflichkeiten in der Anspruchsfassung sind nach dem Verständnis des Senats durch ihren Wortlaut funktional definiert und erklären sich daher aus sich heraus.
II.
1. Unter Zugrundelegung des vorstehend darlegten Verständnisses der Begrifflichkeiten erweist sich der Patentanspruch 1 als unzulässig, weil die Merkmale M2 und M3 der erteilten Fassung in den ursprünglichen Unterlagen nicht unmittelbar und eindeutig als zur Erfindung gehörend offenbart sind (BGH, Urteil vom 8. Juli 2010 - Xa ZR 124/07, GRUR 2010, 910 - Fälschungssicheres Dokument; BGH, Urteil vom 16. Dezember 2008 - X ZR 89/07, BGHZ 179, 168 -Olanzapin).
1.1 Merkmal M2, wonach die Vorrichtung nach Patentanspruch 1 "Eingabemittel zur Lieferung eines Eingabesignals, das Tonund Bildinformation oder mindestens eins davon enthält" (input means for providing an input signal bearing at least one of audio and video information) umfasst, stellt eine unzulässige Erweiterung dar.
Entgegen der Ansicht der Beklagten beschäftigt sich das Streitpatent nicht allgemein mit der Verarbeitung eines Eingangssignals (input signal), dessen Quelle in der allgemeinen Beschreibung nicht einschränkend spezifiziert sei. Denn sowohl in der Offenlegungsschrift (vgl. K4) als auch in der Patentschrift werden als Eingangssignale für die Gesamtanordnung konkret RF-Signale und Auxiliary-Signale genannt. Die in letzteren enthaltenen Bildund Tonsignale werden aber, wie aus der Fig. 1 unmittelbar ersichtlich, nicht, wie im Merkmal M2 gefordert, dem Signalverarbeitungsmittel 25 und dem Steuerungsmittel 53, sondern über die jeweiligen Auswahlschalter 13 und 43 zum Einen dem Bildprozessor 15 zum Anderen dem Audioverstärker 45 direkt zugeführt. Eine Auswertung der Auxiliary-Signale in dem für die Menüanpassung maßgeblichen Steuerungsmittel 53 findet definitiv nicht statt. Dieser Sachverhalt wird auch durch die Beschreibung in der Offenlegungsschrift (K4) in Spalte 7, Zeilen 21 ff. gestützt, da die dort geschilderte MONO/STE-REO/SAP Menüanpassung zwar vom Eingangssignal abhängt, aber nach Spalte 9, Zeilen 50 bis Spalte 10, Zeile 9 eben nicht vom Auxiliary-Signal.
Hieraus folgert der Fachmann unmittelbar, dass die möglicherweise anliegenden Auxiliary-Signale keine Eingangssignale im Sinne der ursprünglich offenbarten Lehre sind. Die Verallgemeinerung des angegriffenen Patentanspruchs 1 auf eine beliebige Eingabeeinrichtung, respektive beliebige Bildund/oder Tonsignale enthaltende Eingangssignale ist folglich durch die ursprünglich offenbarte Lehre nicht gedeckt, die offensichtlich lediglich von einer Tunereinrichtung und der Berücksichtigung der von ihr gelieferten Zwischenfrequenz-Signale ausgeht. Ein verallgemeinertes Verständnis des Begriffs "Eingabemittel" (input means) wird entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht durch das Ausführungsbeispiel und die dazugehörige Beschreibung der K4 gestützt, da der Fachmann daraus nicht entnehmen kann, dass nicht nur das Zwischenfrequenzsignal des Tuners (vgl. Fig. 1, Tuner 3), sondern über den Auxiliary-Eingang (vgl. Fig. 1 AUX VIDEO IN, AUX L AU-DIO IN, AUX R AUDIO IN) auch andere Signale als Eingabesignale vorlägen.
Soweit die Beklagte für ihre weite Auslegung des Verständnisses des Streitpatents auf die Offenlegungsschrift (K4), Spalte 1, Zeilen 18 bis 22, Bezug nimmt, die allgemein darauf verweise, dass es verwirrend sein kann, stets mehrere Einstelloptionen in einem Menü anzuzeigen, speziell wenn sich die Signaleigenschaften von Kanal zu Kanal ändern, kann ihr nicht gefolgt werden. Denn der Fachmann verbindet wegen der Tatsache, dass die Erfindung ausschließlich auf Fernsehempfangssysteme oder ihnen ähnliche Systeme (vgl. Offenlegungsschrift, Spalte 1 Zeilen 1 bis 5, televisionreceiver or similar) gerichtet ist, mit dem Begriff "Kanäle" (channels) unmittelbar nur empfangene Fernsehkanäle (vgl. BGH, Urteil vom 16. Dezember 2008 -X ZR 89/07, Leitsatz b) - Olanzapin). Dass unter dem Begriff "Kanäle" (channels) auch die von Peripheriegeräten gelieferten Fernsehsignale zu verstehen wären, ist zur Überzeugung des Senats für den Fachmann ohne weitere Überlegungen aus der zitierten Fundstelle unmittelbar nicht herleitbar (vgl. BGH, Urteil vom 8. Juli 2010 -Xa ZR 124/07, GRUR 2010, 910 -Fälschungssicheres Dokument).
1.2 In Übereinstimmung mit der Klägerin ist auch Merkmal M3 von Patentanspruch 1 des Streitpatents eine unzulässige Erweiterung zu entnehmen. Denn ein Hinweis darauf, dass das Signalverarbeitungsmittel, dem die Eingabesignale zugeführt werden, in der Lage sein soll, in einer Mehrzahl von Betriebsarten zu arbeiten, ist aus den ursprünglichen Unterlagen nicht zu entnehmen.
Aus der Formulierung des ursprünglichen Patentanspruchs 1 (vgl. K4) "...processor control means (53) for controlling said processor means so that said output signal correspondends to one of a group processing control options selected by a user;..." ergibt sich entgegen der Ansicht der Beklagten nicht, dass das Prozessorsteuerungsmittel (processor control means) das Signalverarbeitungsmittel (processor means) steuert, d. h. die Betriebsarten des Signalverarbeitungsmittels durch das Prozessorsteuerungsmittel geändert werden könnten.
Vielmehr ist in Anbetracht der breiten Palette von Übersetzungsmöglichkeiten des englischen Begriffs "controllin", ins Deutsche (bspw. ansteuern, prüfen, beaufsichtigen, überwachen) der Fachmann gehalten, sich die wahre Wortbedeutung und ihre Auswirkung auf den Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents im Rahmen seiner methodischen Herangehensweise an den Anspruchswortlaut zu erschließen (BGH, Beschluss vom 17. April 2007 -X ZB 9/06, BGHZ 172, 108, Rdn. 17 -Informationsübermittlungsverfahren I). Im Rahmen dieser Vorgehensweise ist somit diejenige Bedeutung der Angaben des auszulegenden Patentanspruchs zu bestimmen, die nach dem sonstigen Inhalt des Patentanspruchs unter Berücksichtigung von Beschreibung und Zeichnungen als sinnvoll erkannt werden kann (BGH, Urteil vom 31. März 2009 -X ZR 95/05, Abs. 16 - Straßenbaumaschine). Dem folgend erschließt sich bei eigenständiger fachlicher Würdigung der unter den Sinngehalt des Patentanspruchs 1 fallenden Figur 1, in der eine Steuerleitung vom Mikroprozessor 53 zum Signalverarbeitungsmittel 25 nicht ersichtlich ist, und des Wortlauts der Beschreibung in Spalte 5, Zeilen 36 bis 50 und Spalte 8, Zeile 44 bis Spalte 9, Zeile 32, dem Fachmann der Sinngehalt des Merkmals M3 in eindeutiger Weise und unmittelbar nur dahingehend, dass die im angegriffenen Anspruch 1 als Signalverarbeitungsmittel (processor means) bezeichnete Decodier-Einrichtung 25 mehrere verschiedene Ausgangssignale gleichzeitig erzeugen kann (unter anderem die spezifischen Angabesignale STEREO INDICATOR und SAP INDICATOR), deren Auswertung ermöglicht, den Fernsehempfänger in verschiedene Betriebsarten (z. B. Stereo und Mono) zu schalten. Dabei beschränkt sich die Steuerung durch den Prozessor 53 (processor control means) darauf, von den dekodierten Signalen wahlweise bestimmte Signale einer Weiterverarbeitung zuzuführen (vgl. Fig. 1, Schalter 37).
Unter Berücksichtigung dieses ursprünglich eindeutig offenbarten Sachverhalts kann der Fachmann den Sinngehalt der von der Beklagten für die ursprüngliche Offenbarung herangezogenen Zitatstelle (vgl. K4, Patentanspruch 1, "...processor control means (53) for controlling said processor means so that said output signal corresponds to one of a group processing control options selected by a user;...") nur so verstehen, dass das Prozessorschaltungsmittel 53 die Signalverarbeitungsschaltung 25 dahingehend überwacht, ob deren Ausgangssignal mit einer der vom Nutzer ausgewählten Optionen für eine Betriebsartensteuerung übereinstimmt. Von einem Umschalten der Arbeitsweise des Signalverarbeitungsmittels 25, auch bezeichnet als Multichannel Sound Decorder 25, durch den Microprozessor 53 zwischen verschiedenen Betriebsarten ist in den ursprünglichen Unterlagen an keiner Stelle die Rede. An dieser Sachlage ändert sich auch für den Fall nichts, wenn man sich zu Gunsten der Beklagten die Auslegung des Begriffs "Betriebsart" als "Einstellmöglichkeit" durch das OLG Düsseldorf in der K5 zu eigen machen würde, denn eine Einstellmöglichkeit des Signalverarbeitungsmittels 25 durch den Benutzer ist in den ursprünglichen Unterlagen ebenso wenig offenbart.
Damit findet auch das Merkmal M3 in den ursprünglichen Unterlagen keine Stütze, was ebenfalls die Unzulässigkeit des erteilten Patentanspruchs 1 zur Folge hat.
Mit dem nicht patentfähigen Patentanspruch 1 fallen auch sämtliche weitere abhängigen Unteransprüche.
Der Nichtigkeitsklage war daher stattzugeben, wobei dahinstehen kann, ob der weitere Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit zum Erfolg geführt hätte.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.
Gutermuth Martens Gottstein Veit Musiol Pü
BPatG:
Urteil v. 08.06.2011
Az: 5 Ni 71/09
Link zum Urteil:
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