Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 18. Juni 2001
Aktenzeichen: AnwZ (B) 41/00
(BGH: Beschluss v. 18.06.2001, Az.: AnwZ (B) 41/00)
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers werden der Beschluß des I. Senats des Anwaltsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 13. Mai 2000 und der Bescheid der Antragsgegnerin vom 4. Februar 2000 aufgehoben.
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen und die dem Antragsteller entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Beschwerdewert wird auf 25.000,--DM festgesetzt.
Gründe
Der Antragsteller ist als Syndikus des Arbeitgeberverbandes S. metall und des Unternehmensverbandes S. tätig. Seit 1995 ist er außerdem zur Rechtsanwaltschaft und als Rechtsanwalt bei dem Amtsgericht und Landgericht F. und seit April 2000 auch bei dem Oberlandesgericht K. zugelassen. Er hat beantragt, ihm die Bezeichnung "Fachanwalt für Arbeitsrecht" zu verleihen. Die Antragsgegnerin hat den Antrag mit Bescheid vom 4. Februar 2000, der Anwaltsgerichtshof hat den dagegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit Beschluß vom 13. Mai 2000 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die zugelassene sofortige Beschwerde des Antragstellers.
Das gemäß § 223 Abs. 3 BRAO zulässige Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Bescheids der Antragsgegnerin.
Nach § 5 Satz 1 Buchst.c FAO gilt der Erwerb besonderer praktischer Erfahrungen im Arbeitsrecht als nachgewiesen, wenn der Bewerber innerhalb der letzten drei Jahre vor der Antragstellung im Fachgebiet als Rechtsanwalt einhundert Fälle aus den in § 10 Nr. 1 und 2 FAO bestimmten Bereichen selbständig bearbeitet hat. Unstreitig konnte der Antragsteller ohne Berücksichtigung seiner Syndikustätigkeit zum Zeitpunkt der Antragstellung nur 22 Fälle, zum Zeitpunkt der Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs 35 Fälle aus anwaltlicher Tätigkeit aufweisen. Die weiteren als Syndikus bearbeiteten Fälle auf dem Gebiet des Arbeitsrechts erfüllen die Voraussetzung einer selbständigen Bearbeitung als Rechtsanwalt nicht. Der Senat hat bereits in seinem Beschluß vom 13. März 2000 (AnwZ (B) 25/99 -MDR 2000, 671) entschieden, daß die Bearbeitung arbeitsrechtlicher Fälle als Syndikus zur Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung selbst dann nicht ausreicht, wenn der Syndikus im Zweitberuf Rechtsanwalt ist. An dieser Rechtsauffassung hält der Senat im Grundsatz fest. Nach dem Willen der Satzungsversammlung sollte bei dem Nachweis der praktischen Erfahrungen auf dem Fachgebiet bewußt an die formale Voraussetzung der selbständigen Bearbeitung bestimmter Fallzahlen als Rechtsanwalt angeknüpft werden, wobei "selbständig" im Sinne einer anwaltlichen Unabhängigkeit auszulegen ist.
Entgegen der Meinung des Antragsstellers ist auch aus § 46 BRAO nicht herzuleiten, daß die Tätigkeit des Syndikusanwalts als anwaltliche anzusehen ist. Aus § 46 BRAO ergibt sich vielmehr, daß der Syndikusanwalt innerhalb seines festen Beschäftigungsverhältnisses nicht anwaltlich tätig wird (BGHZ 141, 69, 76 f.), auch wenn er in dieser Vorschrift als Rechtsanwalt bezeichnet ist. Der Satzungsgeber hat in § 5 FAO keinen abweichenden Begriff anwaltlicher Tätigkeit zugrunde gelegt (Feuerich/Braun, BRAO 5. Aufl. § 5 FAO Rdn. 3; Kilian, MDR 2000, 239; a.A. AGH Hessen, MDR 2000, 671; Prütting, Anw.Bl. 2001, 313). Nach der Gegenmeinung ist der Syndikusanwalt auch im Rahmen seiner Berufsausübung für den Dienstherrn hinreichend unabhängig und damit auch dort als anwaltlich tätig zu betrachten. Im Gesetzgebungsverfahren ist aber der Vorschlag, durch eine Änderung des § 46 BRAO dem Syndikusanwalt einzuräumen, daß er auch im Angestelltenverhältnis als Anwalt tätig ist, ausdrücklich abgelehnt worden. Der Rechtsausschuß ist bei seinen Beratungen zu dem Ergebnis gelangt, daß das in den §§ 1 bis 3 BRAO normierte Berufsbild des Rechtsanwalts, wie es sich auch in der Allgemeinheit von ihm als unabhängigem Organ der Rechtspflege gebildet hat, mit der Tätigkeit unvereinbar ist, wenn der Syndikus als Anwalt auftritt. Bei der Tätigkeit, die der Syndikus für seinen Dienstherrn leistet, sind dann, wenn er persönlich mit der Materie des Einzelfalls befaßt war, die den Grundsatz der freien Advokatur kennzeichnenden typischen Wesensmerkmale der freien Berufsausübung, die das Bild des Rechtsanwalts bestimmen, als nicht gegeben anzusehen. Nach einhelliger Auffassung des Rechtsausschusses standen die auch vom Bundesverfassungsgericht anerkannten Gemeinschaftsgüter (vgl. BVerfG, Beschluß vom 4.
November 1992 - 1 BvR 79/85 u.a. - NJW 1993, 317), die - gerade dem Mandanten gegenüber - die Stellung des Rechtsanwalts als unabhängiges Rechtspflegeorgan sichern und damit der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege dienen, einer Änderung des § 46 BRAO in dem gewünschten Sinne entgegen (BT-Drucks. 12/7656, S. 49; vgl. auch Kilian, aaO S. 240). Daß nur eine eigenverantwortliche und weisungsungebundene Bearbeitung zum Nachweis der Befähigung nach § 5 FAO geeignet ist, wird im Grundsatz auch von dem Antragsteller nicht in Frage gestellt. Eine solche ist aber bei einer Tätigkeit im Rahmen der Stellung als Syndikusanwalt allenfalls im Einzelfall, nicht aber typischerweise gegeben.
Entgegen der Auffassung des Antragsstellers und des Anwaltsgerichtshofs Hessen (Beschluß vom 25.10.1999 - 1 AGH 14/98 - MDR 2000, 238) wird auch in die Berufsausübungsfreiheit des Rechtsanwalts nicht übermäßig eingegriffen, wenn die Fallbearbeitung als Syndikus anders gewertet wird als die in selbständiger anwaltlicher Tätigkeit. Für die regelmäßig im Hauptberuf ausgeübte Syndikustätigkeit ist die Fachanwaltsbezeichnung -wie auch der Beschwerdeführer einräumt - nicht von Bedeutung. Nimmt die im Zweitberuf ausgeübte anwaltliche Tätigkeit einen breiten Raum ein, ist dem Syndikusanwalt durch die Bearbeitung arbeitsrechtlicher Fälle in diesem Tätigkeitsbereich der Erwerb der Fachanwaltsbezeichnung wie jedem anderen Anwalt möglich.
Wenn danach auch für den Nachweis der praktischen Erfahrungen nach § 5 FAO eine Gleichstellung der als Syndikus bearbeiteten arbeitsrechtlichen Fälle mit denen in anwaltlicher Tätigkeit bearbeiteten nicht geboten ist, kann andererseits nicht verkannt werden, daß der Anwalt aus dieser Tätigkeit häufig umfangreiche Kenntnisse und praktische Erfahrungen auf seinem Fachgebiet erworben hat, die auch in die Bearbeitung der in der freien anwaltlichen Tätigkeit anfallenden Mandate einfließen werden. Nach § 5 FAO ist der Erwerb praktischer Erfahrungen "in der Regel" nachgewiesen, wenn der Bewerber die erforderliche Anzahl von Fällen selbständig als Rechtsanwalt bearbeitet hat. Schon der Wortlaut des § 5 FAO zeigt demnach, daß den Kammern ein Maßstab für die Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung an die Hand gegeben werden sollte, der einer rein schematischen Beurteilung entgegensteht und ihnen die Möglichkeit gibt, den besonderen Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen. Auch bei der Anwendung des § 5 FAO bedarf es daher einer Bewertung und Gewichtung der von dem Bewerber angegebenen Mandate (vgl. Senat, Beschl. v. 18. November 1996 - AnwZ (B) 29/96 - NJW 1997, 1307 zu § 9 RAFachBezG). Belegt der Bewerber die Bearbeitung einer erheblichen Zahl nicht unbedeutender Mandate im Rahmen selbständiger anwaltlicher Tätigkeit, kann ihre Bewertung und Gewichtung bei Berücksichtigung der weiteren praktischen Erfahrungen, die der Bewerber als Syndikusanwalt auf dem betreffenden Fachgebiet gesammelt hat, zu dem Ergebnis führen, daß der Nachweis nach § 5 FAO - hier nach § 5 Satz 1 Buchst. c aus den in § 10 Nr. 1 und 2 FAO bestimmten Bereichen - als erbracht anzusehen ist.
Insbesondere wenn die Syndikustätigkeit - wie im gegebenen Fall - weitgehend weisungsungebunden ist und die in freier anwaltlicher Tätigkeit bearbeiteten Mandate von substantiellem Gewicht sind, wird dem im Rahmen des § 5 FAO Rechnung zu tragen sein. Der Nachweis der praktischen Erfahrungen kann unter diesen Umständen auch bei deutlich geringeren Fallzahlen aus der anwaltlichen Tätigkeit -der Antragsteller hatte hier zum Zeitpunkt der Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs 35 Fälle nachgewiesen - als geführt angesehen werden. Die Antragsgegnerin wird deshalb den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden haben.
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BGH:
Beschluss v. 18.06.2001
Az: AnwZ (B) 41/00
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