Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 12. Juli 2004
Aktenzeichen: NotZ 8/04

(BGH: Beschluss v. 12.07.2004, Az.: NotZ 8/04)

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg, Senat für Notarsachen, vom 26. Januar 2004 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und die der Antragsgegnerin und der weiteren Beteiligten im Beschwerderechtszug entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Geschäftswert des Verfahrens in beiden Instanzen wird auf 100.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller ist seit 1992 Notar mit dem Amtssitz H. , Mecklenburg-Vorpommern. Er bewarb sich, nach Mißerfolgen bei früheren Bewerbungen um ein Notariat in H. , um eine von der Antragsgegnerin, der Hamburger Justizbehörde, am 26. April 2002 ausgeschriebene Notarstelle. Die Ausschreibung von insgesamt zwei Stellen war im Verlauf eines Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgt, das eine Verfassungsbeschwerde des Antragstellers wegen des Unterlassens einer Stellenausschreibung zum Gegenstand hatte. Die Antragsgegnerin zog Mitbewerber vor. Eine erste Auswahlentscheidung wurde vom Oberlandesgericht beanstandet, eine einstweilige Anordnung gegen die am 14. Februar 2003 getroffene erneute Entscheidung zu Lasten des Antragstellers lehnte das Oberlandesgericht ab. Nach Mitteilung des Antragstellers hat das Bundesverfassungsgericht am 14. März 2003 die Stellenbesetzung einstweilen untersagt.

Mit Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 19. August 2003 begehrt der Antragsteller, die Antragsgegnerin zu verpflichten, wiederum zwei neue Notarstellen sowie zusätzlich die verwalteten Notarstellen auszuschreiben. Hilfsweise beantragt er jeweils die Feststellung, daß die verzögerte Ausschreibung rechtswidrig ist. Am 24. Oktober 2003 brach die Antragsgegnerin die Stellenausschreibung vom 26. April 2002 ab. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 19. August 2003 blieb vor dem Oberlandesgericht ohne Erfolg. Mit der sofortigen Beschwerde, der die Antragsgegnerin entgegentritt, verfolgt ihn der Antragsteller weiter.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 111 Abs. 4 BNotO, § 42 Abs. 4 BRAO), hat in der Sache aber keinen Erfolg.

1. Bei der Ermittlung des Bedarfs an Notaren (§ 4 BNotO) und der Ausschreibungen neu zu besetzender Stellen (§ 6 b BNotO) hat sich die Landesjustizverwaltung ausschließlich an den Erfordernissen einer geordneten vorsorgenden Rechtspflege zu orientieren. Das Interesse von Bewerbern, durch eine möglichst hohe Anzahl ausgeschriebener Stellen zum Zuge zu kommen, spielt keine, das Interesse von Amtsinhabern am Schutz vor Konkurrenz nur insoweit eine Rolle, als auf ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Unabhängigkeit der Amtsinhaber Rücksicht zu nehmen ist, das die im öffentlichen Interesse gebotene Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Amtsführung (§ 1 BNotO) voraussetzt (zum Abwehranspruch des Amtsinhabers vgl. Senatsbeschl. v. 20. Januar 1998, NotZ 31/97, NJW-RR 1998, 850). Eine Leistungsklage auf Stellenausschreibung ist deshalb nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich unzulässig (zuletzt Beschl. v. 3. November 2003, NotZ 10/03; v. 31. März 2003, NotZ 24/02, DNotZ 2003, 782). Der Ausübung der Organisationsgewalt der Verwaltung steht kein subjektives Recht des Bewerbers gegenüber; insbesondere bleibt die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) unberührt, denn sie besteht nur nach Maßgabe der vom Staat zur Verfügung gestellten Ämter (BVerfGE 73, 280, 292; vgl. auch BVerfGE 80, 257, 263). Anderes kommt nur in Frage, wenn sich die Verwaltung vom öffentlichen Interesse löst ("Privatisierung" der Organisationsentscheidung im Sinne des Beschlusses vom 31. März 2003, NotZ 24/02 aaO), die Zahl der auszuschreibenden Stellen nicht bedarfs-, sondern bewerberbezogen ermittelt, insbesondere das Organisationsermessen zur sachwidrigen Begünstigung oder Benachteiligung einzelner Bewerber oder Bewerbergruppen gebraucht. Der Senat geht mit dem Oberlandesgericht davon aus, daß der Antragsteller seinen Vorwurf, die Antragsgegnerin lasse Stellen im Interesse der in ihrem Anwärterdienst befindlichen Notarassessoren (§ 7 BNotO) und zum Nachteil von "Seiteneinsteigern" unbesetzt, insoweit begründet hat, daß den Zulässigkeitsvoraussetzungen des Leistungsantrags (Senatsbeschl. v. 18. September 1995, NotZ 46/94, NJW 1996, 123; v. 24. November 1997, NJW-RR 1998, 849) genügt ist. In der Sache hat der Antrag indessen keinen Erfolg.

Die Antragsgegnerin hat den -als solchen keinen Gegenstand des Antragsverfahrens bildenden -Abbruch der Ausschreibung schriftlich begründet und die Gründe (Vermerk vom 24. Oktober 2003) in das Verfahren eingeführt. Sie belegen zugleich, daß eine Ausschreibung weiterer Stellen, die der Antragsteller begehrt, nicht in Frage kommt. Nach dem Vermerk sind in H. gegenwärtig 79 Notare im Amt, zwei weitere Stellen werden von Verwaltern (§ 56 BNotO) betreut. Ein rechnerischer Bedarf besteht nur im Unfang von 77,6 Stellen. Der Bedarfsermittlung liegt, was der Antragsteller beanstandet, eine veränderte Gewichtung der Geschäftsentwicklung innerhalb des Beobachtungszeitraums von 7 Jahren (bisher: Durchschnitt der letzten sieben Jahre unter Ausschaltung des niedrigsten und des höchsten Jahresergebnisses; nunmehr: Berücksichtigung des stärksten Ergebnisses in Trendrichtung unter Ausscheiden der beiden dem Trend am stärksten widersprechenden Jahresergebnisse) sowie eine Anhebung der (bereinigten) Urkundszahlen pro Notariat von 1.300 auf 1.400 zugrunde. Die Anhebung der Urkundszahlen hat die Antragsgegnerin -auf der Grundlage der von ihr festgestellten (Zeitraum ab 1999) und prognostizierten negativen Entwicklung des Geschäftsanfalls (Einbrüche des Grundstücksgeschäfts, Rückläufigkeit der Unternehmensneugründungen) mit der Rückläufigkeit des Wertes des einzelnen Urkundsgeschäfts begründet. Dem stehe zufolge des Einsatzes elektronischer Mittel eine Zunahme der Urkundskapazität der einzelnen Notariate gegenüber. Daß diese Gründe nur vorgeschoben seien, um "Seiteneinsteiger" von H. so lange fernzuhalten, bis Notarassessoren zur Bestellung heranstehen, hat der Antragsteller nicht überzeugend darzustellen vermocht. Ob die Prognose eines längerfristigen Niedergangs des Urkundsaufkommens zutrifft oder anfechtbar ist, steht nicht zur Nachprüfung des Senats. Sollte sich die Antragsgegnerin in diesem Punkte irren, hat sie eine Fehlentscheidung im autonomen Bereich ihres Organisationsermessens getroffen. Dafür, daß ihre Prognose zur Personalentwicklung manipuliert sei, bestehen keine Anhaltspunkte. Die Einbrüche im notariellen Geschäft, nicht nur im Bereich der neuen Bundesländer, aus denen der Antragsteller wegstrebt, ist dem Senat bekannt. Der Überlegung des Antragstellers, daß die Fortschritte der Bürotechnik nicht die Kapazität des Notars, sondern lediglich seines Apparats erweiterten, hält die Antragsgegnerin entgegen, das eine sei nicht vom anderen zu trennen. Überdies kämen der juristischen Facharbeit des Notars selbst die eingeführten elektronischen Rechercheprogramme und Formularsammlungen zugute. Beide Sichtweisen sind möglich. Fehl geht auch der Vorwurf, die Antragsgegnerin tausche die Maßstäbe, nach denen sie den Stellenbedarf ermittelt, kurzatmig und ohne erkennbares System aus. Die Höchstzahl von 1.300 bereinigten Urkunden wurde, wie die Antragsgegnerin unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme der Notarkammer mitgeteilt hat, von 1986 bis 2003 unverändert angewendet. Die "Stallbaum'sche Formel" zur Gewichtung des Urkundsaufkommens wurde 1996 eingeführt. Die Umgewichtung innerhalb der "Stallbaum'schen Formel" (oben) und die Abänderung des Richtwertes auf 1.400 Urkunden gehen auf Überlegungen des Jahres 2003 zurück. Von einer Sprunghaftigkeit beim Wechsel der Maßstäbe, die den Gesichtspunkt der sachlichen Selbstbindung (vgl. Senatsbeschl. v. 14. Juli 2003, NotZ 47/02, ZNotP 2003, 470) beiseite schöbe, kann nicht die Rede sein.

2. Hinsichtlich der zur Zeit verwalteten Stellen geht der Senat von den gleichen Grundsätzen aus. Auch die Verwaltung, insbesondere erloschener, Stellen kann Mittel zur Manipulation des Bedarfs an Notaren sein. Der Vortrag des Antragstellers unterscheidet sich in diesem Punkte nicht wesentlich von den zu 1 erörterten Gesichtspunkten. Aus den dort genannten Gründen bleibt die sofortige Beschwerde auch insoweit ohne Erfolg. Die Antragsgegnerin bezieht Verwaltungen durch im Amt befindliche Notare (Verwaltung einer Stelle durch den Notar G. ) in die Bedarfsberechnung nicht ein, da sich die Beurkundungskapazität durch die Doppelfunktion des Notars nicht erhöhe. Ob dieser Gesichtspunkt auch für die Verwaltung der weiteren Notarstelle durch einen Assessor Bedeutung hat, der über die Erfordernisse der Abwicklung hinausgehende "eigene" Urkundstätigkeit wahrnimmt, braucht der Senat nicht abschließend zu entscheiden. Die unterschiedliche Handhabung wirkt sich angesichts des Verhältnisses der besetzten zu den erforderlichen Stellen nicht aus.

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Beschluss v. 12.07.2004
Az: NotZ 8/04


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