Bundespatentgericht:
Beschluss vom 4. November 2004
Aktenzeichen: 6 W (pat) 356/03
(BPatG: Beschluss v. 04.11.2004, Az.: 6 W (pat) 356/03)
Tenor
Das Patent 101 55 587 wird in vollem Umfang aufrechterhalten.
Gründe
I.
Gegen die am 15. Mai 2003 veröffentlichte Erteilung des Patents 101 55 587 mit der Bezeichnung "Lager mit magnetorheologisch einstellbarer Dämpferkraft" ist am 15. August 2003 Einspruch erhoben worden. Der Einspruch ist mit Gründen versehen und auf die Behauptung gestützt, dass der Gegenstand des Patents nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
In der Einspruchsbegründung verweist die Einsprechende neben den bereits im Prüfungsverfahren berücksichtigten Druckschriften 1: deutsche Offenlegungsschrift DE 197 11 689 A1 und 2: deutsche Offenlegungsschrift DE 38 30 836 A1 noch auf folgende Druckschriften:
3: europäische Patentschrift EP 0 975 892 B1 und 4: europäische Patentschrift EP 1 076 782 B1.
Die Einsprechende stellt den Antrag, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.
Die Patentinhaberin stellt den Antrag, den Einspruch teils als unzulässig, gesamt als unbegründet zurückzuweisen.
Die Patentinhaberin ist der Auffassung, dass der Gegenstand nach Anspruch 1 durch den nachgewiesenen Stand der Technik nicht nahegelegt werden kann.
Der erteilte Anspruch 1 lautet:
"Lager (2) mit einer Feder (4) und mit einem Dämpfer (6), der einen Zylinder (8) und einen Kolben (10) aufweist, wobei zwischen Zylinder (8) und Kolben (10) ein Spalt (12) besteht, der beidendig abgeschlossen ist und somit eine Ringkammer bildet, die mit magnetorheologischer Flüssigkeit gefüllt ist und die mit einem Magnetfeld (Spule, 18) beaufschlagbar ist."
Wegen der auf den Anspruch 1 rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 11 sowie wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
1. Über den Einspruch ist gemäß § 147 Abs. 3 Ziff. 1 PatG in der Fassung des Gesetzes zur Bereinigung von Kostenregelungen auf dem Gebiet des Geistigen Eigentums vom 13. Dezember 2001 Art 7 durch den Beschwerdesenat des Bundespatentgerichts zu entscheiden.
2. Der frist- und formgerecht erhobene Einspruch ist ausreichend substantiiert und auch zulässig.
Der Vorhalt der Patentinhaberin, der Einspruch sei unzulässig, da im Einspruchschriftsatz einerseits durch einen pauschalen Hinweis auf § 1, 3 und 4 PatG u. a. auch die Neuheit des Gegenstandes des Anspruchs 1 in Frage gestellt werde, andererseits zu dieser Frage aber keine Ausführungen gemacht worden seien, ist unbeachtlich. Die Einsprechende hat nämlich mit ihrem Hinweis auf die §§ 1, 3 und 4 PatG lediglich zum Ausdruck gebracht, dass sich ihr Einspruch auf den in § 21, Abs. 1, Satz 1 PatG angegebenen Einspruchsgrund beziehen soll, unter den mangelnde Neuheit, fehlende erfinderische Tätigkeit und gewerbliche Anwendbarkeit subsumiert sind.
Darüber hinaus ergibt sich aus dem Einspruchschriftsatz eindeutig, dass die Einsprechende das Patent ausschließlich im Hinblick auf eine fehlende erfinderische Tätigkeit angreift (vgl. S. 2, Abschnitt "Begründung", Abs. 1).
3. Der Gegenstand des angefochtenen Patents stellt eine patentfähige Erfindung im Sinne der §§ 1 bis 5 PatG dar.
a. Die erteilten Ansprüche 1 bis 11 sind zulässig, da sie den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 1 bis 11 entsprechen.
b. Das zweifelsfrei gewerblich anwendbare Lager nach Anspruch 1 ist unstreitig neu. Denn keiner der im Verfahren befindlichen Druckschriften ist ein Lager mit sämtlichen im Anspruch 1 angegebenen Merkmalen als bekannt zu entnehmen, wie sich auch aus den folgenden Ausführungen ergibt.
Die Neuheit des Patentgegenstandes ist seitens der Einsprechenden im übrigen auch nicht bestritten worden.
c. Das Lager gemäß dem erteilten Anspruch 1 beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist als Durchschnittsfachmann ein Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau mit langjähriger Erfahrung in der Konstruktion von Lagern bzw. Schwingungsdämpfern anzusehen.
Die angegriffene Erfindung betrifft ein Lager mit einer Feder und einem aus einer Kolben/Zylinder-Einheit bestehendem Dämpfer, dessen Dämpfungsflüssigkeit magnetorheologische Eigenschaften aufweist, wobei durch eine angelegte Spannung die Viskosität der Flüssigkeit verändert werden kann.
Bei bekannten Konstruktionen wird eine große Menge an magnetorheologischen Flüssigkeiten, die üblicherweise Dispersionen sind, verwendet. Diese Dispersionen neigen jedoch zur Entmischung und Sedimentbildung. Ist eine Entmischung bzw. Sedimentierung erst einmal eingetreten, ist der Dämpfer nicht mehr funktionsfähig ist.
Der angegriffenen Erfindung liegt daher die Aufgabe zugrunde, ein Lager bzw. einen Dämpfer mit rheologisch einstellbarer Dämpferkraft zu schaffen, bei dem möglichst wenig Flüssigkeit benötigt wird, um die Kosten gering zu halten und/oder die Sedimentation zuverlässig zu vermeiden.
Diese Aufgabe wird durch die im Anspruch 1 angegebenen Merkmale gelöst.
In der deutschen Offenlegungsschrift DE 197 11 689 A1 ist ein Lager gezeigt und erläutert, bei dem eine mit magnetorheologischer Flüssigkeit gefüllte Kammer vorgesehen ist, in der ein Elektromagnet zur Beaufschlagung der magnetorheologischen Flüssigkeit angeordnet ist. Dieses bekannte Lager weist jedoch weder einen Kolben noch einen Zylinder auf. Folglich kann dort zwischen Zylinder und Kolben auch kein Spalt vorgesehen sein, der beidendig abgeschlossen ist und somit eine Ringkammer bildet, die mit magnetorheologischer Flüssigkeit gefüllt ist. Daher vermag von dieser Druckschrift allein keine Anregung in Richtung auf den Streitgegenstand auszugehen.
Die deutsche Offenlegungsschrift DE 38 30 836 A1 betrifft Verbesserungen an einer Vorrichtung zur Kraftsimulation in Servosteuersystemen unter Verwendung magnetorheologischer Flüssigkeiten. Die dort erläuterte Konstruktion weist eine mit magnetorheologischer Flüssigkeit gefüllte Kammer auf, in welcher ein Kolben auf- und abwärts bewegt werden kann. Bei der Bewegung des Kolben in der Kammer erfolgt eine Zwangsströmung der magnetorheologischen Flüssigkeit durch den zwischen Zylinder und Kolben gebildeten Spalt von der einen in die andere Kammer. Ohne diese Zwangsströmung wäre eine Bewegung des Kolbens jedoch nicht möglich, da kein Ausgleich der oberhalb und unterhalb des Kolbens befindlichen Flüssigkeitsvolumen möglich wäre. Somit kann aus dieser Druckschrift ebenfalls keine Anregung ausgehen, den Spalt beidendig zu verschließen, wie es erfindungsgemäß vorgesehen ist. Ganz abgesehen davon ist weder in dieser Druckschrift noch in der deutschen Offenlegungsschrift DE 197 11 689 A1 die Verhinderung einer Sedimentbildung der magnetorheologischen Flüssigkeit angesprochen.
Die weiterhin von der Einsprechenden genannten europäischen Patentschriften EP 0 975 892 B1 und EP 1 076 782 B1 sind beide nachveröffentlicht und gelten somit allenfalls gemäß § 3, Abs. 2 PatG als Stand der Technik. Sie sind jedoch gemäß § 4, Satz 2 PatG bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit außer Betracht zu lassen. Aber selbst, wenn seitens der Einsprechenden statt der o. g. nachveröffentlichten europäischen Patentschriften die zugehörigen und auch vorveröffentlichten Offenlegungsschriften WO 98/49 460 bzw. WO 99/58 873 genannt worden wären, könnten diese dem Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht die erfinderische Tätigkeit nehmen.
Die WO 98/49 460 erläutert einen Feder-Massen-Schwingungsdämpfer mit zwei Hydraulikkammern 311 bzw. 511, 516, die durch einen Kolben 33 bzw. 53 voneinander getrennt sind. Zum volumenmäßigen Flüssigkeitsaustausch zwischen den beiden Hydraulikkammern ist ein Ringspalt 36 bzw. 56 vorgesehen (vgl. insbes. Beispiele 1 und 2 sowie Fig. 3 und 5). Wegen des geforderten Flüssigkeitsaustausches darf der Ringspalt 36 bzw. 56 jedoch keinesfalls beidendig geschlossen sein, wie es erfindungsgemäß vorgesehen ist. Denn dann wäre eine Bewegung des Kolbens unmöglich. Die in der Fig. 3 zwischen dem Kolben und der Zylinderwand vorgesehene elektrisch isolierende Führung 312, 312' ist durchbrochen, um ein Strömen der Flüssigkeit durch den Ringspalt 36 zu ermöglichen (vgl. insbes. S. 9, Z. 9 bis 11) und stellt somit gerade keinen Abschluss dar, wie es erfindungsgemäß gefordert ist. Auch die in Fig. 5 zwischen dem Kolben und der Zylinderwand angeordnete Ringdichtung 512 stellt lediglich eine Führung für den Kolben dar (vgl. insbes. S. 9, Z. 31 und 32), während der Ringspalt 56, durch welchen der Flüssigkeitsaustausch bei einer Bewegung des Kolbens erfolgt, beidendig offen ist (vgl. insbes. Fig. 5). Von dieser Druckschrift kann somit ebenfalls keine Anregung ausgehen, den Ringspalt beidendig abzuschließen, da in seinem solchen Fall keine Bewegung des Kolbens mehr möglich wäre. Darüber hinaus ist in dieser Druckschrift auch die erfindungsgemäße Problematik, Sedimentierung und deren Verhinderung in magnetorheologischen Flüssigkeiten, mit keinem Wort angesprochen.
Auch in der WO 99/58 873 ist die mit der Sedimentierung der magnetorheologischen Flüssigkeit angesprochene Problematik weder in der Aufgabenstellung noch in einem anderen Zusammenhang erwähnt. Der in dieser Druckschrift beschriebene Schwingungsdämpfer ist vielmehr dadurch gekennzeichnet, dass zwei Druckmittelkammern von einem Kolben getrennt sind. Die beiden Druckmittelkammern stehen mittels eines magnetisch beaufschlagbaren Strömungskanals miteinander in Verbindung, durch den bei einer Bewegung des Kolbens die magnetorheologische Flüssigkeit strömt (vgl. insbes. Fig. 7a). Wesentliches Merkmal ist demnach auch hier das Strömen der magnetorheologischen Flüssigkeit durch einen Strömungskanal, während beim Patentgegenstand ein Strömen von magnetorheologischer Flüssigkeit von einer Kammer in die andere Kammer gerade bewusst nicht vorgesehen ist, da nur so eine Sedimentbildung der magnetorheologischen Flüssigkeit wirksam verhindert werden kann. Somit vermag auch dieser Stand der Technik keine zum Patentgegenstand führenden Hinweise zu geben.
Der übrige im Prüfungsverfahren angezogene Stand der Technik, der im Einspruchsverfahren nicht mehr aufgegriffen worden ist, liegt offensichtlich noch weiter vom Gegenstand des Anspruchs 1 ab, so dass der aufgezeigte Stand der Technik weder für sich allein betrachtet noch in einer Zusammenschau zum Patentgegenstand führen kann, da dort nicht nur jeglicher Hinweis auf die Problematik einer Sedimentierung der magnetorheologischen Flüssigkeit fehlt, sondern darüber hinaus auch keine Anregung gegeben wird, zwischen Zylinder und Kolben einen beidendig geschlossenen Spalt vorzusehen.
Der Anspruch 1 hat daher Bestand.
d. Zusammen mit dem Anspruch 1 sind auch die auf ihn unmittelbar oder mittelbar rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 11 bestandsfähig, da sie nicht platt selbstverständliche Ausgestaltungen des Lagers nach Anspruch 1 betreffen.
Lischke Sperling Schneider Müller Cl
BPatG:
Beschluss v. 04.11.2004
Az: 6 W (pat) 356/03
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