Bundespatentgericht:
Beschluss vom 21. Mai 2001
Aktenzeichen: 9 W (pat) 76/00
(BPatG: Beschluss v. 21.05.2001, Az.: 9 W (pat) 76/00)
Tenor
Der Antrag des Anmelders auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe und Beiordnung eines Anwalts für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Prüfungsstelle für Klasse 11.13 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat die am 7. Dezember 1999 eingegangene Patentanmeldung mit der Bezeichnung
"Verfahren zur Änderung des Bewegungsimpulses eines geschlossenen Systems"
mit Beschluß vom 21. Juni 2000 zurückgewiesen. Zur Begründung führt sie unter Bezugnahme auf ihren Prüfungsbescheid vom 9. März 2000 aus, daß die Anmeldung eine Vorrichtung beschreibe, die zu einer Impulsänderung eines Systems führen solle, ohne daß von außen irgendeine Kraft auf das System einwirke. Dies stehe im Widerspruch zu der physikalischen Gesetzmäßigkeit, daß sich der Impuls einer Masse nur dann ändere, wenn von außen Kräfte einwirkten. Die beanspruchte Vorrichtung sei deshalb einem Patentschutz nicht zugänglich.
Gegen den Zurückweisungsbeschluß hat der Anmelder Beschwerde eingelegt. Er hat für das Beschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe und die Beiordnung eines Anwalts beantragt. In einer Zwischenverfügung vom 1. März 2001 hat der Berichterstatter des erkennenden Senats dem Anmelder mitgeteilt, daß der Antrag auf Verfahrenskostenhilfe wahrscheinlich zurückzuweisen sei, da keine hinreichende Aussicht auf Erteilung des Patents bestehe. Die mit dem Anmeldungsgegenstand beabsichtigte Nutzung der Fliehkraft bzw von Massenträgheitskräften zur Erzeugung einer Vortriebskraft widerspreche nämlich dem Erhaltungssatz für den linearen Impuls eines Systems von Teilchen, so daß auf die Anmeldung voraussichtlich mangels technischer Brauchbarkeit des beanspruchten Gegenstandes ein Patent nicht erteilt werden könne. Hiergegen wendet sich der Anmelder mit dem Argument, daß zur Änderung des Bewegungsimpulses Energie eingesetzt werde, so daß es sich nicht um ein Perpetuum mobile handele.
Der Anmelder beantragt,
- Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen und - einen Patentanwalt beizuordnen.
Der geltende Patentanspruch lautet:
Verfahren, dadurch gekennzeichnet, dass ein System, beispielsweise ein Auto, ein Schiff, ein Flugzeug oder eine Rakete, mit einer Einrichtung versehen ist, die es ihm ermöglicht, den eigenen Bewegungsimpuls durch Flieh- oder Massenträgheitskräfte zu ändern, ohne dabei direkt durch mechanische Kräfte auf die Umwelt oder ein zweites Massesystem einzuwirken, z.B. durch formschlüssige Verbindungen, Reibungs- oder Rückstoßkräfte;
dass die Impulsänderung ausschließlich von der zur Impulsänderung eingesetzten Kraft F = m * a abhängt und nicht davon, welche Geschwindigkeit das System bereits erreicht hat, d.h., die Geschwindigkeitssteigerung wird lediglich durch die relativistische Massezunahme und die verfügbare Energie begrenzt, nicht aber durch die bei mechanischen Antriebssystemen üblichen Grenzen, die sich dadurch ergeben, dass es mit zunehmender Geschwindigkeit immer schwieriger wird, eine Kraft auf die Umwelt einwirken zu lassen, welche eine Impulsänderung bewirkt.
Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
Der Antrag des Anmelders auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren und die Beiordnung eines Patentanwaltes wird zurückgewiesen.
Es kann dahinstehen, ob die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Anmelders die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zulassen. Der Antrag des Anmelders auf Verfahrenskostenhilfe ist nämlich bereits zurückzuweisen, da keine hinreichende Aussicht auf Erteilung eines Patents besteht (§ 130 Abs 1 S 1 PatG).
1. Der geltende Patentanspruch enthält lediglich eine Reihe von aufgabenhaften Verfahrensmerkmalen, ohne daß für den zuständigen Fachmann erkennbar ist, mit welchen Mitteln diese aufgabenhaften Verfahrensschritte realisiert werden könnten. Im Patentanspruch bleibt beispielsweise für den Fachmann offen, mit welchen Mitteln Flieh- oder Massenträgheitskräfte erzeugt werden, die eine Änderung des Bewegungsimpulses des Systems ermöglichen. Derartige Mittel sind ihm nämlich aus seinem Fachwissen nicht bekannt. Zur Auslegung der Anmeldung sind daher die Beschreibung und die darin beschriebenen Ausführungsbeispiele mit heranzuziehen.
Aus der Beschreibung und den Figuren sind vom Anmelder als "Fliehkraftantrieb" und als "Massenträgheitsantrieb" bezeichnete Antriebe zu entnehmen.
Der "Fliehkraftantrieb" weist eine in einem Antriebssystem gelagerte Scheibe S1 auf, die - von einem Motor M1 angetrieben - um die Achse A1 rotiert. Auf der Scheibe S1 rollt eine weitere Scheibe S2 mit der Masse m2, die über eine Stange K mit der Achse A1 verbunden ist.
Die zweite Scheibe wird auf der ersten Scheibe S1 - vom Motor M2 angetrieben - zwischen den Positionen X und Y hin- und herbewegt. Der Anmelder ist der Auffassung, daß durch die damit verbundene laufende Bahnänderung der die Masse m2 aufweisenden Scheibe S2 gerichtete Zentrifugalkräfte aufträten, die zu einer Beschleunigung des Gesamtsystems führten.
Der "Massenträgheitsantrieb" weist eine mit einem Gewinde versehene Achse A1 auf, auf der ein Rotor eines Motors M1 angeordnet ist. Mit dem Rotor sind zwei Massen m1, m1' jeweils über Stangen verbunden.
Bei Betätigung des Motors M1 bewegt sich sein Rotor auf dem Gewinde nach links. Gleichzeitig werden die Massen m1, m1' nach außen geschleudert. Nach Auffassung des Anmelders wirke der axialen und radialen Bewegung der Massen m1, m1' die Massenträgheitskraft entgegen, die auf das Gehäuse der Einrichtung und damit auf die Achse C-C übertragen werde, die mit dem Gesamtsystem verbunden sei. Sobald der Rotor am Ende der Bahn angekommen sei, werde der Motor M1 abgeschaltet und die Massen würden durch die Federn wieder in ihre Ruhelage zurückgezogen. Anschließend werde das Gesamtsystem um die Achse C-C gedreht und der Vorgang werde in entgegengesetzter Drehrichtung des Rotors wiederholt. Im Unterschied zum bisher bei Raketen verwendeten Rückstoßprinzip werde auf diese Weise ein Antrieb realisiert, dessen Masse nicht mehr abgestoßen werde, sondern im System verbleibe.
2. Mit den angemeldeten Antriebsvorrichtungen kann die angestrebte Wirkung nicht erreicht werden, die Fliehkraft oder Massenträgheitskräfte als Vortriebskräfte zum Antrieb von Autos, Schiffen, Flugzeugen oder Raketen zu nutzen. Die Antriebsvorrichtungen sind folglich technisch nicht brauchbar (vgl BGH BlPMZ, 1985, S 117, 118). Die Erfindung ist im Hinblick auf die angestrebte Wirkung nicht ausführbar, so daß keine hinreichende Aussicht auf Erteilung eines Patents besteht.
Die mit dem Anmeldungsgegenstand beabsichtigte Nutzung der Fliehkraft oder der Massenträgheitskräfte zur Erzeugung einer Vortriebskraft steht nämlich im Widerspruch zum Erhaltungssatz für den linearen Impuls eines Systems von Teilchen, der inhaltlich zum Ausdruck bringt, daß der Gesamtimpuls eines Systems konstant bleibt, wenn die resultierende, am System angreifende äußere Kraft Null ist. Durch innere Kräfte des Systems kann dessen Gesamtimpuls nicht geändert werden. Dieser Satz von der Erhaltung des Gesamtimpulses hat sich bei allen überprüften Fällen immer wieder als richtig erwiesen und wird deshalb von der Fachwelt allgemein anerkannt.
Beim ersten Ausführungsbeispiel der Anmeldung bildet der Rahmen, in dem die Welle A1 gelagert ist, ein in sich geschlossenes System von Bauteilen, da alle Teile direkt oder indirekt in diesem Rahmen gelagert sind. Im zweiten Ausführungsbeispiel sind alle Teile des Systems direkt oder indirekt an der Achse C-C gelagert. In solchen Systemen sind alle darin auftretenden Kräfte - auch die bei der Rotation des Systems auftretenden Fliehkräfte oder die bei einer Beschleunigung von Massen auftretenden Massenträgheitskräfte - als innere Kräfte anzusehen, die jeweils zu ebenfalls ausschließlich innerhalb des Systems wirkenden Reaktionskräften führen. Dies gilt auch für die durch diese Kräfte hervorgerufenen Impulsänderungen der bewegten Teile dieses Systems, die entsprechend zu entgegengesetzt gerichteten Impulsänderungen wiederum nur innerhalb des Systems führen. Der Gesamtimpuls des Systems bleibt durch das Auftreten innerer Kräfte unverändert, so daß eine Nutzung der allein innerhalb des Systems auftretenden Fliehkräfte oder Massenträgheitskräfte als Vortriebskräfte nicht möglich ist.
Da an dem System offensichtlich keine äußeren Kräfte angreifen, bleibt nach dem Impulserhaltungssatz der Gesamtimpuls des Systems konstant. Vortriebskräfte treten somit nicht auf.
3. Da die Beiordnung eines Patentanwaltes die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe voraussetzt, kann diesem Antrag ebenfalls nicht entsprochen werden.
4. Dem Anmelder wird mitgeteilt, daß der erkennende Senat über die Beschwerde gegen den Zurückweisungsbeschluß des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 21. Juni 2000 gesondert entscheiden wird.
Petzold Dr. Fuchs-Wissemann Bork Bülskämperprö
BPatG:
Beschluss v. 21.05.2001
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